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C. M. Wieland's Werke.

Siebenter Band.

Der Herausgeber an die Leser.

Lücken, geneigte Leser, sind in allen Arten der menschlichen Kenntnisse, besonders in Geschichtserzählungen, eine allzu gewöhnliche Sache, als daß es euch befremden sollte, hier in der Erzählung des sogenannten Philosophen Danischmend eine Lücke, und zwar, wie wir nicht bergen, eine beträchtliche Lücke zu finden.Diese Lücke ist nicht etwan von der Art derjenigen, welche von den Gelehrten Hiatus Manuscriptis genannt zu werden pflegen. Die Handschrift, aus welcher wir die Geschichte von Scheschian gezogen haben, liegt vollständig vor uns, und es kam bloß auf uns an, ob wir sie so vollständig, als der Lateinische Uebersetzer sie geliefert, mittheilen wollten oder nicht.

Vielleicht betrügen wir die Neugierde vieler Leser gerade da, wo sie am wenigsten geneigt sind, es uns zu vergeben. Und wirklich hätten wir kein Bedenken tragen sollen, die Geschichte der Religion des alten Scheschians, und der Veränderungen, welche sich unter einigen Königen mit ihr zugetragen, der Welt ohne Lücken vorzulegen, wenn uns das Beispiel des Lateinischen Uebersezers, und die Gründe, womit er sein Verfahren beschönigt hat, hinlänglich geschienen hätten, die Nachfolge desselben zu rechtfertigen.Er behauptete nämlich: "Die weisesten Manner wären von jeher der Meinung gewesen, daß es einer von den wichtigsten Diensten, welche man der wahren Religion leisten könne, sey, wenn man dem Aberglauben und der Tartüfferei (ihren schädlichsten Feinden, weil sie die Maske ihrer Freunde tragen) diese Maske abziehe, und sie in ihrer natürlichen Ungestalt darstelle. Bloß aus diesem Grunde hätten gelehrte und ehrwürdige Schriftsteller aus den ältern Zeiten des Christenthums, ein Lactantius, ein Arnobius, ein Augustinus u, a., sich eine ernstliche Angelegenheit daraus gemacht, die Ausschweifungen und Betrügereien der heidnischen Priesterschaft (sogar nicht ohne Gefahr durch Bekanntmachung der ärgerlichsten Gräuel schwachen Gemüthern anstößig zu werden) an das helleste Licht hervor zu ziehen. Sie hätten diese Gefahr als ein kleines, zufälliges und ungewisses Uebel angesehen welches gegen den großen Nutzen, den sie der Gottseligkeit und der Tugend von jener Entlarvung der religiösen Betrügerei versprochen, in keine Betrachtung komme. Es ist wahr setzt er hinzu), Leser, welche mehr Witz als Unterscheidungskraft

besitzen, könnten Aehnlichkeiten, und boshafte Leute Anspielungen zu finden glauben, wo keine sind; aber wenn uns diese Besorgniß aufhalten sollte, welche Geschichte würde man schreiben dürfen? Eine jede wohlgeschriebene Geschichte kann, in einem gewissen Sinne, als eine Satyre betrachtet werden; und ich fordere den weisesten und unschuldigsten unter allen Sterblichen heraus, uns ein aufrichtiges Gemälde der Gesetze, Sitten, Meinungen und Gebräuche, von welchem Lande in der Welt er will, und sollte es Cappadocia, Pontus oder Mysia seyn, zu liefern, welches nicht voller Anspielungen zu seyn scheinen sollte."Diese und andre Gründe des Lateinischen Uebersetzers hätten uns vielleicht zu einer andern Zeit überzeugen, und bewegen können seinem Beispiele zu folgen. Aber in den Tagen, worin wir leben, kann die Behutsamkeit in Dingen dieser Art kaum zu weit getrieben werden. Der kleinste Anlaß, den wir wissentlich dem Leichtsinn und Muthwillen unsrer Zeiten gegeben hätten, durch die schalkhaften Wendungen, die auch der mittelmäßigste Witz in seiner Gewalt hat, unsrer Erzählung einen unächten Sinn anzudichten, würde in unsern Augen alle guten Eindrücke überwiegen, welche wir uns, ohne übertriebene Erwartungen zu hegen, von dieser Geschichte der Könige in Scheschian versprechen. Nichts ist in unsern Tagen überflüssiger als Feldzüge gegen Aberglauben und Tartüfferei. Es sind Zeiten gewesen (kein Vernünftiger wird es läugnen), wo man sich durch Kämpfe mit diesen Feinden der Religion und der bürgerlichen Gesellschaft Verdienste machen konnte. Aber sie sind nicht mehr. Andre, in ihren Folgen ungleich

mehr verderbliche Ausschweifungen, Geringschätzung der Religion und Ruchlosigkeit, gewinnen unvermerkt immer mehr Grund; die ehrwürdige Grundfeste der Ordnung und der Ruhe der menschlichen Gesellschaft wird untergraben, und unter dem Vorwande, einem Uebel, welches größtentheils eingebildet ist, zu steuern, arbeitet der zügellose Witz, in den Mantel der Philosophie eingehüllt, der menschlichen Natur ihre beste Stütze, und der Tugend ihre wirksamste Triebfeder zu entziehen. In einem solchen Zeitpunkte können diejenigen, welche es mit der Menschheit wohl meinen, nicht zu vorsichtig seyn; und bloß aus dieser Betrachtung haben wir geglaubt, der Welt einen größern Dienst durch die Unterdrückung der besondern Umstände der Religionsgeschichte von Scheschian als durch die Mittheilung derselben zu erweisen.Damit aber gleichwohl der Zusammenhang des Ganzen nichts dadurch verliere, haben wir für nöthig gehalten, dem Leser einen Auszug aus der Erzählung des Philosophen Danischmend mitzutheilen, welcher ihn in den Stand setzen möge, von dem schlechten Zustande der alten Scheschianischen Verfassung über diesen Punkt, von den Verdiensten, welche sich der Sultan Ogul um sie erworben, und von dem Zwiespalt, der das Reich zu Azors Zeiten erschütterte, sich wenigstens einen allgemeinen Begriff zu machen.

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Nach dem Beispiele der Aegyptier, und andrer abgöttischen Völker, verehrten die Scheschianer einen Affen als den besondern Schutzgott ihrer Nation; und, wie alle Asiatischen Länder, wimmelte Scheschian von Bonzen, deren hauptsächlichste Beschäftigung war, das verblendete Volk in der gröbsten Verfinsterung des natürlichen Lichtes und in einem ihnen allein nützlichen Aberglauben zu unterhalten. Unter den verschiedenen Gattungen derselben, welche Danischmend schildert, begnügen wir uns, nur zweier zu erwähnen, deren Institut uns Europäern unglaublich scheinen müßte, wenn wir nicht aus der Sammlung der sogenannten Lettres édifiantes, und aus der Compilation des P. Du Halde benachrichtiget wären, daß sie wenigstens von der einen Gattung noch heutiges Tages eine zahlreiche Nachkommenschaft in der Tartarei und in Sina erhalten hat. Die ersten, sagt Danischmend, nannten sich Ya-faou, oder Nachahmer des Affen, und unterschieden sich von den übrigen Bonzen durch eine scheinbare Strenge, ein unreinliches Aussehen, eine große Fertigkeit sich in Begeisterung zu setzen, und eine Ungewißheit, welche nahe an die thierische gränzte. Wenn man den Feinden dieser Ya-faou glauben dürfte, so war kein Laster, welches sie unter dem Mantel von Sackleinwand, womit sie ihre Blöße deckten, nicht ungestraft ausgeübt haben sollten. Man beschuldigte sie der Betrügerei, der Ränkesucht, der Unmäßigkeit und einer ungezähmten Lüsternheit nach dem Eigenthume der Scheschianer; Untugenden, welche sie, wie man sagte, unter einer Maske von Einfalt, Redlichkeit und Verachtung der irdischen Dinge künstlich zu verbergen wußten. Sie nähren, sagte man, unter dem Scheine

der tiefsten Demuth den unausstehlichsten Stolz; sie sind rachgierig und grausam bei dem Ansehen einer unüberwindlichen Sanftmuth, und allgemeine Feinde der Menschen mit der Miene der Unschuld und Gutherzigkeit. Diese Beschuldigungen sind zu hart (fährt Danischmend fort), als daß es billig wäre ihnen einen unbedingten Glauben beizumessen. Aber dieß ist unläugbar, daß die Unnüzlichkeit der Ya-faou der geringste Vorwurf war, der ihnen gemacht werden konnte. Sie hatten allem, was man Vernunft, Wissenschaft, Witz, Geschmack und Verfeinerung nennt, einen unversöhnlichen Krieg angekündigt; und ihren unermüdeten Bemühungen war es vornehmlich zuzuschreiben, daß Scheschian in so vielen Jahrhunderten nicht die mindeste Bestrebung zeigte, sich aus dem Wust einer die Menschheit entehrenden Barbarei empor zu arbeiten. In Betrachtung der nachtheiligen Folgen einer solchen Thätigkeit, hätte man Ursache gehabt, sich ihnen noch verbunden zu achten, wenn sie sich hätten begnügen wollen, ganz und gar müßig zu seyn. Gleichwohl war auch in diesem Falle die Last sie zu füttern keine Kleinigkeit. Denn man rechnete zu Sultan Azors Zeiten über zwölfmalhunderttausend Ya-faou, und sie waren überhaupt Leute von vortrefflichem Appetit. —— Es ist etwas Unbegreifliches, daß diese Nachahmer des Affen zu gleicher Zeit der Gegenstand der lebhaftesten Ehrfurcht und der öffentlichsten Verachtung waren. Man trug sich mit einer unendlichen Menge lächerlicher Erzählungen in Prose und Versen, worin man sich mit ihren Sitten und selbst mit ihrem Stande die größten Freiheiten nahm; man sprach und schrieb und sang auf öffentlicher Straße von ihnen als von dem verworfensten

