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C. M. Wieland's Werke.

Zehnter Band.

Drittes Buch.

Da steht nun mächtiglich betroffen
Mein Ritter, wie einer, der eben itzt
Den Flammen in einem Traum entloffen,
Hald aufgefahren im Bette sitzt,
Noch zweifelnd, wiewohl die Augen offen,
Ob Wahrheit oder Phantasei
Ihn aufgeschreckt. — Zwar, daß er wache,
War eine ausgemachte Sache;
Nur riecht so Alles nach Feerei
Um ihn herum! — man kann nicht wissen!
Wohl! dacht' er, wir werden's wagen müssen;
Ich bin auf alle Fälle dabei!
Die Wahrheit war, man brauchte nun eben
Kein großer Eisenfresser zu seyn,
Sich muthig in diese Gefahr zu geben;
Denn Alles sah ganz freundlich drein.
Es kurz zu machen — denkt euch, beliebig,
Ein großes Gemach, altfränkisch verziert,
Die Decke von Schnitzwerk, sehr ergiebig
Mit goldnen Blumenkörben staffirt,

Die Wände stattlich tapezirt Mit schönen biblischen Geschichten, Als — Mose im Kästlein, und Fräulein viel In steifen Miedern, entblößt (mit Züchten) Bis über die Knie, um aus dem Nil Das Knäblein an den Strand zu lichten; Dann Simson, der Delila im Schooß, Und Bathseba in der Badewanne, Und zwischen den Greifen nackt und bloß Die schöne keusche Frau Susanne, Mit einem Busen, dessen Pracht Die gute Frau, mit Armen und Händen Den Augen der Sünder zu entwenden Bemüht, nur desto herrlicher macht.

Dann seht auf einem kleinen Tische
Zwei Kerzen und einen Schirm davor
Und in der Mauer eine Nische,
Wie ein Gezelt von reichem Mohr',
Und in der Nisch' ein türkisch Bette
Von gelbem silberbeblümtem Damast,
Und nun — und nun, wie weiter? — Ich wette
Zu rathen, worauf ihr Herren paßt?
Da, denkt ihr, soll zu eurem Vergnügen
So eine schlafende Venus liegen,
In Tizianischem Nachtgewand,
Die obere Hälfte mit Luft umworben,
Und, wo die Decke sich verschoben,
Ein rundes Knie heraus gehoben,

Ein Knie — die Sieben aus Griechenland Zu Narren zu machen! — und was des Dinges Mehr ist, das freilich ein Geringes Zu malen wäre. — Allein, verzeiht, Wenn dießmal eure Erwartung betrogen Sich findet. Alles zu seiner Zeit! Die Dame war völlig angezogen, Die auf dem Ruhebettlein lag, Und in der That so angezogen, Als keine bis auf diesen Tag. So steif! so voller Dürerscher Falten! Alles so recht drauf angelegt, Selbst den Gedanken aufzuhalten, Der weiter als hundert Augen trägt! Unmöglich war's, von ihrer schönen Gestalt das Mindeste nur zu wähnen. Die Arme, die Hände, — sie mochte (wer weiß?) Sie wohl so schön als Juno haben; Allein sie lagen mit allem Fleiß' In weiten Aermeln nach türkischer Weis' Bis über die Fingerspitzen begraben.

So heimlich zu thun mit Gottes Gaben,
Däucht unserm Ritter sonderbar.
Sonst sind die Damen nicht so gar
Mißgünstig, die was zu zeigen haben!
Und (was hier am verdächtigsten war)
Ein dicht gewebter doppelter Schleier
Verbirgt sogar ihr Angesicht;

Läßt auch das Wenige nicht ans Licht, Was, durch die zarte weiße Hülle, Von ihres Busens Jugendfülle Wie eine berstende Knospe bricht. Kurz, undurchdringlicher kann sich nicht Die Schönheit gegen den Feind verschanzen. So gar nichts, das zu Gunst des Ganzen Die zweifelnde Phantasie besticht! Und doch, wie nenn' ich's geschwinde? bricht So ein geheimer — Gottheitsschimmer Durch alle die Wolken, daß Gandalin Sich kaum enthält, auf seinen Knien Sie anzubeten.

"Desto schlimmer!
(Denkt ihr) das fängt verdächtig an!
Und seine Treu?" — Darüber entscheide
Die Zeit; die werde, was sie kann!
Genug, die Dame im Maskenkleide
Hieß unsern Mann (der ehrfurchtsvoll
Noch immer weiter, als man soll,
Zurück stand) etwas näher treten.
Herr Ritter, sprach sie, daß ich Euch
So außer der Zeit zu mir gebeten,
Sieht ziemlich den Abenteuern gleich,
Die Eures gleichen jungen Degen
Wohl häufig aufzustoßen pflegen.
Doch, darf ich Euch was bitten, so sey's
Fürs Erste, bis wir uns besser kennen,

Mich weder schwarz zu glauben noch weiß Und, eh die Lerchen uns wieder trennen, Mir bloß ein günstig Ohr zu gönnen.

