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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Dwundersüeßer Odem, o bitterschwartzer Tod, Auss beydem ist gebacken das hartte Aerdenbrod

Durch den silberkühlen Morgen trieb ein Weidling flußab. Manchmal glitt er rasch dahin, von der gefurchten Strömung erfaßt, dann wieder hielt er inne, bis ein sachter Ruderschlag ihn aus der Verzauberung löste. Im Kahn lag abgezehrt und hohläugig Caspar Schamler, Säckelmeister der Stadt Schaffhausen. Vor seinen Blicken breitete sich das Stromland aus: der grünschwarze Fluß und die herbstbunten, vom Duft der Frühe überhauchten Waldufer, vergleichbar einem schönen Sommerfalter, der leis die Flügel hebt. Darüber wölbte sich der tiefe Himmel, mit einer einzigen, glänzenden Wolke, welche dahinschmolz und in die Bläue einging. Hin und wieder zog ein aufgestörter Wasservogel mit schwerem Schwingenschlag vorüber und barg sich im Baumgeäst, oder es schnellte ein Fisch, drehte sich funkelnd im Licht und tauchte zurück in die schattendunkle Flut.

Und wie sich nun die Uferhänge im sanften Gleichtakt der Wellen vorüberwiegten, gedachte Caspar Schamler einer andern Rheinfahrt, stromwärts, der Sonne entgegen. Er war damals ein Büblein gewesen,



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am Anfang des Lebens, und hatte die Großmutter im Städtchen Stein besuchen dürfen. Noch sah er die großen Silberreiher träge von den Wasserinseln abstreichen, sich in die Waldwipfel schwingen und die gestreckten Hälse hin- und widerwenden. Er erinnerte sich auch der Großmutter als eines verschrumpften Weibleins und wie er geschrien hatte, daß er nie, nie eine Großmutter mit runzeligen Händen werden wolle. Jetzund lagen seine eigenen Fäuste kraftlos auf den Decken, knochenbleich, umschnürt vom blauen Adergewürm.

Derweilen hatte sich eine Schnake auf der eingefallenen Wange des Säckelmeisters niedergelassen, stach und soff sich prall am süßen Lebenssaft. Als er nach der Trunkenen schlug und sie traf, färbte sich die Hand mit Blut. Er senkte das besudelte Glied voller Ekel in die kühle Flut, spürte das Wasser unheimlich strömen und sah die eigenen Finger durch das Dunkel scheinen wie kleine weiße Fische. Da zog er die Hand von der Tiefe angeschauert zurück. Die Tropfen rannen glitzernd ab, fielen - und nichts blieb übrig als eine leere, arme, schwache Hand, die kaum taugte, um den Mücken zu wehren.

Der große Alexander hat im Sterben befohlen: "Bestattet mich königlichst, doch meine rächte hand sollent ir aus dem sarge hängen, wyß und nackend wie sie ist. Sie hat die gange Welt gefasset und nüt ist ir blieben." Aber Caspar Schamler, Säckelmeister der



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Stadt Schaffhausen, wollte nicht von dieser Erde fahren wie der große Heidenkönig. Er hatte selber drei Ehefrauen begraben und gedachte auch die vierte zu überdauern.

Den Reigen eröffnete die Veronica Speißeggerin, eine tüchtige Hausbewahrerin, scharf zum Gesind, hitzig und geizig, von einem fremden Maler abkonterfeit, mit säuerlichem Gesicht, langer, blasser Nase, steif und streng im Stuhl sitzend, ein Gelbveigelein züechtig in der harten Hand. Sie hatte den Storch im Wappen und ihrem Gatten elf Kinder geboren, lauter Buben, war dann "ihres tragenden zwelften kinds, eines knäblin, viel zu fruehe genesen und mit tods abgangen".

Alsdann hatte Caspar Schamler die Anna Brümsin gefreit, item ein braves und gar lustiges Weib und eine fürtreffliche Köchin, Mehrerin der Familie um sieben Köpfe, teils Knaben, teils Meitli. Sie versturb beim Bohnenfädeln eines gähen Todes.

Nach geziemendem Witwerstand ehelichte der Säckelmeister die Agnes Peyerin, eine dünnblütige, fromme und vermögliche Person, welche unter der ungestümen Natur ihres Ehegesponsen litt, ihm drei schmalbrüstige Kinder bescherte und sich dann seiner Leidenschaft entzog: Im siebenten Jahr "zu anfang des Herbstmonats fienge die Sterbend in der Statt an und name die Pestilenz bis auf die Wienachten bey 400 personen hinweg, darunter ware auch Agnes Peyerin, des Caspar Schamlers ehelich Hausfraw".



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"Wie das geschehen, da machte er mit seiner magd Anastasia umb so viel freundschaft, daß sie von ihm schwanger war und bey ihm ein Kind gebar." Die Anastasia, eine schlaue Schwäbin, mochte aber die eingebrockte Suppe nicht allein auslöffeln und brachte den Handel vor das Ehegericht, welches die beiden zusammensprach. Caspar Scharmler mußte also seinen Küchenschlampen als Vierte heiraten. Das bereitete dem stolzen Säckelmeister viel Verdruß; die Speisen wollten ihm nimmer munden, dafür brannte ihm ein gräulicher Durst im Gedärm. In seinem abgemagerten corpus hatte sich der Ärgerwurm eingefressen, der wuchs nun seltsamlich heran, als wie ein werdendes Kindlein; es war aber der grimmige Tod.

