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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Bartle bekömt ein ebenbildnuß, einen newen namen und glantz, bleibet aber der nemliche

Als die Wälder im Herbstfeuer lohten, fand sich bei Bartle ein Wandersmann ein. Es war ein Maler, den es nirgends lange litt, obschon etliche berühmte Meister den vortrefflichen Gesellen gern in der Werkstatt behalten hätten. Es trauerte ihm auch manches sittsame Mägdlein nach, welches mit dem stattlichen Mann freudig ins Ehebett geschloffen wäre. Er konnte aber keiner treu sein, denn er hatte sich mit Haut und Haar einer Liebsten ergeben, die hieß Frau Landstraße. Wenn beim Abendtrunk die andern von einem zärtlichen Abenteuer prahlten und die heimlichen Reize ihrer Schönen priesen, dann mochte es wohl geschehen, daß der Maler auch seinen Becher hob und von der Landstraße zu schwärmen begann als einer allerliebsten Frau, welche sich überraschend in anmutigster Wandlung offenbare, einmal jungfräulich, dann wieder erfahren und reif, anschmiegsam und spröde, schlank wie ein braunes Schlänglein oder stattlich und weißgepudert wie eine Müllerin, nie eifersüchtig und immer bereit, die Wirtshäuser zu weisen, wo der beste Wein zu haben sei. Hierauf pflegte der Maler schweigsam zu werden und in



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Trübsal zu versinken. Indes ein paar Tage später packte er gewöhnlich sein Bündel und schritt im Morgengraun durch die stille Stadt zum Tor hinaus, ein Wanderliedchen auf den Lippen und die Kappe keck am Ohr.

So geschah es auch dieses Mal. Der unstäte Geselle hatte wieder einem Meister die Arbeit aufgesagt, aber von diesem Batzenklemmer kein Zehrgeld auf den Weg erhalten. Daher war der Wandersüchtige am Abend schon aufgebrochen, die ganze Nacht durch gelaufen, aus langentbehrter Lust und um vor Tag über allen Bergen zu sein, denn er hatte aus der Werkstatt eine Holztafel mitgehen heißen. Im Wiesental gedachte er zu rasten. Er ward von Bartle brüderlich aufgenommen; bald saßen die einsamen Mannsbilder nach Junggesellenart beim Gluckerfaß und erzählten sich Schwänke und Schnurren.

Als die Köpfe ins Rauchen kamen, lüstete es den Fremden nach einem rechten Malerstück. Er griff zum Pinsel, rieb Farben an, umbrische Erde, Bleiweiß, Zinnober und Ultramarin, umfaßte den Einsiedel mit hellem Lauerblick und begann ihn auf die Holztafel zu bannen.

Das Bildnis wuchs ihm herrlich unter den Händen: ein sonnverbranntes Winzergesicht, übersponnen von Fältchen und Jahreszeichen, eisblanke und bauernschlaue Äuglein, Haar und Bart von der Farbe eines versengten Stoppelfeldes und dann der Hals, kropfig



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wie ein alter Weidenstrunk. In die wurzelbraune Faust malte er ein köstliches Becherglas, wie es die Venezianer blasen und wie der Waldbruder noch keines besessen hatte, gefüllt bis zum Rand mit blaßrotem Wein und von Sonnenblicken durchschossen.

Bartle bewunderte das Bildnis gebührend, bedauerte aber, daß sein braves Kätterlin nicht auch darauf zu sehen sei. Nun machte sich der Maler nochmals an die Arbeit und zauberte den gehörnten Ziegenkopf auf dunklen Hintergrund. Als er nun sein Werk überschaute, den biderben Bartle und die glotzäugige Geiß, da stieß ihn glucksendes Gelächter, denn die gestohlene Tafel hätte den heiligen Hieronymus und dessen zahmen Löwen widergeben sollen. In trunkener Laune gedachte er die Ähnlichkeit zu vollenden und dem Waldbruder ebenfalls einen Heiligenschein um den Kopf zu legen. Also löste er feinstes Gold und pinselte einen schimmernden Reifen um das trutzige Haupt. Aber siehe: Die Farbe wurde vom Untergrund abgestoßen wie Wassertropfen vom Kapuzinerblatt. Sie rieselte in güldenen Rinnsalen über Haar und Stirn, lief auf der Nase zusammen und versickerte darin, worauf das glühende Gebilde zu glänzen begann, wie ein Felsenzinken im Abendsonnenschein.

Ob dieser ergötzlichen Erscheinung gerieten die Saufgurgeln in lärmende Heiterkeit. Der Maler schwor, daß jenes Bild "bey siner ehr und säligkeit" in kunstreichen Lettern die Aufschrift tragen müsse: "Bruoder Bartle



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der Unscheynheilige." Aber ihre saufenden Köpfe konnten nimmer fassen, ob damit wirklich ein Heiliger ohne Schein gemeinet sei oder einer, der nicht zu den Scheinheiligen zähle. So schwatzten sie sinnlos in den abendlichen Säuselwind, gleichzeitig und ohne aufeinander zu hören, leise schwankend, manchmal feierlich den Finger hebend, als gölte es, die Apokalypse auszudeuten.

