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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Der waldbrueder heilt eine seltsame creatur und bekömt bsunderbarlich süeßen lohn

Unterhalb der Waldklause weitete sich der Rhein einer verwunschenen Bucht. Das Wasser stand hier gänzlich still und strömte nur dem Ufer entlang beinahe unwirklich aufwärts, zwischen den verworrenen Wurzeln riesiger Bäume durch, ölglatt und warm. In der Mitte des Kessels schien dann und wann ein Quell sprudeln, barst auseinander und verrieselte in schwarzen Wellenkreisen. Der Wald war so dicht und dunkel wie nirgends sonst und wehrte jedem Wesen den Zugang; einzig die schlanken Nattern konnten sich hindurchschlängeln und schwammen etwan wie geheimnisvolle Zauberzeichen auf dem reglosen Wasserspiegel, während die Libellen blaublitzend darüberhinflirrten.

Die Fischer mieden diesen unheimlichen Ort, denn sie meinten, daß auf dem Grund eine grausam schöne Nixe wohne. Bartle aber spottete über diesen Aberglauben, derweil ein hübsches Frauenzimmer sich in den vielen Jahren wohl längst gezeigt hätte.

Es geschah jedoch, daß der Waldbruder an einem schwülen Sommertag unversehens im Uferschilf auf einen großen Fischschwanz trat und ausglitt. Bevor er



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sich wieder erhoben hatte, platschte es im Fluß, als wenn ein ungeheurer Frosch ins Wasser springt, und dann kamen die Wellen zornig angerauscht, daß sich der verdutzte Einsiedel völlig durchnäßt auf festen Boden flüchten mußte. Eine ganze Weile ging ihm kein Fischlein mehr ins Netz; doch einmal hing ein ersäufter Kater drin. Jetzo begann Bartle selber an die Wasserfrau zu glauben, welche ihm auf diese Weise bedeuten mochte, wessen er sich zu versehen hätte. Er ging deshalb dem Heidenwesen sachte aus dem Wege.

Zu ausgang dieses jahrs war eine strenge, grimmige Kälte mit sehr vilem und tiefem schnee. Der Rhein hatte zu Schaffhausen wenig bevor, daß er nicht gar überfroren. Der Obersee, welches zuvor niemals erhört worden, war ganz und gar mit eis beschlossen, also daß es roß und man trug."Bartle hatte sich tief in seine Klause verkrochen und verließ sie bloß, um das Glöcklein der Kapelle zu läuten; die Töne stürzten dann wie gestorben durch den frostklaren Raum. Er hielt gleichzeitig Ausschau, ob irgendwo eine Kreatur in Not sei; aber zumeist zogen nur die Krähen in schwarzen Schwärmen über das unwirtliche Land.

Eines Tages gewahrte der Waldbruder, daß sich tief unten im Nixenkessel etwas regte. Er dachte, es könnte wohl ein Wasservogel im Eise eingefroren sein, und machte sich auf, ihm zu helfen. Die Bucht war gedeckelt wie ein Schneckenhaus, nur in der Mitte gähnte ein Loch, aus welchem das Wasser in steten Atemstößen



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dunkel überwallte. Aber es fand sich nirgends ein lebendiges Herz.

In der Nacht erwachte Bartle durch einen seltsamen Laut. Er horchte in die Finsternis hinaus und vernahm vom Nixenkessel her dumpfes, jammervolles Husten. Da erfaßte ihn ein heftiges Erbarmen mit dem einsamen Wesen im kalten Wasserloch. Er entfachte ein Feuer und kochte aus Kräutern, welche die Sonnenglut eines ganzen Sommers in sich hatten, einen heilsamen Trunk. Alsdann wandelte der brave Samariter mit der dampfenden Brühe nach der Nixenbucht und stellte die Kachel sorglich an den Quellrand.

Am andern Morgen lag die Tasse umgestürzt im Schnee. Bartle glaubte, es sei aus Unachtsamkeit geschehen, und mühte sich ein zweites Mal. Das Gebräu fand wiederum keine Gnade.

Schon wollte den Waldbruder der Verleider überkommen, als er bedachte, das näschige Wasserweib möcht' vielleicht dem Wein geneigter sein. Erwärmte einen vollen Becher "Himmelfahrtswein", setzte Gewürze zu und trug das Duftgetränk zum Nixenloch. Und siehe, anderntags war das Gefäß zwar leer, aber kein roter Tropfen auf das Winterleilach ausgegossen.

Von jetzt an stand jede Nacht eine Kachel voll Glühwein bereit, bis der Husten der Wasserfrau immer zahmer ward und endlich verstummte, als des Föhnwindes Fieberzungen das Eis in der Bucht aufgeleckt hatten. Darüber ist es wieder Frühling geworden.



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An einem weichen Maienabend lauschte Bartle einer Amsel, welche auf dem letztbesonnten Wipfel singend Andacht hielt. Als sie schwieg, hallte durch die Stille neuerdings das Husten der Nixe; aber es tönte wie das sehnsüchtige Blöken einer Hirschkuh. Der Waldbruder schmunzelte, denn ihm schwante, daß die Wasserjumpfer nach einem guten Schluck Verlangen trug. So fuhr er denn fort, sie mit "Himmelfahrtswein" zu versorgen, obwohl sie längst gesundet war.

Einmal, als Bartle das Krüglein am Ufer niedersetzte, rauschte die Tiefe auf, und aus dem Wirbel stieg die Nix empor, vom verströmenden Wasser überglänzt. Sie griff begehrlich nach dem Topf und trank in einem Zug. Im Schein des aufgehenden roten Mondes konnte Bartle sie geruhsam betrachten. Sie gehörte zur einschwänzigen Art. Der Fischleib verlor sich moosgrünleuchtend im Uferschatten. Das Haar wellte wie die langen Gräser der Wassewiesen um ein ebenmäßiges Gesicht von jener Schönheit, welche nur zeitlosen Geschöpfen eigen ist. Die Haut war perlmutterfarbig, die Lippen hatten das zarte Rot atmender Fischkiemen, und die Augen wechselten zwischen Libellenblau und dem Grün des schäumenden Flusses in der Schneeschmelze. .

Die Fischfrau stellte das geleerte Gefäß artig ins Gras, sah Bartle unverwandt an, schnellte dann jäh aus dem Element, umhalste den Einsiedel mit nassem Arm und küßte ihn auf die borstige Wange.



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Bartle erschrak bis in das Innerste hinein und wischte sich dann entrüstet mit dem Kuttenärmel die Liebkosung aus dem Gesicht. Darob ließ die Nix ein silberhelles Lachen klingeln und glitt in die Tiefe zurück . Dort, wo sie versunken war, kicherten noch lang die Wasserbläschen hervor, und aus dem Mondscheinschilf quarrte das Gelächter der Frösche.