Projektseite Wieland's Sämtliche Werke © arpa data gmbh
Textbreite
Schriftgröße
Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfzehnter Band.

Eilfter Gesang.

1.

Nichts ist mir mehr verhaßt, als einen Dichter zu sehen,
Der seine Allgewalt zur Grausamkeit mißbraucht.
Er nenne sich, wenn er will, den Schöpfer seiner Ideen
Und fordre die Rechte, die wir dem Titan zugestehen,
Der einst den Einfall gehabt, aus Lehm, in Wasser getaucht,
Ein Mittelding von Gott und Thier zu drehen,
Und ihm nur eben so viel von Seele eingehaucht'
Als man, um gut zu seyn, zur höchsten Nothdurft braucht;
Man sag', es stand bei ihm, sie, wie er wollte, zu schaffen,
Zu Helden oder Thersiten, zu Weisen oder Laffen:

2.

Sehr wohl! Doch wißt, wer Alles, was er kann
Erlaubt sich hält; wer, wenn kein äußres Gesetz ihn bindet,
Der Güte großes Gesetz in seinem Herzen nicht findet,
Und wär er Kaiser im Mond, mir ist er ein Tyrann!
Ich hasse den Dichter — er würde auf einem Throne
Ein Nero seyn — den unser Leiden ergetzt,
Der, bloß, sich uns als Meister vom tragischen Tone
Zu zeigen, seine Geschöpfe aus Jammer in Jammer versetzt

Und, daß wir, sie leiden zu sehn, uns desto empfindlicher grämen, Noch alle Mühe sich gibt, uns für sie einzunehmen;

3.

Der sein Gehirn erschöpft, um sie, durch eine Reih
Von unerhörten Fährlichkeiten
Zu Wasser und Land, ins Verderben zu leiten;
Durch Räuber in wüsten Schlössern, algierische Sklaverei,
Pest, Hungersnoth, Gefahr, von wilden Leuten
Gefressen oder von Heiden mit vielen Feierlichkeiten
Dem Drachen geopfert zu werden; drauf in der Barbarei
Aus einem Fenster (zu dem auf seidenen Stricken
Sein Held im Taumel verliebter Schwärmerei
Empor stieg, der Minne Frucht aufglühenden Lippen zu pflücken)

4.

Durch einen gewaltigen Sprung, der Wuth
Des Bassa, der hier wie ein kleiner Sultan hauset,
Und dessen Säbel ihm schon um beide Ohren sauset,
Entfliehend, den Kopf zu unterst sich in die schäumende Flut
Des lybischen Meeres zu stürzen, die ihn gar unsanft wieget,
Bis, da er nicht mehr kann und just
Sein letztes in manus spricht, ein Boot zu Hülf' ihm flieget.
Auf einmal findet er hier sich an der liebenden Brust,
Für die er das Alles seit langen sieben Jahren
Erlitten, um derentwillen er Länder und Meere durchfahren;

5.

Denn kurz, der Capitain, ein rosenwangiger Held,
Ist — seine Prinzessin selbst, die seit der letzten Scheidung

Durch tausend Gefahren, worin sie die halbe Welt Zu sehen bekam, zuletzt in dieser Verkleidung So glücklich gewesen, der Favorit-Sultane Des Kaisers zu Fez zu Gefallen, viel Gold und eine Tartane, Um heimlich zu fliehen, von ihr empfangen, und so fort. Nun glaubt ihr die Prüfungsjahre der armen verliebten Seelen Vorüber, da günstige Winde sie dem erwünschten Port So nahe gebracht, daß nur noch sieben Meilen fehlen.

6.

Nichts minder! Ein neuer Sturm, dergleichen seit die Welt,
In Angeln geht, noch nie erwandert worden,
Zersplittert ihr Schiff und treibt —ihn durch den großen Belt
Nach Neu-Guinea, sie von Quito zu den Horden
Am Tanais. So irren die Kreuz und die Quer
Durch alle Zonen der Erde die Armen hin und her,
Bis, da sie wohl hundertmal gestäupt, vergiftet, ins Meer
Geworfen, erstochen, gehängt, ja gar beschnitten worden,
Nach sieben entsetzlichen Jahren der ausgemergelte Tropf
Von einem Helden —sein Liebchen, mit abgezogenem Schopf, —

7.

