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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Gott verlich ihm und uns allen eine froliche Auferstentnus

Es war im späten Sommer. Aus jedem Tenn klopften die Dreschflegel in dumpfem Takt. Bartle konnte nicht mehr mithelfen wie früher; er fühlte sich müde und zerschlagen, "nit anders dann eine reife ären, so gedroschen wird biß die gülden körner fallen". Es mochte wohl das Alter sein, das ihn immer mehr mit zähen grauen Fäden überspann.

An diesem Tag war Bartle im Gras eingeschlafen und, von fremder Kühle angehaucht, spät erwacht. Gegen den durchsichtigen Abendhimmel stand der Schattenriß eines Mannes, umströmt vom Schmelz der Sommerwende. Der Fremde bekannte sich als fahrenden Gesellen, welcher den Bauern beim Erntefest zum Tanze spiele. Auf der Wanderschaft hatte er viel erfahren und wußte daher manches zu berichten, von großer Wassernot, dem Erdbeben, das eine ganze Stadt erschüttert, von grausamem Schlachtengewühl, dem Chasma oder Heerfeuer und von der Pestilenz, welche das Land entvölkerte; es war eine Zeit des großen Sterbens. Er erzählte auch, daß in Basel abkonterfeiet ist, wie der Tod zum Tanz antritt: mit dem stolzen König, dem



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frommen Bischof, dem reichen Kaufmann, dem geplagten Landmann, dem zerlumpten Bettler und dem holdseligen Jungfräulein, Und der Fremdling tat es dar, mit abgemessnem Schritt, blies dazu die Pfeife, lind und leid, und fragte, ob es den Bartle nicht auch zum Tanz gelüste. Der aber meinte, die Knochen seien wohl alt, er halte es lieber mit dem süßen Wein. Da sagte der andere auf eigene Art: "Bruder, dein wein ist sauer", stieß den Becher um ins Gras, warf den Mantel über und schritt pfeifend in die Nacht hinein.

Der Einsiedel blieb lange wach, denn immer ging die geisterhafte Weise der Querpfeife um, einmal in weiter Ferne, hinter allen Wäldern, dann wieder ganz nahe, gleichsam über die Schultern weg; sie schien im Land herumzuwandern wie der leise Tod. Aber, als Bartle genau hinhorchte, war nichts anderes zu hören als das dunkle Rauschen des Flusses und das silberne Zirpen der Zikaden.

Am nächsten Morgen zitterte die Schwüle überm Land. Es war ungewiß, ob sie aus dem heißen Boden stieg oder vom glühenden Himmel fiel. "Die Sonne scheinete blut- und feuerrot, mit einem dunkeln und traurigen glanz. Sie stunde am himmel nicht anders als wie ein kleines scheiblein, und alles was sie bescheinen thate, sahe rotfarb aus." Als Bartle das Kätterlin auf die Weide treiben wollte, blieb die Geiß störrisch stehn und ließ den Kopf hangen.



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Gegen Mittag begann sich das Firmament zu bewölken, doch die Hitze nahm noch zu.

Um die Vesperzeit machte sich der Waldbruder auf, das Glöcklein zu läuten. Der Felsenpfad wand sich gleich einem feueratmenden Lindwurm durch das Gestein. Auf der Höhe wehte ein heißer Wüstenwind. In der Kapelle waberte die warme Luft wie in einem Backofen. Durch die Fensterwölbung aber flutete das Stromland als ein schwermütiges Lied: der düstergrüne Fluß, Schilf im Wind, flatternde Pappeln und silbrige Weiden, falbe Fruchtfelder, dunkeldräuende Waldkuppen, gekrönt mit schimmernden Wolkenburgen und über allem der weite Gewitterhimmel, in dessen unruhvoller Tiefe ein Weih einsamstolze Kreise zog.

