C. M. Wieland's Werke.
Fünfzehnter Band.
Vierzehnter Gesang.
1.
Kaum hatte der dienstbare Zwerg das Tischtuch weggenommen, So hieß Herr Antiseladon Zu seinem griechischen Wein den schönen Ritter willkommen. Sein geistiges Oel erhitzte beiden schon Die Phantasie, als jener, nach seinem Versprechen, Wie folget, begann zu seinem Gaste zu sprechen: "Man muß gestehen, Herr Ritter, wenn anders zwischen Recht Und Unrecht ein Unterschied ist, so hat das schöne Geschlecht Viel Grund, sich über unser Betragen In Ansicht seiner zu beklagen. |
2.
Gesetzt auch, Alles sey wahr, im Wortverstande wahr, Was, seit Erschaffung der Welt, die Zunft der Misogynen, Die Juvenalen, die Popen und Crebillionen ihnen Zum Unglimpf nachgesagt: so ist doch offenbar, Daß alle Gebrechen, die wir so scharf an ihnen rügen, Uns Männern ganz allein, nur uns zu Schulden liegen. Unedel haben wir ein Vorrecht ausgeübt, |
3.
Allein auch hier entdeckt sich die ganze Bizarrerie Von unserm Betragen. Tyrannisch machen wir sie, Anstatt zum Gegenstand, zum Opfer von unserm Vergnügen; Und wenn wir Alles gethan, die Macht zum Widerstehn Den armen Seelen zu nehmen, die, während wir weinen und flehn Und, schmeichelnden Hündchen gleich, zu ihren Füßen uns schmiegen, Sich keines solchen Streichs versehn, Uns glücklich zu machen glauben und wirklich unser Vergnügen Mehr als ihr eignes genießen: dann heben wir unsern Kamm Und prahlen mit Siegen, wie über das harmlose Lamm |
4.
Der Wolf erhält. Wir adeln an uns zum Verdienste, Was sie entehrt; wir bieten die ganze Macht Von Amors Sophistik auf und brauchen tausend Künste, Den Genius einzuschläfern, der ihre Unschuld bewacht, In süße Gefühle und unbekanntes Entzücken Die holden Seelen zu schmelzen, die, unerfahren in Tücken Und gleich unfähig zum Trug' und zum Verdacht, Durch ihre Unschuld selbst im Netze sich verstricken; |
5.
Der Augenblick, dem wir so lange mit Schmerzen Entgegen gesehn, der uns so manchen falschen Schwur, So manche Thräne gekostet — ein Augenblick, wo die Natur Sich mit der Liebe verschwört, die nichts besorgenden Herzen Uns in die Hände zu spielen —sie endlich überschleicht: Dann sind wir noch ruchlos genug, der armen Betrognen zu lachen, Die Qual, betrogen zu seyn, durch Hohn noch anzufachen Und unsern unrühmlichen Sieg dem ganzen Erdenkreis Mit lautem Krähen kund zu machen." — Dank sey dem Himmel, daß ich hierin mich schuldlos weiß! |
6.
Fällt Amadis ihm ins Wort: Ich bin nicht unerfahren, Setzt er erröthend hinzu, allein ich muß gestehn, Daß, wo ich mit zärtlichen Damen mich je verwickelt gesehn, Sie die Verführerinnen waren. — "Ich wünschte, (versetzt mit einem Tragödienton, Der ziemlich komisch klang, Herr Antiseladon) Von meiner Wenigkeit ein Gleiches rühmen zu können. Indessen sind doch die Schönen, (wie herzlich gern' ich sie auch Vertheidigen möchte nach Ritter-Pflicht und Gebrauch) Auf jeden Fall sehr unvorsichtig zu nennen. |
7.
Pflegt, was sich nicht leugnen läßt, das Mannsvolk ohne Schonen Der weiblichen Güte mit Undank zu lohnen, |
8.
Sie also auf meine Geschichte nicht länger warten zu lassen, So wissen Sie denn, mein Herr, daß eine große Stadt Im Celtenlande, von ihren schmutzigen Gassen Die kothige zubenannt, mich jung gesehen hat. In meinem Lande sieht ein Knabe von sechzehn Jahren, Von leidlicher Bildung und langen blonden Haaren, Das ganze schöne Geschlecht für gute Beute an. Es wimmelt Hof und Stadt von solchen Gynäkophagen, Die ihren kleinen Eroberungsplan Für jedes beliebige Herz stets in der Tasche tragen. |
9.
