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C. M. Wieland's Werke.

Fünfzehnter Band.

Zwölfter Gesang.

1.

Der Neger hatte indessen, um seine hohen Gäste
Nach Standesgebühr zu bewirthen und ihnen von seiner Macht
Ein kleines Muster zu weisen, zu einem herrlichen Feste
Den Plan sich ausgedacht. Er liebte Vergnügen und Pracht,
Und (wie gesagt) es wußte, seitdem es Neger gegeben,
Kein Neger besser, als er, zumal mit den Damen, zu leben.
Die erste beste, die seinen kleinen Staat
Auch nur zufälliger Weise betrat,
Fand sich, im Walde sogar, von Sylphen und Amoretten
Wie eine Prinzessin bedient, fand Lauben, Ruhebetten,

2.

Erfrischungen, Sorbet, Chocolat
Und auch bei Nacht, auf einer Ottomane,
Was eine reisende Sultane,
Um wohl zu schlafen, nöthig hat.
Ob mäßige oder böse Leute
Hierüber Glossen gemacht und, über den Anlaß froh,
Einander ins Ohr gefragt, was diese Großmuth bedeute,
Ist leicht zu errathen. Die Welt ist einmal so!
Wir nehmen ein Ding auf seiner besten Seite,
Vorausgesetzt, es habe deren zwo.

3.

Denn, sollten wir je bei einem Anachoreten
Ein Nymphchen von sechzehn (eins minder oder mehr)
Allein in seiner Zelle betreten,
Dann freilich fiel' es uns etwas schwer,
Zu glauben, er habe mit ihr den Rosenkranz zu beten
Sich eingeschlossen; wiewohl so was von ungefähr
Begegnen kann. Doch, dem sey, wie ihm wolle,
Der Neger, der sich selbst sein volles Recht erwies
Und wenig oder nichts von seinem Reiz sich verhieß,
Spielt bei den beiden Prinzessen als Meister seine Rolle.

4.

Kaum schlupfte der Sonnenwagen ins Abendmeer hinab,
So sah man den ganzen Garten (er gab
Den Geistern nur einen Wink) in buntem Feuer stehen.
Die Schwestern gestanden, sie hätten an Bambo's Hofe sogar
(Wiewohl der Sultan ein Freund von Feuerwerken war)
Nur Schattenwerke, verglichen mit diesem, gesehen.
Die Bäume, die Aeste, das Laub, die Blumen, Alles schien
Durchsichtig, wie funkelnde Steine im Sonnenschein, zu glühn:
Dem alten Proteus gleich verwandelt sich hier das Feuer
In tausend Wintergestalten und schimmernde Abenteuer.

5.

Bald spritzt es in die Luft gleich Wasserstrahlen empor,
Bald stiebt es in glänzenden Flocken wie Schnee zur Erde nieder,
Bald scheint es in flammenden Strömen, wie fließende Lava, wieder;

Hier mischen sich neue Gestirne der Sphären erstaunendem Chor, Dort steigen feurige Drachen, wie aus dem Avernus, hervor Und schütteln Donner und Blitz von ihrem schwarzen Gefieder. Ein langer grüner Gang, durch den der Neger sie Zum schönsten Gartensaale leitet, Wird plötzlich vor ihren Augen zu einer Galerie Voll Schildereien, wozu Vulcan die Farben bereitet.

6.

Hier nähert Zeus, in himmlische Flammen gehüllt,
Der schönen Semele sich, ein Gott in göttlichem Staate
Der Tochter des Staubes; zu spät erkennt sie im tödtlichen Rathe
Der Nebenbuhlerin Wuth; ihr Mund, ihr Busen schwillt
Von überirdischem Feuer; doch in den erlöschenden Blicken
Mischt selbst mit Todesangst sich wollüstiges Entzücken.
Ihr gegenüber liegt, in Junons Majestät
Und hohen Reiz verkleidet, das schöne Ungeheuer,
Das Zeus, an Jxions vermessenem Feuer
Die keusche Gemahlin zu rächen, aus einer Wolke gedreht.

7.

