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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Siebenter Band.

11.

Danischmend setzte also die Geschichte der Regierung Azors folgendermaßen fort:Die kläglichste unter allen den Schwachheiten, welche den Ruhm des guten Königs Azor verdunkeln, war seinem Alter aufbehalten; eine Schwachheit, welche desto verführerischer ist, weil sie einer Tugend ähnlich sieht; desto schädlicher, weil sie Böses aus guter Absicht thut, und desto schwerer zu vermeiden, da selbst der weiseste aller Morgenländischen Könige nicht weise genug war, sich ihrer zu erwehren.Dieß nennt man, denke ich, ein Räthsel, sagte Schach-Gebal. Ich bilde mir eben nicht ein, in der Kunst Räthsel aufzulösen dem Sultan, dessen du eben erwähntes, gleich zu kommen: aber dießmal wollt' ich doch rathen, daß die Schwachheit des großen Azors, die du uns noch aufbehalten hast, entweder

Bigotterie ist, oder doch etwas, das ihr sehr ähnlich sieht. Hab' ich es getroffen, Doctor?Zum Erstaunen, erwiederte Danischmend, indem er in seinen Ton und in seine Gesichtsmuskeln alle die Bewunderung brachte, die er der Scharfsinnigkeit seines gebietenden Herrn schuldig war. Es waren nun zwanzig Jahre, fuhr er fort, seitdem die schöne Alabanda eine unbegränzte Gewalt über das Herz, über den hof und über die Schatzkammer des Sultans von Scheschian usurpirte. Gewohnheit und Sättigung hatten ihre Bezauberung endlich aufgelöst; und Alabanda sah die Zeit kommen, wo sie sich in der traurigen Nothwendigkeit befand, zuzugeben, entweder daß Azor aufgehört habe empfindlich, oder daß sie selbst aufgehört habe reizend zu seyn.Als ob nicht beides zugleich hätte Platz haben können, sagt die schöne Nurmahal.Wenigstens, versetzte der Doctor, war es natürlicher an ihr, das erste zu glauben.Und an Azorn das andre, sagte der Sultan mit einem spitzfindigen Lächeln.Wie dem auch seyn mochte, fuhr Danischmend fort, die gute Dame beging den Fehler, einen Zufall, den man nach Verfluß von zwanzig Jahren einen von den natürlichsten in der Welt nennen kann, für eine unerträgliche Beleidigung anzusehen. So unbillig dieß scheinen mag, so unbesonnen war es, den guten Sultan, welcher wirklich ganz unschuldig an der Sache war, so oft er lange Weile hatte (und dieß war sehr oft), mit Vorwürfen von Untreue und Undankbarkeit, und mit allen tragikomischen Wirkungen der Eifersucht und bösen Laune zu

verfolgen. Denn was konnte sie anders von einem solchen Betragen erwarten, als — gerade das, was wirklich erfolgte? nämlich, daß er die alte Abgöttin seiner Seele, die er seit geraumer Zeit kaum noch liebenswürdig fand, in kurzem unerträglich finden mußte. Von diesem Augenblick an hatte die Regierung der schönen Alabanda ihr Ziel erreicht. Azor suchte nun im Wechsel eine Glückseligkeit, an welche sein Herz gewöhnt war: er zerstreute sich dadurch eine Zeit lang; aber die Befriedigung fand er nicht, die ein reizbares Herz von den Sinnen, oder von den launischen Einfällen einer herumflatternden Phantasie vergebens erwartet. Er wurde also dieser Wanderungen des Herzens um so viel eher überdrüssig, da ihn Lili und Alabanda angewöhnt hatten, von weiblichen Köpfen, aber von den feinsten und witzigsten weiblichen Köpfen, regiert zu werden.Die Freiheit, worin die gefälligen Schönen seines Hofes ihn wider seinen und ihren Willen ließen, machte ihm sein Daseyn zur beschwerlicheren Last. Mehr als Einmal versuchte er's, die schöne Alabanda wieder so reizend und zauberisch zu finden, als sie es gewesen war: aber der unglückliche Erfolg seiner Bemühungen überzeugte ihn zuletzt, daß sie wirklich aufgehört haben müsse, es zu seyn; und wozu konnt' es ihm helfen, das Unmögliche bewerkstelligen zu wollen?In dieser Verfassung befand sich Azor, als es der Persischen Tänzerin, deren bereits in dieser Geschichte Erwähnung geschehen ist, gelang, ihn die Erfahrung machen zu lassen, daß er den ganzen Cirkel der Thorheiten, zu welchen ihn die Schwäche seines Herzens fähig machte, noch nicht durchlaufen habe.