Von diesen Gecken nun, Herr Ritter, war auch ich. Man unterschied mich bald, und meinen Namen zu melden Ersparte mir halben Weg: der Ruhm that mehr für mich, Als ich verdiente; kurz, ich galt für einen Helden. Zum Unglück' oder Glück für meinen besagten Ruhm, Gab mir ein Zufall ein, mein neues Heldenthum |
10.
Nichts däuchte ihr anfangs schwerer zu fassen, Als dieser innerliche Zug Zu meiner kleinen Person, den sie mich sehen zu lassen Aus Unschuld kein Bedenken trug. Wir suchten den Urgrund davon — im Lande der Ideen Und in dem ursprünglichen Stande, worin, ich weiß nicht wo, Wir uns vor unsrer Geburt zum ersten Male gesehn. Sie lächeln der Grille? Allein die Fee dachte nun so, Und hätte sie diese Grille im Plato nicht gefunden, Ich bin gewiß, sie hätte sie selbst erfunden. |
11.
Von allen menschlichen Dingen schien ihr Das Geistigste — Liebe zu seyn, just das, was Menschen und Thier Am meisten unterscheide und einer höhern Sphäre Uns näher rücke. Denn daß, was ihr so schön Und geistig däuchte, die vis centripeta wäre, Woraus, wie Büffon meint, sich jedes Phänomen Der Liebe ganz ungezwungen und von sich selbst erkläre, Das wollte die gute Frau sich nimmermehr gestehn. Dies war nun eine von ihren Eigenheiten, Und über diesen Punkt war nicht mit ihr zu streiten. |
12.
Indessen fand sie sich doch in manchen Stunden und Tagen, Sie wußte selbst nicht von was, noch wie, noch wo, gerührt, Und — kurz, es zeigte sich endlich, die reine Wahrheit zu sagen, Daß Büffon Recht behielt. Dieß hatte sie kaum verspürt, Da, Herr, da hätten Sie ihre Klagen Selbst hören, selbst sehen sollen, wie sich die Frau geziert! Von ihrem System den Fall zu überleben! Sie schwor, das könne sie nicht, und wirklich fing ich an, Für ihr Gehirn' in Sorgen zu schweben. Und gleichwohl that sie, was Andre in ihrer Lage gethan: |
13.
Sie lebte so stark wie zuvor. Doch, eh' ich entlassen zu werden Die Ehre hatte, verehrte die gute Dame mir Dieß seltne Cabinetsstück hier In meinem Busen, ein Stück, das auf der weiten Erden Nie seines gleichen gehabt, erklärte mir davon Die Eigenschaften und sprach: Hier, Antiseladon, Empfangen Sie diesen Fächer und wollen Sie meine Rache Nicht eben so streng' erfahren, als zärtlich ich Sie geliebt, So schwören sie mir — an sich die leichteste Sache, Doch ohne welche mein Herz sich nie zufrieden gibt — |
14.
So schwören Sie mir, nicht eher aufzuhören, Bis jedes leere Feld, das dieser Fächer führt, |
15.
Daß hundert Felder — Sie können sie zählen — Auf meinem Fächer sind, wie viele, meinen Sie, fehlen? Ein einziges noch, ein einziges Bildchen fehlt, So sind es hundert, wohl gezählt!" Ist's möglich? rief Herr Amadis, neun und neunzig? Und diese, wie es scheint, in ziemlich kurzer Zeit! So bleibt gewiß das hunderte Feld nicht einzig In seiner Art. — "Ich hoff', es soll nicht weit Von seiner Bestimmung seyn, versetzt der Ritter vom Fächer; Gut, fährt er fort, indem er beide Becher |
16.
Mit Weine füllt, Herr Ritter, stoßen Sie an! Es leben die neun und neunzig!" — Sie leben, ruft mit Lachen Der schöne Amadis mit, weil ich's nicht hindern kann, Wiewohl sie ihrem Geschlecht sehr wenig Ehre machen! Indessen wünscht' ich doch, wofern' es thunlich ist, |
17.