Von Götterwein trunken und heißem Verlangen,
Schleicht Tantals Sohn an Iris Hand herbei,
Voll Hoffnung, bald, von Junons Armen umfangen,
Zu wissen, wie süß der Kuß der höchsten Göttin sey.
Die falsche Juno scheint, ihn stärker zu entzünden,
Halb lächelnd, halb erzürnt sich seinem Kuß zu entwinden:
Sie schlüpft ihm aus der Hand, er setzt ihr hitzig nach;
Stracks füllt ein schwarzer Dunst das ganze Schlafgemach,

Ein Wirbelwind, mit donnernden Blitzen beladen, Ergreift und spießet den Frevler an Phlegethons schroffen Gestaden.

8.

Durch solche Scenen, wo Schrecken, Erstaunen und Vergnügen,
Auf seltsame Weise vermischt, das Auge gefällig betrügen,
Führt seine Gäste der Mohr in einen neuen Saal,
Der sich noch einem Sinne durch seine Wunder empfahl.
Aus allen Ecken erschallten Gesänge und Symphonien,
Wie Bambo's Töchter sie nie an ihrem Hofe gehört;
(Mit diesem gewöhnlichen Lobe ward das Concert beehrt)
Sie wünschten, um alle die Lust in sich hinein zu ziehen,
Ganz Ohr zu seyn: aber der Neger, dem ihr Entzücken gefiel,
Entzog sie unvermerkt dem süßen Ohrenspiel.

9.

Es schweben unzählige Sylphen, wie Liebesgötter gebildet,
Auf Rosengewölken daher, die leichten Flügel vergüldet.
Bei ihrem säuselnden Flug' ergoß sich ein lieblicher Duft
Von Nelken, Citronenblüthen und allen Quintessenzen
Der Blumen im Paradies'. Ihr buntes, wimmelndes Glänzen
Entzückte das Aug', und in der mittlern Luft
Erschienen unzählige Regenbogen,
Auf tausendfältige Art in Liebesknoten verzogen,
Worin, nicht ohne Verdruß des schönen Amadis,
Der Name der beiden Schwestern sich leicht entziffern ließ.

10.

Stolz glänzt im Auge des Wirths, in den Augen der weiblichen Gäste
Volkommene Lust. Doch, soll ich's euch gestehn?
Ich hätte mich bei einem solchen Feste
Bald satt gehört, geschmeckt, gerochen und gesehn.
Ein leichtes Mahl in selbst gepflanzten Schatten,
Durch deren dünnes Gewebe die Abendsonne scheint,
Beim rosenbekränzten Becher ein muntrer Sokratischer Freund
Und, ehe zum Schlaf die ruhigen Sinnen ermatten,
Aus einem Munde, wo Reiz und Unschuld blüht,
Zur sanften Theorbe ein fröhliches Lied —

11.

Dieß nenn' ich mir ein Fest! —Doch keiner Seele verwehrt,
Vom bloßen Hören bei meinem Feste zu gähnen
Und seine Freuden von Pracht und Zauber der Kunst zu entlehnen.
Ein Jeder reite, vor mir, sein kleines hölzernes Pferd
Nach seiner Weise: dieß ist der Wahlspruch meiner Kamönen.
Er zäum' es, wenn er will, anstatt beim Kopfe beim Schwanz,
Wir wollen, ihm zu Gefallen, nur leise darüber lachen.
Die große Kunst, den alten häßlichen Drachen,
Der uns zum Bösen versucht, sein Spiel verlieren zu machen,
Ist guter Muth und Toleranz.

12.

Noch schallte der fröhliche Lärm des Festes weit umher,
Als vor des Schlosses goldnen Thoren
Ein Ritter sich hören ließ, der seinen Weg verloren

Und, weil ein glücklich Ungefähr Zu einem Schmaus' ihn bringt, (wenn anders seine Ohren Kein Nachtgeist äfft) für besser fand, davon, Wie einer, den seine Mutter zu guter Gesellschaft geboren, Auch seinen Antheil zu nehmen, als, wie ein Erdensohn, Bei gutem Appetit' und unbefriedigtem Magen, Sein Nachtquartier im Freien aufzuschlagen.

