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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Bartle wird gewogen und eines fäderlins wegen nit zu leicht erfunden

Als die Adelheid erkannt hatte, daß ihr die weltliche Gewalt im Streithandel mit Bartle niemals Gerechtigkeit widerfahren lassen würde, gelangte sie an den Bischof von Konstanz mit dem Begehren, er möchte dem Waldbruder jede geistliche Handlung untersagen, denn der Einsiedel sei ein garstiger, unwissender Gesell, welcher mit dem Gottseibeiuns im Bunde stehe und somit einen wahren Dorn im Fleisch der Kirche bilde.

Der Bischof wollte der Äbtissin, die er sehr schätzte und auch ein wenig fürchtete, gern zu Gefallen sein; er fühlte sich aber unpäßlich und übertrug die Aufgabe einem jungen Prälaten. Dieser, ein großer Eiferer vor dem Herrn, beschloß, dem Übel selber nachzuspüren und machte sich im Christmonat nach dem Wiesental auf den Weg. Das Wetter war wunderschön, aber bitterkalt. An Baum und Busch funkelte der Rauhreif, und darüber hing der Himmel wie ein gefrorener blauer See.

Der Priester kehrte erst im Kloster Paradies ein, um den bischöflichen Segen abzuliefern, den Handel mit Bartle nochmals bereden und die klammen Finger



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aufzuwärmen. Er ward herzlich empfangen, als willkommener Racheengel, und festlich bewirtet, denn die schlaue Äbtissin wußte wohl, daß ein zufriedener Bauch der beste Fürsprech ist. Als die gebratene Gans auf dem Tisch erschien, braungelb glänzend und wohlgeformt, begannen die Adelheid und die Babette ihre Anklagen wider den Waldbruder vorzubringen. Sie lösten sich dabei getreulich ab wie Botenläufer. Also erfuhr der Pater, daß der Unscheinheilige ein unflätiger Waldgräuel sei, welcher ehrbare Männer verhexe und durch Verwünschungen in den Tod treibe, mit unseligen Wassergeistern vertrauten Umgang pflege und dergleichen Schandtaten mehr. Der bischöfliche Abgesandte ließ hin und wieder ein Grochsen hören, sei es, weil ihn das fette Gänsefleisch bedrückte oder aber die feißen Sünden des Einsiedels. Endlich wischte er sich abschließend den Mund und verkündete, daß er das häßliche Hühnerauge im Wiesental gründlich austilgen wolle. Darüber frohlockten die Nonnen sehr. Sie gaben dem scheidenden Prälaten einen scharfgeschnittenen Gänsekiel und ein Fläschchen Gallentinte mit, dieweil er solches beim unwissenden Bartle doch nicht finde. Das Geschenk mochte aber auch gemahnen, daß der gute Gänsebraten nicht umsonst genossen sei, sondern zu einem gallenbittern Gericht über den Waldbruder verpflichte.

Der Pilgrim betrat das Wiesental beim Einnachten, von Kälteschauern geschüttelt, denn der wölfische



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Frost war dicht vorbeigestrichen, das Grauhaar gesträubt, die grinsenden Lefzen mit Eiszapfen behangen und die Augen so kalt wie die knisternden Sterne. Darob war die gute Laune des Priesters gänzlich eingefroren, und was er sah und erfuhr, mußte den Verdruß nur mehren: die unwohnliche Höhle, der bäurische Bartle, das karge Mahl, der saure Wein und das rauchende Flackerfeuer im Herd. Er beschloß, sogleich den Auftrag zu erfüllen und dann eilig zu menschlicheren Bezirken heimzukehren.

Also begann der junge Pater den Alten in Liturgie, Apostelgeschichte und Latein zu examinieren. Aber Bartle wußte nirgends Bescheid und wurde so verzagt, daß es ihn selber dünkte, er sei unwürdig, länger ein Diener des Herrn zu heißen.

Hierauf erhob sich der Priester und stelzte stürmisch durch die Höhle hin und her, mit schwarzen Kuttenärmeln wehend gleich einer Fledermaus, weil ihn fror, und auch des beißenden Rauches wegen, der grämlich im Felsgewölbe hing. Während der Wanderung rückte er Bartle mit verzwickten Fragen zu Leib: Warum der Bruder die hochwürdige Frau Oberin wie gemeines Viehzeug eingesperret habe, dem heidnischen Fischweib dagegen gefällig gewesen sei, et cetera, et cetera. Wenn aber Bartle sich stotternd verwahren wollte, dann fuhr der hitzige Inquisitor mit einem bösen "Hm, hm" dazwischen, wie ein stößiger Bock, bis der Alte verzweifelt das wirre Haupt schüttelte, daß die Schweißtropfen



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weitumher sprühten und auf den heißen Herdsteinen zischend verdampften zu Opferräuchlein einer armen Seele.

Endlich brach der gestrenge Prälat die Prüfung ab, um den Bericht an den Bischof gar zu kochen. Der leere Magen, die steifen Glieder und der scharfe Gänsekiel der Adelheid befeuerten dabei seinen Geist, daß er die schwungvollsten Worte fand, die gröbliche Unwissenheit des Waldbruders geziemend zu geißeln.

Inzwischen war Mitternacht heraufgekommen. Das Herdfeuer warf so geringen Schein, daß der eifrige Schreiber nicht einmal seinen Namen unter die letzte Seite setzen konnte. Auf einmal fuhr ein kühler Lufthauch durch die Blätter, und der Priester sah, daß Bartle die Türe leise geöffnet hatte, um die Höhle verstohlen zu verlassen. Er ging ihm neugierig nach.