Bartle spürte, wie ihn alle Kraft verließ. Er vermochte nicht einmal das Glockenseil fassen und brach taumelnd in die Knie. Als er hilflos, von Schwäche übermannt, im Staube lag, blendete ihn eine seltsame Erkenntnis: Der Strick zu Häupten, das verdämmernde Sommerland - mein Gott -, das alles war schon einmal gewesen, vor langer, langer Zeit. Oder hatte er das Leben als Knecht des Herrn etwan nur geträumt und war diese Sterbestunde die einzigwahre, bittere Wirklichkeit? Also quälten ihn Zweifel; er fing herzinnig zu beten an und um ein Zeichen zu flehen.

Siehe: Durchs Fenster flog ein Schwälblein herein, zwitscherte durch den Raum, rührte mit flüchtigen Schwingen die Glocke an und schoß oben zum Turmloch



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hinaus. Dann erschienen andere und ständig mehr. Sie streiften in schwirrendem Flug an der Glocke vorbei, welche nun zu klingen begann, wundersam tröstlich, von Gottes gefiederten Kindern bewegt. Jetzo kam Frieden über den Alten. Er lauschte versunken dem Läuten und Flügelsausen, das immer mächtiger tönte, wie das nahe Orgeln des Stromes. Oder war es des Blutes letzte müde Welle, die rauschend in die Ewigkeit verlief?

Der Schwalbenschwarm füllte das Fenster ganz und gar und deckte mit schwarzen Fittichen das liebe Erdenbild zu. Doch die weißen Vogelbrüstchen wiesen einen schimmernden Weg zum Himmel hinauf.

Der unsterbliche Bartle hob sich aus der toten Hülle und schwebte leicht wie Flaum den Felshang hinab. Er trat zum Kätterlin, schwang sich auf dessen Rücken und ritt himmelwärts. über dem Kloster Paradies stupfte er die Geiß in das Hintergestell, sie schwenkte das Schwänzlein und ließ etwas fallen, "da kame ein schneller hagel daher der wärete nicht lang, thate aber ziemlichen schaden und zerschluge zu Paradeiß die felder, obstgerten und aufgehangene wäsch, fielen stain so groß als gaißenbonen, waren auch thails graw, thails schwarz. Jedermann war sehr erschrocken; es gab ein geläuf".

Als Bartle die seligen Räume erreicht hatte, wo die Erde fern, wie ein Funke, im Dunste hängt, glitt ihm aus blauer Unendlichkeit ein Wolkenschiff mit Engelmusik entgegen. Die Himmlischen spielten eine kunstvolle



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Hallelujakantate zum Willkomm und waren derart in ihre Noten vertieft, daß sie lange nicht gewahrten, wie finster der Unscheinheilige blickte. Schließlich aber ließ der Meisterengel erschrocken den Taktstock sinken, und die Musik verstummte. Einzig ein kleiner Pfeifenengel war so eifrig bei der Sache, daß er ganz allein noch ein paar liebliche Triller blies, die wie silberne Bälle auf- und niedertanzten. Und dann wurde es stille, so stille, daß man in unermeßlicher Ferne die Ewigkeit aufrauschen hörte.

In dieser tiefsten Stille fing ein Heupferdchen zu zirpen an, ein ganz gewöhnlicher Grashüpfer, nicht einmal von der hübschen grünen, sondern einer von der gemeinen braunen Art. Das Tierchen saß in den Gewandfalten des Waldbruders und hatte geschwiegen, solang die Engel musizierten; jetzt aber wetzte es die Flügel, sich selbst zum Trost. Und siehe: Bartle horchte auf, nickte, und ein Leuchten ging durch ihn hin.

Da neigte der Gambenengel, der noch nicht lange im Himmel war, das schwere Lockenhaupt und zupfte sachte die Saiten, derweil die heimwehschweren Tränen darauf niedertropften und sich aufreihten zum schönsten Regenbogen. Die andern aber lächelten sich himmlisch zu, fielen mit ihren Instrumenten ein, und es hob ein wunderliches Geigen und Musizieren an, wie das Singen einer Grillenwiese an seligblauem Sommertag...