13.

Wofern' er Durst und guten Humor
Zu bringen schwört, (ließ ihm auf sein bescheidenes Fragen
Nebst seinem Gruß der Herr des Schlosses sagen)
So öffnet ihm sogleich das Thor.
Der Ritter schwor, er habe seit mehr als dreißig Stunden
Noch keine Zeit zum Tafelhalten gefunden;
Und, was den Humor betrifft, laßt euch die Sorge vergehn,
(Sprach er zu einem Edelknaben)
Sobald wir mit unserm Magen uns erst verglichen haben,
So sollt ihr eure Wunder sehn!

14.

Auf dieses wurde mein Mann, beim Schein von hundert Fackeln
Und, auf des Negers Wink, beim Spiel
Von hundert schnarrenden Geigen, die ihm entgegen rackeln,
Herbei geführt. Der Empfang versprach nicht viel;
Allein der Fremde war klug. Ihm winkten blinkende Flaschen
Und Schüsseln, wovon der Duft ein Göttermahl versprach,
Und Schönen, die ein Verlangen, dem Neger sie wegzuhaschen,
Beim ersten Anblick' erweckten. Der Ritter bezeigte demnach

Sich mächtig vergnügt, in solchen Zaubergründen So gute Musik und so gute Gesellschaft zu finden.

15.

Die Damen stellten sich an, als wäre des Fremden Gesicht
Das Neueste, was sie sähen. Er, der nicht erst seit gestern
Die Welt bereiste, verstand den Wink der schönen Schwestern
Und stellte sich gleichfalls, als kenn' er sie nicht.
Der Neger seines Orts thut, was dem Herrn vom Hause
Geziemt, und heißt den Ritter zu seinem besten Wein'
Und Allem, was sein Schloß vermag, willkommen seyn:
Und drauf erfolgt, wie billig, eine Pause,
Worin sich der Fremde durch seinen Hunger dem Mahl'
Und durch die schönste Reihe von Zähnen den Damen empfahl.

16.

Indessen ging ein mächtiger goldner Pokal,
Bereichert mit Amethysten, Rubinen und Topasen,
Auf unsers Ritters und seiner erlauchten Vettern, Basen
Und Neffen Wohlergehn und auf die glückliche Wahl
Von einer schönen Braut und so weiter — so manches Mal
Vom Neger zu ihm und von ihm zum Neger, bis beider Nasen
Dem Kamm von einem calcuttischen Hahn
Die Farbe streitig machten. Kaum setzte der Ritter nieder,
So kommt der höfliche Wirth mit einem vollen wieder.
Man glaubt, er habe dieß aus Politik gethan:

17.

Denn, seit der Traubensaft von Schiras, Alicante,
Vom Vorgebirg' und vom Vesuv

Dem Ritter durch die Adern rannte, Vergaß er unvermerkt, daß keine der Damen ihn kannte. Er fühlt auf ein Mal einen Beruf, Galant zu seyn und zärtliche Sachen zu sagen, Sein Herz, das nun von doppeltem Feuer glüht, Zur Rechten und Linken anzutragen Und, wie auf einen Moment der Neger seitwärts sieht, Verliebte Stürme auf Wangen und Arme zu wagen.

18.

Die schöne Colifichon, die auch sich berufen fühlt,
Den Ritter durch ihre Künste der keuschen Schwester zu stehlen,
(Die ihn nach ihrem Brauch nur durch die Wimpern beschielt)
Ließ ihres Ortes es ihm nicht an Ermunterung fehlen.
Der Neger, wiewohl er bereits dem Zustand nahe war,
Worin der Vater Silen, von einem nervigen Paar
Satyren halb zu beiden Seiten getragen,
Halb taumelnd auf seinem Thier, dem tigergezogenen Wagen
Des Bacchus folgt, sah blinzend noch immer genug,
Zu sehen, daß seine Göttin sich etwas verdächtig betrug.

19.

