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C. M. Wieland's Werke.

Zehnter Band.

Fünftes Buch.

In solchen Gedanken erreichte mein Held
Das Schloßthor, ohn' es zu gewahren.
Das haben Verliebte von zwanzig Jahren
Voraus! Sie könnten die weite Welt
Umgehn, umtrotten und umfahren:
An guter Gesellschaft leiden sie
(Zumal in Wüsten) niemals Mangel;
Sie kämen, mit ihrer Phantasie
Allein, von Goa nach Archangel
Und Lissabon und wüßten nicht wie.
Die Iris that hier wieder das Beste.
Das Thor ging auf. Mein Paladin,
Geputzt als wie zu einem Feste,
Geht ein, durchwandert wie letzthin
Viel Gäng' und Säle und findet — (ich wette,
Ohne den Reim da hättet ihr's nie
Errathen) das Fräulein — schon im Bette.
Im Bette! — Das heißt die Galanterie,
Denkt ihr, ein wenig weit getrieben!
Dem Ritter selbst, beim ersten Blick,

Wollte der Umstand nicht belieben. Er stolpert' einen Schritt zurück, Wiewohl der Vorhang auf allen Seiten Gezogen war. — "Wie soll er's deuten? Was kann sie meinen?" — Kurz, ihm war Nicht heimlich dabei. — Doch hätt' er den Staar An beiden Augen haben mögen, Er hätte nicht mehr als jetzt gesehn, So richtig schloß der Vorhang, so schön War Alles in Ordnung. — Ungesehn Und ohne sich (wie es schien) zu regen, Entschuldigte sich die Dame wegen Dem ungewöhnlichen Empfang Mit einer Migraine vom ersten Rang, Bat ihn, am Bette ungescheut In eine Bergere sich zu pflanzen, Und ließ trotz ihrer Unpäßlichkeit Gar weidlich ihre Zunge tanzen; Erzählt mit Laune, satirisirt, Malt Portraits, wie Marivaux nicht feiner Sie malt', und macht (wie sich's gebührt, Damit die Erzählung interessirt) Das Kleine größer, das Große kleiner. Das ging wie ein Wetter! Blitz auf Blitz, Einfall auf Einfall! Empfindung und Witz In ewigem Wechsel! Und solch ein Leben In ihrem Ausdruck! die Farben so warm! Die Schatten so sanft, man sah sie schweben!

Alles so leicht, so ohne Bestreben, Zu schimmern, und doch so fein gegeben! Und selbst ihr Spott so ohne Harm!

Herr Gandalin, mit verschränktem Arm
Und Augen, die seinen Ohren hören
Helfen möchten, (auch wär' es Kunst,
Was anders hier zu thun als hören)
Sitzt da, als wie im Nektardunst
Ein Gott beim Lustgesang der Sphären,
Und wünscht, es möchte so ewig währen.
Und gleichwohl, Freunde, wollt' ich schwören,
In minder als einer Stunde lang
War ihm — vor lauter Wohlseyn bang.
Wie sollt's auch anders? Natur bleibt immer
Natur! — Ein junges Frauenzimmer
Im Bette — da denkt sich die Phantasei
Gleich allerlei Nebendinge dabei;
Und er, so nah' in seiner Bergere,
Dem Zug der magischen Atmosphäre
So ausgesetzt! — Wir wissen zwar,
Wie gut der Vorhang gezogen war:
Doch, wär' er auch mit Nadeln verriegelt,
Mit Distelköpfen garnirt, ja gar
Mit Salomons großem Ringe versiegelt;
Das bessert die Sache nicht um ein Haar.
In solcher Verfassung ist eine Schöne,
Und wäre sie bis an die Zähne
Wie eine Mumie einballirt,

Dem innern Auge nicht mehr drappirt, Als Venus Anadyomene; Das heißt — nicht allzu gut verwahrt!

Wenn dann noch, wie bei Gandalinen,
Die Neugier mit dem Instinct sich paart;
Die Dame hinter den Gardinen
Ein Wesen gar von höherer Art,
Ein Wunder der Welt, die zehnte Muse,
Die vierte Charis, die zweite Meduse,
Kurz, etwas ist, woran die Natur
Sich ungewöhnliche Mühe gegeben,
Und ihren Schleier aufzuheben
Von allen Sterblichen Einem nur
Vergönnt ist; und dem Manne neben
Dem Bette flüstert Satan ein:
"Er könnte vielleicht der Einzige seyn" —
Gesteht, bei so bewandten Sachen
Hätt' es euch selbst, so klug ihr seyd,
Begegnen können, aus Menschlichkeit
Wohl einen dummen Streich zu machen!
Dem Ritter wurde zum Schwitzen warm;
Er streckt bald dieses Bein, bald jenes,
Stemmt sich auf diesen und jenen Arm
Und hört von Allem, was sie ihm Schönes
Und Witziges sagt, wie zwischen Traum
Und Wachen, wohl die Hälfte kaum;
Hat immer auf Einfäll' oder Fragen
Nichts — oder was Ungeschicktes zu sagen;

