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Kapitel 

Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


9. Die Hunnenschlacht

Die Sage von Theoderich führt in die Kämpfe der Goten um Italien. Ob von dem letzten heldenmütigen Ringen der Goten mit den Römern das germanische Heldenlied erklang, das wissen wir nicht. Wenn der Sänger, der so selten den Sieg und oft den Untergang germanischer Völker besang, auch diese letzten Kämpfe feierte, so sind alle diese Lieder verschollen und verweht. Ein großer weltgeschichtlicher Kampf der Goten lebte jedoch im Liede fort: die Schlacht der Westgoten und des Aetius auf den Katalaunischen Feldern, die in der Mitte des fünften Jahrhunderts dem Vordringen Attilas in Europa Halt gebot und die westliche Kultur gerettet hat.



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Jordanes berichtet von dieser großen Schlacht lebhafter und dramatischer als es sonst seine Art ist, die Erinnerung an sie war schon zu seiner Zeit gewachsen, sie galt als ein Kampf ohnegleichen, erfüllt von einem Heldentum und einer Gewalt des Ringens, wie es die Menschheit noch nie gesehen. Hunnen, Römer und alle germanischen Stämme, unzählige Krieger hatten daran teil; Westgoten und Ostgoten traten sich gegenüber. Auf beiden Seiten wurde mit ungeheurer Tapferkeit gestritten; Attila rief vor der Schlacht ein Orakel an, ermahnte in wilder Rede die Seinen und verhieß, er werde zuerst sein Geschoß in die Feinde schleudern. Im heftigsten Kampf war sein Leben bedroht und man sagte, er habe sich selbst nach verlorener Schlacht töten wollen. Ein Führer der Westgoten fiel, von dem Blut der Gefallenen schwollen die Bäche zu reißenden Strömen an, und die Krieger mußten den Durst mit blutgefülltem Wasser löschen.

Das Lied von dieser Hunnenschlacht wanderte nach England und dem Norden. Dort wurde es spät (im zwölften Jahrhundert) und nicht mehr vollständig aufgezeichnet; seine überlieferung ist schwer beschädigt, über älteren kraftvollen liegen jüngere kraftlose Schichten. Es steht in einer isländischen Saga, der Herwararsaga , eine Reihe von Strophen sind erhalten, andere in die umgebende Prosa aufgelöst. Saro Grammaticus hat dasselbe Lied in einer abweichenden Fassung gekannt, wir finden auch sonst in der isländischen Literatur seine Spur. Seine echten und besten Strophen übertreffen wahrscheinlich die ältesten Eddalieder an Alter und gehören der vornordischen, der germanischen Zeit an.

Heidhrek der Gotenkönig hat zwei Söhne hinterlassen, den vollbürtigen Anganty und den Bastard Hlöd. Dieser Hlöd wächst bei seinem Muttervater, dem König Humli im Hunnenland auf, als Held und Krieger. Hlöd im schimmernden Schmuck von Rüstung und Waffen, auf prächtigem Hengst reitet zu Anganty, um die Hälfte des väterlichen Erbes zu beanspruchen. Er fordert gewaltsam Einlaß, die Mannen drängen sich alle herbei, um zu hören, was er spricht und was der



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Bruder antwortet. Der bietet ihm an, er möge mit ihm zu des Vaters Gedächtnis und zu ihrer Aller Ehre trinken. Hlöd weist ihn barsch zurück, er wolle vom ganzen Besitztum des Vaters die Hälfte, von Schwert und Schatz, von Kuh und Kalb, von mahlenden Mühlen, von Knechten und Mägden und deren Kindern, von den dunklen Wäldern und heiligen Gräbern, von geweihten Steinen, von den Heerburgen, von Land und Leuten und leuchtenden Ringen. Anganty erwidert, eher solle der helle Schild brechen oder der kalte Ger' eines andern ihn treffen, bevor er sein Land in zwei Teile teile und ihm den einen lasse. Doch er biete ihm schöne Ringe, Geld und Kostbarkeiten, wonach ihn nur gelüste, zwölfhundert Männer, zwölfhundert Pferde, zwölfhundert schildtragende Knechte, er werde jedem dieser Männer viel und Besseres geben, als jeder sich wünsche, jedem Mann ein Mädchen und jedem Mädchen Halsschmuck. Ihn selbst wolle er mit Silber umhüllen, wenn er sitze, mit Gold überschütten, wenn er gehe, so daß er die Ringe auf alle Wege streuen könne und den dritten Teil des Gotenreiches solle er beherrschen.

