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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Siebenter Band.

10.

Die erfindsame Phantasie und die verschwenderische Gemüthsart der schönen Alabanda (fuhr Narmahal fort) würde allein schon hinlänglich gewesen seyn, die Einkünfte des Scheschianischen Reiches, so hoch sie sich auch beliefen, zu erschöpfen. Aber die obersten Staatsbedienten, die Finanzaufseher und das ganze zahlreiche Geschlecht der Günstlinge (denn jeder Günstling hat wieder die seinigen) verschlangen zur nämlichen Zeit so beträchtliche Summen, daß selbst die Verdoppelung der ehmaligen Abgaben (welche von den Zeiten des Krieges her, gegen das königliche Wort, noch immer fortdauerte) zu Bestreitung eines so ungeheuern Aufwandes unzulänglich war. Man sah sich also gezwungen, unter allerlei Vorwand alle Jahre neue Auflagen zu machen. Und da die Regierung um nichts weniger besorgt war, als den arbeitsamen und nützlichen, das ist, den armen Theil der Nation, der dadurch am meisten gedrückt wurde, durch die nöthige Aufmunterung und Unterstützung in den Stand zu setzen, so viel von seinem Erwerbe abzugeben: so mußten die Folgen einer so unweisen Staatswirthschaft in wenigen Jahren merklich genug seyn, um jeden, der nur einigermaßen das Ganze zu übersehen fähig war, mit schwermüthigen Ahnungen von dem nahen Untergange des Staates zu erfüllen.

Was diejenigen, denen das gemeine Wohl zu Herzen ging, am empfindlichsten beleidigte, war die Gleichgültigkeit des Hofes bei solchen Zufällen, wodurch ganze Provinzen in den kläglichsten Nothstand gesetzt wurden. In einigen richtete, zum Exempel, das Austreten gewisser Flüsse von Zeit zu Zeit die schrecklichsten Verwüstungen an. In andern hatte der Mißwachs, aus Mangel gehöriger Vorsorge und Polizei, Hunger und Seuchen veranlaßt, wodurch ganze Gegenden zum Grabe ihrer elenden Bewohner wurden. Die Hälfte der Unkosten, welche man während dieser öffentlichen Noth auf die gewöhnlichen und auf außerordentliche Hoflustbarbeiten verwendete, wäre hinlänglich gewesen, allem diesem Elende zuvorzukommen; einem Elende, dessen bloßen Anblick die verzärtelten Sinne und die wollüstige Einbildungskraft des Sultans und seiner Gebieterin nicht eine Minute lang zu ertragen fähig gewesen wären. Aber weder Azor noch Alabanda wußten, daß diese hunderttausend Unzen Silbers, die an einem einzigen Feste in muthwilliger Ueppigkeit verschwendet wurden, den Werth des Brodes ausmachten, welches an eben diesem Tage zweimalhunderttausend Familien hätte sättigen sollen, wenn es nicht mit einer unmenschlichen Hartherzigkeit diesen von Arbeit, Kummer und Dürftigkeit entkräfteten Menschen, und ihren vor Hunger weinenden Kindern, aus dem Munde gerissen worden wäre, um von demjenigen, der sich ihren allgemeinen Vater nennen ließ, in Sardanapalischen Gastmählern verzehrt, und unter die Genossen und Werkzeuge seiner tyrannischen Ausschweifungen vertheilt zu werden.Dieß ist ein so abscheulicher Gedanke, rief Schach-Gebal,

daß ich lieber heute noch in die Kutte eines Derwischen kriechen, oder, wie ein gewisser König, sieben Jahre lang ein Ochse seyn und Gras fressen, als länger Sultan bleiben wollte, wenn ich Ursache hätte zu glauben, daß ich mich in diesem Falle befinden könnte.Nach einer so nachdrucksvollen Erklärung würde es nicht nur sehr unhöflich, sondern wirklich grausam gewesen seyn, dem guten Sultan zu entdecken, daß er sich schon oft in diesem Falle befunden habe. Man versicherte ihn also einhellig des Gegentheiles, mit dem gebührenden Dank für diese abermalige Probe seiner Menschlichkeit, und Nurmahal fuhr fort.Der gute König Azor war weit entfernt, den elenden Zustand seiner Provinzen auch nur von ferne zu argwohnen. Seine Visire hatten die sorgfältigsten Maßregeln genommen, daß die Klagen des Volkes nicht zu seinen Ohren dringen konnten. Er sah sich von lauter glücklichen oder glücklich scheinenden Leuten umgeben. Seine Hauptstadt stellte einen Inbegriff der Pracht und der Reichthümer der ganzen Welt, die umliegenden Gegenden ein Land der Bezauberung, und selbst die Hütten des Landvolkes das Bild des Ueberflusses und der Freude dar. Ströme von Gold und Silber flossen aus allen Provinzen seines Reiches der Hauptstadt zu; aber, anstatt in tausend schlängelnden Bächen wieder zurückzukehren, und durch einen regelmäßigen Umlauf alle Gliedmaßen des großen Staatskörpers in lebhafter Munterkeit zu erhalten, verloren sie sich dort in einer unzähligen Menge kleiner durcheinander laufender Canäle, oder stürzten sich in bodenlose Schlünde, oder verdünsteten in die Luft. Der größte Theil von dem, was