Der Klang von ihrer Stimme, wiewohl
Gedämpft durch ihren doppelten Schleier,
Tönt ihm, als wirbelte hoch vom Pol
Der Nachklang einer Engelsleier
In seine Seele. "Welch Angesicht,
Wenn's dieser Sirenenstimm' entspricht!"
Denkt er und weiß ein Weilchen nicht,
Wie ihm geschieht; faßt doch sich wieder
So bald als möglich, läßt vor ihr
Züchtiglich auf eine Knie sich nieder,
Und: Dame (spricht er), glaubet mir
Auf mein Gesicht, mein Herz ist bieder,
Und Arges zu denken von der Zier
Der Schöpfung war mir stets zuwider.
Drum leget keine Bedenklichkeit,
Mich Eures Anschauns zu gewähren.
Ich wollte, so eingesponnen Ihr seyd,
Auf Eure bloße Stimme schwören,
Ihr könntet des Schleiers wohl entbehren.
Die Dame bitter ihn aufzustehn
Und, ohne Schmeichelreden zu drehn,
Die ihre Sittsamkeit beschämen,
Von einem Schämel Besitz zu nehmen,
Der neben ihm steht. Herr Gandalin,

Gehorsam, setzt sich gegen über, Und sie beginnt:

"Ich lasse vorüber,
Von welchem Haus' und Stand' ich bin.
Mein Blut fließt weder heller noch trüber
Darum. So was, in meinem Sinn.
Kommt nicht in Anschlag. Genug, ich bin;
Da gibt's nichts drunter und nichts drüber.
"Ich weiß nicht, welche Gevatterin
Gab mir den Namen Je länger je lieber
Bei meiner Geburt —"
Je länger je lieber?
Rief Gandalin. — Je länger je lieber?
Ruft (wie ich bereits verständigt bin)
Einhellig Leser und Leserin.
"Nicht anders, mein Herr, Je länger je lieber!
Und (was ich nicht bergen kann) man fand
Ganz deutlich in meiner rechten Hand,
Von allen Helenen aus Griechenland
Und allen Julien an der Tiber
Würde nun neben Je länger je lieber
Künftig so wenig die Frage seyn,
Als von den Sternen bei Sonnenschein.
"Kaum war die kleine Je länger je lieber
Ueber ihr zwölftes Jahr hinüber,
So kriegte, wer ihr ein wenig zu nah'
Und lang' ins Augenlidlein sah,
Gleich auf der Stelle das Liebesfieber. .

Da half nichts, weder graues Haar Noch gelbes; je klüger einer war, Je eher schnappte der Witz ihm über. Ein Blick, so war's um ihn gethan! Doch ging die rechte Noth erst an, Als nun mit sechzehn Jahren ihr Busen In seiner vollen Blüthe stund, Aus ihren Augen alle neun Musen Sprachen, um ihren Rosenmund Die Grazien tanzten, und wie es weiter Lautete, wenn der Liebesdrang Die armen Narren zum — Reimen zwang, Der Jude sah Jakobs Himmelsleiter In ihrem Antlitz; der Heide schwur, Mit ihr verglichen, sey Venus — nur Ein Weib. So ging kein Tag vorüber, Daß nicht die gute Je länger je lieber (Wiewohl sie sich immer nur leidend dabei Verhielt) zwei Narren oder drei Ins Tollhaus schickte. Ein eignes Gebäu Mußte dazu gestiftet werden. Bald setzte man einen Flügel und dann In kurzer Frist — noch einen dran. Doch sah man ganze Narrenheerden Aus Mangel an Platz in Wälder ziehn, In Felsenklüften und hohlen Weiden Kauern und Reim' in Bäume schneiden, Im Märzenfrost vor Liebe glühn,

In Hundstagsglut vor Liebe frieren, Durch Büsch' und Hecken auf allen Vieren Kriechen und Eicheln fressen und Gras Und drohen, ließ' ich nicht bald mich rühren, So würden sie gar — den Verstand verlieren, Und was des Unsinns mehr noch was.

.