Auskehricht des menschlichen Geschlechtes; man beschuldigte sie ungescheut aller Uebelthaten, wozu ihre herumschweifende Lebensart ihnen selbst Gelegenheit und ihren Feinden Vorwand gab. Kurz, derjenige würde lächerlich geworden seyn, der in guter Gesellschaft ihren Namen mit dem geringsten Zeichen von Achtung ausgesprochen hätte; und alles dieß zu eben der Zeit, da noch eine Menge von Leuten den Staub für heilig ansahen, in welchen ein Ya-faou seine Füße gesetzt hatte; da das gemeine Volk sich mit sklavischer Folgsamkeit in allen seinen Geschäften von ihnen regieren ließ, und viele nichts Angelegeneres hatten, als dafür zu sorgen, daß alles was von ihrem Vermögen nicht schon bei ihren Lebzeiten von diesen würdigen Leuten aufgegessen worden war, ihnen wenigstens nach ihrem Tode nicht entgehen möchte.Ich kann nicht umhin (fährt Danischmend fort) noch einer Gattung von privilegirten Müßiggängern zu erwähnen, deren Institut, so seltsam es auch beim ersten Anblicke scheint, aus einem gewissen Gesichtspunkt betrachtet, etwas Gemeinnütziges hatte, wodurch es sich über die übrigen Gattungen der Ya-faou erhob. Man nannte sie scherzweise die Fruchtbringenden; allein sie selbst legten sich, wegen der Unabhängigkeit, von welcher sie Profession machten, den stolzen Namen Kamfalu, Könige der Meinungen, bei. Ungeachtet ein altes Vorurtheil ihnen einen Theil der Vorrechte und des Ansehens der Ya-faou beilegte, so scheinen sie doch mehr eine Secte von Freigeistern als wirkliche Bonzen gewesen zu seyn, und in ihren Grundsätzen sowohl als in ihrer Lebensart vieles mit den Cynikern der alten Griechen, mit den Anhängern des Lao-Kiun in Sina

und mit unsern Kalendern gemein gehabt zu haben. Sie lebten zwar auch auf Unkosten des Volkes wie die Ya-faou; aber sie bezahlten gleichsam dafür mit einer Menge kleiner Talente, wodurch sie sich angenehm und beinahe unentbehrlich zu machen wußten. Sie belustigten die Großen mit ihrem Witze, und sich selbst mit der Leichtgläubigkeit des Volkes. Die Freiheit, die ihnen ihr Orden gab über alles zu spotten, und ein unerschöpflicher Vorrath von muthwilligen Erzählungen und Anekdoten, verschaffte ihnen Zutritt in der schönen Welt; und so groß ist die Macht eines eingewurzelten Vorurtheils, daß der Morgenbesuch eines Kamfalu bei einer schönen Frau als eine Sache die nichts zu bedeuten habe, angesehen wurde. Aber die Kamfalu kannten den Werth ihrer Vorrechte zu gut, um sich allein auf die vornehme Welt einzuschränken: und wenn sie sich bei der Dame beliebt machten, indem sie ihrem Schooßhunde liebkoseten und über ihre Nebenbuhlerin lasterten, so schmeichelten sie sich bei der jungen Bäurin durch ein sympathetisches Mittel, sich der Treue ihres Mannes zu versichern, ein, oder indem sie ihr aus der Hand weissagten, daß sie fünf- oder sechsmal Wittwe zu werden Hoffnung habe. Sie waren im Besitz von einer Menge bewährter Hausmittel gegen alle Zufälle, welche Menschen und Vieh zustoßen können; sie schlichteten die kleinen Streitigkeiten zwischen Eheleuten, Verwandten und Nachbarn; und es gab wenig Heirathen unter dem Volke, die nicht ein Kamfalu gestiftet hatte. Eine von den Regeln ihres Ordens, die keine Ausnahme zuließ, war, kein Mitglied in denselben aufzunehmen, welches sich nicht durch eine fechtermäßige Gestalt und eine blühende

Gesundheit zu dieser Ehre legitimiren konnte. Aber was ihnen am meisten Ansehen und Vortheile verschaffte, war der Ruf, ein besonderes Geheimniß wider die Unfruchtbarkeit zu besitzen. Man versichert, daß in den Zeiten, da die aufs höchste gestiegenen Ausschweifungen ihre schädlichen Folgen zum Nachtheil der Bevölkerung am stärksten geäußert, die edelsten Geschlechter von Scheschian die Erhaltung ihres Stammes lediglich dem geheimen Mittel der Kamfalu zu danken gehabt hätten. Ein Verdienst, wodurch sie, nach dem Urtheile der Staatskundigen, sich ein so starkes Recht an die öffentliche Dankbarkeit erwarben, daß selbst der große Sultan Tifan, da er alle Arten von herumschweifenden Bonzen gänzlich aufhob, die einzigen Fruchtbringenden, als Leute die dem Staate wichtige Dienste geleistet hätten, bei ihrem alten Vorrecht erhielt, auf Kosten ihrer freiwilligen Wohlthäter müßig zu gehen.Ich finde, sagte Schach-Gebal, diese Achtung des Sultan Tifan für die Verdienste der Fruchtbringenden um so lobenswürdiger, da ich versichert bin, daß die Erben, womit der Adel von Scheschian durch ihre Vermittelung versehen wurde, stärkere Sennen und frischeres Blut in die Familien brachten, und also tüchtig wurden, die Stammväter einer markigern Nachkommenschaft zu werden. Indessen sollte mich's wundern, wenn die Ya-faou nicht aus dem nämlichen Grund einiges Recht an die Nachsicht des Königs Tifan gehabt hätten.Sire, versetzte Danischmend, das herbe und abschreckende Aussehen, welches diese letztern sich gaben, scheint ihnen größtentheils die Gelegenheit, sich um die höhern Classen des Staats verdient zu machen, abgeschnitten zu haben. Vermuthlich

fehlte es ihnen an gutem Willen nicht; aber da sie aus der feinen Welt gänzlich ausgeschlossen waren, sahen sie sich genöthiget, ihn bei den geringern Classen gelten zu machen, wo ihr Beistand, wenigstens in Rücksicht auf den Staat, gänzlich in Verlust ging, folglich nichts Verdienstliches haben konnte.Nachdem Danischmend von den verschiedenen Gattungen und Arten der Scheschianischen Bonzen, von ihren Grundsätzen, von ihrem Götzendienste, von ihrer vorgegebenen Zauberkunst, von dem Orakel der großen Pagoden und besonders von den Mitteln, wodurch sie sich eine beinahe unumschränkte Gewalt über die Köpfe und über die Beutel der Scheschianer zu erwerben gewußt, umständliche Nachricht gegeben; läßt er sich in eine weitläuftige und für jeden andern als den Sultan Gebal tödtlich langweilige Erzählung gewisser Streitigkeiten ein, welche um sehr unerheblicher Dinge willen unter diesen Bonzen entstanden seyn, und durch die unvorsichtige Theilnehmung des Hofes an denselben Gelegenheit gegeben haben sollen, daß die Nation sich in verschiedene Parteien zerspaltet, aus deren heftigem Zusammenstoß endlich einer der wüthendsten Bürgerkriege, wovon man jemals ein Beispiel gesehen, entstanden sey. Der gänzliche Untergang des Staats würde unvermeidlich gewesen seyn, wenn nicht glücklicherweise für dieses bethörte Volk Ogul-Kan dazwischen gekommen, und durch seine Eroberung die tobenden Bonzen genöthiget hätte, ihrer Privathändel zu vergessen, um auf ihre gemeinschaftliche Erhaltung bedacht zu seyn.Gut (ruft hier Schach-Gebal aus), hier erwartete ich

meinen guten Bruder Ogul-Kan. Ich bin sehr begierig zu hören, was er zu den Streitigkeiten der Scheschianischen Bonzenschaft gesagt haben mag. Denn bei aller Achtung, die ich für seine übrigen Verdienste hege, wird er mir nicht übel nehmen, wenn ich mir ihn als einen sehr mittelmäßigen Metaphysiker vorstelle.Sire (versetzte Danischmend), der bloße Menschenverstand, von welchem er sich in dieser Sache leiten ließ, führte ihn sicherer, als die subtile Dialektik vielleicht hätte thun können. Die Tatarische Horde, deren Anführer er war, hatte von ihren Vorältern eine sehr einfältige Religion geerbt. Sie kannten weder Tempel noch Priester. Sie verehrten einen unsichtbaren Herrn des Himmels, von welchem sie glaubten, daß er die guten Menschen liebe und die bösen — nicht hasse, sondern besser mache. Sie hielten es für unrecht ein Bild von ihm machen zu wollen. Denn (sagten sie in ihrer Einfalt) wenn man auch den großen Berg Kantel selbst zu seinem Bilde aushauen wollte, so würde dieß dennoch nur eine kindische Vorstellung von der Größe eines Monarchen geben, der die Sonne in der einen Hand und den Mond in der andern hält. Diesem Begriffe zufolge begnügten sie sich, in jedem Hause eine schwarze Tafel an der Wand hängen zu haben, worauf mit goldnen Buchstaben geschrieben stand: Ehre sey dem Herrn des Himmels! Vor dieser Tafel pflegten sie täglich etwas Räuchwerk anzuzünden; sie baten dabei den Herrn des Himmels, daß er sie an Leib und Seele gesund erhalten möchte; und hierin bestand ihr ganzer Gottesdienst. Es war also nicht wohl anders möglich, als daß sie die Religion

von Scheschian zugleich mit Verachtung und mit Abscheu ansehen mußten; und Ogul-Kan konnte mit allem seinem Ansehen nicht verhindern, daß nicht in der ersten Hitze eine große Anzahl von Pagoden zerstört worden wäre. Dieser Prinz scheint zwar selbst kein Freund des Aberglaubens gewesen zu seyn; aber er war ein zu vernünftiger Mann, um zu fordern, daß seine neuen Unterthanen auf einmal eben so vernünftig seyn sollten wie er. Er wußte, daß die Gewalt eines Monarchen sich nicht über Gewissen und Einbildung erstreckt; er wußte auch, wie gefährlich es ist, eine noch unbefestigte Regierung mit Unternehmungen gegen die eingeführte Religion anzufangen. Er bezeigte sich also sehr billig, ja sogar günstig gegen die Priesterschaft von Scheschian; erklärte sich öffentlich, daß er sie bei ihren Gerechtsamen und Vortheilen schützen und nichts gegen ihre Religion unternehme wolle; und hielt, was er versprochen hatte.Kaum fingen die Bonzen wieder an, der Ruhe zu genießen, welche sie der Regierung dieses weisen und guten Königs zu danken hatten, so erinnerten sie sich auch ihrer ehmaligen Streitigkeiten wieder; und auf einmal wurde wieder von allen Seiten zum Treffen geblasen. Aber hier hörte die Gefälligkeit des Sultans Ogul auf. Er ließ ein Edict ausgehen, worin einem jeden erlaubt wurde, seine Meinung über die Gegenstände des Streites mit Bescheidenheit bekannt zu machen; aber er verbot zugleich alle Bitterkeit, und alle Anzüglichkeit im Disputiren; und um seinem Verbote den gehörigen Nachdruck zu geben, setzte er die Strafe von zweihundert Streichen auf die Fußsohlen darauf, wenn sich jemand,

