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HANS WAHL

Der Unscheinheilige


Ein dorniger Legendenkranz


Ein mannstuck gwünnet wol ein heyligenschein, aber ist ihn auch bald wider los

Auf den Wiesen flatterten die Zeitlosen; der Herbststurm kämmte die Wälder aus, und der ganze graue Himmel war auf Wanderschaft.

Bartle bäschelte am Heuschopf und brummelte vor sich hin. Der Wind warf ihm welke Blätter in den Bart. Kätterlin stand zerzaust nebenzu und zupfte unlustig am vergilbten Gras. Es war beiden langweilig. Das Wiesental versank immer tiefer in Stille. Die Liebenden blieben fern; sie hatten ausgerammelt, saßen nun sittsam in warmen Stuben oder gingen sich traurig und trotzig aus dem Weg. Die alten Kumpane und Saufbrüder spürten den Vorwinter in den Knochen, wurden häuslich und pflegten Glieder und Gemüt mit selbstgebranntem Schnaps. Nur die Tiere rückten jetzt näher. Im Höhlengrund hingen die Fledermäuse dicht wie Würste im Rauchfang; die Spinnen hatten alle Steinnischen überwoben, und im Moosbett des Heiligen rumorten Käfer und Blindschleichen, daß Bartle manche Nacht kaum schlafen konnte.

Es geschah aber, daß an diesem trostlosen Tag ein Zigeunermädchen durch die Herbstwiesen wanderte, ein



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hübsches, freches Weltkind, wie es die Bösen gern haben und die Braven auch - wenn es niemand sieht. Das Jümpferlein hatte bei den Bauern im Dorf um Unterkunft gebettelt, umsonst, denn das Weibsvolk schnitt essigsaure Mienen und schlug der Vagantin die Türen vor der Nase zu. Da war das fremde Frauenzimmer weitergegangen, mit dem Wind und tanzenden Laub, bis zur Waldklause, wo es seine Bitte ebenfalls vorbrachte Es anerbot sich demütig, den Haushalt zu besorgen, Bartle und die Geiß zu betreuen, nach bestem Vermögen, alles für Nahrung, Unterkunft und Gottes Lohn. Bartle kratzte sich den Kopf und sah die schwarze Ratze zweifelnd an. Dann aber bedachte er die lange Wintereinsamkeit und daß ein Waldheiliger ein verlassenes Geschöpf nicht verstoßen soll, sonderlich wann es ein nettes Mädchenwesen ist. So sagte er zu.

Die Landstreicherin hielt Wort. Sie schüttelte das Mooslager aus, daß Käfer und Würmer eilig nach allen Seiten krabbelten; sie braute aus Wurzeln und Kräutern heilsame Suppen, welche dem Bartle das Blut in Wallung brachten; sie striegelte das Kätterlin, bis ihm die Rückenhaare als knisternde Bürste standen, und dem Waldheiligen strich sie also um den Bart, daß er vermeinte, der heiße Föhnwind gehe in der Felsenhöhle um. Doch die verflixte Hexe gelüstete es von Anfang an nach dem Heiligenschein des Bartle, welcher"ihm als ein güldener reyffen über dem Haupte schwebete". Damit hatte es folgende Bewandtnis:



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Alle guten Werke sind Samen in der Engel Hand. Sie werden ausgestreuet auf den himmlischen Wolkenäckern, und es wachsen die schönsten Blumen hervor: Aus absonderlich stolzen Taten sprießen prächtige Tulipanen, aus Handlungen von reiner Güte wohlriechende Viönli oder makellose Narzissen. Manchmal, gen Abend, blühen auch ganze Rosenfelder. Von diesen Blumenweiden holen die Himmelsbienen goldschimmerndes Wachs; sie bauen aber keine Honigwaben, sondern Heiligenscheine.

Nach seiner Bekehrung hatte Bartle viel Gutes getan. Sein Wolkengarten stand deshalb in reichstem Flor, und die Beiel waren emsig am Werk. Das Zigeunermeitli hörte sie jede Nacht in die Felsenkammer summen und den schnarchenden Kopf des Heiligen umschwärmen; es sah den Reif sich immer voller ründen und herrlich durch das Dunkel leuchten. Dazu wehte ein feiner Würzduft von geweihten Regen durch den Raum.

