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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Von geweintem wasser und gegewässertem wein, was kurtzweylig zu hören ist

Von einsamer Felsenzacke des Urgebirges blies der Berggeist ein sehnsüchtiges Alphornlied in die steinerne Stille hinaus. Da horchten die grauen Wolkentiere aller Himmel auf und wanderten in endlosem Zug nach dem heimatlichen Bergland, wo sie sich in Schlüften und Schrunden bargen und ungestaltig und nebelicht auf- und niedewallten. Jetzo fiel kein Tropfen Regen mehr.

"Der Häwmonat war so häiß, daß die Iser und Escher im Rhein ans Land schwammen, kalt wasser zu suchen, und ehe sie wider recht ins wasser kommen mochten, fielen sie für großer hitz an den ruggen, daß die fischer sie in großer menge mit den händen fiengen, waren faißt und gut. Der boden war von der großen hitz dermaßen verbrennt, daß gar kein embd war, sahe, als wann er mit feur besängt were. Großer schad geschahe an Bäumen, die verdorreten von großer hitz. Es versiegen alle bäch und brunnen, daß man nienen mahlen konnte. Der Gerwerbach war gar vertrocknet. Der Rhein war so klein und dünn, daß die schiff nicht halb geladen mochten herabkommen. In summa: ein



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trockener Sommer mit so großer und strenger hitz, daß dieser orten niemand dergleichen verdenken mochte."

In dieser Notzeit wandten sich die gnädigen Herren von Schaffhausen an die Adelheid mit dem Begehren, sie möchte beim himmlischen Wettermacher um einen erlösenden Regen bitten.

Die hochwürdige Frau ließ den Boten eine gute Weile im heißen Klosterhof schmoren, ehe sie ihn empfing, denn sie hatte das schnöde Gebaren der Stadtbehörden im Handel mit Bartle unverrückt im Gedächtnus behalten. Schließlich erbarmte sie sich doch des völlig durchweichten Männleins und versprach, dem Wunsch zu willfahren, sofern dem Kloster ein Fass Wein gestiftet würde, vom besten, überletzten Jahrgang. Der Ratsherr mußte grochsend den verlangten Preis gewähren, und nun schloß sich die Äbtissin in ihre Zelle ein, um die ersehnte Labsal herbeizuflehen.

Siehe, ihr Gebet ward erhört. Die Winde, die Winde, des Himmels jauchzende Hirtenbuben, trieben die Wolkentiere aus den Felsenställen und schickten sie auf Fahrt.

Adelheid gedachte aber die Gelegenheit zu nutzen, um den Stadtbürgern einen Denkzettel zu geben. Sie lockte daher eine ganze Wolkenherde nach der Stadt, wo die luftigen Wesen, von der Gewalt des Gebetes bezwungen, mit grauen Bäuchen so tief über Häuser und Giebel dahinstrichen, daß sie an den Kirchturmspitzen und der Feste Unot hangen blieben und sich das zarte Fell zerschlissen. Alsogleich begannen die wehleidigen Geschöpfe



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jämmerlich zu plärren; die Regentränen rannen in Strömen.

"Davon gingen die wasser an, thaten merklichen großen schaden, verderbten die Straßen, verflötzten die weinberg und die gearten felder, verschwemmten die wisen, allermeist im Merishauser thal. Der Gewerbach erfüllte den Gerwern ihre häuser, füehrte denselben die Lawtrög sampt den häuten weg, daß man genug zu wehren hatte."

Nun schickten die Stadtväter ein zweites Mal zur Adelheid mit dem Ersuchen, sie möchte den Wasserfluten Einhalt gebieten. Aber die Nonne ließ sagen, das sei nicht mehr ihre Sache, und fügte boshaft bei, die wohlmögenden Herren würden sich besser an den alten Hexer Bartle wenden, welcher das wässerige Element gewiß zu bannen wüßte, wie seine Nase zur Genüge beweise.

Daraufhin sandten die Räte den Boten zum Unscheinheiligen. Dieser zauderte nicht lang, schürzte die Kutte, griff zum Haselstock und machte sich auf zur Stadt, durch tropfende Wälder, reißende Bäche und sumpfige Wiesen, daß der hintennachhumpelnde Abgesandte, zum andern Mal bis zur Haut durchnäßt, sämtliche weiblichen und männlichen Heiligen zur Hölle wünschte.

Die gnädigen Herren zogen Bartle bis vor die Stadtmauern entgegen und geleiteten ihn zum überschäumenden Rhein, zweifelnd, ob ihm wohl der Bann gelinge.



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Der Waldbruder trat unverzagt an den Fluß, schlug dreimal feierlich mit flacher Hand in das wirbelwilde Wasser und schau, es wich so rasch ins alte Bett zurück, daß die Fische unversehens auf dem Trockenen lagen und zwischen Uferkieseln kläglich um ihr Leben sprangen. Darob erstaunten die Wolkentiere sehr und vergaßen ihren Kummer. Ein letzter Tränenschauer ging leise rauschend über das Land hinweg, dann kam wunderblau die Himmelsweid herfür.

Die frohen Stadtväter, selten zum Fasten, doch immer zum Festen geneigt, luden Bartle zu einem Ehrentrunk in den Ratsaal. Indes der Waldbruder meinte, ein ganzes Fäßchen von der Art, wie es der Adelheid gewährt worden, sei ihm noch lieber. Da lachten die edlen Herren säuerlich und versprachen, er könne beides haben. Also hoben sie zusammen die Humpen, bis das Frührot durch die Butzenscheiben glomm.

Den Stadtkellermeister wurmte es aber, daß ein zweites Fäßchen vom Allerbesten für Larifarizeug geopfert werden sollte. Er stellte deshalb ein halbleeres Gebinde bereit, welches er mit lauterhellem, unverfälschtem Rheinwasser auffüllte, im Glauben, daß der Einsiedel der Täuschung nicht inne würde, zumal er an den sauren "Himmelfahrtswein" gewohnet sei.

Mit sturmen Köpfen wanderte endlich die ganze Gesellschaft nach dem Schiffländeplatz unterhalb des Rheinfalles, um den Waldbruder und das Faß in einen Nachen zu verstauen, welcher schon ungeduldig an den



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Ketten zerrte, Der Pfad führte einen gächen Stotz zum Fluß hinunter. Bartle wollte daher beim Verlad des wohlverdienten Weines behülflich sein. Aber sobald er Hand ans Fäßchen legte, gebärdete sich dieses wie ein lebendiges Wesen, das Schläge scheut: es hockte und kollerte, riss sich schließlich los, rollte holterdiepolter den Hang hinab und zerschellte unten am felsigen Ufer.

Bei diesem betrüblichen Anblick sank der Kellermeister reuig in die Knie und gestand den Trug. Also ward offenbar: das in den Wein gegossene Rheinwasser hatte die "wunderterige hand des eremiten merklich gespüret und war gehorsam an den ort geloffen, wo es hingehörete". Die Ratsherren staunten ob der Gewalt des Bannzaubers und geboten dem Kellermeister, unverzüglich ein ander Faß herbeizuschaffen und es mit den bunten Blumen des frühen Herbstes zu kränzen.

Inzwischen lagerten sie sich im Ufergras, vom Hauch des Falles übersprüht, dessen ungeheure Wasserstürze aus dem morgengrauen Himmel zu kommen schienen. Bald war mäniglich still: Der Waldbruder beugte sich vor dem herrlichen Werk des Schöpfers, die andern aber gedachten kummervoll des unhimmlischen Wortschwalles ihrer Eheliebsten, welcher einer durchzechten Nacht folgen pflegte.