Am Orontario-See — gebraten wieder findet:
Nur halb gebraten zwar, damit der arme Mann
Zu dessen Verfolgung sich Himmel mit Hölle verbindet,
Von ihr, und sie von ihm, noch Abschied nehmen kann.
Nun sag' ich förmlich und erkläre:
Wenn ich Miramolin der drei Arabien wäre,
Und ein romantischer Wüthrich dieser Art,
Ein solcher Tausendkünstler in neuen Seelenqualen,

Beträte mein Gebiet, bei des Propheten Bart! Er sollte mir theuer für Alles dieß bezahlen!

8.

Doch nun besinn' ich mich erst, wie lang ein schuldloses Paar
Auf meine Hülfe schon wartet, das in der Lebensgefahr,
Worin es schwebt, ich länger nicht stecken lassen wollte,
Und wenn ich das Land Dorado dadurch gewinnen sollte.
Denn in dem zehnten Theile von einem Pulsschlag raubt
Don Boreas, der Gift und Flammen schnaubt,
Mit seinem breiten krummen Säbel
Der Schönen einen Verehrer, der wie ein Aetna brennt,
Und macht unglücklicher Weise den Amadis zum Fragment'.
In solchen Fällen hilft Homer durch einen Nebel;

9.

Durch einen Nebel, der zwischen den Feind und den Helden sich stellt:
Allein bei einem Helden, der just zu Boden fällt,
Scheint dieses Mittel, wozu er unentbehrlich
Die Füße braucht, ein wenig zu gefährlich;
Auch stellen wir, nach Horaz, nicht gern Maschinen an,
Wo Zufall oder Witz den Knoten lösen kann.
Um also je bälder je lieber aus diesem Handel zu kommen,
So wisset: es hatte der Neger, der hier als Herr befahl,
Mit seiner Gesellschaft aus einem Gartensaal
Nach aufgehobener Tafel den Weg hieher genommen.

10.

Kaum trat er in den grünen Gang,
Der an die Terrasse führte, wo Amadis kaum noch gestanden,

Als Chatouilleusens Hand ihn aus den Zauberbanden Befreite, so sieht er den Ritter und eine Dame, so lang Sie waren, ihn auf die Nase, die Dame rücklings sinken, Und, einen Augenblick drauf, Don Boreassens Stahl, Mit Wuth gezückt, auf sie herunter blinken. Der Neger war ein Zauberer aus der Zahl Der jovialischen Leute, die gern zum Spaß' euch schrauben, Doch wirklich Böses zu thun sich selten nur erlauben.

11.

Er trieb zur Kurzweil bloß sein Spiel
Mit unsern Rittern und Damen, als ausgemachten Gecken
Und Närrinnen, wie er sagte, die man ein wenig zu necken
Sich kein Gewissen macht, und deren man selten so viel
Beisammen findet. Allein, von Boreassen
Vor seinen Augen im Ernst Tragödie spielen zu lassen,
Das fand er nicht für gut. Er reckte seinen Stab,
Und plötzlich glitscht an unserm liegenden Ritter
Der Streich, den Boreas führt, unschädlich zur Erde herab,
Und seine Klinge zerstiebt in tausend Splitter.

12.

Don Boreas steht betäubt, er sieht sich um, erblickt
Den Neger und eine Dame im Amazonenkleide
Mit schnellen Schritten sich nähernd, erschrickt
Zum ersten Male, (was weder Türk noch Heide
Auf ihn vermochte, seitdem er Athem zieht)
Schießt einen grimmigen Blick auf Amadisen und flieht
Tief ins Gebüsche, sein edles Pferd zu suchen,
Schwingt sich hinauf und jagt mit vielem Fluchen

Und Dräun davon, der süßen Hoffnung voll, Daß unser Ritter ihm noch den Streich bezahlen soll.

13.

