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Kapitel 

HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Etzliche so im Paradeiß wohnen erzeigen sich nit als Aengelin

In einem andern Kapitel ist gesagt worden, daß die Babette Kellerin in das Klarissenkloster Paradies eingetreten sei. Dieses liegt beim Dörfchen Schlatt, am linken Ufer des Rheins, welcher hier andächtig und in zärtlichen Windungen dahinläuft, als könnt er nicht scheiden von dem schönen Flecken Erde.

Die Nonnen im Paradies verstanden sich vortrefflich auf die Landwirtschaft. In den Stallungen käuten die schönsten Kühe, glänzend im Fell, großäugig und satt schnaufend. Im kühlen Keller reihte sich in gleicher Weise Faß an Faß, rundbäuchig und sanft rülpsend, wenn man daran rührte. Draußen unterm Sonnenhimmel marschierten die Kornfelder wie schimmernde Heerhaufen gegen die Klostermauern an, und dazwischen wehten die roten Banner des Mohns. Ganz am Rheinufer aber, wo das Wasser tändelnd über Stein und Sand wusch und bis in die Wiesen hineinwellte, schwaderten die weißen Gänse.

Die Oberin Adelheid, eine Dame aus vornehmer Schaffhauser Familie, hochgewachsen, doch häßlich von Angesicht, hatte in ihrer Jugend manche Lieblosigkeit



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erfahren müssen; darob war ihr Wesen bitter geworden wie eine ungereifte Frucht. Von den heiratslustigen Junkern wollte keiner in den sauren Apfel beißen, obschon er güldene Kernen barg. So wählte die verschmähte Jumpfer den geistlichen Stand und brachte es darin zufolge ihrer Abkunft, Verwandtschaft und herrschsüchtigen Klugheit bald zur Äbtissin. Sie führte ein gestrenges Regiment, hielt auf Zucht und Ordnung wie im Klostergarten, wo auch kein Blümchen sprießen durfte, als etwan samtene Malven und leuchtende Königskerzen, daraus sich heilsame Tränklein für mannigfache Bresten bereiten lassen. Gegen das näschige Mannsvolk nährte die stolze Person einen dauerhaften Groll. Davon zeugten viele bissige Beschwerdeschreiben, mit welchen sie den gnädigen Herren in der Stadt die Laune verdarb.

Kaum war die Kellerin als Nonne eingekleidet, so begann sie der Oberin wacker um den Bart zu streichen. Dieser umflorte ein beträchtliches Kinn und kam in manchem Spöttelreim vor, den die Nachtbuben an die kalkweißen Klostermauern schmierten. Der gröblichste hatte geheißen:

"mir deucht die stolze Adelheid von gantz bisunder art

bräucht nienen mann zum Zeytvertreib het selber einen bart."

Das schlaue Babettlein ließ nun aber verlauten, wie wunderbar die Äbtissin doch der St. Kümmernis



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ähnele, jenem heiligen Frauenzimmer, das sich willentlich einen Bart wachsen ließ, um vor den Nachstellungen der liebestollen Männer sicher zu sein. Adelheid schlürfte den kecken Vergleich wie Honigseim, denn also ward aus einer Not, die zahllose brennende Zähren gekostet hatte, eine ganz unverhoffte Tugend. Sie lud die Schmeichlerin huldreich zu einem Täßchen Pfefferminz und ermunterte sie, ihr Leben zu erzählen. Das kam dem Babettchen sehr gelegen. Es berichtete brühwarm seinen Handel mit dem Waldbruder, malte ihn aber mit den roten Farben des Hasses und den schwarzen der Verleumdung und ließ durchblicken, daß zwischen dem ruchlosen Rat des Einsiedels, Dionysius solle sein Kreuz halt tragen, und jenem unseligen Sterben, das Schwertkreuz im Rücken, wohl ein heimlich, unheimlicher Zusammenhang bestehe. Die Äbtissin pflichtete eifrig bei. Sie hatte selber in der schwarzen Magie herumgepfuscht und etliche Kenntnisse erworben, allerdings vornehmlich in praxi Liebeszauber. Jetzo war sie freudig bereit, einem männlichen Kollegen wegen des gleichen sündhaften Tuns einen Strick zu drehen, an welchem man ihn aufhängen könnte. Also setzten die beiden Weibsbilder eine Klageschrift gegen Bruder Bartle auf, worin er der Verführung zum Saufen, bösartiger Verhetzung, arger Zauberei und ähnlicher höllischer Künste geziehen wurde, daß es unterm knirschenden Federkiel rauchte und nach Schwefel stank. Die Epistel wurde durch einen Eilboten nach der Stadt



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gebracht, dem hohen Rat überreicht, mit gebührender Achtung entgegengenommen, schmunzelnd gelesen und an einem verlorenen Ort der Kanzlei niedergelegt, wo sie sachte verstaubte.