ehmals der Reichthum der Nation gewesen war, circulirte itzt unter einer kleinen Anzahl, bei welcher es so schnell im Kreise herumgetrieben wurde, so oft und auf so mannichfaltige Art seine Form ändern mußte, daß die Masse selbst durch eine unmerkliche Abnahme sich zuletzt auf eine sehr merkliche Weise vermindert befand. Aber lange zuvor, ehe man sich entschließen konnte es gewahr zu werden, fiel der schlechte Zustand des Reiches einem jeden in die Augen, welcher Gelegenheit hatte es von einem Ende zum andern zu durchreisen. Die Größe des Elends der Provinzen verhielt sich wie ihre Entfernung von der Hauptstadt. Hunger und Nacktheit nahm mit jeder Tagreise zu; mit jedem neuen Morgen zeigte sich das Land schlechter angebaut, weniger bevölkert, weniger gesittet, und mehr mit Zeichen des Mangels und der Unterdrückung angefüllt; bis man endlich nichts als ungeheure Wüsten vor sich sah, von welchen der Sultan keinen andern Vortheil bezog, als die Hoffnung, einen auswärtigen Feind durch ihren bloßen Anblick abzuschrecken, oder ihn wenigstens unfehlbar durch Hunger aufzureiben, eh' es ihm möglich wäre ins Innere des Reiches einzudringen.Um das Unglück von Scheschian vollständig zu machen, spielten die abgöttischen Priester dieses Landes zu Azors Zeiten eine Art von tragikomischem Possenspiele, welches einen äußerst nachtheiligen Einfluß auf den Geist, die Sitten und die äußerlichen Umstände der Nation hatte.Bei diesen Worten wachte die Aufmerksamkeit des Sultans, welcher beinahe eingeschlummert war, auf einmal auf; er stützte sich auf den linken Arm, und sah der schönen

Nurmahal mit allen Zeichen der ungeduldigen Erwartung ins Gesicht.Ihre Hoheit werden sich nicht betrogen finden, sagte die Dame, wenn Sie Begebenheiten erwarten, welche auch dann noch überraschen, wenn man sich auf das Außerordentlichste gefaßt gemacht hat.Ich erwarte nichts andres, sagte der Sultan: und eben deßwegen bin ich so begierig mehr davon zu wissen, daß ich voraussetze, eure Erzählung wird mich dießmal um den Schlaf bringen, den sie mir befördern sollte. Ich habe die blauen Bonzen nicht überhört, deren die Dame Alabanda in ihrer Unterredung mit dem guten Manne Azor erwähnte. Ich wollte Danischmenden nicht aus dem Zusammenhange bringen; aber itzt, da ihr selbst auf diesen Gegenstand kommt, hoffe ich genauer mit den blauen Bonzen bekannt zu werden.Das einzige, warum ich Ihre Hoheit vorher bitten muß, versetzte Nurmahal, ist, daß es mir erlaubt werde, mein Amt bei dieser Erzählung an Danischmenden zu überlassen, welchen die Stärke, die er in diesem Theile der alten Geschichte besitzt, fähig macht, Ihre Neubegierde auf die vollkommenste Weise zu befriedigen.Von Herzen gern, sagte der Sultan: und, was noch mehr ist, er soll die Erlaubniß haben, so umständlich zu seyn als es ihm beliebt; denn ich erwarte Begebenheiten, wovon auch die kleinsten Züge einem denkenden Kopfe nicht gleichgültig sind.Danischmend hatte keine Ursachen anzuführen, welche hinlänglich gewesen wären, die Ablehnung dieses Auftrages zu