Dieß Alles, zu rechnen vom Fall der keuschen Chatouilleuse,
(Der unsers Helden Fall, nicht ohne mancherlei böse
Vermuthungen, nach sich zog) begab aufs längste sich
In zwanzig Secunden. Und Amadisen zum Ruhme
Bemerkt die Geschichte, er habe so züchtiglich
Wie eine Vestalin, die ihre jungfräuliche Blume
Gleich ihren Augen bewahrt, vom Busen der schönen Madame,
Auf den im Fallen sein Mund zu liegen kam,
Zurück sich gezogen. Doch, plötzlich aufzustehen,
Ließ, nach der Sachen Gestalt, der Wohlstand nicht geschehen.

14.

Daß unser Held sich nun grade so benahm,
War (unter uns gesagt) nichts minder als falsche Scham.
Er hatte von zwanzig Secunden zum wenigsten zehn von nöthen,
Dem kleinen Zufall, worin der Neger ihn neulich betreten,
Abhelfliche Maß zu geben. So viele Gegenwart
Des Geistes in einem Umstand der delicatesten Art
Beweiset, nach unsrer demüthigen Meinung,
Für seine Zucht und Weisheit viel:
Doch für den Neger, der schlechtweg nach der Erscheinung
Urtheilte, bewies sein Zaudern gerade das Widerspiel.

15.

So geht's in der Welt! Man schiebt unendlich schnelle
(Oft ohne es selbst zu merken) sich an des Andern Stelle,
Und unsre eigne Tugend ist

Gewöhnlich das Maß, woran man fremde mißt. So schön die Ordnung war, worin der gute Ritter Vom Boden sich erhob, der Neger dachte darum Nicht minder noch mehr. Sogar die junge Dame, die, stumm Und seitswärts stehend, ihn hinter dem dünnen Gegitter Von ihrem Fächer betrachtet, läßt durch Erröthen verstehen, Sie könne sehr gut — durch einen Fächer sehen.

16.

Was Chatouilleusen betrifft, so nehmet selber ab,
Wie wenig der Zufall ihr Muße, sich zu besinnen, gab;
Was sollte, was konnte sie unter allen
Umständen Wenigers thun, als gleich in Ohnmacht fallen?
Ich meine, vom Augenblick an, nachdem das Uebermaß
Von keuscher Furchtsamkeit sich mit dem Ritter ins Gras
Gezogen hatte. Dieß ist für alle Chatouilleusen
In solchen Fällen stets das sicherste Mittel gewesen.
Man weiß nicht, was begegnen kann;
Nicht jeder hübsche Mann ist auch ein weiser Mann.

17.

Gesetzt, er hätte sich nun emanzipiren wollen —
So war der Wohlstand doch gerettet. Hätte sie
Mit Augen ohne Licht, mit aufgelöstem Knie'
Entfliehen und, ohne den Mund zu öffnen, schreien sollen?
Aus gleichem Grunde blieb, sobald Gesellschaft kam,
Die kluge Dame noch immer in tiefer Ohnmacht liegen.
Doch hier verließ, zu ihrem Mißvergnügen,
Den Ritter sein guter Geist. Sie glühte für ihn vor Scham

In ihrer Ohnmacht sogar. Er sollte Himmel und Erde Zu Hülfe gerufen haben, mit Angst in Ton und Geberde:

18.

"Zu Hülfe, mein Herr, zu Hülfe! — Madame, ums Himmels willen,
Ihr Fläschchen mit englischem Salz' und eine Welt dafür!"
Dergleichen Figuren, mit guter Manier
Ins Spiel gemischt, helfen viel, um böse Gedanken zu stillen.
Der Ritter, der, leider! nichts von Allem diesem that,
Hingegen beim Anblick des Mohren und seiner kleinen Brunette
So aussah, als ob man ihn bei einem Hochverrath'
Unmittelbar ertappet hätte,
Schien durch dieß wunderliche Betragen
Sich und die arme Prinzessin stillschweigend anzuklagen.

19.