Am nächsten Morgen wurde der Maler vom Jubilieren der Waldvögel aufgeweckt. Die Frühe versprach einen wunderbaren Wandertag, nicht heiß und nicht kühl. Da hielt es den Landstraßennarren nicht mehr länger im Wiesental. Er nahm von Bartle Abschied. Das Bildnis wollte er ihm belassen, zum Gedächtnis und weil es beim Marschieren beschwerlich war. Doch der Waldbruder, jetzo kotznüchtern, sah bedenklich nach dem Ebenbild mit der Glanznase und brummte, der Helgen tauge besser für eine Weinschenke als für eine fromme Klause. Als der andere eine saure Fratze schnitt, fügte er in kratziger Katerlaune bei, so solle er halt das Bildnis der viellieben Frau Äbtissin im Kloster Paradies als Gabe überreichen, sie werde ihm dafür Dank wissen. Das schien dem Maler wohlgetan; er schulterte seine Habseligkeiten und verwarf jauchzend die wandertollen Beine.

Der Maler schritt um die Mittagszeit durchs Klostertor . In den Gängen roch es nach gebackenem Rheinhecht, denn es war Fastentag. Dem Fremdling wurden



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Speis und Tranksame vorgesetzt, wie es die Gastfreundschaft gebeut. Als er den magern Fischschwanz verzehrt und den würgenden Birrenmost geschlückelt hatte, führte ihn eine Nonne zur Äbtissin Adelheid. Sie empfing ihn mit huldvoller Herablassung und frug nach dem Begehr. Nun glaubte der Maler die Stunde gekommen, um die Gunst der bärtigen Dame zu gewinnen. Er rückte das Bildnis Bartles ins rechte Licht, daß die Feuernase des Waldbruders im dämmernden Gemach verwegen flammte. Die Wirkung war wunderbar. Adelheid lief dunkelrot an, hustete heftig, als hätt' sich ein Grat im Hals verfangen, und verfärbte sich dann über ein lichtes Zinnober ins schönste Zeisiggelb, wie es das entzückte Malerauge des Gesellen noch nie gesehen. Hierauf fragte sie abermals, doch in drohendem Ton, was der Fremde eigentlich wolle. Dieser erkannte nun, daß die Nonne ungnädig gestimmt war, und stammelte, er habe der Hohen Frau das Bildnis ihres befreundeten collega als Gabe zugedacht. Jetzo sehe er selbsten den Unwert des Geschenkes ein, sintemal die conterfeyung nicht sonderlich geraten. Der Heiligenschein vor allem sei mißlungen und in die Nase übergeloffen, was aber auch dem besten Meister widerfahren möge. Da lachte die Äbtissin schneidend auf und zischte, niemand auf der weiten Welt könne diesem Waldgräuel zu einem Heiligenschein verhelfen, denn ihm gezieme ein Hörnerpaar nach Satansart. Sie hielt inne, murmelte wieder das Gsätzlein von den Hörnern in den Bart, das sich scheinbar



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festgebissen hatte, und säuselte dann mit honigsüßer Stimme: wenn der Gevatter sich getraue, dem gemalten Bartle einen Kopfschmuck aufzusetzen, wie ihn jener Geißbock trage, dann sei sie gern bereit, das Bildnis gegen harte Batzen zu erwerben.

Der Maler zeigte sich geneigt, dem Wunsche zu willfahren. Er gedachte aber, die Äbtissin nur hinzuhalten, sich bei den Nonnen einen guten Tag zu machen und in der Nacht, wenn alles schlafe, heimlich zu verschwinden, ohne das verruchte Werk vollendet zu haben. Adelheid anderseits brannte darauf, den verhaßten Bartle in Teufelsgestalt verewigt sehn, und drängte, der Maler solle mit dem Hörnen gleich beginnen. Dieser schüttelte den schwarzen Schopf und erklärte, daß man ein solches Unterfangen nur in besonderer Stimmung zu einem guten Ende führen könne. Es sei heillos schwierig, inmitten frommer Frauen das Böse fühlend zu gestalten; er müsse deshalb bitten, ihn allein zu lassen und ihm einen Ort anzuweisen, wo weder Sonne noch Mond scheine, auch keine geistlichen Gesänge erschollen und wo es nicht nach Weihrauch dufte.

Das Begehren deuchte die Nonnen billig, und sie berieten, wie man es erfüllen könne. Es fand sich aber im ganzen Gebäude kein solcher Raum als drunten im Klosterkeller. So wurde der Fremde treppab geführt, immer tiefer, über ausgetretene Steinstufen und langhinhallende Gänge bis in das unterste, schauerkühle Gelaß, wo es nach Mauerwerk und altem Weine roch.