wer er auch wäre, gelüsten ließe, einen andern seiner Meinungen wegen zu schimpfen oder zu verdammen. "Meinungen über Dinge, welche ihren Besitzer zu keinem schlimmern Manne machen, sind weder Staatssachen noch Verbrechen." sagte er: "ich werde mich niemals damit abgeben,. sie zu untersuchen, und noch weniger mich bereden lassen, sie zu bestrafen. Gedanken und Träume sollen in meinem Reiche frei seyn; und man soll keinem Menschen verwehren, seinen Traum zu erzählen, oder seine Meinung zu sagen, wenn er jemand findet, der ihm zuhören will. Das einzige Mittel, Grillen und Meinungen unschädlich zu machen, ist, wenn man ihnen Luft läßt. Laßt die Bonzen in Scheschian, so lange sie wollen, untersuchen, ob ihr großer Affe ein Genus oder ein Orang-Outang gewesen, ob er zu Wasser oder zu Lande in Scheschian angekommen, oder ob er aus dem Schweif eines Kometen herabgefallen sey; so lange die Untersuchung eine Privatsache bleibt, und der Streit mit Bescheidenheit geführt wird, kann die Ruhe des gemeinen Wesens nichts davon zu besorgen haben. Aber Ogul-Kan dürfte sich nur verleiten lassen, aus solchen Streitfragen eine Staatsangelegenheit zu machen, wenn in wenig Jahren das ganze Reich in Feuer stehen sollte."So dachte der weise Ogul (fährt Danischmend fort), und verdient Ehrensäulen dafür, daß er so dachte. Aber diese Politik war nicht nach dem Geschmacke der Bonzen. Sie ließen es darauf ankommen, ob er den Uebertretern des Gesetzes sein Versprechen halten würde. Ogul hielt sein Versprechen pünktlich. Ein Ya-faou, der die Meinungen eines

gewissen Tulpan, welche vor der Eroberung viele Bewegungen verursacht hatten, öffentlich mit größter Heftigkeit bestritt, und die Anhänger derselben für unwürdig erklärte von Sonne und Mond beschienen zu werden, empfing auf dem größten Marktplatze der Stadt Scheschian die ganze Summe der zweihundert Prügel auf die Fußsohlen, ohne daß Einer daran fehlte; und da sein Geschrei und seine Aufhetzungen einen Aufruhr unter dem Pöbel verursachten, ließ Ogul-Kan die Schuldigen, an der Zahl zweitausend, von seiner Tatarischen Leibwache umringen, und den fünfzigsten Mann von ihnen, ohne Ansehen der Person, an die kahl gemachten Aeste eines hohen Eichbaums aufhängen, der im äußersten Vorhofe der großen Pagode stand. Diese Justizpflege war ein wenig Tatarisch, aber sie brachte ein großes Gut hervor; denn sie machte die Bonzen verträglich. Das Volk schrie über Tyrannei; Sultan Ogul kehrte sich nicht daran; und in kurzem erkannte die Nation mit Dankbarkeit, daß er sie durch eine wohl angebrachte Strenge von einem großen Uebel befreiet hatte.Von der Zeit an, da die Bonzen in ihren Streitschriften nicht mehr schimpfen, und durch geheime oder öffentliche Beschuldigungen ihren Gegnern keinen Schaden mehr zufügen durften, verloren sie auch die Leidenschaft zum Grübeln und Streiten, wovon sie seit geraumer Zeit besessen gewesen waren. Sie fingen an gewahr zu werden, daß sie sich dadurch bei Vernünftigen nur lächerlich machten, und glaubten weiser zu handeln, wenn sie ihren Witz anwendeten, die Religion von Scheschian mit dem gesunden Menschenverstande ihrer neuen Gebieter auszusöhnen. Diesem löblichen Vorsatze zufolge

geschah es, daß sie, indem sie sich bemühten, ihre Grundsätze in das vortheilhafteste Licht zu stellen, unvermerkt auf einen ziemlich einförmigen Lehrbegriff geriethen, der den Tatarn immer einleuchtender wurde: und da die Kamfalu zu gleicher Zeit mit gutem Erfolg an der Bekehrung der Tatarischen Schönen arbeiteten, so fand sich nach wenigen Jahren, daß die Eroberer (den König und einige seiner Vertrauten ausgenommen) die Religion des Landes angenommen hatten, ohne daß man recht sagen konnte, wie es zugegangen war. Aber es fand sich auch zugleich, daß die Wallfahrten nach der großen Pagode merklich abnahmen. Es entstand aus der Vermischung des Scheschianischen Aberglaubens init dem groben Tatarischen Menschenverstand eine Art von Mittelding, welches zwar keine neue Religion vorstellte, aber doch unvermerkt in dem Nationalgeiste, in den Vorurtheilen, Gewohnheiten und Sitten von Scheschian eine Veränderung hervorbrachte, welche mit einigem Grund ein Schritt zur Verbesserung genannt werden konnte. Was vermuthlich das meiste dazu beitrug, war die Freiheit, sich auf die Wissenschaften und schönen Künste zu legen, welche Ogul-Kan allen seinen Unterthanen ertheilte. Denn vormals war dieß, wie bei den Aegyptiern, ein ausschließendes Vorrecht der Priesterschaft gewesen. In einem Zeitlaufe von vierzig bis fünfzig Jahren wurden die graubärtigen Bonzen gewahr, daß sie sich in einer neuen Welt befanden, welche nicht mehr so leicht zu behandeln war als die alte. Die Mährchen, womit sie sonst die Fragen der Neugierigen gestillt hatten, wurden nicht mehr so befriedigend gefunden als ehmals. Die Untersuchungen über den Grund

dessen, was die Menschen wahr nennen, über die Natur, den Zweck und die wesentlichen Rechte der politischen Gesellschaft, und über andre Dinge von dieser Wichtigkeit, welche immer häufiger angestellt wurden, hatten die Folge, daß vieles, was man für wahr gehalten hatte, falsch befunden wurde. Und wenn man Gegenständen, die vor einer aufgeklärten Vernunft keine Gnade finden konnten, noch immer einen Rest von Ehrerbietung bewies, so war sie derjenigen gleich, womit man ein altes Gemälde aus den Kinderjahren der Kunst anzusehen pflegt: man schätzt es nicht weil es gut, sondern weil es alt ist.Es war von den Bonzen nicht zu erwarten, daß sie eine so wichtige Veränderung mit Gleichgültigkeit ansehen sollten. Auch thaten sie ihr Möglichstes, dem sichtbaren Schaden zu wehren, den die Ausbreitung der Vernunft und der Menschlichkeit ihnen selbst und ihren Pagoden zufügte. Aber da sie merkten, daß die letzten Anstrengungen ihrer Kunst nur den Triumph ihrer Gegnerin zu zieren dienten: so schmiegten sie sich endlich unter ihr Schicksal, und betrugen sich ungefähr so, wie eine handelnde Nation, welche sich genöthiget sieht, gewisse Zweige von Gewerbe, wiewohl mit augenscheinlichem Verluste, bloß deßwegen fortzuführen, um nicht die Handlung selbst zu verlieren, und der Hoffnung entsagen zu müssen, durch irgend eine günstige Wendung der Umstände sich vielleicht dereinst ihres Schadens wieder zu erholen.Indessen war eine von den heilsamen Folgen dieser Revolution in dem Nationalgeiste von Scheschian, daß die Bonzen selbst sich angelegen seyn ließen, an persönlichen Verdiensten

wieder zu gewinnen, was sie auf einer andern Seite verloren hatten. Danischmend führt hiervon viel besonders an, unterläßt aber gleichwohl nicht, die Anmerkung zu machen: sie hätten bei allem dem nicht recht verbergen können, daß es ihnen lieber gewesen wäre, der Nothwendigkeit, so viele Verdienste zu haben, überhoben zu seyn. Sie belauerten, sagt er, mit der scharfsichtigsten Aufmerksamkeit jede Gelegenheit und jedes Mittel, ihren großen Zweck mit wenigern Unkosten zu befördern; und glücklicher Weise für sie spielte der leichtsinnige Muthwille, womit einige die Freiheit der damaligen Zeiten zu mißbrauchen anfingen, ihnen Waren in die Hände, welche sie unter dem scheinbarsten Vorwande, gegen ihre unversöhnlichen Feinde, Witz und Vernunft, gebrauchen konnten.Danischmend beginnt seine Erzählung von diesem Aufstand der Bonzen gegen die Usurpation einer tyrannischen Philosophie mit einer allgemeinen Betrachtung, welche nicht so viel benützt wird, als sie es zu verdienen scheint. Dasjenige, sagt er, was in allen sittlichen Dingen die Gränzen des Schönen und des Häßlichen, des Guten und des Bösen, des Rechts und des Unrechts bestimmt, ist eine allzu feine Linie, als daß sie nicht alle Augenblicke von der Unwissenheit und dem Leichtsinn übersehen, oder von den Leidenschaften übersprungen werden sollte. Daher eine Quelle von Uebeln, welche man nicht verstopfen darf, auch wenn man es könnte, — der häufige Mißbrauch von Dingen, wovon der rechte Gebrauch der menschlichen Gesellschaft nützlich ist, und welchem abzuhelfen man bisher noch keine andern Mittel erfunden hat, als solche, die dem Dienst gleichen, den der gutherzige Bär in der Fabel

seinem Freunde, dem Eremiten erweis't, da er, um eine Fliege von der Nase seines schlafenden Freundes zu verjagen, einen Stein ergreift, und auf einen Wurf die Fliege und den Eremiten tödtet.Die Scheschianer geben uns hiervon ein merkwürdiges Beispiel. Sie waren unvermerkt klüger geworden als ihre Vorfahren. Ihre Begriffe von der wahren Beschaffenheit der Dinge, von ihrem Verhältniß gegen die Menschen, und von dem sehr wesentlichen Unterschiede zwischen den Gegenständen und den Vorstellungen, die man sich davon macht, klärten sich je länger je mehr auf. Die Vortheile dieser glücklichen Veränderung verbreiteten sich über das ganze Reich, wiewohl sie nur von scharfsichtigen Beobachtern bemerkt wurden. Aber die Nachtheile, die damit verbunden waren, wahrzunehmen, dazu reichte das Gesicht des blödesten Kopfes hin. So lange die Nation dumm war, konnte sie nicht mißbrauchen —was sie nicht hatte. Damals war die Quelle alles Uebels, daß sie ihre Vernunft gar nicht zu gebrauchen wußte. Itzt, da die Scheschianer, wie junge Vögel, die Schwingen ihres Geistes zu versuchen anfingen, begegnete es oft, daß sie zu hoch fliegen wollten und fielen, oder daß sie sich unvorsichtig in Oerter wagten, wo sie sich in verborgenen Schlingen verwickelten. Kurz, diejenigen, die entweder mehr Witz hatten als andre, oder doch dafür angesehen seyn wollten mehr zu haben, fühlten nicht sobald die Freiheit, in welche Ogul-Kan ihre Vernunft gesetzt hatte, als sie schon anfingen sie häufig zu mißbrauchen. Es war wohl bei den wenigsten so böse gemeint als es ihnen ausgelegt wurde. Wie leicht war es, in der