Vergebens erstattet er ihnen ausführlichen treuen Bericht,
Wie dieser Zufall sich unschuldiger Weise begeben.
Der Neger widersprach zwar nicht;
(So schwarz er war, so wußt' er doch zu leben)
Doch Alles, was der Ritter spricht,
Kann seine schelmischen Zweifel nicht heben.
Ein skeptisches Rümpfen der Nase, wobei er lauernd und scharf
Dem Ritter ins Auge sah, die Lippen überwarf,
Erklärte deutlich genug, er glaube,
Daß jener in seinem Bericht sich einige Freiheit erlaube.

20. Indessen ereignete sich, sobald man Zeit gewann, Sich besser anzusehn, ein Auftritt von Wiedererkenntniß. Zwar winkt die schöne Brunette dem Ritter, was sie kann, Sich fremd zu stellen und ihrer Herzen Verständniß Dem Schwarzen nicht sichtbar zu machen: allein Herr Amadis War nun einmal im Gang, Sottisen zu begehen; "Er freute sich mächtig, (wiewohl sein Blick es nicht bewies) Die Ehre zu haben, das Fräulein wieder zu sehen," Und was dergleichen war, das immer, wie wenig es hieß, Auf alte Bekanntschaft den Neger schließen ließ.

21.

Nun war für Colifichon, um Aergerm vorzubeugen,
Kein Rath, als den Gruß zu erwiedern, dem Mohren, das wir schon
Von ihrer Bekanntschaft wissen, zu beichten und bloß davon,
Wie nahe der schöne Ritter am Herzen ihr lag, zu verschweigen;
Dieß Alles war schön und gut. Allein die Nymphe im Gras,
Die man bei dieser Erzählung ein wenig zu lange vergaß,
Ward, wie natürlich, zuletzt der Ohnmacht überdrüssig,
Als eben, da sie, voll Grimm, selbst aufzustehen schlüssig
Und nah' am Bersten war, der holde Amadis
Sich endlich (ein wenig spät) um sie bekümmert wies.

22.

Auf einmal fing er an, gewaltig Lärm zu machen;
Das Fräulein eilte sogleich mit ihrem Salz' herbei,
Erkannte die Schwester mit einem zärtlichen Schrei',

Und beide thaten, was nach Gestalt der Sachen Erfordert wurde, mit aller Ziererei Des strengsten Wohlstands wieder zum Leben zu erwachen. Wie zärtlich die Töchter Bambo's einander an die Brust Gedrückt, mit welchem Strome von Worten sie sich die Lust Des Wiedersehens bezeugt, ist überflüssig zu sagen: Doch schien der erste Blick in beider Augen zu fragen:

23.

"Kennst du den Ritter auch?" und schon im ersten Blick
Strahlt jeder aus dem Auge der Schwester
Die Nebenbuhlerin zurück.
Viel eher werden drei Jungen sich um die Zeisignester
In Güte vertragen, als um ein einzelnes Herz
Zwei Schönen, Schwestern zumal. Sie hatten in wenig Secunden,
So fein sich jede glaubt, einander aufgefunden
Und, mitten unter halb lachendem Scherz'
Und kalten Küssen und wiederholtem Umfassen,
Was jede in petto verschloß, sich deutlich merken lassen.

24.

Daß übrigens Chatouilleuse es sich zur Pflicht gemacht,
Der ernsthaft horchenden Schwester, die nur ins Fäustchen lacht,
Von Allem Bericht zu ertheilen, was, seit sie ihre Tugend
Vor jenem gefährlichen Riesen in Sicherheit gebracht,
Ihr zugestoßen, und daß sie mit gutem Bedacht
Nichts angeführt, was nicht Frau Beaumont ihrer Jugend
Zum Beispiel' erzählen dürfte; daß Vieles wunderbar

Und edel und schön in ihrer Erzählung geworden, Was ganz natürlich, doch ihr nicht allzu rühmlich war, Das Alles erwartet man schon von Damen aus ihrem Orden.

25.