"Mir, Gott verzeih mir's! machte das Wesen
Zwei bis drei Sommer vielen Spaß.
Ich brauchte keinen Roman zu lesen,
Hatte den ganzen Amadis
In meinem Narrenparadies',
Und alle Tage geschahen Sachen,
Um einen neuen draus zu machen.
Doch immer dasselbe Fastnachtsspiel
Wird endlich ungeschmackt und kühl.
Zwar gab's mit unter auch Trauerspiel:
Bald stieß sich Einer vor die Stirne;
Bald ließ ein Andrer das Bißchen Gehirne,
Das ihm die Liebe nicht ausgebrannt,
Auf einer Felsenspitze sitzen;
Ein Dritter kam, den Dolch in der Hand,
Mit feurigen Augen angerannt,
Sein Blut mir ins Gesicht zu spritzen.
Tagtäglich gab's so eine Seen'!
Allein, sie mochte zu weinen, zu lachen
Oder auch beides auf einmal machen,
So war's — nicht länger aufzustehn.

"Nun fand sich endlich, daß eine Fee,
Mit der mein Vater Tändelei
Vor Zeiten getrieben, an all' dem Wehe
Mehr als mein Schnäuzchen Ursach sey.
Mein Vater (einer der besten Khalifen,
Die jemals aßen, tranken und schliefen)
Schickte zur Stunde Gesandte aus
Nach Osten und Westen, um aller Enden
Zu suchen, ob sie ein Mittel fänden,
Dieß Unheil von uns abzuwenden.
Allein es wurde nichts daraus;
Sie kamen alle mit leeren Händen
Und großen Rechnungen wieder nach Haus.
"Zuletzt erfuhr er, auf einem Berge,
Nah bei der Wüste am Bache Krit,
Da wohn' ein alter Eremit,
Ein Mann, dem Geister, Elfen und Zwerge
Gehorsam wären allzumal;
Er kenne genau der Sterne Zahl
Und jede Kraft in Kräutern und Steinen,
Er mache Wetter, Regen und Wind,
Lasse bei Nacht die Sonne scheinen,
Wenn's ihm beliebe, sey taub und blind
Vor hohem Alter und hör' und sehe
Doch Alles, was auf der Welt geschehe.
"Da sandte der Khalif geschwind
Zum Eremiten, dem Geister, Elfen
Und Zwerge gehorchten am Bache Krit.

Die kamen und brachten die Antwort mit: "Dem Fräulein wäre nicht zu helfen, Sie müßte denn sich keinem Mann Von Stund' an unverschleiert weisen Und immer von Osten nach Westen reisen, So lange bis sie den Biedermann Fände, dem sie je länger je lieber Würde, wiewohl er unverhüllt Sie nie, leibhaftig, noch im Bild, Gesehen hätte." —

"Mein Vater (der über
Kein Ding in seinem Leben sich
Besonnen) flugs und ohne Säumen
Befahl, mein Leibkameel zu zäumen,
Warf selbst den Schleier über mich
Und schickte mich mit seinem Degen
Dem unwahrscheinlichen Mann entgegen.
Drei Jahre reis' ich westwärts fort
Und zeige mich und meinen Schleier
In jedem lustigen Meeresport,
Bei Ritterspielen, bei jeder Feier,
An Fürstenhöfen und da und dort:
Alles vergebens! Man sieht sein Wunder
An meiner Figur, hätt's gern entdeckt,
Was hinter dieser Vermummung steckt,
Und das ist Alles!" —
Ist's möglich? rief
Herr Gandalin und seufzte tief.

Nun müßt ihr wissen, ein schöner, runder,
Milchweißer Arm, den immer bisher
Des Aermels Länge dem Aug' entzogen,
Enthüllte sich hier von ungefähr,
Indem das Fräulein einen Bogen
Mit beiden Armen beim Ausruf zog.
Herr Gandalin (bei dem die Empfindung
Sehr leicht die Klugheit überflog)
Rief aus: Ist's möglich? — Nun hatte die Ründung
Und blendende Weiße, die eben itzt
So unverhofft ins Aug' ihm blitzt,
Vermuthlich an dieser Ideenverbindung
Mehr Antheil, als er im Alarm
Des Herzens und der Sinne dachte.
Allein die Dame — die ihren Arm
So schnell, als sie ihn sichtbar machte,
In seine vorige Lage brachte,
(Und beides, ohn' es zu wissen)— dachte,
Ihm mach' ihr: Das ist Alles! so warm:
Und also schien ihr sein: Ist's möglich?
In tragischem Tone so herzbeweglich
Geseufzt, ein wenig lächerlich.
.