Diese Creatur hatte durch ihre Reizungen und durch die Freigebigkeit ihrer Verehrer Mittel gefunden, die Flecken ihres vormaligen Standes auszulöschen, und nach und nach sich bis zum Rang einer Vertrauten der Sultanin Alabanda emporzuschwingen. In dieser Stellung fand Gulnaze (so hieß die verwandelte Tänzerin) häufige Gelegenheiten, die Reizungen ihres Witzes und ihrer äußerst angenehmen Unterhaltung vor den Augen des Sultans auszulegen; Reizungen des Geistes, welche mächtig genug waren, in ihrer Gesellschaft vergessen zu machen, daß ihre ersten Liebhaber bereits ehrwürdige Graubärte vorstellten. Nicht als ob sie nicht noch immer liebenswürdig gewesen wäre; aber, nachdem sie sich einmal unter der Maske der Freundschaft in Azors Herz hineingestohlen, würde sie es auch mit der Hälfte ihrer noch übrigen Annehmlichkeiten in den Augen eines so reizbaren Potentaten gewesen seyn. Kurz, Azor, der ohne sie die lange Weile, die ihm Alabanda und alle andern Schönen seines Hofes verursachten, unausstehlich gefunden haben würde, machte auf einmal die Entdeckung, daß er nicht ohne Guönaze leben könne. Unvermerkt hatte sie sich aller Zugänge seines Herzens bemächtiget: und eben so unmerklich wurde sie aus einer Vertrauten die unumschränkteste Beherrscherin seiner Neigungen. Keine ihrer Vorgängerinnen hatte so viel Gewalt über ihn gehabt:: aber keine hatte ihn auch so wenig fühlen lassen, daß er Fesseln trug. Alabanda hatte ihn durch die Zauberkraft ihrer Reizungen beherrscht: Gulnaze regierte ihn durch die volkommene Kenntniß der schwachen Seite seines Kopfes und seines Herzens. Was Wunder, daß ihre Herrschaft vollständig und dauerhaft war!

Wohl angemerkt, Danischmend! flüsterte Nurmahal lächelnd.Finden Sie das? sagte der Sultan, indem er ihr auf die Schulter klopfte.Der Eifer, den Gulnaze vor mehr als zwanzig Jahren, da ihr Einfluß nur noch mittelbar war, für die Sache des blauen Affen gezeigt hatte, verdoppelte sich itzt, da das königliche Ansehen in ihren Händen lag. Die Blauen faßten neuen Muth und glaubten zu den ausschweifendsten Hoffnungen berechtiget zu seyn. Was die Neigung der Favoritin zu der neuen Secte am stärksten unterhielt, war der schlaue Einfall, den ein Ya-faou von den Freunden des Oberbonzen Kalafs gehabt hatte, eine Art von religiösen Festen zu erfinden, wobei die Sinne zum Behuf einer fanatischen Andacht auf die angenehmste Weise unterhalten wurden. Die Einführung derselben war der letzte tödtliche Streich, welchen Kalaf den Feuerfarbnen beibrachte, deren Andachtsübungen mehr Finstres und Schreiendes als Angenehmes oder Herzrührendes hatten. Die Anzahl der Blauen vermehrte sich nun täglich; Azor selbst fand immer mehr Geschmack an den Andachten seiner Geliebten, und es währte nicht lange, so fielen alle andren Arten von Ergötzungen. Man lud einander auf eine Partie in der blauen Pagode ein, wie vormals zu einer Lustreise aufs Land oder zu einem Maskenball. Unvermerkt wurde ein gewisser Schnitt von Devotion ein unterscheidendes Merkmal der Hofleute, und jedermann, wer an Erziehung und Lebensart Anspruch machte, bestrebte sich sie zu copiren, so gut er konnte. Wäre dieß die schlimmste Wirkung des Einflusses der schönen und devoten