hüpfenden Freude, die einem Menschen natürlich ist, der nach einer langen Gefangenschaft wieder freie Luft athmet und sich seiner Füße wieder nach eigenem Gefallen bedienen darf, wie leicht war es da, die vorerwähnte Linie zu überhüpfen, und vor lauter Freude —nicht mehr dumm zu seyn, ein wenig närrisch zu werden! Man hatte den Aberglauben als ein großes Uebel kennen gelernt; man bildete sich ein, sich nicht weit genug davon verlaufen zu können, und verlief sich also in den entgegengesetzten Abweg. Indessen war dieß allerdings kein geringes Uebel, und verdiente die Aufmerksamkeit der Vorsteher des Staats um so mehr, da es von den höheren Classen unvermerkt auch zu den niedrigern überging.Hier fiel der Sultan Danischmenden in die Rede. Du berührst, sagte er ihm, einen Punkt, über den ich schon lange gewünscht habe, etwas Gewisses bei mir selbst festsetzen zu können. Es ist, wie du wohl bemerkt hast, nicht rathsam die Quelle von solchen Uebels zu verstopfen, die aus dem Mißbrauch einer Sache entstehen, wovon der Gebrauch gut ist. Und gleichwohl ist das Uebel, von dem du sprichst, von einer so gefährlichen Art, daß man schlechterdings genöthigt ist seinem Fortgange zu steuern. Ich möchte wohl hören, was du mir in diesem Falle zu thun rathen wolltest."Sire (antwortete Danischmend), die Frage, worüber ich meine Meinung sagen soll, hätte vorlängst besser als zwanzig andre verdient von unsrer Akademie zu einer Preisfrage gemacht zu werden. Ich unterstehe mich nicht zu sagen, daß ich die Auflösung davon gefunden habe, und mir däucht, diejenigen, welche sie so leicht finden, möchten sich wohl nie die

Mühe genommen haben, ihre Tiefe zu erforschen. Doch vielleicht ist sie eine von den Fragen, deren Auflösung gar nicht einmal möglich ist, oder, welche sich wenigstens nicht anders als durch einen kühnen Schnitt auflösen lassen. Der Fall dünkt mich dieser zu seyn: wir befinden uns zwischen zwei Uebeln, wovon wir schlechterdings genöthigt sind eines zu wählen; es fragt sich also, welches wir wählen sollen?"Hier, däucht mich, kann zuversichtlich als ein unstreitiger Grundsatz angenommen werden, daß in einem solchen Falle, wenn das eine Uebel einen unendlichen und unheilbaren Schaden thut, das andere hingegen unter gewissen Bedingungen ins Unendliche vermindert werden kann, nothwendig das letztere gewählt werden müsse."Dieß vorausgesetzt kommen hier zwei Uebel in Betrachtung: der Schade, der aus dem Mißbrauch der Vernunft und des Witzes, wenn ihnen völlige Freiheit gelassen wird, entspringen kann und wird; und derjenige, der daher entstehen muß, wenn diese Freiheit durch irgend eine Art von Zwangsmitteln eingeschränkt wird. Nun sage ich: den Gebrauch der Vernunft und des Witzes in einem Staat einschränken, ist eben so viel, als Unwissenheit und Dummheit mit allen ihren Wirkungen und Folgen in dem besagten Staate verewigen, falls sich die Nation noch in einem barbarischen Zustande befindet; oder, wenn sie sich bereits zu einem gewissen Grade der Erleuchtung emporgehoben hat, sie in Gefahr setzen, von Stufe zu Stufe wieder in diese Barbarei zurückzusinken, die den Menschen zu den übrigen Thieren herabwürdiget, ja gewissermaßen unter sie erniedriget. Denn, wie soll diese Gränzlinie, in

welche man Vernunft und Witz einschränken will, gezogen werden? Wer soll sie bestimmen? Was für Regeln sollen dazu festgesetzt werden? Wer soll Richter seyn, ob diese Regeln in jedem vorkommenden Falle beobachtet oder überschritten werden? Wodurch will man verhindern, daß der Richter nicht seine eigene Denkungsart, seine Vorurtheile, seinen persönlichen Geschmack, vielleicht auch seine Leidenschaften und besondern Absichten, zur Richtschnur oder zum Beweggrunde seiner Urtheile mache? Wird die Vernunft und der Witz der Nation nicht dadurch von dem Grade der Erkenntniß oder Unwissenheit, der Redlichkeit oder Unlauterkeit des Richters, oder von der ungereimten Voraussetzung, daß ihn seine Weisheit und Rechtschaffenheit nie verlassen werde, abhängig gemacht? Wenn wir denken dürfen, warum sollten wir nicht über Alles denken dürfen? Und ist denken nicht etwas andres als nachsprechen? Kann man denken ohne zu untersuchen? oder untersuchen ohne zu zweifeln? Und wenn sich dieses Recht zu zweifeln bis man untersucht hat, und zu untersuchen eh' man irgend ein Urtheil faßt, nicht auf alle Gegenstände erstreckt; wenn man annehmen wollte, daß es solche gebe, welche man nicht untersuchen dürfe, weil schädliche Folgen daher entspringen könnten: würde die Nation nicht immer in Gefahr schweben, daß es ihren Obern einmal einfallen könnte, die Untersuchung alles dessen für schädlich zu erklären, was sie bloß ihres eigenen Vortheils wegen nicht untersucht haben wollten? Die Jahrbücher des menschlichen Geschlechts belehren uns, daß unsre Obern zuweilen Tyrannen gewesen sind, oder wenigstens schwach genug, sich von irrigen Meinungen

und von Leidenschaften, eigenen oder fremden, beherrschen zu lassen. Auf welchem seichten Grunde würde demnach die öffentliche Glückseligkeit stehen, wenn es von der Willkür etlicher weniger Sterblichen abhinge, die großen Triebfedern des allgemeinen Besten der Menschheit, Vernunft und Tugend, nach ihren besondern Begriffen und Absichten einzuschränken?"Was ich von der Vernunft gesagt habe, gilt in seiner Art auch von dem Witze, dessen wichtigster Gebrauch ist, alles, was in den Meinungen, Leidenschaften und Handlungen der Menschen mit der gesunden Vernunft und dem allgemeinen Gefühl des Wahren und Schönen einen Mißlaut macht, das ist, alles, was ungereimt ist, als belachenswürdig darzustellen. Jede Einschränkung dieses Gebrauchs ist ein Freiheitsbrief für die Thorheit, und ein stillschweigendes Geständniß, daß es ehrwürdige Narrheiten gebe. Unvermerkt würden sich noch andre Thorheiten hinter diese verstecken; denn ihre Familie ist zahlreich, und manche sehen einander so ähnlich, daß es sehr leicht ist eine für die andere anzusehen. Was anders würde also aus der Einschränkung der Vernunft und des Witzes erfolgen, als daß, unter dem bleiernen Scepter der Dummheit, Aberglaube und Schwärmerei, Tyrannei über Seelen und Leiber, Verfinsterung der Vernunft, Verderbniß des Herzens, Ungeschliffenheit der Sitten, und zuletzt allgemeine Barbarei und Wildheit die Oberhand gewinnen würden?"Und dieß würde nicht etwa bloß eine zufällige Folge, es würde die nothwendige und unvermeidliche Wirkung davon seyn, wenn man den freien Lauf der Vernunft und des Witzes

hemmen, und es in die Gewalt einzelner Personen geben wollte, den Zügel, womit man sie gefesselt hätte, nach ihrem Gutbefinden anzuziehen oder nachzulassen."Nun lassen Sie uns auf der andern Seite sehen, ob der Schaden, welchen man von dieser Freiheit zu besorgen hat, so beträchtlich ist, daß er gegen den Schaden ihrer Unterdrückung in Betrachtung kommen kann; und ob er nicht vielmehr unter gewissen Bedingungen sich nach und nach ins Unendliche vermindern muß?"Es ist wahr, die Freiheit der Vernunft, des Witzes, der Einbildungskraft, und dessen was man Laune nennt, kann und wird zuweilen mißbraucht werden, um Weisheit und Tugend selbst in ein falsches Licht zu stellen, und vielleicht die ehrwürdigsten Gegenstände, um unwesentlicher Gebrechen willen, lächerlich zu machen. Man hat überdies einige Beispiele, daß etwas ungereimt Scheinendes bei anwachsender Einsicht wahr befunden worden, und also aufgehört hat ungereimt zu seyn. Es ist also möglich, daß die Freiheit, welche dem Muthwillen des Witzes gelassen würde, den Fortgang der Wahrheit selbst aufhalten könnte. Aber alle diese Uebel, so groß man sie auch immer sich einbilden mag, sind zufällig und selten; der Nachtheil, den sie der menschlichen Gesellschaft bringen können, wird durch tausend entgegenwirkende Ursachen theils verhütet, theils unmerklich gemacht, und, was das wichtigste ist, er muß, vermöge der Natur der Sache, immer abnehmen, Der Krieg zwischen Vernunft und Witz, und ihren ewigen Feinden Unverstand und Dummheit, ist ein Uebel wie alle andern Kriege. Er bringt zwar zufälligerweise allerlei

schädliche Ausbrüche hervor, und es sind immer viele, die auf diese oder jene Weise darunter leiden: aber er ist ein nothwendiges Uebel, welches durch seine Folgen das größte Gut befördert. Jede neue Eroberung, die von jenen über diese gemacht wird, schwächt den Feind, befestigt die rechtmäßige Oberherrschaft, und beschleuniget den Anbruch jener glückseligen Zeiten, deren Unmöglichkeit noch niemand bewiesen hat, und welche (wenn es auch unwahrscheinlich wäre, daß sie jemals kommen würden) dennoch das große Ziel aller Freunde der Menschheit seyn müssen: der Zeiten, wo Polizei, Religion und Sitten, Vernunft, Witz und Geschmack einträchtig zusammen wirken werden, die menschliche Gattung glücklich zu machen."Danischmend, mein Freund (sagte der Sultan, als der Doctor mit seiner Rede fertig war), alles, was du uns hier gesagt hast, mag sehr gut seyn, wenn von einem Staat in Utopien die Rede ist, den du mit idealischen Menschen nach Belieben besetzen und regieren kannst, wie es dir gefällt. Aber die Rede ist, mit Erlaubniß deiner Philosophie, nicht von dem, was der menschlichen Gesellschaft überhaupt, sondern von dem, was diesem oder jenem besondern Staate gut ist; und da wirst du vermuthlich zugeben, daß sich kein wirklicher Staat, mit Menschen von Fleiss und Blut besetzt, denken lasse, dessen Bewohner die Vortheile, die sie darin genießen, nicht mit Aufopferung eines Theiles ihrer natürlichen Rechte erkaufen müßten. Du hast uns sehr schon bewiesen, daß es zum Besten der menschlichen Gesellschaft gereiche, wenn der Vernunft und dem Witze, folglich — weil du keinen Richter erkennen willst,

