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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Bartle unternimmt einen scharffen kreuzzug, notabene zieht gen ein hauskreutz ins fäld

Seit der Heiligenschein abgefallen war, fror Bartle häufig an die Glatze und bekam hierauf den Pfnüsel. Er hegte deshalb einen hartgekochten Groll gegen das weibliche Geschlecht, das er als innerste Ursache des Tauwetters in der Nase und alles andern Ungemachs erkannte. Hierbei ließ er nur die brave Geiß Kätterlin als löbliche Ausnahme gelten; sie hatte sowieso einen eher bockigen Charakter.

Die schnöde Gesinnung des Einsiedels ward bald ruchbar. Das Weibervolk mied empört die Waldklause. Dafür fanden sich nun Junggesellen ein, verschmähte, verratene oder verlassene Liebhaber und gequetschte Ehemänner, kurz alle, welche mit den Langhaarigen im Streite lagen.

Die Verdrossenen saßen bärbeißig beisammen, schlugen sich schimpfend auf die Schenkel, prahlten und krakeelten, berauschten sich am eigenen großen Wort und an Bartles "Höllenblut" und zogen schließlich bei später Nacht lärmend durchs stille Land, im Herzen fest, in den Knien nachgiebig, heimzu, rechte Unfläter und jedem sittsamen Frauenzimmer eine Ärgernuß.



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Den ganzen andern Tag über roch es dann in den Dörfern nach Kamillentee und Katzenjammer,

Dazumalen lebte im Nachbardorf der Bauer und Schänkwirt Dionysius Keller. Er war, unbeschadet seines wollüstigen Heidennamens, ein rechtschaffener, besonnener Mann, der nur ein einziges mal eine Dummheit beging, alsdann aber eine gewaltige, unverdauliche, welche ihm immer wieder aufstieß, wie oft er sie auch hinunterwürgte, so daß er zeitlebens ein armer Schlucker blieb. Diese Torheit geschah, als er mit grauem Haar ein blutjunges, bettelarmes Babettlein aus der Stadt weibete. Das Jümpferlein brachte nichts anderes in die Ehe mit als ein artiges Lärvchen, eine brennende Zunge und ein hoffärtiges Herz. Solcherlei Spezereien geben aber keine bekömmliche Hauskost.

Kaum hatte die frischgebackene Frau Wirtin das glitzernde Brautschappel abgelegt, so begann sie schon über die groben Sitten der Gäste das Näschen zu rümpfen. Sie ließ dabei ihr scharfes Mundwerk wacker laufen und meinte, es zieme sich für eine Stadtbürgerin schlecht, dem gemeinen Landvolk aufzuwarten. He nun, da blieben halt die Bauern, Fuhrleute und Roßknechte weg, und durch die leere Wirtstube taumelten nur noch die blauhaarigen Brummfliegen.

Jetzt ward es dem Babettlein zu einsam, und es lud die Erinnerungen zu Gast. Sie kamen hoch zu Roß und zaubrisch verwandelt, so daß die alltägliche Gegenwart gegen den Traumglanz der Vergangenheit erst recht



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spinnwebfarbig schien. Neben die stille Dorfstraße trat nun das geschäftige Treiben der Schifflände am glasgrünen Rhein. Die dunstigen Miststöcke maßen sich mit den duftversunkenen Lindengärten bei der Stadtmauer. Das Singen der Sommerwiesen vermochte nicht mehr zu bestehen gegenüber dem kunstvollen Chor der Mönche im Kloster Allerheiligen, und das eilige Betzeitglöcklein der Bergkapelle mußte verstummen vor dem Rufen der vielstimmigen Türme in Schaffhausen, welches manchmal, bei günstigem Wetter, erzen über die Wälder wogte.

Also sann die Kellerin und pflegte das strohdürre Blümlein Unzufriedenheit. Obzwar aus freien Stücken in den Stand der Ehe getreten, warf sie nun doch alle Schuld am eigenen trostlosen Tun auf den Gatten, nicht erkennend, daß im sauren Boden ihres Wesens kein frohwüchsiges Menschenglück gedeihen mochte. Sie fuhr weiter, mit gespickten Lippen die Bauernweiber durchzuhächeln, weil sie bloß vom Rackern und Gebären zu schwätzen wüßten und abends mit gekrümmtem Rücken und erdigen Händen heimkehrten, stumpf wie das käuende Vieh in den Ställen. Der Dionys selber, maulte sie, sei bloß ein simpler Bauer, ohne jede Lebensart und unwürdig einer feinen Städterin.

Der Mann hielt jeweils lange still. Zuletzt aber überschäumte ihm die Galle; er verfluchte das leichtfertige Stadtleben, pries den biderben Bauernstand und hielt seinem Ehgespons die graue Armseligkeit ihres Vaterhauses



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vor. Alsdann war ein Zetern und Zanken ohne Ende, bis der schwerblütige Mann, in dumpfer Wut stotternd, verzweifele die Tür ins Schloß schmiß, barhäuptig davonlief und sich zur wüsten Kumpanei des Bartle gesellte.