Was sollt' er thun? Es war zu wenig, den Drachen
Deßwegen zu spielen, zu viel, den Blinden dabei zu machen;
Zumal da Chatouilleuse, mit ihrem Amadis
In Augengespräche vertieft, nicht sehr geneigt sich wies,
Zu seinen plumpen Schmeicheleien
Noch Ohr, noch Hand, noch Lippen herzuleihen.
Das Klügste däucht ihm demnach, in eine See von Lunel
Den Nebenbuhler zu stürzen. Allein Herr Caramel

(Ihr habt doch schon, daß er es war, errathen?) War in der Bacchischen Kunst ein Mann von großen Thaten.

20.

Er hielt's für Ritterpflicht, bei einem Trinkgelag
Vom Kampfplatz' eher nicht zu weichen,
Als bis sein Feind zu Boden lag:
Ein skythisches Axiom, worin auf diesen Tag
Ihm zwischen dem Jster und Rhein viel' edle Knechte gleichen.
Er wehrte sich, wie ein Athlete; wiewohl Herr Amadis
Beim dritten Deckelglas' ihn schon im Stiche ließ;
Bis endlich, ganz aufs Haupt geschlagen
Und ohne Gefühl von Gnomen zu Bette getragen,
Der Neger das Feld und die Schönen dem Sieger überließ.

21.

Herr Caramel hatte den alten Ruhm der Skythen,
Von welchen er Landsmann war, behauptet wie ein Held;
Doch, Vortheil davon zu ziehn, blieb dießmal ausgestellt.
Er hatte den Sieg zu theuer erkaufen müssen: ihm glühten
Die starren Augen, er spitzte vergebens zu einem Kuß
Den unbeweglichen Mund, kurz, weder Hand noch Fuß
Noch Zunge wollten mehr von ihm Befehle nehmen.
Er folgte demnach der Damen gutem Rath'
Und legte, nicht ohne des Sieges ein wenig sich zu schämen,
Auf einen Sopha sich hin in seinem vollen Staat.

22.

Herr Amadis blieb nunmehr, wiewohl mit Keuschheitswächtern
Von allen Seiten umringt, allein bei Bambo's Töchtern.

Doch, da noch immer ein jeder Versuch mißlang, Den Colifichon auf seine Zärtlichkeit wagte, Bewies ihr auf einmal der Lerchengesang, Daß es auf unserer Hälfte der Erdenkugel tagte. Sie nahm die Schwester beim Arm, wie zärtliche Schwestern thun, Und wünschte dem spröden Ritter mit Lächeln, wohl zu ruhn. Vier Sylphen leiteten sie, beim Schimmer Von Fackeln aus Aloeholz, in ihre bestimmten Zimmer.

23.

Der Schlafgott senkte nun sein bleiernes Rabengefieder
Im ganzen Schloss' auf alle Augenlieder:
Nur unser Held allein, den seine Schwärmerei
Beredet, daß der Schlaf ihm unanständig sey,
Geht, glücklich in seinem Wahn', um unter düftenden Bäumen
Von seinem Ideal mit offnen Augen zu träumen.
Indem er noch beschäftigt war,
Was ihm, bei längerm Bedacht', ein wenig sonderbar
In seiner Entzauberung schien sich selber auszulegen,
Däucht ihm, er höre was im nächsten Gange sich regen.

24.

Er unterscheidet das Rauschen von einem seidnen Gewand',
Und, nach der Logik der Liebe, wen konnte dieß Rauschen verkünden,
Als seine Göttin? Denn, o! wie viel empfand
Bei diesem Rauschen sein Herz! — Er eilet, sie zu finden,
Und findet — Colifichetten, die, ohne ihn zu sehn,
In tiefen Gedanken ging. Er bleibt voll Unmuth stehn;
Denn, umzukehren und zwischen den Myrtenhecken,

Ohn' einen scheinbaren Grund, vor ihr sich zu verstecken, Schien gegen die Regeln des Wohlstands zu gehn Und mit zu weniger Schonung sein Herz ihr aufzudecken.

25.