Ihr würde, hätten sie sich allein
Gesehen, Schwester Colifichette,
Die gleichfalls dieß und das zu beichten gefunden hätte,
In diesem Punkte nichts schuldig geblieben seyn.
Welch Mädchen prahlt nicht gern mit einem solchen Verehrer,
Wie Amadis war? Allein sie haben den Neger zum Hörer,
Aus dessen gläsernen Augen der Argwohn sichtbar schielt.
Und billig mußt' er es übel empfinden,
Den Ritter zum zweiten Mal schon in seinem Wege zu finden,
Eh noch die Erinnrung des ersten sich völlig abgekühlt.

26.

Doch sein Verdacht begann allmählich zu verschwinden,
Indem der schöne Paladin
Der schlauen Colifichon coquettisches Bemühn,
Mit ihren Blicken sein Herz zu umwinden,
Mehr auszuweichen als zu begünstigen schien.
Die seinigen waren so ganz in Chatouilleusens Busen
Und feuchten Augen concentrirt,
Als ob — Da haben wir's! Nun fehlt ein Reim auf Busen!
Und wer aus Hübners Register mir einen allegirt,
Erit mihi magnus Apollo! — Denn jene von Musen, Medusen,

27.

Kreusen und Arethusen und andern griechischen usen
Sind gar zu abgenützt. Auch schwör' ich bei allen Busen

Der großen Diana, wenn wir dereinst nach Lampedusen Mit Dorval, Diderot und einer Colonie Von tapfern Constanzien ziehn, die schöne Demokratie Von Philosophen anzupflanzen, Wo Essen und Trinken und Lieben und Singen und Tanzen Und in die Komödie gehn der Finis bonorum ist: Soll durch ein Grundgesetz, bei Strafe, auf Zwirn zu tanzen, Der Reim, um dessentwillen ein Mann die Nägel sich frißt,

28.

Aus unsrer Republik verbannt seyn! — Doch, Vergebung
Der Geist Capriccio führt, trotz aller unsrer Bestrebung,
Uns öfter, als er sollte, in Seitenwege hinein;
Wir wollen in Zukunft, wo möglich, weiser seyn!
Die Rede, denk' ich, war — von Chatouilleusens Busen,
Worin, trotz ihrem Fichu, Herr Amadis sich so sehr
Verloren hatte, daß zwanzig Empusen
Und alles Getümmel von einem wüthenden Heer'
Und alle Coquetterie von hundert Colifichetten
Aus seiner Träumerei ihn nicht gezogen hätten.

29.

In kurzem überzeugt er sich,
Daß dieser Busen sehr viel dem nämlichen Busen glich,
Der ihn, zwar nur gemalt, im Thurm des Druiden entzückte.
Mit jedem Blick' entdeckt sich ein neuer Zug
Von Aehnlichkeit. Nun war der Enthusiasmus im Flug'!
Es war sein Ideal, was er verkörpert erblickte;
Der wollust-athmende Reiz, gehüllt in Sittsamkeit,
Auf ihre ganze Person ergossen;

Die Grazie voller Ernst, die, in sich selbst verschlossen, Gesucht seyn will, nicht sich entgegenbeut;

30.

Dieß beides, vereint, zeigt ihm in Chatouilleusen
Die Göttin, die er längst zur Dame sich erlesen.
Was vorging in seinem Herzen entdeckt ihr ein schmachtender Blick,
Mit einem Seufzer, den er, aus seinen Lippen zu eilen
Begriffen, noch früh genug hascht, ihn in zwei Hälften zu theilen;
Die eine drückt er in seine Brust zurück,
Die andre darf ihr nur mit leisem zephyrischen Tone
Gestehen, wie sehr er brenne, und bitten, daß sie ihn
Mit allzu grausamen Proben verschone;
Denn — ihre Tugend schreckt den armen Paladin!

31.

Mit welchem Grunde, soll der Leser bald erfahren;
Wir haben sie lange genug in ihrer Maske gesehn,
Und, um die Wahrheit nicht zu sparen,
Wir ließen von ihrer Maske uns keine Nase drehn.
Sie war dazu gemacht, von seines Platons Lehren
Den alten Niphus zu bekehren,
Dem äußere Schönheit der innern Wiederschein heißt.
Mein guter Niphus, dich und deinen Plato in Ehren!
Der schönste Leib beweiset für den Geist,
Was ein vergüldeter Schild für echten Wein beweist.

