C. M. Wieland's Werke.
Zehnter Band.
Drittes Buch.
Da steht nun mächtiglich betroffen Mein Ritter, wie einer, der eben itzt Den Flammen in einem Traum entloffen, Hald aufgefahren im Bette sitzt, Noch zweifelnd, wiewohl die Augen offen, Ob Wahrheit oder Phantasei Ihn aufgeschreckt. — Zwar, daß er wache, War eine ausgemachte Sache; Nur riecht so Alles nach Feerei Um ihn herum! — man kann nicht wissen! Wohl! dacht' er, wir werden's wagen müssen; Ich bin auf alle Fälle dabei! |
Die Wahrheit war, man brauchte nun eben Kein großer Eisenfresser zu seyn, Sich muthig in diese Gefahr zu geben; Denn Alles sah ganz freundlich drein. Es kurz zu machen — denkt euch, beliebig, Ein großes Gemach, altfränkisch verziert, Die Decke von Schnitzwerk, sehr ergiebig Mit goldnen Blumenkörben staffirt, |
Dann seht auf einem kleinen Tische Zwei Kerzen und einen Schirm davor Und in der Mauer eine Nische, Wie ein Gezelt von reichem Mohr', Und in der Nisch' ein türkisch Bette Von gelbem silberbeblümtem Damast, Und nun — und nun, wie weiter? — Ich wette Zu rathen, worauf ihr Herren paßt? Da, denkt ihr, soll zu eurem Vergnügen So eine schlafende Venus liegen, In Tizianischem Nachtgewand, Die obere Hälfte mit Luft umworben, Und, wo die Decke sich verschoben, Ein rundes Knie heraus gehoben, |
So heimlich zu thun mit Gottes Gaben, Däucht unserm Ritter sonderbar. Sonst sind die Damen nicht so gar Mißgünstig, die was zu zeigen haben! Und (was hier am verdächtigsten war) Ein dicht gewebter doppelter Schleier Verbirgt sogar ihr Angesicht; |
"Desto schlimmer! |
(Denkt ihr) das fängt verdächtig an! Und seine Treu?" — Darüber entscheide Die Zeit; die werde, was sie kann! Genug, die Dame im Maskenkleide Hieß unsern Mann (der ehrfurchtsvoll Noch immer weiter, als man soll, Zurück stand) etwas näher treten. Herr Ritter, sprach sie, daß ich Euch So außer der Zeit zu mir gebeten, Sieht ziemlich den Abenteuern gleich, Die Eures gleichen jungen Degen Wohl häufig aufzustoßen pflegen. Doch, darf ich Euch was bitten, so sey's Fürs Erste, bis wir uns besser kennen, |
Der Klang von ihrer Stimme, wiewohl Gedämpft durch ihren doppelten Schleier, Tönt ihm, als wirbelte hoch vom Pol Der Nachklang einer Engelsleier In seine Seele. "Welch Angesicht, Wenn's dieser Sirenenstimm' entspricht!" Denkt er und weiß ein Weilchen nicht, Wie ihm geschieht; faßt doch sich wieder So bald als möglich, läßt vor ihr Züchtiglich auf eine Knie sich nieder, Und: Dame (spricht er), glaubet mir Auf mein Gesicht, mein Herz ist bieder, Und Arges zu denken von der Zier Der Schöpfung war mir stets zuwider. Drum leget keine Bedenklichkeit, Mich Eures Anschauns zu gewähren. Ich wollte, so eingesponnen Ihr seyd, Auf Eure bloße Stimme schwören, Ihr könntet des Schleiers wohl entbehren. |
Die Dame bitter ihn aufzustehn Und, ohne Schmeichelreden zu drehn, Die ihre Sittsamkeit beschämen, Von einem Schämel Besitz zu nehmen, Der neben ihm steht. Herr Gandalin, |
"Ich lasse vorüber, |
Von welchem Haus' und Stand' ich bin. Mein Blut fließt weder heller noch trüber Darum. So was, in meinem Sinn. Kommt nicht in Anschlag. Genug, ich bin; Da gibt's nichts drunter und nichts drüber. |