Er blieb demnach, in Hoffnung von ihr gesehen,
Zu werden, wie gesagt, an einer Ecke stehn,
Wo, ohne ihm geflissentlich auszuweichen,
Sie nicht vermeiden kann, an ihm vorbeizustreichen.
So, denkt er, muß sie unfehlbar mich sehn.
Allein sie fand für gut, mit ihrem Fächer zu spielen
Und, ohne nur einen Blick auf seine Person zu schielen,
Ganz langsam ihren Weg zu gehn.
War dieß Verachtung? — Wer könnte sich verwehren,
So einen Zweifel, wie diesen, sich selber aufzuklären?

26.

Durch einen Seitengang schleicht er nochmals sich so nah,
Daß sie ihn sehen muß. Allein die Dame sah,
Bis sie vorüber war, zur Linken im Gebüsche
Zwei schönen gehaubten Täubchen, die dort sich schnäbelten, zu.
Wer dachte wohl, daß so wenig genug ist, die Seelenruh
Von einem Helden zu stören? — "Wie? Gestern Abend bei Tische
So zärtlich und jetzt bis zur Beleidigung kalt!
Sie schien ihm so viel mit ihren Augen zu sagen;
War's nur zum Zeitvertreib? War's, Chatouilleusen zu plagen?
War's gar ein andrer Mann, dem jene Zartlichkeit galt?"

27.

Dieß Unrecht ging ihm jetzt um so viel mehr zu Herzen,
Da sie ein Morgengewand, womit die Zephyrn scherzen,
Gewählt zu haben schien, um ihre Nymphengestalt
In ein verführerisch Licht zu setzen.
War's Grille, oder was war's, daß sie sich so benahm?
Und will sie vielleicht sich nur an seiner Verwirrung ergetzen?
Er ward sich selbst und dem Licht' und den Nymphengestalten gram,
Und doch, ich weiß nicht, wie es kam,
Befand er bald darauf, in einem kleinen Fieber
Verwirrter Regungen, sich der Schönen gegenüber.

28.

Jetzt konnte sie nicht umhin, das feine Compliment,
Womit er sie begrüßt, ihm höflich wieder zu geben.
Sie stellt sich klüglich als eine, die eben
Den wieder gefundenen Freund in einem Fremden erkennt.
O! ruft sie, des gütigen Zufalls! Wie find' ich Sie, mein Bester,
So unverhofft in diesen Gärten hier?
Wo, wenn man fragen darf, wo haben Sie meine Schwester,
Die Blonde, gelassen? — Jedoch, vor Allem gebührt es mir,
Sie zu berichten, wie ich, nachdem wir Abschied genommen,
Mit Bleumouranten, dem Seufzer, in dieses Schloß gekommen.

29.

Sie schlendert, indem sie erzählt, an seinem Arme fort
Und nimmt, als wär' es bloß ein Werk des Zufalls gewesen,
Den Weg unmerklich nach dem Ort,

Wo Chatouilleuse des Ritters Bezauberung aufzulösen Die Ehre gehabt. Sie traf es auf ein Haar, Daß sie die Stelle, bei welcher ganz sachte vorbei zu schleichen Er Miene macht, in eben dem Nu erreichen, Da sie mit ihrer Geschichte fertig war. Das Feuer, das auf den Wangen des armen Ritters brannte, Verrieth ihr, daß er den Ort nur gar zu gut erkannte.

30.

Betroffen sucht er, wiewohl verstohlner Weise nur,
In ihren Augen auf, ob dieß ihr Gedanke gewesen?
Allein die schlaue Creatur
Ließ selten in ihren Augen, was sie nicht wollte, lesen.
Nun, sprach sie, mein Herr, ich dächte, wir setzten uns hier
Auf dieses Säulengestell, und Sie erzählten mir,
Was Ihnen, seitdem wir uns trennten, für schöne Avanturen
Begegneten. Zwar hat Fama, die Wahrheit zu sagen, davon
Uns etwas ins Ohr geflüstert: allein die kennt man schon!
Sie pflegt die Geschichte gern ein wenig zu brodiren.

31.