Als sich die Oberin später nach dem Stand des Handels erkundigte, erhielt sie Bescheid, daß die Beweise nicht ausreichten, um Bruder Bartle den Prozeß zu machen. Da lachte die streitbare Frau grimmig in den Bart, murmelte ein Sprüchlein von Krähen, welche sich nie die Augen aushacken, und beschloß, die Sache gelegentlich selber in die Hand zu nehmen.

In der Nacht hatte die Äbtissin einen merkwürdigen Traum: Sie wanderte bis ans End der Welt, wo rauchumwölkt der Höllenschlund gähnte, in dessen Tiefe die unseligen Geister tosten. Die Träumerin gelüstete es, hinabzuschaun; sie glitt aber aus, geriet in des Teufels Gewalt und mußte die heißen Pechkessel putzen, neunundneunzig Jahre lang. Dann wuchs ihr ein Federgewand,, und als die Zeit der Prüfung um war, löste sie sich leicht vom dunklen Grund und stieg, von lichten Flügelwesen geleitet, unaufhaltsam wieder in paradiesische Gefilde empor...

Beim Erwachen suchte die Äbtissin dieses Traumgesicht zu deuten. Es mußte in geheimnisvoller Beziehung zum verteufelten Bartle stehen; aber Adelheid ward nicht klug, ob es davor warnen wollte, sich mit dem Waldbruder einzulassen, oder ob es eher besagen mochte, daß nur demjenigen ein herrlicher Sieg verheißen



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sei, welcher die Wahrheit ergründe und keine Mühsal scheue. Die beherzte Person entschied sich schließlich für Kampf und Ruhm, beschloß aber, mit weiblicher Schläue vorzugehen, sich dem unholden Einsiedel in einer Verkleidung nahen, ihn erproben und der Teufelei zu überführen.

Also begab sich Adelheid an einem blaugoldigen Sommertag auf den Weg nach der Waldklause. Die Nönnchen wünschten der Oberin laut gute Fahrt und leise, daß sie sobald nicht wiederkehren möge. Als ihr wehendes Gewand hinter Pappeln und Weiden den Blicken entschwunden war, verfügten sich die Ältern zu einem saftigen Schwatz, während die Novizinnen sich neckten und jagten wie mutwillige Kinder, wann der gestrenge Magister aus der Schulstuben ist.

Indes machte Adelheid bei Verwandten und Bekannten in Schaffhausen den Kehrum, vesperte und pröstelte, entledigte sich alsdann des geistlichen Gewandes und kleidete sich in die Tracht einer Landfrau. Erst in später Nachmittagstunde pilgerte die verwandelte Äbtissin weiter durch zirpende Wiesen und schläfrig summenden Wald. In einem duftenden Erdbeerenschlag hielt sie Rast, erquickte sich an den dunkelreifen Früchten und nickte schließlich ein, von der Sonnenwärme und etlichen Schöppchen Wein übermannt.

Adelheid erwachte in der Dämmerung. Der Himmel hatte sich ganz verschleiert. Ein feiner Regen fing zu



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fallen an und stäubte verdrießlich durch die Bäume, derweil der Nebel geisterlich über den Boden trieb. Bald hatte die nieselnde Nässe alles benetzt: Moos, Gras, Erde, Borke, Blatt und Haut. Dazu kroch die Düsternis aus der Waldtiefe und hockte an den Wegrand. Die falsche Bäuerin fror erbärmlich, sonderlich an die rotbestrumpften Waden, denn sie war der kurzen Gewandung ungewohnt. Sie verwünschte den vertrackten Bartle und atmete auf, als sich das Buschwerk endlich zu einem sanften, regengrauen Wiesental lichtete, in dessen Grund ein Feuer glomm.

Bartle kochte die Abendsuppe, den willwanken Rauch verfluchend, welcher sich qualvoll unter tiefen Wolken dahinwand. Adelheid trat herzu und fragte sauersüß, ob sie wohl dem Waldbruder gegenüberstehe, was nach den vernommenen unheiligen Redensarten allerdings kaum glaublich sei. Sie erhielt eine brummige Antwort, die einen Willkommgruß, aber auch etwas anderes bedeuten mochte.

Der Einsiedel fuhr fort, in der Suppe zu rühren, so daß die Oberin Muße hatte, ihren Widersacher genau zu betrachten. Das Feuer warf einen roten Flackerschein über seine knorrige Gestalt, das von Falten und Furchen genarbte Haupt, den wirren Stachelbart, die kantige Nase und die buschig verschatteten Augen. Er glich einem ungeschlachten Menschenschreck und Waldschratt, wohl erfahren in manchen schwarzen Künsten.



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Aber auch Bartle schielte verstohlen nach der fremden Frau und wunderte sich, denn ihr Antlitz, obzwar häßlich behaart, schien eine herrische Hoheit auszuatmen und nicht einer Bäuerin anzugehören. Er sann hin und her, wer es wohl wär'. Auf einmal blendete ihn die Erkenntnis, daß es der Art des Leibhaftigen entspricht, den Gläubigen in immer neuer Gestalt und Wandlung zu versuchen. Er beschloß, auf der Hut zu sein.