"Ich weiß nicht, welche Gevatterin Gab mir den Namen Je länger je lieber Bei meiner Geburt —" |
Je länger je lieber? |
Rief Gandalin. — Je länger je lieber? Ruft (wie ich bereits verständigt bin) Einhellig Leser und Leserin. |
"Nicht anders, mein Herr, Je länger je lieber! Und (was ich nicht bergen kann) man fand Ganz deutlich in meiner rechten Hand, Von allen Helenen aus Griechenland Und allen Julien an der Tiber Würde nun neben Je länger je lieber Künftig so wenig die Frage seyn, Als von den Sternen bei Sonnenschein. |
"Kaum war die kleine Je länger je lieber Ueber ihr zwölftes Jahr hinüber, So kriegte, wer ihr ein wenig zu nah' Und lang' ins Augenlidlein sah, Gleich auf der Stelle das Liebesfieber. . |
"Mir, Gott verzeih mir's! machte das Wesen Zwei bis drei Sommer vielen Spaß. Ich brauchte keinen Roman zu lesen, Hatte den ganzen Amadis In meinem Narrenparadies', Und alle Tage geschahen Sachen, Um einen neuen draus zu machen. Doch immer dasselbe Fastnachtsspiel Wird endlich ungeschmackt und kühl. Zwar gab's mit unter auch Trauerspiel: Bald stieß sich Einer vor die Stirne; Bald ließ ein Andrer das Bißchen Gehirne, Das ihm die Liebe nicht ausgebrannt, Auf einer Felsenspitze sitzen; Ein Dritter kam, den Dolch in der Hand, Mit feurigen Augen angerannt, Sein Blut mir ins Gesicht zu spritzen. Tagtäglich gab's so eine Seen'! Allein, sie mochte zu weinen, zu lachen Oder auch beides auf einmal machen, So war's — nicht länger aufzustehn. |
"Nun fand sich endlich, daß eine Fee, Mit der mein Vater Tändelei Vor Zeiten getrieben, an all' dem Wehe Mehr als mein Schnäuzchen Ursach sey. Mein Vater (einer der besten Khalifen, Die jemals aßen, tranken und schliefen) Schickte zur Stunde Gesandte aus Nach Osten und Westen, um aller Enden Zu suchen, ob sie ein Mittel fänden, Dieß Unheil von uns abzuwenden. Allein es wurde nichts daraus; Sie kamen alle mit leeren Händen Und großen Rechnungen wieder nach Haus. |
"Zuletzt erfuhr er, auf einem Berge, Nah bei der Wüste am Bache Krit, Da wohn' ein alter Eremit, Ein Mann, dem Geister, Elfen und Zwerge Gehorsam wären allzumal; Er kenne genau der Sterne Zahl Und jede Kraft in Kräutern und Steinen, Er mache Wetter, Regen und Wind, Lasse bei Nacht die Sonne scheinen, Wenn's ihm beliebe, sey taub und blind Vor hohem Alter und hör' und sehe Doch Alles, was auf der Welt geschehe. |
"Da sandte der Khalif geschwind Zum Eremiten, dem Geister, Elfen Und Zwerge gehorchten am Bache Krit. |
"Mein Vater (der über |
Kein Ding in seinem Leben sich Besonnen) flugs und ohne Säumen Befahl, mein Leibkameel zu zäumen, Warf selbst den Schleier über mich Und schickte mich mit seinem Degen Dem unwahrscheinlichen Mann entgegen. Drei Jahre reis' ich westwärts fort Und zeige mich und meinen Schleier In jedem lustigen Meeresport, Bei Ritterspielen, bei jeder Feier, An Fürstenhöfen und da und dort: Alles vergebens! Man sieht sein Wunder An meiner Figur, hätt's gern entdeckt, Was hinter dieser Vermummung steckt, Und das ist Alles!" — |
Ist's möglich? rief |
Herr Gandalin und seufzte tief. |