Trutz dem Tod! Säckelmeister Caspar Schamler will nicht sterben. Er will sich an der vierten Frau ergetzen, jetzt erst recht. Er will Kinder zeugen, bis das zweite Dutzend voll ist. Er will noch lang den köstlichen Odem trinken, die reine, frische Morgenluft, die blütensatte Mondscheinluft der Mainächte, die würzige Luft nach einem warmen Sommerregen, die fischige Luft des Flusses an einem Föhntag, die rauchige Luft über umgebrochenen Äckern, die mit Schmöckwässerchen geschwängerte Luft um junge Frauenzimmer, die berauschenden Dünste aus Bottichen voll gärendem Traubensaft, die ganze liebe Erdenluft. Und vor allem will er die trockenrissige Kehle mit manchem Becher "Höllenblut" benetzen, von jenem Sonnentropfen, herrlich



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über alle Maßen, rot wie das Herzblut und gleich einem lebendigen Wesen atmend mit einem Schauer schimmernder Schaumperlen. Aus diesem Trank will er Kraft schöpfen gegen die Schmerzensbisse in den Eingeweiden und um den Tod zu meistern, so wie er manches widerspenstige Weib zu Willen gezwungen hat.

Aber einmal entfleucht der letzte Hauch. Das springende Fischlein kehrt in die Tiefe zurück. Die Wolken ziehn und vergehn. Jede Fahrt hat ihr End.

Von den lässigen Ruderschlägen der Schiffer gelenkt, wandte sich der Weidling dem Ufer zu und knirschend über den Kies. Caspar Schamler fuhr aus seinen Gedanken auf, sah das Wiesental vor sich aufblühen und darauf krummbeinig Freund Bartle. Der Waldbruder trat herzu, hob mit den Ruderknechten den Kranken aus dem Kahn und trug ihn dorthin, wo sie oft gebechert hatten. Als er ihm aber in das vom Steinmetzen Tod gemeißelte Antliz schaute, siehe, da ging ihm ein Gleichnis durch den Sinn: Wie im Jahr der großen Tröcknis das strömende Wasser des Rheinfalls versickert und der Felsgrund mit seinen Buckeln und Flutenlöchern hervorgekommen war, also hatte sich alles Leben in diesem Menschengesicht in die dunklen Augenhöhlen zurückgezogen, wo es nun scheidend irrlichterte. Da meinte der Einsiedel, es sei an der Zeit, vom Paradies zu reden. Indes der Säckelmeister schwur, er wolle von dieser Welt nicht lassen, solang das ganze süße Leben im "Höllenblut" rotfunkle, und



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er werde mit dem Würger um den letzten Tropfen ringen.

Bartle ward bei solchen Worten das Herz schwer; denn er wußte, daß dem Caspar ein langer Todeskampf bevorstünde, bis der Herr der stillen Gärten dennoch obsiegen würde. Er sann, wie er dem Freund die Sterbensnot verkürzen könnte; doch dieser begehrte nur vom Wein zu trinken, deswegen er die weite Fahrt unternommen hätte. Bartle mochte ihm den Wunsch nicht versagen. Als er aber vor dem Fäßchen stand, um den Becher zu füllen, überkam ihn ein schmerzlicher Zorn, und er betete inbrünstig, daß der Wein sauer werde, damit der Caspar Schamler den Heimweg finde.

Und siehe: der Kranke kostete, verzog den dürren Mund, spie aus und murmelte: "Potz plitzg und donder, dein wein ist sauer worden, jetzo will ich wol zum himmel farn." Da nutzte der Tod die Stunde, kam über ihn und löschte den "edel vesten, fürnemen, hochgelehrten, fürsichtigen und weyßen Seckelmaister" aus, so sänftiglich, daß er verschied wie ein kleines Kind.

Die Ruderknechte lüpften die Kappen, sprachen ein Vaterunser, trugen den Toten in den Weidling, nahmen von Bartle Abschied und stocherten stromwärts, der Sonne entgegen. Sintemal der Herr nicht mehr gestört wurde und die Wümmet begonnen hatte, so fingen sie nun zu singen an, erst eine getragene Weise vom Schnitter Tod, dann ein trutziges Landsknechtslied und schließlich ein Liedlein vom Lieben und Trinken,



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wie es Caspar Schamler in guten Zeiten wohl selber gemögget hatte. Die Stimmen der Burschen gingen glockenlauter über das glatte Wasser; von den Wingerten fielen die Winzerinnen ein, also daß es eine gar fröhliche Fahrt war, derweil niemand wußte, welch wunderliche Fracht die lustigen Schiffer im Kahne führten.

Bartle horchte dem verklingenden Sang nach, gedachte der Hinfälligkeit des Menschenlebens, stieg alsdann zum Kirchlein hinauf, dem Freund zum letzten Geleit das Glöcklein zu läuten.

Hierauf wandte er sich der Klause zu, um zu beten, daß der Wein wieder süß werde wie zuvor. Aber das verwandelte"Höllenblut"blieb ein schauerlicher Rachenputzer. Man nannte das Gesüff von nun an "Himmelfahrtswein".