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Hier stellte der Maler das Bildnis des Bartle gegen ein spinnwebverhangenes Eichenfaß, klebte düster brennende Kerzen links und rechts auf nachbarliche Gebinde, entließ die ängstlich kichernden Begleiterinnen und schloß die schwere Bohlentüre hinter sich.

Die Äbtissin litt indes unter dem Gedanken, daß ihre wehrlosen Weinfässer gänzlich der brutalen Gewalt eines Mannsvolkes ausgeliefert seien; sie schickte deshalb am späten Nachmittag ein Nönnchen aus, um an der Kellertüre zu horchen, was der Fremde treibe. Das einfältige Ding kam fassungslos zurück und behauptete, daß der Maler mit dem Gottseibeiuns Gelage halte. Jetzo beschloß Adelheid, der Sache selber auf den Grund zu gehen. Sie schlich auf leisen Sohlen durch des Klosters Unterwelt. Bald tönten helles Becherläuten und wilde Lieder ihr ins Ohr. Als sie dann durch eine Türritze spähte, gewahrte sie, von tanzenden Lichtern ans Gewölb geworfen, die schwanken Riesenschatten zweier Zecher. Der eine trug das Lockenhaupt des Malers, der andere den gewaltigen Glatzkopf des Unscheinheiligen.

Die Äbtissin überkochte in gerechtem Zorn und begehrte stürmisch Einlaß. Der Lärm im Kellerraum erstarb. Man vernahm das Geräusch fliehender Füße. Dann, nach langer Zeit, tat sich die Türe knarrend auf. In der Wölbung stund der Maler; man sah ihm an, daß er jetzt in Stimmung war. Adelheid stieß ihn beiseite und begann sich im Gelasse umzusehn. Es schien



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menschenleer. Nun leuchtete die hohe Frau hinter jedes Faß, suchte alle Winkel ab, kroch ins Eckendüster, beklopfte die Gebinde und forschte sogar in Höhlungen, wo die Leiblichkeit des Waldbruders sich niemals hätte bergen können.

Als sie den Verhaßten nirgends fand, dessen Schattenriß sie doch gesehen hatte, geriet sie in weißglühende Wut und herrschte den Maler an, wo der andere sei. Jener meinte, die Nonne frage nach dem fehlenden Wein, und klatschte sich läppisch lachend auf den Bauch.

Schließlich wandte sich Adelheid enttäuscht dem Bildnis zu, um zu erfahren, wie weit es jetzt vollendet sei. Der liederliche Fremde hatte noch keinen Pinselstrich getan, und dennoch schien es irgendwie verwandelt. Die Kleidfalten lagen anders denn zuvor, als hätt' der Klausner sich in vollem Schwunge hingesetzt und nicht mehr Zeit gefunden, das Büsserhemd gebührend glatt zu streichen. Und dann gewahrte die entsetzte Nonne, daß jenes fremd geformte Glas, welches Bartle vorher mit Wein gefüllt in Händen hielt, nunmehr leer und ausgetrunken war. Ein einziger Tropfen hing rotfunkelnd am Rand, löste sich und rann langsam über das bemalte Holz.

"Daruz ersahe die Äbtissin daz der waldbruoder sich durch zauberey vom gmeld gelöst het und am klosterwein gewäsen." Sie gebot dem Maler, er solle sich mitsamt dem verhexen Bildnis unverweilt von hinnen heben.



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Also wurde der Pinselschlecker vor die Klosterpforte geführt und aus dem Paradies gestoßen, wie weiland der erste Mensch. Er blinzelte grämlich in den leuchtenden Herbsttag. Dann aber spürte er die Landstraße unter den Füßen, sah sie weißbestäubt dahinwandern, zwischen kahlen Stoppelfeldern sich verlieren, in der Weite wieder aufscheinen, zurückwinken und endlich ohne Besinnen einem Traumglück entgegenstürmen, das irgendwo in sehnsüchtig überblauter Ferne schweben mochte. Jetzo warf der Maler sein Gerät über den Rücken, das Bildnis des Bartle obendrauf und stoffelte hastig wie ein gekitzelter Käfer die geliebte Straße entlang, seinem unbekannten Ziele zu.

Adelheid schaute vom Refektorium aus dem sonderbaren Wallfahrer nach. Der närrische Kerl war bis zu den Kniekehlen vom Bild des Bartle zugedeckt, so daß man meinen konnte, der Unscheinheilige selber marschiere hinterwärts übers Land, goldnäsigglänzend, bei jedem Schritt vom Lachen geschüttelt und der zornigen Frau am Fenster mit leerem Glas einen höhnischen Zutrunk bietend.