C. M. Wieland's Werke.
Zehnter Band.
Viertes Buch.
Es war just um die Dämmerungszeit, Kurz eh den Weg der Sonnenpferde Der junge Morgen mit Rosen bestreut, Als unser Ritter, allein und still, Wie einer, der nicht bemerkt seyn will, Durch Seitenwege nach Hause kehrte. Der Fluß, das Thal um ihn herum, Die Hügel, Alles um und um Lag noch in ungewissem Schatten; Verworren Erdreich, Wasser und Luft Und tausend Formen, auf Angern und Matten Schwimmend, die sich im grauen Duft' In wunderbare Gestalten gatten. Der Ritter hatte deß wenig Acht, So gut es zu seinem Zustand paßte. Das Abenteuer dieser Nacht (Wovon er immer je minder faßte, Je mehr er sann) stand wie ein Gesicht Vor seiner Stirn' und blieb da stehen; Er mochte sich, wie er wollte, drehen, Die Augen schließen oder nicht, Er mußt' es immer vor sich sehen. |
Allein, als jetzt das siegende Licht, Aus Osten herab ein Meer von Klarheit Schüttend, auf einmal die ganze Natur Entzauberte, wieder das Reich der Wahrheit Herstellt' und Hügeln, Thal und Flur, Flüssen und angestrahlten Hainen In ihrer wahren Gestalt zu erscheinen Gebot: da wurde dem Ritter, als ob Ein Traum vor seinen Augen platzte. "War's nur ein Nachtgeist, der ihn faßte, Aus Mohnduft alle die Täuschungen wob Und ihm für Wahrheit unterschob? Was soll er glauben? — So unwahrscheinlich, So traumhaft Alles von Anbeginn! Und gleichwohl seinem eignen Sinn Nicht trauen dürfen, ist gar zu peinlich!" |
Drum fängt er wieder von vornen an, Malt Alles vom ersten Augenblicke Sich wieder vor, von Stück zu Stücke: Die Jungfrau, die ihn seiner Bahn Entführte; das Gothenschloß, die enge Wendeltreppe, die langen Gänge, Das Zimmer, das sich ihm aufgethan Und wieder sich hinter ihm zugeschlossen, Die Decke, von der sich Blumen ergossen Aus goldnen Körben, die keusche Susann Mit ihrem Busen, das Ruhebette, Von zweier Kerzen Silberschein |
Er war nun mittler Weile wieder Nach Hause gekommen und hatte kaum, Um etwas Ruhe zu pflegen, sich nieder- Gelegt, als Sonnemon im Traum' Ihm dar sich stellt, mit strafenden Blicken Ihm seine Untreu vorzurücken. Sie ist's in ihrer Schöne! so ganz, |
Der Traumgott, um ihn baß zu quälen, Zeigte sie ihm im Morgenkleid, Dem tausend Kleinigkeiten fehlen, Die, nach der strengern Sittsamkeit, Gerade das Reizendste verhehlen. In freien Locken spielt ihr Haar Um einen schwanenweißen Nacken; Die Brust beschattet ein Zwillingspaar Vollblühender Rosen, von ihren Backen An Röthe beschämt. So nymphenhaft Schwebt sie in ihrem Röckchen von Tafft Im Grase daher, als schwämme sie oben Oder würde vom sanften Hauch Der Amoretten emporgehoben. |
O Reim! den werd' ich nimmer loben, Der dich erfand! Zum Henker auch! Da muß nun hinter einem Strauch, Bloß dir zu Gefallen, mein Träumer stehen, Um seine Prinzessin kommen zu sehen! Und stand er (wie's doch möglich war) Auch wirklich hinter einer Laube, |