der in jedem besondern Falle entscheide, was Vernunft und Witz sey — auch der Unvernunft und dem Aberwitze volle Freiheit gelassen werde: aber alle deine Gründe sollen mich nicht hindern, dem ersten, der sich die Freiheit nehmen wollte, meine Völker durch seine Schriften zum Mißvergnügen und zur Empörung zu reizen, die Ohren abschneiden zu lassen; oder den ersten Philosophen, der sich gelüsten lassen wird, das Gesetz unsers Propheten für ein Werk des Betrugs zu erklären, mit fünfhundert Streichen auf die Fußsohlen zu belohnen. Darauf kannst du dich verlassen. Ich bin der Mann, mein Wort so genau zu halten als Ogul-Kan.Sire, erwiederte Danischmend ganz ruhig, meine Meinung ging nur wider solche Anordnungen, die es von der Einsicht und Willkür einzelner Personen abhängig machen, wie klug oder wie dumm eine Nation seyn soll. Indessen, und bis die Akademie oder irgend ein anderer Adept Mittel, dem Mißbrauche der Freiheit zu wehren, welche der Freiheit selbst unnachtheilig sind, ausfindig gemacht haben wird, möchte wohl schwerlich zu verhindern seyn, daß das Wort Mißbrauch nicht immer zweideutig bleiben sollte; und also wird (mit Ausnahme weniger besonderer und seltener Fälle, worüber dem Landesherrn zu erkennen obliegt) doch immer das sicherte seyn, lieber einige Ausschweifungen zu übersehen, als uns durch eine gar zu strenge Regelmäßigkeit in Gefahr zu setzen, des edelsten Vorrechts der Menschheit verlustiget zu werden.Wenn mir erlaubt ist (fuhr Danischmend fort), die Anwendung der vorgelegten Frage auf die Priester von Scheschian zu machen, so däucht mich, daß nur ein mißverstandenes Interesse

diese Bonzen verleiten konnte, die Freiheit, welche Ogul-Kan seinen Unterthanen zugestanden hatte, so gefährlich zu finden. Der Staat und die Religion von Scheschian konnten nicht anders als bei dieser Freiheit gewinnen. Ja die Bonzen selbst würden dabei gewonnen haben. Sie würden anfänglich aus Nothwendigkeit, hernach aus Gewohnheit, zuletzt vielleicht aus Neigung und Wahl, sich immer weiter von allem demjenigen entfernt haben, was sie einem gerechten Tadel unterwürfig gemacht hatte. Frei von dem Vorwurf einer unbändigen Begierde zu herrschen und die Güter ihrer Mitbürger an sich zu ziehen, geziert mit jeder Tugend ihres Standes, würde die Hochachtung ihres persönlichen Werthes sich mit der Würde ihres Amtes vereiniget haben, sie durch die allgemeine Zuneigung besser als durch Strafgebote vor unbilligen Mißhandlungen sicher zu stellen. Denn ich unterstehe mich zu behaupten, daß es kein Volk auf Erden gibt, welches nicht geneigt seyn sollte, einen weisen und tugendhaften Mann eben dadurch, daß er ein Priester ist, doppelt ehrwürdig zu finden. Allein die Bonzen von Scheschian hatten das Unglück, diese Betrachtung nicht zu machen. Die Verbesserung oder Abstellung alles dessen, was dem gesunden Menschenverstand an ihren Begriffen, Maximen und Sitten anstößig seyn mußte, war unstreitig der geradeste Weg, sich dem öffentlichen Tadel zu entziehen; aber es war auch der beschwerlichste. Lieber wollten sie durch tausend schleichende Wendungen und niedrige Kunstgriffe diejenigen zu unterdrücken suchen, von deren Fähigkeiten und Einsichten sie sich, auch ohne besondere Ursache, aus einer Art von Instinct, fürchteten;

und die Sicherheit der Scheschianischen Religion diente ihnen bloß zum Vorwande, ihre Rachsucht an einem jeden auszulassen, der gegen ihre offenbarsten Ungereimtheiten und gröbsten Mißbräuche etwas einzuwenden hatte. Sie ließen keine Gelegenheit entschlüpfen, in Gesellschaften, oder unter vier Augen, sonderlich bei Personen von Stand und Ansehen, zu verstehen zu geben, daß solche Leute in billigem Verdachte ständen, weder an den großen Affen noch an den allgemeinen Schutzgeist (wie sie das höchste Wesen nannten) zu glauben. Gestanden sie auch einigen derselben Talente zu, so bedauerten sie doch zugleich in einem seufzenden Tone, daß diese Talente nicht besser angewendet würden, und beklagten die Gefahr der Nation, wenn solchen Leuten gestattet würde, ihr süßes Gift in unbehutsame Seelen fallen zu lassen. Durch dergleichen Künste gelang es ihnen bei allen, welche sich mit angeerbten Begriffen behalfen, das ist, bei dem größten Theile der Nation, sich im Besitz eines gewissen Einflusses zu erhalten, der vielleicht nur desto tiefere Wurzeln schlug, weil sie ihn der sanften Gewalt einschmeichelnder Ueberredungen, und tausend seinen Ränken, womit sie die Gemüther zu umspinnen wußten, zu danken hatten. Sie genossen unter einigen schwachen Regierungen das Vergnügen, von Zeit zu Zeit kleine Verfolgungen gegen Witz und Vernunft zu erregen: und es ist sehr wahrscheinlich, daß die Barbarei, welche unter Ogul-Kan in die Schlupflöcher der Ya-faou hatte flüchten müssen, mit schnellen Schritten zurückgekommen wäre, sich des Hofes und der Paläste der Großen und Reichen wieder zu bemächtigen, wenn die Regierung der schönen Lili nicht zu

gutem Glücke der Nation einen andern Schwung gegeben hatte.Man muß gestehen, jagte Schach-Gebal, die Bonzen von Scheschian haben keine sonderliche Ursache, sich Danischmenden für das Denkmal, das er ihnen stiftet, verbunden zu halten.Sire, erwiederte der Doctor, wenigstens werden mir Ihre Hoheit glauben, daß ich keine Bewegursachen haben kann, sie anders abzuschildern als sie waren. Die Wahrheiten, die ich sage, können niemand Schaden thun; aber sie können, wofern Ihre Hoheit erlauben, die Geschichte von Scheschian bekannt zu machen, noch den spätesten Zeitaltern als ein Spiegel nützlich werden. Ich halte diese Art von Spiegeln für eine sehr gute Erfindung; denn am Ende ist doch einem jeden daran gelegen, zu wissen wie er aussieht; und so achtsam man auch auf sich selbst ist, so gibt es doch immer einige Flecken wegzuwischen, oder einige kleine Unordnungen an seiner Person zu verbessern. Wer sich keiner größern Gebrechen bewußt ist, darf getrost hineinsehen; und wer hineinguckt, und über den Spiegel, oder über die Fabrik, worin er gegossen worden, schilt, von dem getraue ich mir zu behaupten, daß es ihm sehr an —Klugheit fehlen müsse.Wenn du die Einwilligung meines Imans erhalten kannst, versetzte der Sultan, so sollst du nicht zu klagen haben, daß ich deiner Spiegelfabrik hinderlich sey. Ich bin immer ein Beförderer der Fabriken gewesen.Nach der gewöhnlichen Unterbrechung fährt Danischmend, auf Befehl des Sultans, fort, sich den Weg zu den Handeln zu bahnen, welche unter dem Sultan Azor zwischen den Bonzen

in Scheschian ausbrachen, und das Unglück des Reichs vollständig machten."Die Gestalt, sagt er, welche der Nationalgeist von Scheschian unter der Regierung der Königin Lili annahm, war dem System und den Absichten der Bonzen nicht sehr vortheilhaft. Der Aberglaube, auf den ihr vormaliges Ansehen gegründet war, setzt eine gewisse Verfinsterung der Seele als eine nothwendige Bedingung voraus, und nimmt also in der nämlichen Gradation ab, in welcher die Aufklärung eines Volkes zunimmt. Witz, Geschmack, Geselligkeit, Verfeinerung der Empfindung und der Sitten, sind seine natürlichen Feinde; ihre gegenseitige Antipathie ist unversöhnlich; und entweder gelingt es ihm sie zu unterdrücken, oder sie unterdrücken ihn. Die Bonzen von Scheschian sahen sich dem letztern Falle so nah, daß sie endlich, wie es scheint, an der Erhaltung ihres vormaligen Systems zu verzweifeln anfingen. Ein jeder war nun bloß darauf bedacht, anstatt für die gemeine Sache, für sich selbst zu arbeiten, und von seinen eigenen Talenten, körperlichen oder geistigen, so viel Vortheil zu ziehen, als er Gelegenheit dazu hatte."In dieser Lage befanden sich die Sachen, als im zehnten Jahre der Regierung Azors ein Ya-faou, der sich durch seine Bemühungen um die Scheschianischen Alterthümer hervorgethan, mit einer Entdeckung auftrat, welche, so wenig sie auch beim ersten Anblick zu bedeuten schien, durch ihre Folgen das ganze Reich in Verwirrung setzte. Er hatte nämlich gefunden, oder glaubte gefunden zu haben, daß der Name des großen Affen aus den ältesten Denkmälern der Nation niemals Tsai-Faou