Das begehrliche Frauenzimmerchen hatte, wie bereits berichtet, an der himmlischen Zierat Gefallen gefunden und meinte, daß er sich im eigenen Kraushaar weit besser ausnehme als über der heiligen Glatze; es versuchte nächtens, heimlich ihn zu lösen, doch vergeblich, er blieb unverrückbar fest.

Indes, eine Eva gibt keine Ruh, ehe der Adam um sein Paradieslein beschissen ist. Also begann das arge Weibsstück den Bartle höchlich zu rühmen, vorab des



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Funkelscheins und seiner großen Frömmigkeit wegen, bis der einfältige Narr sich täglich im Uferwasser des Flusses bespiegelte und alles tat, was ihm das falsche Lüderchen zur Pflege und Stärkung der Heiligkeit anriet. Zum Exempel: zerrissene Spinnweben flicken, steife Blindschleichen aufwärmen, den heisern Krähen Halswickel anlegen und dergleichen Torheiten mehr. Alle diese Werke geschahen jedoch nicht aus biederem Herz, sondern aus Eitelkeit, Hoffart und windigem Sinn. Von nun an blieben die Himmelsboten fern, und als das heillose Mägdlein wiederum verstohlen am Heiligenschein rührte, siehe, da wackelte er.

"Zu anfang dies jars und folgends bis zu mittem Hornung gabs sehr vil schnee. Er lage bis zu angehndem Merzen, da kam ein rägen und warmer wind, der nam ihn weg." Und dann, über Nacht, schalmeiete der Lenz durchs Land. In der lichten Höhe wandelten sittsam und sonntäglich gestrahlt die Wolkenschäfchen. Unten zog das Wasser gelassen dahin, voll quirlendem Himmelsblau, vorüber an junggrünem Gebüsch, vorbei an strahlenden Löwenzahnhängen und durch endlose Wiesen mit dem weißen Schaum blühender Birnbäume. Es roch herrlich nach Maikäfern.

Bartle spürte die Sonnenwärme wohlig durch die Glieder rinnen, und dem Kätterlin juckte derart das Fell, daß es mit überquerem Gestell durch die Matten stelzte. In der heimatlosen Landstreicherin dagegen regten sich die urtümlichen Frühlingstriebe des Weibes, als da



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sind: Putzen, Fegen, Waschen, Klopfen. Sie vergaß für eine Weile den begehrten Heiligenschein und begann die Klause auszumisten. Das Mooslager wurde gesonnt, und über die ungebetenen Wintergäste brach die Sintflut herein; in den Wasserstürzen schwamm alles Geziefer zappelnd in den Blust hinaus.

Einmal stand das Jümpferlein braunbeinig am Fluß und füllte den Eimer. Bartle trat hinzu, freute sich am lieblichen Bild und am verrieselnden Spiegelbild im Wellenschlag. Unversehens erfaßte ihn aber die seltsame Lust, welche jeden bestandenen Mann überkömmt, wenn er die sanfte Rundung eines saubern Weibleins betrachtet: Er hob die Hand und verabreichte dem gebückten Persönchen einen saftigen Klaps, dorthin, wo es gerade am höchsten war.

O Leid, da sprang der Heiligenschein mit dem schmerzlichen Klang einer geborstenen Glocke in den Sand, und bevor ihn die Fluten als Sonnenkringel forttragen konnten, hatte ihn der Zigeunerbalg eidechsenschnell gepackt, in das kohlschwarze Kraushaar gedrückt, und schon hüpfte die Diebin davon, über Steintrümmer weg und zwischen Baum und Busch hindurch, daß der rote Rock wie eine Flamme auf und nieder tanzte.

Der Waldheilige stand und starrte. Nach geraumer Zeit ließ er einen langfädigen Fluch fahren, welchen die Felswand auffing und weiterwarf, über den Strom zum andern Ufer hinüber, das ihn vielfältig und mit Hohngelächter wieder zurückgab, Die Enten aber steckten



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die Köpfe ins Glitzerwasser und die Wackelschwänze in die linde Luft, denn sie schämten sich.

Also ist einem nichtsnutzigen Frauenzimmer gelungen, was selbst der Höllenfürst nicht fertigbrachte. Die Leute im Land lachten. Sie waren aber dem Einsiedel nicht gram, sondern gewannen ihn nur noch lieber. Man nannte ihn von jetzt an Bruder Bartle.