Nun müßt ihr wissen, ein schöner, runder, Milchweißer Arm, den immer bisher Des Aermels Länge dem Aug' entzogen, Enthüllte sich hier von ungefähr, Indem das Fräulein einen Bogen Mit beiden Armen beim Ausruf zog. Herr Gandalin (bei dem die Empfindung Sehr leicht die Klugheit überflog) Rief aus: Ist's möglich? — Nun hatte die Ründung Und blendende Weiße, die eben itzt So unverhofft ins Aug' ihm blitzt, Vermuthlich an dieser Ideenverbindung Mehr Antheil, als er im Alarm Des Herzens und der Sinne dachte. Allein die Dame — die ihren Arm So schnell, als sie ihn sichtbar machte, In seine vorige Lage brachte, (Und beides, ohn' es zu wissen)— dachte, Ihm mach' ihr: Das ist Alles! so warm: Und also schien ihr sein: Ist's möglich? In tragischem Tone so herzbeweglich Geseufzt, ein wenig lächerlich. |
So finden Sie das so seltsam? Mich, Mich nimmt die Möglichkeit nicht Wunder, Erwiedert sie. Die Neugier schlägt Den Funken vielleicht: allein der Zunder, Der ihn ernährt und hegt und pflegt, |
Und Seelenschönheit, Geist und Tugend Käm' also nicht in Anschlag? — spricht Der Ritter mit Eifer. |
"Wenigstens nicht |
(Versetzt sie) gegen ein Maskengesicht, Das, weil es so ernstlich sich versteckt, Natürlicher Weise Verdacht erweckt. Gesichter, die, sorglos, wie sie sind, Dich zeigen, auch wenn sie häßlich sind, Sieht man zuweilen, so hinter die Seelen Geduckt, ganz sacht' ins Herz sich stehlen; Das ihnen um so leichter geräth, Weil ihr sie ohne Anspruch seht. Just, weil man ihnen nichts dergleichen Zutraute, nie auf seiner Hut Mit ihnen ist, sind sie so gut, Euch unversehens zu überschleichen. Man weiß, wie viel Gewohnheit thut. Das Auge versöhnt sich mit den Mängeln, Die es so unverhohlen sieht: Erst seht ihr nur ihr schön Gemüth, Zuletzt ist Alles behängt mit Engeln. Just umgekehrt in meinem Fall, Wenn eine immer und überall In Hüllen und Häuten wie eine Zwiebel Gewickelt erscheint. Wer dächte nicht übel |
"Und doch (fällt Gandalin ihr ein) Möchte, wenn ich nicht irrig wähne, In Eurem Falle die Ausnahm seyn. Es ist so etwas in wahrer Schöne, Ein geistiger alldurchdringender Schein, Den keine Schleier verbergen können! Man kann es besset fühlen als nennen: Es stellt sich, wie unmittelbar, Den innern Schönheitssinnen dar; Man fühlt's, wie man — im Seelengrunde Die unsichtbare Gottheit fühlt. |
"Von alle dem hab' ich keine Kunde, Versetzt die Dame; zuweilen spielt Die Phantasie uns heimliche Tücke, Wo man's am wenigsten sich versieht." |
Der Ritter mit gesenktem Blicke Erseufzt und schweigt. |
Ob sie errieth, |
Was dieser Seufzer sagen sollte, Ist nicht bekannt. Mag seyn, sie wollte Nichts wissen. Sie ließ es an seinen Ort Gestellt und fuhr, nach einer kleinen |
Mit diesem Wort' erhebt sie sich Und steht auf einmal so königlich Und groß und hehr vor Gandalinen, Wie eine Göttin. Der edle Knecht Gleich nieder auf beide Knie, wie recht, |
Die Dame willigt sonder Zwang In sein Beding. Und nun begannen Die Lerchen ihren Frühgesang Und sangen den guten Ritter von dannen; Sie reicht mit hoher Majestät Die Hand ihm dar, indem er geht. Er nahm sie, küßte sie ehrfurchtsvoll; Ein süßer Schauer fuhr ihm über Den Rücken dabei, sein Busen schwoll, Und seufzend verließ er Je länger je lieber. |