(wie er seit einigen Jahrhunderten geschrieben und ausgesprochen wurde), sondern allezeit Tsao-Faou geschrieben war. Da nun Tsai in der Scheschianischen Sprache allezeit feuerfarben, Tsao hingegen, vermöge eines mit großer Gelehrsamkeit von ihm geführten Beweises, von jeder blau bedeutet hatte: so ergab sich der Schluß von selbst, daß der Name des blauen Affen eigentlich der wahre, uralte und charakteristische Name der Schutzgottheit ihres Landes sey."Gorgorix (so nannte sich der Ya-faou), welcher, nach Art aller Alterthumsforscher, eine ungemessene Freude über diesen Fund hatte, der ihm Gelegenheit gab, Dissertationen zu schreiben, worin er seinen in vielen Jahren mühsam gesammelten Vorrath ron Collectaneen, Lesarten, Verbesserungen, Ergänzungen, Muthmaßungen, Zeitrechnungen, etymologischen Untersuchungen, und dergleichen, anbringen konnte, —glaubte sich nicht genug beschleunigen zu können, der Welt eine so wichtige Entdeckung mitzutheilen. Wirklich hatten ihn die Untersuchungen, die er bei dieser Gelegenheit anstellen mußte, auf die Spur so vieler andrer antiquarischer und grammatischer Entdeckungen gebracht, und eine jede derselben hatte ihm zu so vielen gelehrten und äußerst interessanten Digressionen Anlaß gegeben, daß, ungeachtet des Titels seines Buchs, dasjenige, was darin den blauen und feuerfarbnen Affen betraf, kaum den zwanzigsten Theil davon ausmachte. Seine Absicht scheint anfangs nichts weniger gewesen zu seyn, als Neuerungen in der Religion seines Landes anzuspinnen; und vielleicht würde die Sache ohne Folgen geblieben seyn, wenn seine Schüler und Freunde weniger eifrig gewesen wären, die Entdeckung

des großen Gorgorix (wie sie ihn nannten) in allen Zeitungen und Journalen von Scheschian als Dinge von der verdienstlichsten Wichtigkeit anzupreisen. Durch die unbescheidenen Bemühungen dieser Leute geschah es denn, daß sein Buch endlich die öffentliche Aufmerksamkeit rege machte. Verschiedene Bonzen, welche den Ruhm des großen Gorgorix mit schelen Augen ansahen, traten mit kritischen Beleuchtungen seines Buches hervor, worin es ihnen nicht sowohl darum zu thun war, zu ergründen, ob Gorgorix Recht oder Unrecht habe, als der Welt zu zeigen, daß sie zum wenigsten einen eben so großen Vorrath von Collectaneen besäßen, und noch scharfsinnigere und gelehrtere Ergänzungen, Verbesserungen, Muthmaßungen, Zeitrechnungen und Wortableitungen zu machen wüßten als Gorgorix. Bald gesellten sich auch einige Ya-faou zu ihnen, welche die Entdeckung dieses Antiquars aus einem ganz andern Gesichtspunkt ansahen, und über die Gottlosigkeit und Gefährlichkeit dieser Neuerung ein mächtiges Geschrei erhoben. Da es weder diesen noch jenen an Freunden mangelte, die aus mancherlei Ursachen und Absichten öffentlich ihre Partei ergriffen, so wurde der Streit immer hitziger und allgemeiner. Die Liebe zum Neuen zog den größten Theil der jungen Bonzen und Ya-faou auf die Seite des blauen Affen, und Gorgorix sah sich in kurzem an der Spitze eines ansehnlichen Theils der Nation."Nun bekam er Muth, dasjenige, was er anfangs in einem bescheidenen und problematischen Tone vorgebracht hatte, mit dem herrischen Anstand eines gelehrten Dictators vorzutragen, und allen, welche die Bündigkeit seines Beweises nicht so einleuchtend fanden als er selbst, mit einer Verachtung

zu begegnen, die seinen Gegnern unerträglich war. Man muß entweder ein Dummkopf seyn, sagte er, wenn man die Wahrheit meiner Entdeckungen nicht einsehen kann, oder sehr boshaft, wenn man sie nicht sehen will. Diese unter den Gelehrten zu Scheschian sehr gewöhnliche Art zu disputiren, hatte auch hier ihre gewöhnliche Wirkung. Die Gemüther der Streitenden wurden immer mehr erbittert; die Streitfragen selbst vermehrten sich täglich durch die Wuth einander nichts einzugestehen; und eine Menge von Leuten erklärte sich mit der größten Hitze für die eine oder die andere Partei, ohne untersucht zu haben, wer Recht habe, oder zu einer solchen Untersuchung geschickt zu seyn."Unvermerkt verwandelte sich diese Fehde aus einem Wortkrieg in einen weit aussehenden Religionsstreit, und jede Partei wandte alles an, sich zu vergrößern: als Kalaf, ein junger Bonze, welcher Mittel gefunden hatte sich bei Hofe in einiges Ansehen zu setzen, das bisher noch zweifelhafte Uebergewicht durch seinen Beitritt auf die Seite des Gorgorix zog. Nicht, als ob er sich im geringsten für die Sache selbst interessirt hätte; denn er hatte sich nie die Mühe genommen, das Buch dieses Ya-faou zu lesen; und niemand in der Welt bekümmerte sich weniger als er, ob der große Affe blau, grün oder pomeranzengelb sey. Aber Kalaf war ehrgeizig; er hatte ein Auge auf die Würde eines Oberbonzen der Hauptstadt Scheschian, welche in kurzem ledig werden mußte, und der blaue Affe konnte ihm zu einem Vorhaben beförderlich seyn, wozu er sich in dem ordentlichen Laufe der Dinge wenig Hoffnung zu machen hatte. Sein gutes Glück hatte ihn zu dem Amte erhoben, eine Persische Tänzerin, deren

rühmliche Fesseln der Vertraute des ersten Günstlings der Sultanin Lili trug, von der Religion der Gebern, worin sie erzogen war, zu der Scheschianischen, für welche ihr Liebhaber sich ungemein beeiferte, zu bekehren. Da die Tänzerin große Ansprüche an Witz machte, so war dieß eben kein leichter Auftrag. Allein Kalaf war ein liebenswürdiger Mann, wenigstens in den Augen einer Tänzerin; er fand Mittel sich vor allen Dingen ihres Herzens zu bemeistern, nicht zweifelnd, wenn er einmal dieses gewonnen hätte, würde sich ihr Kopf nicht lange gegen seine Gründe halten können. Er wußte ihrer Eitelkeit so gut zu schonen, und die Augenblicke, welche seiner Unternehmung am günstigsten waren, so geschickt zu wählen, daß die Tänzerin endlich gestehen mußte, daß er sie überzeugt habe: aber sie erklärte sich zu gleicher Zeit, wenn sie ja genöthigt würde, sich den großen Mithras unter dem Bilde eines Affen vorzustellen, so sollte es doch schlechterdings kein andrer als ein blauer seyn; denn blau war ihre Lieblingsfarbe. Kalaf, zu klug, durch eine unzeitige Unbiegsamkeit in einem Punkte, woran ihm so wenig gelegen war, sich der Frucht so vieler mühsamen Nachtwachen zu berauben, und scharfsinnig genug, um beim ersten Blicke zu sehen, was man aus einer Sache machen kann, versicherte sie, daß er selbst immer geneigt gewesen sey, sich für den blauen Affen zu erklären, und daß er itzt um so eifriger für ihn arbeiten würde, da er das günstige Vorurtheil seiner schönen Neubekehrten für nichts Geringeres als die Wirkung eines übernatürlichen Einflusses halten könne. Von dieser Stunde an hatte Gorgorix keinen stärkern Verfechter als den Bonzen Kalaf. Der Vertraute des Günstlings, welcher es

unmöglich fand, seiner Tänzerin etwas abzuschlagen, war der erste unter den Hofleuten, der für die neue Meinung gewonnen wurde. Der Vertraute gewann den Günstling, der Günstling die Sultanin, die Sultanin den König ihren Sohn, und das Beispiel des Königs den ganzen Hof."Die erste große Folge dieses glücklichen Fortgangs war, daß Kalaf bald darauf zur erledigten Würde eines Oberbonzen der Stadt Scheschian befördert wurde."Huktus, ein Bonze von edler Geburt und großem Ansehen, hatte sich zu dieser Würde die meiste Hoffnung gemacht, und alles angewandt sie zu erlangen. Unter andern Umständen wurde Kalaf kein furchtbarer Nebenbuhler für ihn gewesen seyn; aber Kalaf hatte sich einen Augenblick zu nutze gemacht, da die Persische Tänzerin alles vermochte. Es ist wahr, es kostete ihm Mühe, sie zu einer kleinen Gefälligkeit gegen den Günstling der Königin zu überreden; und die ärgerliche Chronik sagte sogar, daß er in seinem eigenen Hause Gelegenheit dazu gemacht habe. Ein Beweggrund dieser Art konnte wohl dem Günstling hinreichend scheinen, Kalaffen, der keine andern als die Verdienste eines geschmeidigen Höflings aufzuweisen hatte, vor dem Bonzen Huktus, für den die Wünsche des ganzen Volkes sprachen, den Vorzug zu geben; nur war er nicht hinlänglich, diesen Vorzug vor den Augen der Nation zu rechtfertigen. Huktus verbarg seinen Unmuth unter dem Scheine der vollkommensten Gleichgültigkeit; aber sein Herz kochte Rache. Die Streitigkeiten über Tsai und Tsao, an welchen er bisher aus Klugheit wenig Antheil genommen hatte, schienen ihm Gelegenheit darzubieten, diese Rache unter einem scheinbaren