32.

Indessen hatte die Dame ein Temperament gefunden,
Durch welches Geist und Leib bei ihr

In schönstem Einverständniß stunden: Sie hatte das Interesse von beiden klüglich verbunden, Sie nährte den Geist mit Witz und mit Vergnügen das Thier. Dieß hätte man allenfalls ihr noch übersehen können. Allein die Gleißnerei! Dem Ansehn nach so kalt Wie Eis zu seyn und ingeheim zu brennen; Die strengste Richterin von jeder, die man liebt, Und deren Werth oder Reiz dem ihrigen Schatten gibt;

33.

Die Freuden verdammen, die ihr am meisten gefielen,
Und während sie, klug wie ein Almanach,
Maximen und weise Sprüche und Lebensregeln sprach,
Stets niederwärts mit ihren Blicken zu zielen:
Dieß, wir gestehen's, sind Züge, die ihrem Charakter nicht
Viel Ehre machen, so viel sie von ihrer Tugend spricht,
So ehrbar sie thut, so subtil sie sentimentalisiret,
So schlau die Grazien sind, womit die Kunst sie zieret,
So niedlich ihr Fuß, so schön ihr Busen ist,
Und so vergeistert der Ritter die kleine Hand ihr küßt.

34.

Empfindlich hatte sie wohl schon mehr als Einer gesehen;
Nur die Gefälligkeit, es zu rechter Zeit zu gestehen,
Nur dieß, was durch den Zauber der süßen Sympathie
Die Lust verdoppelt, gewann man niemals über sie.
Jetzt wurde zum ersten Mal' in ihrem ganzen Leben
Die Maske ihr etwas beschwerlich: allein
Zu zärtlich oder es auch vielleicht zu früh zu seyn,
Dieß, denke sie, hieße ihm zu verstehen geben,

Sie habe, da er noch wie eine Herma stand, Ihn schärfer ins Auge gefaßt, als sie bekennbar fand.

35.

Selbst Dindonette würde so etwas nicht gestehen!
Und gleichwohl war es nicht leicht, gewisse Nebenideen
Sich aus dem Sinne zu schaffen, so oft ihr schleichender Blick
Auf seiner Person verweilte, die wirklich ein Meisterstück
Der Plastik war; noch schwerer, nicht röther als Scharlach zu werden,
Wenn etwa, bei aller Sorgfalt, ihr Auge sogleich zur Erden
Herunterglitschen zu lassen, der Ritter sie über der That
Ertappte. So richtig ist's, daß Niemand sein Gewissen
So gänzlich, wie er wünscht, zu seinen Diensten hat.
Was hatte sie denn zu befürchten von seinen Schlüssen?

36.

Gewiß ist; daß er um das, was ihre Bewundrung erregte,
Da er noch Marmor schien, sich selbst kein Stäubchen mehr
Als andre Leute zu achten pflegte.
Er hielt es, wie billig, für so ein Ungefähr
Wie Schönheit, Geburt und Gold und andre solche Gaben,
Um derentwillen wir kein Recht an Beifall haben.
Sehr ferne war er demnach von jenem bösen Verdacht,
Den sie in ihm nicht aufzuwecken
So ängstlich war; und, glaubt er in ihrem Blick zu entdecken,
Was seiner Liebe Hoffnung macht:

37.

So nennt er's Sympathie, nennt tugendhaftes Erröthen
Die Glut, die ihren Wangen von Anemonen-Beeten

Die Farbe gibt. — So viel gewinnet man Bei diesen schwärmerischen Herren! Man braucht sein Cabinet vor ihnen nicht zu sperren. Gesetzt, sie träfen euch bei einem Giton an, Sie fänden ihn sogar auf eurem Sopha liegen: Sie dächten das Beste davon, das glaubet sicherlich! Und würden, ehe sie euch für schuldig hielten, an sich Den Frevel ihrer Augen rügen.

—————