Ein alter Krieger im Gefolge Angantys, Gizur, meint, dies Angebot sei stattlich genug für einen Bastard. Aber Hlöd ist ergrimmt über den Vorwurf der Unebenbürtigkeit, auch Humli, sein Pflegevater wird, als er das schmähende Wort hört, zornig und rüstet ihm eine gewaltige Heeresmacht. Die Hunnen, einer mächtigen Staubwolke vergleichbar , unter der Gold, Schilde und Helme aufblinken, ziehen zu Anganty und besiegen unterwegs durch ihre ungeheure Übermacht Herwör, die Schwester von Anganty und Hlöd. Herwör wird getötet, ihr Pflegevater Ormar flieht zu Anganty und meldet ihm die Schlacht: "Verbrannt ist der Wald, das Land schwimmt im Blut der Helden, deine Schwester ist getötet." Anganty, als er die Botschaft hört, verzieht die Lippen, schweigt lange und sagt dann "unbrüderlich war das Spiel, aber herrlich die Schwester" . Dann sieht er über das Heer, "wir waren zu viel beim Gelage!" ruft er aus, " nun sind wir zu wenig, wo wir mehr sein sollten. Ich finde keinen, wenn ich auch bitte und ihm Ringe verspreche, der mir zu den Hunnen reite und ihnen den Kampf entbiete" . Aber der alte Gizur will ohne Lohn reiten, springt auf das Pferd wie ein Jüngling und entbietet den Hunnen die Schlacht auf der Dunheide und bei den Jassarbergen. "Entsetzen eurer Schar," ruft er, " dem Tod geweiht seien eure Fürsten, euch sollen sinken die Kampffahnen, grimmig ist euch Odhin." Hlöd ruft, man solle



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ihn ergreifen, der Hunnenkönig aber sagt, " den Boten, der allein fährt, darf man nicht vernichten" . Zurückgekehrt schildert Gizur dem Anganty die übermacht der Hunnen. Sechs Fürsten ziehen mit sechs Heerscharen heran, in jeder Heerschar sind fünftausend, in jedem Tausend dreizehnhundert , in jedem Hundert vier Krieger statt eines. — Die folgenden Ereignisse berichtet das Lied leider nicht, nur die Saga erzählt sie, sie schilderte die Schlacht, die acht Tage dauerte, dem Anganty strömen immer neue Scharen zu, in der letzten Schlacht wurden im erbitterten Kampf durch den Angriff der Goten die feindlichen Reihen ins Wanken gebracht, Anganty trat in die vorderste Reihe und erschlug mit dem Schwert Tyrfing seinen Bruder, auch Humli fiel und die Hunnen flohen.

Anganty aber — diese Verse erhielt uns wieder das Lied — sägt: "Ich bot dir, Bruder, ungezählte Ringe und Kostbarkeiten, nun hast du keinen Kampf zu vergelten und nicht Land und nicht Schätze. Unheil waltet über uns beiden, Bruder. Dein Mörder bin ich geworden, daran bleibt die Erinnerung. Finster ist der Spruch der Nornen."



***
Auch der Dichter dieses Liedes schildert in Rede, Gegenrede und Ausrufen und gibt dadurch den Vorgängen dramatische Bewegtheit und unmittelbares Leben. Die Erzählung hat nur den Zweck, in die Handlung einzuführen, oder die Glieder der Handlung zu verbinden. Das letzte Selbstgespräch Angantys deckt in jenen erschütternden Worten, die grade die gotische Dichtung findet , uns die Seele des Liedes und seiner Tragik auf, freilich in einer etwas absichtlichen und pointierten Redeweise, die weniger die Art der germanischen, als die der isländischen Dichtung ist: das finstere Walten des Geschicks entzweite die Brüder und machte den einen zum Mörder des anderen.