Vorwand auszuüben. Kalaf hatte sich an die Spitze der Partei der Blauen gestellt: Huktus bedachte sich also nicht lange, sich öffentlich für die Feuerfarbnen zu erklären. Der größte Theil der ältern Bonzen und Ya-faou war auf seiner Seite; und da sich bald darauf auch diejenigen unter den Großen von Scheschian, die mit der Regierung der Sultanin Lili nicht zufrieden waren, zu ihnen schlugen, so machten sie eine Gegenpartei aus, deren Absichten, Maßregeln und Bewegungen ernsthaft genug wurden, um den Staat mit gefährlichen Unruhen zu bedräuen.Hier läßt sich Danischmend in eine umständliche Entwicklung der verschiedenen Vortheile, Nebenabsichten und Leidenschaften ein, welche die eigentlichen Triebräder der öffentlichen Handlungen beider Parteien waren, und, wenn anders seine Erzählung zuverläßig ist, einen Beweis abgeben könnten, daß die Kunst, das Interesse der Religion und des Staats zum Deckmantel unedler Leidenschaften und eigennütziger Forderungen zu machen, nicht unter diejenigen gehöre, an deren Erfindung oder Vervollkommnung die Neuern einen gerechten Anspruch zu machen hätten."Bisher (so fährt er fort) hatte sich der geringere Theil der Scheschianischen Nation in die Händel der Blauen und Feuerfarbnen (wie man die Parteien zu nennen anfing) wenig eingemischet, oder es waren doch nur wenige in ihren angeerbten Begriffen von dem großen Affen irre gemacht worden. Die meisten begnügten sich, über die Neuerungen des Gorgorix und seiner Freunde den Kopf zu schütteln, und zu beklagen, daß eine so ausgemachte Sache, als der Name und die Farbe

ihrer Schutzgotthert wäre, vorwitzigen Untersuchungen ausgestellt werden sollte. Aber Kalaf, dessen ungezähmter Ehrgeiz einen vollständigen Triumph verlangte, ruhete nicht, bis er auch den größern Theil des gemeinen Volkes von der Blauheit des großen Affen überzeugte. Was ihm die erwünschteste Gelegenheit dazu gab, war eine prächtige Pagode von blauem Porcellan mit goldnen Verzierungen, welche auf Veranstaltung der Sultanin Lili dem Tsao-Faou zu Ehren aufgeführt wurde. Der Eifer dieser Dame, der Nachwelt ein so schönes Denkmal ihrer Liebe für die Künste zu hinterlassen, verwandelte sich unvermerkt in einen Eifer für die Sache des blauen Affen selbst. Das Volk, unter dessen Augen dieser schöne Tempel emporstieg, wurde von den Anhängern Kalafs in räthselhaften Ausdrücken vorbereitet, außerordentliche Dinge zu erwarten. Die Blauen ließen in ihrem Gesicht und Ton eine große Zuversichtlichkeit sehen, ohne sich über die Ursache derselben zu erklären; und Huktus mit seinem Anhang zitterte ohne zu wissen wovor."Endlich kam der Tag, welchem beide Parteien, jene mit ungeduldigem Verlangen, diese mit unruhiger Erwartung eines gegen sie geschmiedeten Anschlags, entgegen sahen; der Tag, da die blaue Pagode eingeweiht werden sollte. Sobald die Sonne aufgegangen war, führte Kalaf das versammelte Volk in einen nahe bei der Hauptstadt gelegenen Wald, der seit undenklichen Zeiten dem großen Affen heilig gewesen war. Mitten in diesem Walde war ein großer runder Platz, und in der Mitte des Platzes eine Art von Thron aufgerichtet, welchen Kalaf bestieg, um diese berühmte Anrede an das Volk

zu halten, von welcher die Geschichtsschreiber seiner Partei versichern, daß sie niemals ihresgleichen gehabt habe. Kalaf sagte so erhabene und unbegreifliche Dinge; es strahlte eine so ungewöhnliche Begeisterung aus seinem ganzen Wesen; der majestätische Ton seiner Stimme, die Ueberzeugung, womit er sprach, die Figuren, wovon er Gebrauch machte, der Strom seiner Worte rissen die Zuhörer mit solcher Gewalt dahin, daß man ihm Beifall geben mußte, ohne das geringste von allem, was er gesprochen, begriffen zu haben. Die vornehmste Absicht seiner Rede war, das Volk in Erstaunen und in ein zitterndes Erwarten irgend einer wundervollen Entwicklung zu setzen. Niemals hatte ein Redner die Zauberkraft des Galimathias besser studirt als Kalaf. Die Wirkung davon starrte ihm aus jedem Aug' entgegen; und um sie auf den höchsten Grad zu treiben, endigte er seine Rede mit einer feierlichen Apostrophe an den großen Affen, den er beschwor, sein Volk aus der Ungewißheit zu reißen, und durch irgend ein sichtbares Wunder zu zeigen, unter welcher Farbe ihm ihre Verehrung am angenehmsten sey."Kaum hatte Kalaf die letzten Worte ausgesprochen, so sah man auf einmal den Baum, an dessen Stamm der Thron des Oberbonzen befestigt war, in Flammen eingehüllt; und unter Blitz und Donner stieg vor den bestürzten Augen eines unzähligen Volkes ein großer blauer Affe herab, und setzte sich mit einer so majestätischen Miene auf dem Throne zurechte, daß die Hoffnung Kalafs selbst durch die Geschicklichkeit seines Zöglings übertroffen wurde."Dieser Streich war, wie man leicht denken kann,

entscheidend. Der hartnäckigste Anhänger des feuerfarbnen Affen sah sich gezwungen, dem Zeugniß seiner Sinne gewonnen zu geben. Sogar die Freidenker, welche bei diesem Schauspiele zugegen waren, wurden von dem allgemeinen Schwall mit fortgerissen, und die wenigen, die ihrer Vernunft noch mächtig genug blieben, um durch ein so grobes Blendwerk hindurchzusehen, waren aus kluger Furcht die eifrigsten, der Gottheit des blauen Affen zuzujauchzen. Er wurde mit einem alle Einbildung übersteigenden Triumph in seinen neuen Tempel eingeführt; und der König Azor selbst, der sich aus bloßer Gefälligkeit gegen die Launen seiner Mutter für die Meinung des Blauen erklärt hatte, konnte sich nicht erwehren, die Sultanin an der Spitze des ganzen Hofes zu begleiten, und das erste feierliche Opfer mit seiner Gegenwart zu zieren."So schrecklich die Nachricht von dieser Begebenheit dem Bonzen Huktus und seinen Freunden war, so zeigte er doch in diesem entscheidenden Augenblicke, daß es ihm nicht an der wichtigsten Eigenschaft mangle, die zum Haupt einer Partei erfordert wird. Außer vielen andern wohl ausgesonnenen Maßregeln, in deren Erzählung wir Danischmenden nicht folgen können, ließ er sich vornehmlich angelegen seyn, den Eindruck, welchen Kalaf mit seinem blauen Affen auf den unaufgeklärten Theil der Nation gemacht hatte, von Grund aus zu vernichten. Seine Anhänger beschuldigten diesen Oberbonzen öffentlich der Zauberei, und eines geheimen Verständnisses mit den bösen Geistern. Dieß war in der That ein Einfall, der seinem Erfinder Huktus Ehre macht. Hätten die Feuerfarbnen sich begnügt, dem Volke begreiflich zu machen, daß Kalaf ein

Betrüger sey, so würden sie ihm wenig dadurch geschadet haben: denn wie schwach ist die Wirkung der Vernunft gegen Schwärmerei und Aberglauben! Aber dreist versichern, daß er die bösen Geister mit in seine Verschwörung gegen den Tsai-Faou gezogen habe, dieß hieß ihm wirklich einen gefährlichen Streich beibringen. Eine solche Anklage hat Wahrscheinlichkeit in den Augen des gemeinen Volkes: sie zog seine Neigung zum Wunderbaren auf Huktus Seite; sie gab Gelegenheit zu einer unendlichen Menge unglaublicher Erzählungen, welche man, mitten unter der Versicherung, daß sie unglaublich wären, begierig ausbreitete, mit selbst erfundenen Umständen glaublicher zu machen beflissen war, und zuletzt wirklich glaubte. Kurz, Huktus erhielt dadurch seine Absicht so vollkommen, daß der Pöbel in den meisten Provinzen des Reichs entschlossen war, es eher auf das Aeußerste ankommen zu lassen, als dem Glauben seiner Voreltern und dem feuerfarbnen Affen untreu zu werden.Vermuthlich (fährt Danischmend fort) hätte Kalaf am weisesten gehandelt, wenn er diese Beschuldigungen mit kalter Verachtung angesehen, und durch eine zwar standhafte, aber ruhige und langsame Fortführung seines Plans, die Hindernisse, die er in den Vorurtheilen der halben Nation fand, zu besiegen gesucht hätte. Aber sein Hochmuth und seine Hitze vertrugen sich mit keinen so gelinden Maßnehmungen. Stolz auf seine Gewalt über den Geist der Sultanin Lili, welche damals noch das Steuerruder führte, und verwegen gemacht durch den schwärmerischen Eifer eines zahlreichen Anhangs, glaubte er stark genug zu seyn, die Widerspänstigen

durch Zwangsmittel zu unterwerfen. Eine königliche Verordnung, wovon er der Urheber war, erklärte alle diejenigen für Aufrührer, welche sich weigern würden, dem blauen Affen zu huldigen. Die Bildnisse des Tsai-Faou wurden aus allen Pagoden weggeschafft, und mit andern von blauem Porcellan ersetzt, wovon in den Vorhöfen der blauen Pagode eine schöne Fabrik zum Vortheil derselben angelegt war. Alle Pagoden wurden mit Bonzen von Kalafs Anhang besetzt, und diejenigen abgedankt, welche lieber ihren Einkünften als dem feuerfarbnen Affen entsagen wollten. Diese Gewaltthätigkeiten hatten den Erfolg, den ein weiserer Mann als Kalaf ihm vorhergesagt hatte, ohne Glauben zu finden. Tausend persönliche Beleidigungen, wodurch die Feuerfarbnen täglich zur Rache gereizt wurden; der Uebermuth, womit die Blauen, als die siegreiche Partei, mit ihren feuerfarbnen Mitbürgern verfuhren, und die öffentliche Verfolgung, welche zuletzt über die letztern verhängt wurde, erschöpften endlich ihre Geduld. Ganze Provinzen ergriffen die Waffen, und kündigten Azorn den Gehorsam auf, wofern er seinen Unterthanen nicht zum wenigsten die Wahl lassen würde, ob sie blau oder feuerfarben seyn wollten."Zum Glück für das Reich Scheschian erfolgte um eben diese Zeit eine Veränderung bei Hofe, wodurch Lili von der Staatsverwaltung entfernt, und die schöne Alabanda, eine heimliche Gönnerin der Feuerfarbnen, die Vertraute oder vielmehr die unumschränkte Beherrscherin des Sultans Azor wurde. Dieser günstige Umstand machte den Feuerfarbnen Luft, und verhütete den gänzlichen Ausbruch eines allgemeinen