Scheint viel zu denken, an seinem Daum Nagend, und immer sich selbst zu fragen: Was dacht' ich da? — Man will gar sagen, Er hätte des Vorhangs äußersten Saum, Zun Häupten, mit Zeigefinger und Daum Ganz sacht' ein wenig weggeschoben: Allein zu einer Beschuldigung Von solcher Schwere gehören Proben! Herr Gandalin war freilich jung; Und, Alles erwogen, was wir oben In Rechnung gebracht — genug, zum Glück' Erzählte im nämlichen Augenblick, Da die Gefahr, sich zu vergessen, Aufs höchste stieg, die Dame just: "Wie ein Französchen sich einst vermessen Wollen, und wie sie ihm die Lust Dazu vertrieben." — Nicht anders, als zücke Ein Blitz gerad' an ihm vorbei, Schnappten beim ersten Worte die drei Schon ausgestreckten Finger zurücke: Und so ersparte ihm dieses Mal Der gütige Zufall eine Qual — Wovon die mächtig große Zahl Der Leutchen, die sich nichts übel nehmen, Nie was begreifen konnten — die Qual, Sich seiner vor sich selbst zu schämen!

Was konnte der gute Ritter nun
Für seine Sicherheit Klügers thun,

Als stracks, wie Fräulein im Erzählen Pausirte, nach der Uhr zu sehn, Sich ihr zu Gnaden zu empfehlen Und sachte seiner Wege zu gehn? Nun ließ er's zwar daran nicht fehlen; Er ging. Allein ich weiß nicht was Ging mit, sobald er den Rücken wandte, Das ihn wie Feuer im Busen brannte. Es war nicht Liebe — es war nicht Haß — Denn, wenn er sie liebte: warum denn nannte Er ihren Namen sich selber nie? Die Unsichtbare, die Unbekannte, Das Fräulein, wie heißt sie schon? — und nie Je länger je lieber! — Haßt' er sie: Woher die tödtliche Langeweile, Wo sie nicht war? — und ewig: "Was mag Die Glocke seyn?" den ganzen Tag, Und immer geklagt, die Sonne theile So ungleich mit der Nacht! — und dann, So bald sie untergeht, die Eile, Die Ungeduld! — und die Laune, wann Der König ihn ungefähr bei Hofe Zurück hält, oder die Kammerzofe Des Fräuleins (wie sich's dann und wann Begab) die leidige Nachricht brachte, Sie sey aufs Land, sie übernachte Bei einer Freundin, oder so was, Das seine Hoffnung zu Wasser machte!

Ich weiß nicht — aber Alles das
Macht seinen Zustand schier verdächtig,
Doch muß man sagen, (so wenig der Schein
Ihm schmeichelt) er blieb doch seiner mächtig;
Blieb immer standhaft bei seinem Nein,
Wenn Fragen an sein Gewissen pochten,
Die ihm verfänglich scheinen mochten.
Die Schwüre, die er von Zeit zu Zeit
In dieser versuchungsvollen Lage
Der holden Sonnemon erneut,
Gewannen nun mit jedem Tage
Um so viel mehr Verdienstlichkeit,
Weil eine kleine Begebenheit
Die vorbesagte Lage ziemlich
Verschlimmert hatte. Die Sache ist zwar
Des Ritters Klugheit nicht sehr rühmlich;
Allein was thut das? Wahr ist wahr!
Gewohnheit, Vorsatz oder beide
Hatten die oberwähnte Begier
Nach unerlaubter Augenweide
(Wovon er mehr als einmal schier
Das Opfer geworden) unmerklicher Weise
Eingeschläfert; doch freilich so leise,
Daß auch der leiseste Mückenstich
Sie weckte. Nun hatte des Fräuleins Zofe
Die Art von vielen Mädchen bei Hofe,
Die gern' in Alles, sonderlich
In Herzenssachen, ihr Schnäuzchen stecken

Und, wär's auch nur für Andre, sich Mit Amorn gar zu gerne necken. Besonders nahm sie die schönen Knaben Gelegenheitlich in ihren Schutz, Die über Kaltsinn oder Trutz Von ihrer Göttin zu klagen haben. Sie hörte sie voller Mitleid an, That, was sie konnte, den armen Sündern Die Schmerzen mit ihrem Troste zu lindern, und hätt' oft gerne noch mehr gethan.