Ruft Amadis, wie er davon die zarten Flügel entfaltet, Was zärtlicher Schönen! und alle so vielfach schön gestaltet! "Ich sehe, versetzt der andre, ein zierlicher Nachthabit Kann auch an Bildern das Urtheil ein wenig fälschen. Indeß gesteh' ich zu, die meisten gehen noch mit. Sie finden wenigstens von germanischen, brittischen, wälschen Und maurischen Damen, aus jedem Weltrevier, Von jedem Maß' und Wuchs, von braunen, blonden und rothen, So gut sie auf meinen Reisen das Glück mir angeboten, Die echten Originale in diesem Souvenir." |
16.
Sie sind ein glücklicher Prinz! Das nenn' ich begabt von Feien! Ruft Amadis aus, — und doch (Sie müssen mir verzeihen) Begreif' ich nicht, wie man, wie Sie, nur kommt und sieht und siegt. — "Ich denke, erwiedert sein Freund, was uns am meisten betrügt, Ist, daß wir dem weiblichen Geist zu viele Gründlichkeit leihen, |
19.
Bei solchen Eroberungen kommt (wie bei der Hannibalen Und Cäsarn) freilich sehr viel auf einen guten Plan, Viel auf die Kunst, dem Feind' in die Flanken zu fallen, Kurz, viel auf die Klugheit, doch mehr auf den Augenblick an, Von diesem sogleich Gebrauch zu machen wissen, Dieß nenn' ich den Gipfel der echten Eroberungskunst. So war's, zum Beispiel, bloß die unverhoffte Gunst Des Zufalls, was mir die Ehre verschaffte, Sacharissen An ihrem Geliebten zu rächen, von dem sie verrathen sich hielt; Ein Stündchen später, so hatte ihr Blut sich abgekühlt. |
20.
Hier, Ritter, sehen Sie her! Wer sollte dieser Spröden, Mit dieser Vestalenmiene, mit diesem abschreckenden Blick, Was Menschliches anzusinnen sich nur im Traum' entblöden? Daß ich es wagen durfte, war freilich bloßes Glück. Sie konnte doch billig hoffen, in ihrem Cabinete Vor Zeugen sicher zu seyn? Wie hätte sie jemals davon Sich träumen lassen, auf ihrem Ruhebette Mit ihrem Ovid in der Hand, auf einen Endymion |
21.
Dem Zufall ganz allein und ihrer Iris war Im Grund das Unglück beizumessen; Auch bin ich überzeugt, daß von der ganzen Schaar Aufs mindste ein Drittel sich bloß zufälliger Weise vergessen. Der Einfluß der äußern Dinge ist wirklich wunderbar. Im Rosenmond' und in den schwülen Tagen, Wenn Sirius wüthet, befand ich Manche zu schwach, Gefälligkeiten zu versagen, Die vierzehn Tage zuvor und hernach Sich stark genug fühlte, sie selbst dem Hercules abzuschlagen. |
22.
Indessen glauben Sie mir, mein trauter Amadis, Um einen Platz mit Vortheil zu berennen, Hängt Alles davon ab, das Innre wohl zu kennen. Vom Zufall bleibt der Erfolg doch immer ungewiß. Allein, die schwache Seite von einem Charakter studiren, Dies nenn' ich das wahre Geheimniß, ihn, wie Ihr wollt, zu führen. Vor jedem neuen Gegenstand' Ein andrer Mann! Ein Momus bei galligen Spröden, Bei Zärtlichen lauter Gefühl, voll stiller Zucht bei Blöden, Bei Ernsten ein Sittenlehrer, bei Muntern lauter Tand, |
23.
Kurz, bei Europen ein Stier, ein sanfte Schwan bei Leden, Bei Schwachen ein kleiner Sacripant, Ganz Ohr bei den zehenten Musen, die lauter Orakel reden, Ein Schwärmer bei Schwärmerinnen und bei Coquetten galant, Dieß war mein Talisman. In meinen Knabenjahren Lernt' ich's im Nepos schon dem Alcibiades ab Und bin, seitdem ich die Welt in ritterlichem Trab Durchziehe, wie Sie sehn, sehr wohl dabei gefahren. Sie können nicht glauben, mein Herr, wie weit Die einzige Regel uns bringt: "gefällig zu rechter Zeit." |
24.