Der Alte wandelte mit gesenktem Haupt in den Wald hinein zu einer stillen Lichtung. Hier standen die Riesentannen feierlich wie Pilaster eines Domes in der Runde. Darüber wölbte sich die funkelnde Himmelskuppel. Bartle hielt an. Jetzo traten allenthalben die Waldtiere aus dem Schatten. Der Einsiedel grüßte sie wie gute Freunde, liebkoste die Hasen, Rehe und Füchse und holte aus den Falten seiner Kutte Leckereien hervor oder Balsam, um die Wunden zu arznen. Und die scheuen Wesen hielten gelassen still. Derweil schwebten um die schwarzen Säulenstämme lichte kleine Engel auf und ab. Die Silberseelchen vereinten sich manchmal



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zum Ringeltanz in den Lüften oder sie flatterten lausbübisch um die Glatze des Waldbruders, gleich Faltern über einer Wasserglungge.

Schließlich klatschte der Unscheinheilige in die Hände. Die Waldtiere huschten ins Dunkel zurück, und das Engelvolk fuhr erschrocken auf, daß die weißen Federn stoben. Also war ein traumhaftes Schneien im sternhellen Wald...

Der Pater erwachte aus schwerem Schlaf und spürte die alterskühle Hand des Waldbruders auf der Stirn. Als er verwundert schaute, erzählte Bartle, daß er lange zwischen Leben und Tod geschaukelt, jetzt aber ganz gesundet sei. Es währte aber geraume Zeit, bis der Kranke wieder zu Kräften kam. Er hörte noch die Schmelzwässer im Felsen tröpfeln und den wilden Tauber im Wald gurren, und er erkannte auch, daß der Einsiedel zu jenen gehörte, welche das Evangelium nicht zu wissen bräuchen, weil sie es im Herzen tragen.

An einem Frühlingstag nahm der Genesene Abschied von dem borstigen Bartle, dem sauren Wein und der stillen Friedensklause im Wiesental. Er wandte sich zunächst gen Schaffhausen, wo er wie ein Auferstandener empfangen ward. Im Trubel der geschäftigen Stadt und unter gelahrten Freunden vergaß er alsbald die Zeit der Besinnung; er fühlte neue Säfte durch die Adern rieseln, und der alte Eifer kam wieder über ihn. Es geschah nun, daß ihm jener Bericht an den Bischof in die Hände fiel, worin er Bartle der grenzenlosen Unwissenheit



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geziehen hatte. Der Priester las, und sein eitler Sinn bedachte, daß es eigentlich schade wäre, diese wohlgeformten Sätze und messerscharfen Schlüsse einer verständnisvollen Mitwelt vorzuenthalten. Er suchte deshalb nach dem Gänsekiel der Äbtissin, das Werklein mit sausender Unterschrift zu krönen, fand ihn aber nicht. Dafür geriet ihm ein Federlein zwischen die Finger, seidig, von der feinsten Art, doch ganz ungewandt, auch nur das geringste Wörtlein aufzuschreiben . Und mit ihm kamen die Erinnerungen gezogen wie ferne, fromme Musik: der treue, hilfbereite Alte und das Engleinwunder im heimlichen Wald. Der Prälat wog das leichte Ding nachdenklich in der Hand, blies es dann leise an, es hob sich, schwebte durchs Kammerfenster davon, schaukelte sachte in der sonnenheitern Luft, über dem dunkelströmenden Fluß, wie zwischen Leben und Tod, begann steigen, silberig, höher und höher, bis es als zärtliches Flaumwölkchen am föhnigblauen Frühlingshimmel hing. Hierauf zerriß der Pater den Bericht und warf die Fetzen zum Fenster hinaus. Sie taumelten erdenschwer in das vorüberhastende Wasser, das sie mit gierigen Wirbeln faßte und von dannen trug.

Als der Pater nach Konstanz kam, fand er eine große Verwirrung vor. Kurz nach seiner Abreise im Winter hatte nämlich eine sonderbare Krankheit umzugehen begonnen, "das Hüehnerwehe genannt. Die stieße den menschen mit großem frost an; darauf folgete



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ein wüetendes und rasendes hauptwehe und wüester Pfnüsel. Die rupfte darnach hie und da bis auf Wienachten, da hörete sie auf, waren ungefehr bey 50 menschen verzucket". Diese Seuche hatte auch den Bischof hinweggerafft und andere geistliche Würdenträger mehr. Nun war das Bistum verwaist und mäniglich froh, daß der verschollene Abgesandte als kundiger Mann die Geschäfte in seine festen Hände nahm. Er bewies dabei solches Geschick, daß er später zum Nachfolger des verblichenen Bischofs bestellet ward.

So geschah es, daß die Äbtissin Adelheid nach etzlichen Monden ein gnädiges bischöfliches Handschreiben empfing, besagend, daß seine Hochwürden den Waldbruder selber examinieret und dabei erfunden habe: Der Bartle solle unserm barmherzigen Vater weiterhin dienen nach seiner großen Einfalt, sintemal ein einziges, nichtsnutziges Engelsfläuderlein im Himmel schwerer wiege als tausend Gänsekiele, mit denen man alles Wissen der Welt aufschreiben könne.