So finden Sie das so seltsam? Mich,
Mich nimmt die Möglichkeit nicht Wunder,
Erwiedert sie. Die Neugier schlägt
Den Funken vielleicht: allein der Zunder,
Der ihn ernährt und hegt und pflegt,

(Was auch ihr Männer sagen mögt) Bleibt ewig Schönheit, Blume der Jugend —"

Und Seelenschönheit, Geist und Tugend
Käm' also nicht in Anschlag? — spricht
Der Ritter mit Eifer.
"Wenigstens nicht
(Versetzt sie) gegen ein Maskengesicht,
Das, weil es so ernstlich sich versteckt,
Natürlicher Weise Verdacht erweckt.
Gesichter, die, sorglos, wie sie sind,
Dich zeigen, auch wenn sie häßlich sind,
Sieht man zuweilen, so hinter die Seelen
Geduckt, ganz sacht' ins Herz sich stehlen;
Das ihnen um so leichter geräth,
Weil ihr sie ohne Anspruch seht.
Just, weil man ihnen nichts dergleichen
Zutraute, nie auf seiner Hut
Mit ihnen ist, sind sie so gut,
Euch unversehens zu überschleichen.
Man weiß, wie viel Gewohnheit thut.
Das Auge versöhnt sich mit den Mängeln,
Die es so unverhohlen sieht:
Erst seht ihr nur ihr schön Gemüth,
Zuletzt ist Alles behängt mit Engeln.
Just umgekehrt in meinem Fall,
Wenn eine immer und überall
In Hüllen und Häuten wie eine Zwiebel
Gewickelt erscheint. Wer dächte nicht übel

Von einer Schönheit, die das Licht, Das Element der Schönheit, fliehet? Das Herz glaubt, was das Auge siehet, Und wagt sich so leicht im Dunkeln nicht; Und soll es ja verlieren müssen, So will es genau die Summe wissen."

"Und doch (fällt Gandalin ihr ein)
Möchte, wenn ich nicht irrig wähne,
In Eurem Falle die Ausnahm seyn.
Es ist so etwas in wahrer Schöne,
Ein geistiger alldurchdringender Schein,
Den keine Schleier verbergen können!
Man kann es besset fühlen als nennen:
Es stellt sich, wie unmittelbar,
Den innern Schönheitssinnen dar;
Man fühlt's, wie man — im Seelengrunde
Die unsichtbare Gottheit fühlt.
"Von alle dem hab' ich keine Kunde,
Versetzt die Dame; zuweilen spielt
Die Phantasie uns heimliche Tücke,
Wo man's am wenigsten sich versieht."
Der Ritter mit gesenktem Blicke
Erseufzt und schweigt.
Ob sie errieth,
Was dieser Seufzer sagen sollte,
Ist nicht bekannt. Mag seyn, sie wollte
Nichts wissen. Sie ließ es an seinen Ort
Gestellt und fuhr, nach einer kleinen

Pause, gelassen also fort: "Es wird Euch etwas seltsam scheinen, Herr Ritter, daß ich nicht anfangs gleich So klug gewesen, als jetzt. Was kann ich Sagen? — wir fehlen alle mannig- Faltig! — Es war kein weiser Streich, Drei Jahre vermummt herum zu schlendern, Den Mann im Monde zu suchen! — Genug, Es ist geschehn und nicht zu ändern. Der Eremit, so alt und klug Er war, mein Vater, seine Räthe, Sein Seneschall, Alles war dabei; Besorgten nur, ich möchte zu späte Kommen: — kurz, es ist vorbei; Und übermorgen, sobald es taget, Reis' ich mit Gott und meinem Glück Geraden Zuges nach Hause zurück. Und nun, Herr Gandalin, rathschlaget Mit Eurem Herzen: wofern' Euch hier Nichts Liebes fesselt, wolltet Ihr mir Auf meiner Reise zum Schirmer dienen? Kein andrer Ritter in diesem Revier Hat des Vertrauens mir werth geschienen."

Mit diesem Wort' erhebt sie sich
Und steht auf einmal so königlich
Und groß und hehr vor Gandalinen,
Wie eine Göttin. Der edle Knecht
Gleich nieder auf beide Knie, wie recht,

Und schwöret ihr, bei Allem, was ihr Schleier Anbetenswürdiges deckt, ihm sey Sein liebes Leben nicht halb so theuer, Als solches Dienstes in aller Treu Bei ihr zu pflegen. Doch unverhohlen Müss' er ihr lassen, ihm sey befohlen, Unfehlbar an einen gewissen Ort In sechzig Tagen zurückzukehren; Ihn binde dazu sein Ehrenwort. Doch sollte nichts in der Welt ihm wehren, Sie zu begleiten, so lang' und weit Als ihm die vorgeschriebne Zeit Erlaube. Auch schwor er beim heiligen Grabe, Sie nicht zu verlassen, bis und dann Er einen biedern Rittersmann Statt seiner für sie gefunden habe.

Die Dame willigt sonder Zwang
In sein Beding. Und nun begannen
Die Lerchen ihren Frühgesang
Und sangen den guten Ritter von dannen;
Sie reicht mit hoher Majestät
Die Hand ihm dar, indem er geht.
Er nahm sie, küßte sie ehrfurchtsvoll;
Ein süßer Schauer fuhr ihm über
Den Rücken dabei, sein Busen schwoll,
Und seufzend verließ er Je länger je lieber.
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