Im Vergleich zu denen der Geschichte scheinen die Ereignisse dieses Liedes eng und äußerlich. Ein häuslicher Zwist, Erbstreitigkeiten zweier Brüder, entfachen einen Weltbrand, und sein erstes Opfer ist ihre Schwester. Wie oft flammen die Kämpfe der germanischen Heldendichtung ausser Zwietracht der Verwandten, aus dem Streit des Vollbürtigen und Halbbürtigen auf, wir denken an Chrothild, an Irini, an Ermanarich. Der Dichter zeigt



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seine größte Kraft und Anschaulichkeit, als er die Reichtümer aufzählt, die Hlöd verlangt und die Anganty dem Bruder verspricht und deren er noch stolz gedenkt, als er vor seiner Leiche steht. In ähnlicher Prahlerei malt der Dichter uns die Größe des Hunnischen Heeres aus, er schildert uns das Äußere, das Dekorative der Kriegsansage und der Schlacht.

Wenn die Dichtung auch den tieferen Sinn und die weltgeschichtliche Bedeutung dieses Völkerringens nicht begriff, so hat sie doch das im künstlerischen Sinn Eindrucksvolle gut erfaßt und mächtig wiedergegeben: den Weg Attilas, die übermacht seines Heeres, das Anschwellen der Bäche vom Blut der Gefallenen. Sie hat auch die Tragik der Geschichte, die ungeheuren Opfer, die ein Sieg verlangt, empfunden, und hat die menschlichen Gründe der Schlacht, so wie sie germanischen Hörern vertraut und lebendig waren, gezeigt, die Erbstreitigkeiten. Die Geschichtsschreiber wissen übrigens von solchen Streitigkeiten auch: ein junger fränkischer Königssohn habe den Aetius, sein Bruder den Attila gebeten, ihm bei der Schlichtung ihrer Zwiste zu helfen. Bei Jordanes stehen außerdem Ost- und Westgoten, also zwei germanische Bruderstämme, sich feindlich gegenüber. Aetius schifte ferner nach der Schlacht den König der Westgoten, dessen Vater fiel, in die Heimat zurück, angeblich, damit nicht seine Brüder seine Schätze an sich rissen und damit er nicht mit den eigenen Verwandten unglücklich kämpfen müsse. Wie erfüllt ist auch die ganze Geschichte der Völkerwanderung von Ländergier, Länderkampf, Bruderzwist!

In den Einzelheiten finden sich dann noch viele Beziehungen von Geschichte und Dichtung. Der Attila der Geschichte wurde z. B. in der Schlacht bedroht, er wollte sich selbst töten; ein Einsiedler prophezeite ihm Unheil, und man ließ ihn frei. Der Hunnenkönig der Dichtung findet im Kampf den Tod, seinem Heere hatte der alte Gizur Böses verheißen, und auch an Gizur vergriff sich niemand.



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Ob der Kampf und die überwindung der Herwör aus der Geschichte oder aus einem andern ostgotischen Sagenkreis stammt, ist ungewiß. Es könnte allerdings sein, daß die Kämpfe der Hunnen und Ostgoten im vierten Jahrhundert im südlichen Rußland auch in einem Lied nachklangen, und daß solch ein Lied sich mit unsrem Lied verschmolzen hätte. Doch einen bestimmten Anhalt dafür haben wir nicht, und es bleibt problematisch, die Dunheide unseres Liedes als die Donauebene und die Jassarberge als die Ossetischen Berge zu deuten oder gar in den Stätten des Danpar, die einmal genannt sind, eine Erinnerung an den Danaper des Jordanes, den russischen Dnjepr zu sehen. Problematisch erscheint uns, wenn man den Namen Anganty durch verschiedene Zwischenstufen hindurch aus Aetius ableitet. Eine Reihe von Namen bleiben uns ganz rätselhaft, z. B. können wir nicht erklären, warum der König der Hunnen Humli und nicht Atli heißt. Gizur könnte einem Geiserich entsprechen, sein Mut, seine Kriegserfahrenheit und seine Freude am Krieg und Zwietracht würden zu dem Bilde stimmen, das Jordanes von dem berühmten Vandalenkönig entwirft. Dieser war wirklich Attilas Bundesgenosse und hat ihn gegen die Goten aufgereizt.

Wie es sich mit diesen Deutungen und Beziehungen auch verhalten möge, als Ergebnis bleibt bestehen, daß uns das Lied von der Hunnenschlacht als einziges unter den erhaltenen germanischen einen mächtigen Völkerkampf besingt, und daß es, anschaulich wie wenige, uns Besitz und Begier germanischer Fürsten malt. Auch ist es ein merkwürdiges Zeugnis von den verschlungenen , dunkeln und leidensreichen Wegen und von der unzerstörbaren Lebenskraft unsrer alten Heldendichtung.


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