"Die Fama? — (spricht mein Held mit glühenden Wangen) Madame,
Ich bin ihr verbunden, wofern sie diese Mühe sich nahm;
Doch hätt' ich nicht gedacht, daß solche Kleinigkeiten — "
Bescheidenheit! ruft die Prinzessin: an einem Manne wie Sie
Sind Dinge bemerkenswürdig, die nichts an andern bedeuten.
Doch um Vergebung, mein Herr, wenn diese Melodie
Ihr Ohr vielleicht verletzt? — "Sie scherzen" — Und Sie erröthen?

"Das dächt' ich nicht" — Zum Brennen! — "So muß der gestrige Wein" — Aufrichtig, mein Herr, ich sehe nicht ein, Warum Sie verlegen sind; was hätten Sie das vonnöthen?

32.

Doch! — Nun errath' ich es — richtig! — das löst das Räthsel mir auf!
Bekennen Sie, Ritter, Sie sind ein kleiner Ungetreuer?
Sie spielen gern den Damenbefreier,
Allein Sie setzen, so scheint's, auch einen Preis darauf.
"Prinzessin, ich sehe, Sie wissen" — Von ihrer geheimen Geschichte
Ein wenig mehr, mein Herr, als einem gewissen Paar
Behagen mag — "Madame, aus diesem Ton' ist klar,
Daß Ihnen die Sache in einem falschen Lichte" —
Verzeihen Sie mir! Auch darin irren Sie sich;
Ich habe sie von der Quelle; der Neger bewirthete mich

38.

Mit jedem Umstand davon. Es war, man muß gestehen,
Ein tückischer Einfall von ihm, Sie in dem drohenden Stand,
Worin er, wie man sagt, bei Blaffardinen Sie fand,
Den Nymphen zum Schrecken so lang' in seinem Garten stehen
Zu lassen, bis sich, wer weiß aus welchem Feenland,
Die Obermeisterin von allen Precieusen
Hieher verirrte, mit eigner keuscher Hand
Den Zauberknoten aufzulösen.

Es wir sehr glücklich, mein Herr, daß diese in Chatouilleusen So bald zu Ihrem Troste sich fand!

34.

Sie hätte ja eben so leicht am andern Ende der Erden
Versteckt seyn können und lange vergebens erwartet werden. —
"Prinzessin, (versetzt der Ritter mit etwas Ungeduld)
Mich geb' ich preis! nur schonen Sie, darf ich bitten,
Des Ruhmes von einer Dame, die ohne ihre Schuld
Schon mehr als zu viel um meinetwillen gelitten!" —
Sie haben Recht, mein Herr; es wäre lieblos, ihr
Die Ohnmacht, worin sie lag, zum Vorwurf machen zu wollen.
Wie hätte sie nicht in Ohnmacht fallen sollen?
So wie die Sache lag, was that sie als ihre Gebühr?

35.

Wo ist ein Mädchen von feinem Gefühl für Ehre,
Die gegen das Urtheil der Welt, das Niemand mehr als wir
Zu fürchten hat, so fest gepanzert wäre,
Um nicht dasselbe zu thun? Und wirklich, verzeihen Sie mir,
Läßt für ein Mädchen, zumal für eine Prinzessin, von Ehre,
Die wenigstens das, was Viele den bösen Schein
Zu nennen pflegen, scheut, sich schwerlich ein Unfall erdenken,
Worin es verdrießlicher wäre, zur Ohnmacht gezwungen zu seyn.
Das weiß ich, gerieth ich je in solch ein Unglück hinein,
Ich würde mich selbst in meinen Thränen ertränken!

36.

Bedenken Sie selbst, mein Herr, —Hier fand der Paladin,
Der bis hieher auf glühenden Kohlen gelegen,
Es länger auszustehn, geh' über Menschenvermögen.

Schon schwebte ein derber Fluch auf seinen Lippen, als ihn Zu gutem Glücke die Ankunft der Dame seiner Gedanken Zum zweiten Male befreit. Zwar fing sein hoher Begriff Von ihrer Tugend bereits ein wenig an zu wanken: Allein er hätte zur Schmach, auf einem Räuberschiff' An Ketten zu rudern, sich eher verglichen, Als länger gemartert zu seyn mit solchen Wespenstichen.