Bürgerkrieges. Alabanda hatte zwar große Lust, ihren Freunden eine vollständige Rache an den Blauen zu verschaffen; aber Kalafs Anhang war zu groß, und der Ausgang eines Bürgerkrieges zu ungewiß, als daß ein solcher Anschlag bei den Häuptern der Feuerfarbnen selbst Eingang gefunden hätte. Man begnügte sich also, auf beiden Seiten einen Vertrag zu Stande zu bringen, wodurch die Sachen in eine Art von Gleichgewicht gesetzt wurden. Indessen zeigte sich in der Folge, daß der Alterthumsforscher Gorgorix der Nation durch seine Entdeckung eine Wunde geschlagen hatte, welche zwar zugeschlossen, aber nicht von Grund aus geheilt werden konnte. Das immerwährende Gezänke der Bonzen; der Abscheu, welcher natürlicherweise beide Parteien gegen einander erfüllen mußte, wenn sie dem Gegenstand ihrer Verehrung von der andern Partei mit Verachtung begegnen sahen; die Beeifrung sogar in den gleichgültigsten Dingen sich von einander zu unterscheiden: alles vereinigte sich, die Blauen und Feuerfarbnen mit einem unauslöschlichen Hasse gegen einander zu entzünden; mit einem Hasse, der nicht nur das zarte Gewebe der feinern Bande der Natur zerriß, sondern stark genug war, um von Zeit zu Zeit selbst die gröbern Fesseln der bürgerlichen Verhältnisse zu zerbrechen. Er glich einem schleichenden Gifte, welches die ganze Masse des politischen Körpers ansteckte, und alle andern Gebrechen und Zufälle desselben bösartiger machte, als sie an sich selbst gewesen wären. Bei jeder Veranlassung brach das gährende Uebel bald in diesem bald in jenem Theile des Reiches aus: und da der Hof weder mächtig genug war, eine von den Parteien gänzlich zu unterdrücken,

noch weise genug, ein genaues Gleichgewicht zwischen ihnen zu erhalten, so drückte und verfolgte immer eine die andre wechselsweise, je nachdem sie in einer Provinz oder bei Hofe selbst die Oberhand hatte; und das Unglück der Nation wurde durch diese neue Classe von Beschwerden, wie chimärisch auch die erste Quelle derselben war, so vollkommen gemacht, daß die Scheschianer sich endlich zum zweitenmale in der unseligen Lage befanden, das Ende ihres Elendes nur von einer gewaltsamen Staatsveränderung zu erwarten."Unter den Anmerkungen, womit der Sultan Gebal diese Erzählung etlichemal unterbrach, hat uns nur Eine wichtig genug geschienen, bemerkt zu werden. Er zweifelt nämlich, wie es möglich gewesen, daß eine Nation, die man uns (wenigstens von den Zeiten des Sultans Ogul an) in einem Zustande von Aufklärung und Verfeinerung vorstellt, dumm genug habe seyn können, sich zum Opfer eines so albernen antiquarischen Streites machen zu lassen?Die Auflösung, welche Danischmend von diesem Problem gibt, verdient wenigstens gehört zu werden. Es ist wirklich eine klägliche Sache, spricht er, Geschöpfe unsrer Gattung ihres besten Vorzugs vor den übrigen Thieren auf eine so demüthigende Art beraubt zu sehen. Und gleichwohl habe ich bisher von den Scheschianern nichts gesagt, was nicht, unter gewissen Voraussetzungen, so glaublich wäre als irgend eine andre natürliche Begebenheit. Diese Voraussetzungen sind zum Exempel —"daß kein gewöhnlicheres Phänomen in der Welt ist, als Leute mit Vernunft rasen zu sehen; oder auch, zu sehen, daß sie bei tausend Gelegenheiten vernünftig,

und in einer einzigen Sache unsinnig sind; — daß man zu allen Zeiten und auf allen Theilen dieses Erdenrundes sehr alberne Meinungen und sehr unsinnige Gebräuche im Schwange gesehen hat; —daß der Aberglaube, wenn er in Zeiten der Unwissenheit und der rohen Einfalt sich des Gehirns eines Volkes bemächtiget, und etliche Jahrhunderte Zeit gehabt hat, sich festzusetzen, durch eine stufenweise zunehmende Aufheiterung zwar geschwächt, aber schwerlich anders als nach Verfluß eines langen Zeitraums, und durch eine ununterbrochene Fortdauer der Ursachen, welche seinen Untergang befördern, so gänzlich vernichtet werden kann, daß die Ueberbleibsel davon nicht zuweilen in Gährung gerathen, und wunderliche, auch wohl bösartige Zufälle veranlassen sollten." Ueberdieß, fährt er fort, würde mir nichts leichter seyn, als einen jeden Theil meiner Erzählung durch historische Beispiele dessen, was unter den abgöttischen Völkern des Erdbodens, und zum Theil unter den Moslemim selbst, vorgegangen ist, zu erläutern. Ich sehe nicht, warum die Scheschianer wegen ihrer Verehrung eines feuerfarbnen Affen mehr Vorwürfe verdienen sollten, als die weisen Aegyptier wegen der Anbetung des Stiers Apis, und so vieler andrer Thiere, worunter auch Affen und Meerkatzen waren; und der Streit über die Frage, ob der große Affe blau oder feuerfarben sey, scheint mir jenen wohl werth zu seyn, den die Stadt Oryrynchus mit der Stadt Kynopolis, ihrer Nachbarin, über die Gottheit des Anubis und ich weiß nicht was für eines Meerfisches mit spitziger Schnauze, aus dem Geschlechte der Rochen, geführt haben soll, wenn wir einem der weisesten Männer des alten Gräciens glauben

dürfen. Dieser Fisch, welcher der Schutzgott der Oryrynchiten war, wurde von den Kynopoliten als ein bloßer Fisch behandelt, und also ohne Bedenken gegessen. Die Einwohner von Oryrynchtus, die dieß natürlicher Weise sehr übel nahmen, glaubten ihren Gott nicht besser rächen zu können, als indem sie an den Hunden, welche zu Kynopolis heilig waren und auf gemeiner Stadt Unkosten unterhalten wurden, das Wiedervergeltungsrecht ausübten. Es entstand darüber ein so blutiger Krieg zwischen diesen beiden Aegyptischen Städten, daß die Römer sich endlich genöthigt sahen, die Wüthenden mit Gewalt aus einander zu reißen. Im übrigen läßt sich vermuthen, daß der denkende Theil der Nation, das ist (nach der billigsten Berechnung) unter tausend Einer, den ganzen Streit eben so ungereimt gefunden haben werde als wir. Hingegen ist nicht weniger zu glauben, daß die meisten von diesem tausendsteln Theile sich darum nicht weniger für einen von beiden Affen interessirten. Es ist mit einem alten Aberglauben eben so wie mit andern alten und unvernünftigen Gewohnheiten beschaffen. Man sieht die Thorheit davon ein, man lacht darüber; man beweist sich selbst mit vielen Gründen, daß es Mißbräuche sind: aber gleichwohl beobachtet man sie nicht allein um der alten Gewohnheit willen; sondern man rechnet es noch demjenigen als ein Verbrechen an, der sich die Freiheit nehmen wollte, davon abzugehen. Privatvortheile und Leidenschaften können wohl gar die Ursache seyn, daß wir solche Mißbräuche, bei der völligsten Ueberzeugung, daß es Mißbräuche sind, mit Eifer und Hitze verfechten. Man unterscheidet in solchen Fällen Theorie und Ausübung. Man behauptet einen

nützlichen Mißbrauch, und lacht bei sich selbst der Thoren, welche betrogen zu werden verdienen, weil sie betrogen werden wollen.Wir schließen diesen Auszug mit den eigenen Worten des weisen Danischmend, und mit einer Betrachtung, die wir von Herzen unterschreiben. "Die Ränke und Kunstgriffe, spricht er, welche von beiden Parteien angewandt wurden, einander zu schwächen und zu unterdrücken — einander wechselsweise das Vertrauen des Königs und das Ruder des Staates aus den Händen zu winden — oder sich dem Hofe furchtbar zu machen, und allen seinen Unternehmungen, unter dem Vorwande des gemeinen Besten, unübersteigliche Hindernisse in den Weg zu legen; — die Künste, welche gebraucht wurden, tausend streitende Privatvortheile mit dem Interesse der Parteien in einen wirklichen oder doch anscheinenden Zusammenhang zu bringen; — der schändliche Mißbrauch, den man zu Beförderung aller dieser Absichten mit den ehrwürdigen Namen der Religion, des königlichen Ansehens und des allgemeinen Besten trieb; — die unzähligen Auftritte von Ungerechtigkeit, Betrug, Verrätherei, Undankbarkeit, Raubsucht, Giftmischerei u. s. w., welche unter diesen ehrwürdiges Masken gespielt wurden: alles dieß würde überflüssigen Stoff zu einem ungeheuren Geschichtbuche geben, welches zu lesen nur die größten Verbrecher verdammt zu werden verdienen könnten. Unglücklicherweise ist die Geschichte der policirten Völker, wenn man ihre Kriege (einen andern Schauplatz von Abscheulichkeiten) abrechnet, beinahe nichts anders als dieß. Für einen Menschen, der an den Schicksalen seiner Gattung wahren

Antheil nimmt, ist es Pein, bei diesen ekelhaften und grauenvollen Gemälden zu verweilen. Das Herz des Menschenfreundes schauert vor ihnen zurück. Aengstlich sieht er sich nach Scenen von Unschuld und Ruhe, nach den Hütten der Weisen und Tugendhaften, nach Menschen, die dieses Namens würdig sind, um; und wenn er in den Jahrbüchern des menschlichen Geschlechtes nicht findet, was ihn befriedigen kann, flüchtet er lieber in erdichtete Welten, zu schönen Ideen, welche, so wenig auch ihr Urbild unter dem Monde zu suchen seyn mag, immer Wirklichkeit genug für sein Herz haben, weil sie ihn (wenigstens so lange, bis er durch Bedürfnisse oder unangenehme Gefühle in diese Welt zurückgezogen wird) in einen angenehmen Traum von Glückseligkeit versetzen, — oder, richtiger zu reden, weil sie ihn mit dem innigsten Gefühle durchdringen, daß nur die Augenblicke, worin wir weise und gut sind, nur die Augenblicke, die wir der Ausübung einer edlen Handlung, oder der Betrachtung der Natur und der Erforschung ihres großen Plans, ihrer weisen Gesetze und ihrer wohlthätigen Absichten, — oder der Freundschaft und Liebe, und dem weisen Genusse der schuldlosen Freuden des Lebens widmen, —daß nur diese Augenblicke gezählt zu werden verdienen, wenn die Frage ist, wie lange wir gelebt haben."Der Sinesische Herausgeber dieser wahrhaften Geschichte sagt uns, daß der Sultan über dem letzten Theil der Rede des weisen Danischmend eingeschlafen, und dieser also genöthiget worden sey, mit weiterem Moralisiren einzuhalten; ein Umstand, der uns, wie er vermuthet, verschiedene schöne

Betrachtungen entzogen hat, welche der Indostanische Philosoph über diesen Theil der Geschichte von Scheschian noch gemacht haben könnte.Des folgenden Abends befahl ihm der Sultan, über den Rest der Regierung des unglücklichen Azors so schnell als nur immer möglich seyn würde hinwegzuglitschen. Es gibt (sprach er) gewisse Leute, die gar zu dumm sind, wie sogar mein guter Oheim Schach-Baham irgendwo angemerkt hat, und gewiß ist dieser Azor einer aus dieser Classe. Man kann nicht bald genug mit ihm fertig seyn.

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