Ich gebe sie Ihnen in allen andern Sachen Für einen Passepartout: allein, insonderheit Sein Glück bei Damen und durch die Damen zu machen, Ist nichts von solcher Wirksamkeit. Ein Kinderspiel thut öfters Wunderdinge. Bei Flavien setzte mich ein seltner Wurm in Gunst, Aus welchem die Kennerin sich den schönsten der Schmetterlinge Fur ihre Sammlung erzog; bei Andern die edle Kunst, Ihr Bild aus Papier zu schneiden, zu stricken, zu brodiren, Ihr Papchen schwatzen zu lehren, Dianchen zu caressiren, |
25.
Und zwanzig andere Künste von dieser Wichtigkeit, Worin ich die Ehre hatte in meiner schönen Zeit Für einen großen Mann zu passiren |
26.
Er rühmt sich wenigstens laut, mit seinen kleinen Gaben (Wiewohl er eben kein Adon Zu seyn gesteht) doch manchen Königssohn Bei mancher Venus schon dethronisirt zu haben." Allein das hunderte Feld? fällt unser Ritter ein, Das werden Sie doch vermuthlich nicht allein Brach liegen lassen wollen? —"Dafern ich's wollt', (erwiedert Der blaue Ritter) so bindet mich mein Schwur; Und etwas, daß ich seit kurzem von einem Fremden erfuhr, Hat meinen Eroberungsgeist von neuem ein wenig befiedert. |
27.
Ein blasser milchichter Ritter, ich weiß nicht wie genannt, Ein wahrer Seladon, machte mir eine Dame bekannt, Die, wie er sagt, in diesen Wäldern irret. Er bete, sagt er, die Wilde schon sieben Sommer an; Er habe, sie zu erweichen, sein Möglichstes gethan, Geduldet, geseufzt, geweint, gegirret Und nichts vermocht: so daß, nachdem ihm nun Die Lust vergangen sey, ihr länger nachzujagen, |
28.
Die Dame, so schwor der arme Dulder mir, Sey schöner als Juno, allein kein lesbisches Thier Sey halb so grausam. Vermuthlich lag der Fehler An seiner Methode. Wie dem auch seyn mag, ich bin Entschlossen, das hunderte Feld und meine Siegesmähler Mit dieser Menschenfresserin Vollzählig zu machen." — Viel Glück zum Unternehmen! Vermuthlich wird der Erfolg die Erwartung nicht beschämen, Spricht unser Held: indeß gesteh' ich unverblümt, Ich wünschte meinen Freund durch edlere Siege berühmt. |
29.
Unmöglich kann ich mein Herz mit dem Gedanken versöhnen, Ein sanftes Geschöpf, dem gegen den Uebermuth Des stärkern Geschlechts die Natur nur zärtliche Blicke und Thränen Zu Waffen verlieh, zu mißhandeln mit kaltem Blut' Und, wenn sie zuletzt das Opfer von unsern Künsten geworden, Mit grausamer Hand noch ihre Ehre zu morden; Dazu, ich sag' es frei, find' ich kein Herz in mir: Ich kann im Nothfall Tigern und Löwen, Hyänen und Amphisbänen ins Weiße im Auge sehen, Dies kann ich nicht! und bin mir selber hold dafür. — |
30.
"Herr Bruder, erwiedert der Ritter in blauen Waffen, Wiewohl die Natur mein Herz aus spröderm Thon' erschaffen, |
31.
Der, wenn, zum Exempel, der Feind die Festung schlecht bewacht, Sie mit Vertheidigungsmitteln gehörig zu versehen Versäumt, die Außenwerke und nahe gelegnen Höhen Entblößt und übel besetzt, recht wie mit Vorbedacht Uns preisgibt, kurz, sich schlecht und lässig vertheidigt, Wer, sag' ich, in solchem Falle die Schwäche des Feindes benützt, Folgt einer Maxime, die sich aufs erste Kriegsgesetz stutzt." — Ihr Gleichniß, Herr Ritter, und Ihre Maxime beleidigt Ein zärtliches Ohr, erwiedert unser Mann: Ich möchte wohl wissen, was uns berechtigen kann, |
32.
Das weibliche Herz für eine Festung zu halten, Die wir erobern müssen? —"Ich finde bei Neuern und Alten (Spricht jener) zu allen Zeiten und in der ganzen Welt Durch dieses Bild die Sache vorgestellt; |