Als die Suppe fertig war und würzig roch, lud Bartle die Fremde zum Mithalten ein. Die Äbtissin machte sich hungrig über die Brühe her, verbrannte sich aber erbärmlich den Mund und schimpfte, es werde in der Höll' nicht heißer angerichtet. Nun wußte Bartle, daß er den Gottseibeiuns selber zu Gaste hatte.

Inzwischen war die verkleidete Oberin müde geworden und begehrte zu schlafen. Der Waldbruder wollte die Unheimliche in die Dorfschenke weisen. Doch draußen rauschte der Regen ohne Unterlaß, weshalb sich die falsche Bäuerin weigerte, durch Nacht und Nässe weiterzuwandern. Sie hatte zudem eine Hütte in der Nähe erspäht, die für diesmal als Unterschlupf genügen mochte. Der Waldbruder war es zufrieden, denn das Gelaß diente als Vorratsschopf. Er geleitete also den vermeintlichen Höllenfürsten nach dem Gaden, ließ ihn eintreten, schloß hastig die Tür, schob den Riegel vor und siegelte mit dem Kreuzeszeichen.

Adelheid sah sich argwöhnisch im Raume um. Im ungewissen Licht, das durch Dachlucken fiel, erkannte sie



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zunächst eine Zaine mit geisterbleichen Gänsefedern, wie sie der Einsiedel für seine Lagerstatt gebrauchen mochte, alsdann einen duftenden Heuhaufen, weiter eine Hürde mit Äpfeln und raschligen Haselnüssen und schließlich oben im Gebälk einen irdenen Topf, aus dem es herrlich nach Honig roch. Bei diesem Anblick verspürte die Äbtissin ein heftiges Verlangen und tunkte flugs den Finger in des Gefäßes Tiefe. Dort unten aber kämpfte ein Fähnlein Waldwespen verzweifelt gegen den süßen Tod, gelbschwarz gewamset wie Schaffhauser Landsknechte, halbersoffen und maßlos zornig. So vermeinte die näschige Nonne, in einen feurigen Pechkessel gegriffen zu haben. Sie erschrak, warf den Honighafen um, beschmierte sich, sah sich gefangen, stampfte, brachte die Federn in Aufruhr und tobte wie der entfesselte Satan selbst. Nach unruhvoller Nacht schloß Bartle vorsichtig die Hütte auf. Er glaubte nämlich, daß der Böse gleich einem grausam feuerrot comet aus dem stall schneuzen" würde.

Aber schau da, die seltsame Bäuerin wandelte feierlich wie ein Kerzenengel herfür, "war auch sonsten gleich einem himmlischen wäsen anzusehen, weil gantz mit fädern besatzet". Sie schritt hoheitsvoll am verdutzten Bartle vorüber, in den verrieselnden Wald hinein und verging im Nebelgebräu. Der Einsiedel hätte an ein Blendwerk der Hölle gedacht, wären nicht einige Federn im Gras hängengeblieben und ein balsamischer Honigduft im frischen Morgenwind.



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Adelheid gewahrte erst bei Tageshelle, daß sie über und über mit Honig und Federn bekleistert war. Sie versuchte, sich zu säubern und das Gefieder loszuwerden; umsonst, die zähe Masse war von anhänglicher Art. Da gedachte die abermals verwandelte Äbtissin, auf abseitigen Pfaden nach dem Kloster zurückzukehren. Von Schmach gejagt, eilte sie durch Wald und Flur. Ein Bäuerlein, das den wunderlichen Vogel vorüberpfurren sah, riss verstört die Augen auf und bekreuzigte sich.

Die Oberin hoffte, durch ein verstecktes Seitenpförtchen vom Rhein her in ihre Gemächer schlüpfen zu können. Aber sie ward von den Gänsen bemerkt, welche mit gestreckten Hälsen herzuschossen, sie zischend und zeternd in die Mitte nahmen und mit großem Geschrei nach dem Kloster geleiteten. Dort mußte die unglückliche Frau wie eine Martinigans regelrecht gerupft werden, was die Nonnen mit unterdrückter Heiterkeit besorgten. Die lächerige Laune ward ihnen aber bald verleidet, denn die Äbtissin ließ ihre Stimme schallen wie nie zuvor, und ihr galliges Schelten und Schimpfen gellte mißtönig durch die paradiesische Sommerstille. Es gab in jenen Tagen manches verheulte Gesichtlein unterm Haubenrand, bis eines Morgens an gekälchter Klostermauer, von frecher Hand gemalt, das Sprüchlein stand:

"die Ängel und die Adelheid, die hend wohl beyde fädern

doch Ängel singen lob und freud, derweil die gense schnädern".