37.

Die Sultanstochter erschien demnach,
Als eben von seiner Geduld der letzte Faden brach.
Entzücken war in seiner ersten Regung;
Allein sie kam — an Caramels Arm!
Dieß stimmte flugs die zweite Bewegung
Zehn Grade tiefer herab. Sein Kopf war jetzt zu warm,
Um nur ein Stäubchen mehr, als er bereits ertragen,
Erträglich zu finden. Ihm schwoll das Herz empor,
Er hätte sich gern mit der ganzen Welt geschlagen,
Und wirklich nahm er den Ritter, statt bei der Hand, beim Ohr;

38.

Zwar bloß aus Zerstreuung. Auch, fern, daß er's gerüget hätte,
Begnügte Herr Caramel sich, mit seinem phlegmatischen Ton
Zu sagen: Dieß ist mein Ohr, Herr Ritter! — Selbst Colifichette
Fing an zu merken, sie habe die Indiscretion
Zu weit getrieben, und suchte den Fehler gut zu machen.
Bald fand man sich wieder geschickt, von nichts bedeutenden Sachen

Zu schwatzen, zu lachen, zu tändeln; und unser Paladin Sah in des fremden Ritters und Chatouilleusens Betragen Nichts, das ihm Grund zu geben schien, Ihm seine Freundschaft, ihr sein Zutraun auszusagen.

39.

So kann, trotz seinem Falkenblick',
Ein warmer Kopf oft falsch aus wahren Bemerkungen schließen!
Wir hielten nämlich bisher mit einem Geheimniß zurück,
Das wir dem Leser, sub rosa, nunmehr eröffnen müssen.
Daß Caramel lange schon an Chatouilleusen hing,
Als diese aus Angst vor dem Riesen ins Netz des Tritons ging,
Und welchen Dank, für alles sein Bestreben,
Ihr zartes Herz zu gewinnen, der arme Ritter empfing,
Da sie den Vorzug vor ihm Don Boreassen gegeben:
Dieß wird dem geneigten Leser in frischem Gedächtniß noch schweben.

40.

In Caramels Busen lag das Unrecht tief verwahrt,
Das er durch ihre Wahl erlitten zu haben glaubte.
Wiewohl er, da ihn der Zufall mit Dindonetten gepaart,
Sich eine kleine Zerstreuung erlaubte,
So schwor er doch — und schwor's bei kühlem Blut —
Nichts sollte die Ungetreue vor seiner rächenden Wuth
Beschützen, sobald er dazu nur eine Gelegenheit fände.
Nun hatte sie, eh' er's gehofft, das Glück in seine Hände
Gespielt, und der neue Beweis von ihrem Wankelmuth
Trieb ihm die Galle nun vollends ins Blut:

41.

Und da er sich, durch einen der dienstbaren Geister
Im Hause, mit leichter Mühe zum Meister
Von ihrem Geheimniß gemacht, so war die Schwierigkeit
Nicht groß, den Angriffsplan gehörig anzulegen.
Der Dame selbst war eine Gelegenheit,
Sich wieder in Achtung bei ihm zu setzen, nicht entgegen.
Sie hatten sich also, sobald sich diese gezeigt,
Zu einem Spaziergang' in den Alleen
Des Parks bestellt, von süßer Hoffnung gesäugt,
Einander wechselsweise nach Lust zu hintergehen.

42.

Und weil man des Ritters vermeintliche Klage
Genauer zu untersuchen beschlossen, (was bei Tage
Nicht thunlich war) so wurde von Chatouilleusen zuletzt
In einem Gartengemach die erste Stunde vor Morgen
Zu einem Tête-à-Tête, doch ungern', angesetzt.
Denn Caramel, der die Verachtung vielleicht zu wenig verborgen,
Die sie ihm einflößt, hatte mit einem entfallenen Wort
Sich merken lassen, ihm sey der schwache Ort
Von ihrer Tugend bekannt. Dieß macht ihr für Amadis Sorgen;
Wie leicht pflanzt so ein Verdacht auf einen Freund sich fort!