Mit den Jahren ward die Kellerin immer räßer und ihr Gatte ein altbekannter Kunde in der Waldklause. An einem überblauen Föhntag, nach heißem Streit, erschien Dionysius mit einer Gans unterm Arm und bot sie Bruder Bartle an, mit der Bitte, die allzu bewegliche Zunge der bissigen Babette zu bannen, auf daß sie endlich verstummen müßte. Der Einsiedel wollte sich weigern, denn er wußte wohl, welch heikel Ding es ist, eine sträzende Röhre stopfen. Aber das Mannsvolk bestürmte ihn, das Wagnis zu versuchen, das, wenn es gelänge, allen bösen Weibern landauf, landab eine heilsame Warnung wäre. Also gürtete er die Lenden mit dem Galgenstrick, flehte den heiligen Sankt Georgen, den Drachentöter, um Beistand an, stärkte mit einem tiefen Trunk aus dem Fäßchen im Höhlengrund und begab sich auf den schweren Gang.

Das Babettlein erspähte den Widersacher durch die Butzenfenster und empfing ihn im obern Geschoß mit großem Geschrei. Aber Bruder Bartle richtete gegen das zornige Weibsstück seine Bannsprüche wie dröhnende Böllerschüsse. Es entstund ein erschröckliches Getöse. Derweilen hockten in der Wirtsstube unten mit Zittern und Zagen die Spießgesellen. Sie machten keinen



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bis der Lärm allmählich leiser ward und die Beschwörungen dunkel dahinrauschten. Nun wagten sie sacht mit den Bechern zu läuten. Als aber Bruder Bartle schwitzend und schnaufend die Stiege herabknarrte, hub ein Zechen an, so herzhaft, wie schon lang nicht mehr in diesem verrufenen Haus.

Die Weiberfeinde frohlockten. Etliche Tage später erschien aber Dionysius wiederum in der Waldklause, ein arg geschlagener Mann. Er berichtete, daß seine böse Hälfte jetzo ihren Unmut stumm, dafür handgreiflich kundtue. Sie schmeiße Teller, Tassen und Pfannen, "das es pfeiffe und klepfe, erger dann bey der belägerung von Perpinion". Nur schieße die Babette schneller und besser als die welschen Feldschlangen. Er bitte deshalb Bartle inständig, die Zunge der ehelichen Hausfrau Babette Kellerin gegen Vergeltsgott und ein Mutterschwein wieder zu lösen.

Der Waldbruder schüttelte den kahlen Schädel und murrte, ein alter Kriegsknecht sollt sich in den Handel schicken; doch Dionysius schwor, er wolle lieber Worten als Würfen wehren, und der Freund möchte ihm um Himmels willen Gefallen sein. Da machte sich Bartle grochsend auf den Weg, ach, so ganz allein.

Diesmal traute sich der Einsiedel nicht mehr ins Haus. Er rief die Babette von der Straße aus an, bis ein Fenster aufklirrte und ihr dräuender Zottelschopf herausfuhr. Dann schrie er durch die hohle Hand: "Schwätz!" neigte sich demütig vor einem heranschwirrenden Waffeleisen



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und floh, gesagt von den unflätigen Verwünschungen des erlösten Weibes wie von bissigen Hunden. Also erfuhr das gesamte Dorf, daß der Bann von der Kellerin genommen sei.

Über eine kleine Weile fand sich Dionysius abermals beim Einsiedel ein und flehte um Hilfe. Die Babette keife und keibe zwar wie ehedem, aber sie lasse dennoch nicht davon ab, ihren angetrauten Ehegatten mit allen Hausgeräten mördrisch zu traktieren; so leide er zwiefache Plag.

Bartle bekeuzigte sich und zuckte die Schultern; er könne bloß raten, das Fegefeuer willig zu erdulden, sintemal im irdischen Jammertal ein jeder sein Kreuz zu tragen habe, wobei allerdings das Hauskreuz vom schwersten sei. Der Himmel werde das Martyrium dereinsten löhnen.

Da brach Dionysius in ein verzweifeltes Gelächter aus, griff zum Krug und soff dermaßen lästerlich, daß es Bartle um sein Fäschen angst und bange ward.

Von nun an lebte der gequälte Wirt seinem sündhaften Namen gemäß, trieb sich in allen Pinten um, nur nicht in der eigenen, bis er schließlich ein erbärmliches Ende nahm:

"Auf Zinstag nach Ostern den 27. Merzen wolte Dionysius Keller, der wol bezächt und trunken war, ab dem markt wider nach Haus. Als er nun bis auf den fußweg an der Staig äußert dem obern Thor kam, baumelte er hindersich den Rain hinab, und weil er



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sein schwert auf der achsel mit hindersich gekehrtem Creuz truge, schusse dasselbige aus der scheiden; darein fiel er hinderwerz, daß es ihme durch den rucken und fornen bey dem herzgrüeblin wider heraus gienge. Da man ihn sande, lag er mit dem rucken ganz auf dem Creuz. Er lebte noch bis umb 12 uhren des folgenden tags, da er gar vernünftig starb."

Die Wittib betrauerte und beklagte den Toten, wie es sich gebührt. Als sich kein Freier finden wollte, nahm sie den Schleier und ward ein holdes Nönnchen im Kloster Paradies.