Gulnaze gewesen, so hätte man Ursache gehabt von Glück zu sagen, die Erheiterung des Scheschianischen Aberglaubens möchte den Uebergang zu einer gründlichen Verbesserung vielmehr befördert als gehindert haben. Aber die Lebhaftigkeit ihrer Leidenschaften erlaubte ihr nicht der Zeit zu überlassen, was sie durch Zwangsmittel in einem Augenblicke zu bewerkstelligen hoffte. Nicht zufrieden, die Feuerfarbnen so weit heruntergebracht zu haben, daß sie sich glücklich genug schätzten, wenn sie nur geduldet wurden, that sie dem Tsao-Faou ein feierliches Gelübde, nicht eher zu ruhen, bis sie Scheschian von allen Anhängern seines Nebenbuhlers gereiniget haben würde. Ein königlicher Befehl diente zum Vorwand, alle, welche sich weigerten, dem blauen Affen zu opfern, als ungehorsame, und bei dem geringsten Widerstand als Aufrührer, mit einer Härte zu bestrafen, welche endlich den Blauen selbst anstößig wurde. Grausamkeiten, wovor der Menschlichkeit grauet, und wovon zu wünschen wäre, daß sie ohne Beispiele seyn möchten, wurden, ohne Azors Wissen, in seinem Namen ausgeübt, und sind das Einzige, was die letzten Jahre seiner Regierung der Vergessenheit entzogen hat; bis er endlich, beladen mit dem allgemeinen Hasse seines Volkes, zu spät für seinen Ruhm vom Schauplatz abtrat. Ein denkwürdiges Beispiel, daß ein Fürst mit allen Eigenschaften eines liebenswürdigen Privatmannes, mit wenig Lastern und vielen Tugenden, durch den bloßen Mangel fürstlicher Eigenschaften so viel Böses stiften kann, als der gräulichste Tyrann. Azor war weder ehrgeizig, noch begierig nach dem Eigenthum seiner Unterthanen, weder launisch, noch hartherzig, noch grausam. Weit entfernt zu verlangen, daß

seine unüberlegtesten Einfälle für Gesetze und Göttersprüche gelten sollten, oder, wie viele seines Standes, sich einzubilden, daß Scheschian bloß um seinetwillen aus dem Chaos hervorgegangen sey, und seine Unterthanen für eben so viele Sklaven anzusehen, deren Glück oder Unglück, Seyn oder Nichtseyn, nur insofern, als es sich auf seinen Vortheil beziehe, in Betrachtung komme, — war er der leutseligste, der mitleidigste und wohlthätigste Fürst seiner Zeit. Unwissenheit in den Pflichten seines Standes, Unwissenheit in der Kunst zu regieren, wollüstige Trägheit, und allzu großes Vertrauen zu seinen Günstlingen, die er als seine Wohlthäter ansah, weil sie ihm die Last der Regierung abnahmen, Fehler der Erziehung, Schwachheiten des Herzens und des Temperaments, nicht Laster waren es, die ihm die Liebe seiner Völker und die Hochachtung der Nachwelt entzogen haben. Seine größten Fehler waren, daß er mit eignen Augen bloß durch fremde sah; daß seine Ohren nur angenehme Dinge hören wollten; daß er nur sprach, was man ihm auf die Zunge legte, und wenn er auch, entweder durch die natürliche Schärfe seines Geistes, oder durch die Bemühungen irgend eines ehrlichen Narren, der seinen Kopf wagte ihm die Augen zu öffnen, zuweilen eine gute Entschließung faßte —zu viel Mißtrauen gegen seine eigenen Einsichten und zu viel Gefälligkeit für seine Günstlinge hatte, um seiner Entschließung treu zu bleiben. Indessen muß man gestehen, daß auch das Schicksal nicht ohne alle Schuld an den Fehlern seiner Regierung war. Die Gebrechen und Untugenden Azors würden wenig geschadet haben, wenn es lauter weise und tugendhafte Personen um ihn her versammelt hätte. Er würde solche

Leute, wenn sie übrigens eben so witzig und unterhaltend gewesen wären als seine Günstlinge, eben so werth gehalten haben, sich ihnen eben so gänzlich überlassen haben, und Scheschian würde glücklich gewesen seyn. Aber freilich zeigt uns die Geschichte des ganzen Erdkreises kein einziges Beispiel, daß ein schwacher und unthätiger Fürst durch einen Schlag mit einer Zauberruthe, bei seinem Erwachen auf einmal von lauter Walsinghams und Sullys umgeben gewesen wäre, und wir sind wohl nicht berechtigt, ein solches Wunder vom Schicksal zu erwarten.

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