Mit solcher Neigung zu Liebeswerken
Fiel's ihr nicht eben schwer, zu merken,
Daß unsern Ritter der ewige Zwang,
Das Fräulein nur hinter Wolken zu sehn,
Zu manchem stillen Seufzer drang.
Das ließ sie sich so zu Herzen gehn,
Daß sie zu etwas sich entschloß,
Das unter allen Zofen auf Erden
Nicht zwei — der dritten verzeihen werden.
Urtheilet selbst! — Des Fräuleins Schloß
Stieß hinten an einen großen Garten,
Und schlängelnd durch den Garten floß
Ein Bach, mit Büschen aller Arten
Umgeben, Hollunder und Jasmin,
Rosen, Acacia und so weiter —
Auf glatten Kieseln, still und heiter,
Rieselt' er zwischen den Büschen hin
Sich windend, blinkte wie ein Spiegel

Bald da bald dort durch wankendes Rohr Und dünn gewebte Zweige, verlor Allmählich sich hinter einem Hügel Voll Bäume, kam anderswo hervor, Machte bald kleine Wasserfälle, Bald unter Felsen und wildem Gesträuch Zum Baden eine sichre Stelle, So heimlich, still und dunkel, daß euch, So wie ihr den Ort betratet, gleich Die Lust zu baden ergriff. —

— "Herr Ritter,
(Sagte die Zofe) Sie dauern mich!
Mein Fräulein macht ihnen das Leben bitter.
Sie ist auch gar zu wunderlich!
Auf ihre Gefahr! — Zum wenigsten — ich
Ich habe kein Herz, den armen Nächsten
So leiden zu sehn! gestehe gern,
Ich bin auf diesem Fleck' am schwächsten
Und denke, schöne junge Herrn
Sind drum nicht weniger unsre Nächsten
Als andre Leute — kurz und gut,
Sie sind doch unser Fleisch und Blut!
Und, Gott verzeih mir's! die armen Seelen
So heidnisch zu plagen und zu quälen,
Ist wahrlich Sünde; ich legte dafür
Die Hand ins Feuer! — Wohlan, Herr Ritter,
Ich schaffe Rath. Was geben Sie mir,
Wofern' ich Ihre Neubegier —

So viel als hinter einem Gitter Von Laub und Buschwerk möglich ist — Noch diesen nämlichen Abend stille?"

Der gute Ritter, in der Fülle
Der trunknen Freude, herzt und küßt
Das Mädchen und leeret seine Säcke
In ihre Schürze! — Kurz, noch heut
Verspricht die Zofe ihm ohne Decke
Ihr Fräulein zu zeigen. Ort und Zeit,
Mittel und Weg, Gelegenheit
Des Bades, und Alles lang und breit
Wird ihm aufs klärste vorgespiegelt;
Anbei, zu mehrerer Zierlichkeit,
Der Handel mit einem Kuß versiegelt.
"O Ritter, Ritter Gandalin!
Wo kommt's mit Eurer Treu noch bin?
Wer hätte sich deß zu Euch versehen?" —
Es ist, ich muß es selbst gestehen,
Abscheulich! — "So geht's! — wie oft ist's euch
Seit Adam und Eve bewiesen worden! —
So geht's, wenn Menschen — die doch zum Orden
Vernünftiger Wesen gehören — sich gleich
Bei jeder Versuchung von ihren Begierden
Hinreißen lassen! Moralisirten
Die Leute nur sieben Minuten lang
Mit kaltem Blut erst über die Sachen,
Sie würden solche Streiche nicht machen!
Allein da läßt man sich vom Hang

Der sinnlichen Lüste" — Herr Sittenlehrer, So dankt dem Himmel doch dafür, Daß es so ist! Was wolltet denn ihr Beginnen, ihr andre Weltbekehrer, Wenn's anders würde? — Ich wette, dann Wär's wieder nicht recht! An aber und wann Wird's eures Gleichen nimmer fehlen. Jetzt, da wir nicht klüger sind — als ihr, Ist ewiger Hader: würden wir Weiser, (wiewohl die Natur dafür Gesorgt hat!) so ging' es an ein Schmählen Auf unsre Weisheit. — Ich sag' es auch, Es ist ein gar garstiger böser Brauch, Daß sich die Leute so gern vergaffen, So sorglos in jede Grube hinein Stolpern und immer, wie wahre Laffen, Erst raisonniren hinter drein! Die ersten Menschen, die wir erschaffen, Die sollen ganz andre Leute seyn! Inzwischen sparen wir unsre Lunge! Was hilft das ewige Hadern und Schrein? Wir schrein am Ende doch nichts hinein Und nichts heraus!

Der gute Junge
(Um wieder nach diesem Seitensprunge
Auf ihn zu kommen) hatte kaum
Nach Zöfchens Abschied ein wenig Raum,
Sich zu besinnen, flugs erwachte

Die bessere Seele aus ihrem Schlaf' Und sah, was ihre Rivalin machte. Anfangs guckte sie wie ein Schaf, Bestürzt und mächtiglich verlegen. Der Streich war gleichwohl zu verwegen! Doch stritt sie, nach ihrer guten Art, Zuerst gelassen mit Gründen dagegen. Allein, da jene, nach ihrer Art, Statt Gründe bei Gränen abzuwägen, Nur platt auf ihrem Sinn beharrt, So kam's von Worten zuletzt zu Schlägen. Die Heldin kämpfte ritterlich Auf Leben und Tod, auf Hieb und Stich; Nur für den Erfolg kann Niemand stehen, Zumal in diesem Seelenkrieg! Die blonde Seele verdiente Trophäen: Allein — was ihr vorher gesehen, Geschah — die braune behielt den Sieg.

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