rechtfertigen. Er unterzog sich also demselben mit guter Art, und, nach einer kleinen Pause, fing er seine Erzählung folgendermaßen an.Wiewohl, nach meinem Begriffe, die schlechteste Regierungsform und die schlechteste Religion immer besser ist als gar keine: so gestehe ich doch so willig als irgend jemand, daß eine Nation, wie groß auch ihre Vortheile in andern Stücken seyn möchten, unmöglich zu einem gewissen Grade von Vollkommenheit sich erheben könne, wenn sie das Unglück hat, einer ungereimten Verfassung oder unvernünftigen Religion unterworfen zu seyn. Das letzte war der Fall, worin sich die Einwohner von Scheschian seit undenklichen Zeiten befanden. Die Verblendung dieses Volkes über eine Sache von solcher Wichtigkeit würde allen Glauben übersteigen, wenn uns die Geschichte der Welt, in ältern und neuern Zeiten, nicht so viele abgöttische Völker bekannt machte, welche sich eben so handgreiflich haben hintergehen lassen als die Scheschianer. Die alten Aegyptier stellen uns hierin ein Beispiel dar, welches alle andern überflüssig macht. Das Erstaunen bindet uns die Zunge, und die Gedanken stehen still, wenn wir hören, daß ein so weises Volk fähig war, Affen, Katzen, Kälbern, Krokodilen und Meerzwiebeln, mit allen Verzückungen einer fanatischen Ehrfurcht, als göttlichen Wesen, oder wenigstens als sichtbaren Bildern göttlicher Wesen, zu begegnen. Ich weiß nicht, ob etwas demüthigender für die Menschheit seyn kann, als die Gewißheit, worin wir sind, daß nichts so Unsinniges und Lächerliches erträumt werden kann, welches nicht zu irgend einer Zeit oder auf irgend einem Theile des Erdenrundes

von einer beträchtlichen Anzahl von Menschen für wahr, ernsthaft und ehrwürdig wäre angesehen worden. Das Schlimmste ist, daß wir selbst, bei aller Verachtung, womit wir fremde Thorheiten anzusehen gewohnt sind, große Ursache haben zu glauben, daß wir an ihrem Platze nicht weiser gewesen seyn würden. Erziehung, Beispiel, Gewohnheit und Nationalstolz würden sich bei uns so gut als bei jenen vereiniget haben, unsre Vernunft zu fesseln, und dasjenige, was wir itzt, mit so gutem Grunde, Unsinn nennen, zum Gegenstand unsrer wärmsten Verehrung zu erheben. Gleich den Aegyptiern würden wir das Unvermögen, uns irgend einen gesunden Begriff davon zu machen, ein heiliges Dunkel genannt haben, in welches sterblichen Augen nicht erlaubt sey einzudringen. Kurz, in den Zeiten der alten Beherrscher des Nils, zu Memphis oder Pelusium geboren, würden wir gern oder ungern Katzen, Krokodile und Meerzwiebeln angebetet haben so gut als jene; und dieß zu eben der Zeit, da uns nichts so widersinnig gedäucht hätte, als einen Mohren, in demuthsvoller Stellung und mit allen Zeichen eines andächtigen Vertrauens in seinen Gesichtsmuskeln, einen Elephantenzahn oder das Horn eines Ziegenbocks in seiner Noth anrufen zu sehen.Dieser kleine Eingang, Sire, hat mir nöthig geschienen, unser Urtheil über den Aberglauben der Scheschianer zu mildern, und, in Betrachtung der Schwachheiten der menschlichen Natur, uns zu einer Nachsicht zu vermögen, ohne welche wenige Erdebewohner ihren Anspruch auf den Titel vernünftiger Wesen behaupten könnten.

Herr Danischmend, sagte der Sultan, was geschehen ist, ist geschehen: wir wollen es dabei bewenden lassen; wiewohl ihr euch, alles wohl überlegt, diese Dissertation hättet ersparen können. Denn am Ende haben wir doch nichts weiter daraus gelernt, als daß alle Köpfe unter dem Monde zu Zeiten ein wenig mondsüchtig sind, und daß keine Krähe der andern die Augen aushacken soll, wie König Dagobert sagte. Also nichts mehr hiervon, und zur Sache!Diesem Befehl zufolge fuhr der Doctor also fort — —

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