43.

Zum Unglück, daß, versteckt in einem Cabinete,
Bei dieser Bestellung ein Zeuge zugegen war,
Ein junger Gnom; und, was noch schlimmer, gar

Der Kammergnom der schönen Colifichette; Ein kleiner Schalk, wie Pagen meistens sind, Der seine gutherzige Lust in Andrer Plage find't Und, wenn er Gelegenheit sieht, durch seine Schelmereien Ein zärtliches Paar um einen Rendez-vous Zu bringen oder um nichts zwei Freunde zu entzweien, Sich einbild't, es schicke der Himmel ein großes Glück ihm zu.

44.

Wen ein Geschöpf von dieser edeln Classe
Von ungefähr behorcht, verlasse
Sich drauf, es werd' ihm nicht besser ergehn,
Als Midas dem König. Der hatte längere Ohren,
Als man an seines gleichen zu sehn
Gewohnt ist; nicht, als hätte die Dame, die ihn geboren,
An einem Faun sich versehn: Apollo hatte dem König,
Bei einem bekannten Anlaß, der Seiner Majestät
Geschmack und inneres Ohr ein wenig
Verdächtig machte, die Ohren um etliche Daumen erhöht.

45.

Don Midas, wie leicht zu erachten, trug eben kein Verlangen,
Zu diesem Zuwachs vom Hofe den Glückwunsch zu empfangen;
Im Gegentheil verbarg er diese Zier,
So gut er konnte. Er war der Erfinder der phrygischen Mützen,
Die über die Ohren gehn. Allein, vor seinem Barbier
In einer phrygischen Mütze zu sitzen,
War eine Sache von größrer Schwierigkeit,

Als er gedachte, zumal wenn im Kalender die Zeit zum Haarabschneiden kam. Kurz aus dem Handel zu kommen, Der Mann wird in geheim in Eid und Pflicht genommen.

46.

Er schwört, das Uebermaß von Majestät
Der Königsohren vor allen lebendigen Seelen,
So lieb ihm die seinigen sind, bis in sein Grab zu verhehlen.
Acht Tage schleicht, von seinem Geheimniß gebläht,
Tiefsinnig den Kopf gesenkt, die Stirn' in politischen Falten,
Der arme Barbier herum, doch, länger es auszuhalten,
War keine Möglichkeit. Die Chronik sagt, er sey
Von jenem berühmten Barbier zu Bagdad Ahnherr gewesen,
Von dessen enthaltsamer Zunge wir Alle zweifelsfrei
In tausend und einer Nacht die seltnen Proben gelesen.

47.

Ihn schreckt des Königs Zorn, ihn ängstigt sein theurer Eid;
Mit beiden war doch wahrlich nicht zu spaßen!
Doch, sein Geheimniß bei sich verfaulen zu lassen
Und endlich daran zu bersten, ist keine Kleinigkeit.
Indessen, da ihn sein Eid doch nur, vor lebendigen Seelen,
Verpflichtet, die Schmach des Königs zu verhehlen,
So gibt sein Genius endlich ihm einen Einfall ein,
Wobei, wie er glaubt, sein Bauch mit seinem Eide bestehet.
Er scharrt ein Loch in die Erde und murmelt leise hinein,
Was ihn acht Tage lang schon so schrecklich aufgeblähet.

48.

Erleichtert schleicht sich nun der gute Mann davon
Und glaubt es schön gemacht zu haben:

Allein im nächsten Lenz wächst, wo er aufgegraben, Ein kleiner Wald von Rohr, und ein verrätherischer Ton, So oft mit säuselndem Fittig' ein Sohn von Zephyr und Floren Es anweht, flüstert aus dem Rohr Dem, der es hören will, ins Ohr: Der König Midas hat — Eselsohren.

p. p. p.

Der Erste, der es hört, hat's kaum dem Nachbar vertraut, So spricht von dem Wunder bereits ganz Phrygien überlaut.