Träume (das Sprichwort sagt's) sind Schäume. Freidenkerei! — Von Alters her Dachte man anders. Im Vater Homer Und weiter hinauf sind immer Traume Der Götter Werk, nicht Gaukelspiel Der Phantasie. So war's am Nil, So war's am Ganges; ist so gewesen Bei Allen, die nie im Hume gelesen: Mit einem Wort, es ist Menschengefühl! Kein Wunder also, daß unserm Ritter, Der noch den Kopf voll Urgroßmütter Hatte, die Deutung des Traumgesichts Zu schaffen machte. "Er hatte doch nichts Sich vorzuwerfen! Zärtlicher, treuer, Gewissenhafter (dieß Zeugniß gibt Sein Herz ihm) hatte noch Keiner geliebt. Anlangend die Dame im Doppelschleier, Die hatt' er gesehen, als säh' er sie nicht; Ihr eine Gabe zu versagen, |
Indem er bei sich selbst dieß spricht, Erscheint mit fröhlichem Angesicht Die Iris der Dame Je länger je lieber, Zu fragen, wie er geruht, und ihn Auf diesen Abend zu ihren Frauen Zu bitten. "Sie wissen, Herr Gandalin, Den Weg nun selbst; und, im Vertrauen, Die Reise wird sich wohl verziehn. Dem Fräulein bekam das Tête à Tête Nicht gar zu wohl. Auch, nehmen Sie mir Nicht übel, bis zur Morgenröthe, Das geht ein wenig über Gebühr!" |
"Wie? sollte sie sich nicht wohl befinden? Fragt Gandalin. — "Ein wenig blaß, Und Kopfweh — was bedeutet das? Es wird bis Abend schon verschwinden!" |
Nun, weil wir hier allein sind (spricht Der Ritter), sage mir — unterm Siegel Der Freundschaft — ist denn ihr Gesicht So gar gefährlich, wie man spricht? Ich zweifle an ihrer Schönheit nicht; Doch, unter uns, es gibt so Spiegel, Die manchmal — Du verstehst mich schon! |
"Wie? (ruft das Mädchen) nach einer so langen Beichte noch fragen aus diesem Ton? Die Zweifel wären Ihnen vergangen, Dächt' ich?" — Wie so? (spricht Gandalin) Du kannst mir sicher glauben, ich bin Nach Allem, was ich von ihr gesehen, Um nichts gelehrter als vorhin. Ich habe Schleier und Röcke gesehen, Sonst nichts — (hier ward er feuerroth, So zärtlich war er von Gewissen!) |
Um so viel besser! Danken Sie Gott! Mehr hätten Sie theuer bezahlen müssen; Sie können mir's glauben, ungestraft Hat noch kein Mann sie angegafft; Schwör' Ihnen bei meiner Jungferschaft, Es ist noch Keinem wohl bekommen, Der sie in Augenschein genommen!" |
Wenn's so ist, sollte mich's fast gereun, Zum Schirmer mich erboten zu haben, Versetzt mein Held. Stets um sie zu seyn, Und eine Dame von solchen Gaben Nie anders als in Decken begraben Zu sehen, wird zuletzt zur Pein. Die Augen wollen doch auch was haben! |
"In ihrem Anschaun glücklich zu seyn, Ist einem Einzigen aufgehoben, Herr Ritter. Das Vorrecht ist nicht klein! Es lohnt sich der Mühe, der Eine zu seyn! |
Der übrige Theil des Tages verstrich, Sich auf den Abend anzuschicken, Und mit den letzten Sonnenblicken Trabt euch mein Ritter, endelich, Wohin ihn Pflicht und — Neugier führten. Denn diese, so sehr er seiner Begierden Sonst Herr war, plagt ihn doch fürbaß. Zwar, daß die Dame so sehr ein Drache Von Schönheit wäre, schien ihm Spaß; Doch etwas war doch an der Sache, Und just genau zu wissen was, Das war's! Auch warf ihm Satanas Ganz leise den Einfall in die Quere, Es diene schlechterdings zur Ehre Der unvergleichlichen Sonnemon, Gewiß zu seyn (zwar war er's schon), Welche von beiden die Schönste wäre. Wenn's gleich bei ihm entschieden war, Die Welt ist launisch! Immer besser, Wenn solche Punkte ganz und gar Im Klaren sind! — Ein wenig größer Als Sonnemon mochte die Fremde seyn, Das gab unleugbar der Augenschein; Es mochte drei Finger breit betragen; |