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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Sechster Band.

Viertes {Kapitel.}

Charakter des Alcibiades, von Aspasien geschildert. Wie die junge Danae in Aspasiens Hause erzogen wird.

Bald darauf kam Alcibiades. Er that nicht als ob er mich kennte, und ersparte mir dadurch die Fortdauer der Verlegenheit und des Erröthens, worein mich seine Erscheinung setzte. Sein Bezeigen gegen mich war zurückhaltend und voll von dieser ungezwungenen Urbanität, die den Athener von den übrigen Griechen eben so sehr unterscheidet, als die Griechen überhaupt allen andern Völkern an Witz und Lebensart vorgehen. Die Unterredung zwischen ihm und Aspasien war lebhaft, und so neu für mich, daß ich lauter Ohr und Auge war. Er sprach von Staatssachen und Liebeshändeln mit dem gleichen muntern Ton, und mit dem Leichtsinne, dessen verführerischer Reiz ihn für die Ruhe seines Vaterlandes eben so gefährlich machte als für die Ruhe der weiblichen Herzen. Nach einiger Zeit stand er auf, entschuldigte sich, daß er den Abend nicht mit ihr zubringen könnte, und gab zur Ursache davon eine

Lustbarkeit vor, die zwischen ihm und einigen jungen Herren von seiner Bekanntschaft angestellt sey. Die schöne Spartanerin wird dabei seyn, setzte er hinzu, indem er einen beobachtenden Seitenblick auf mich warf; und so verschwand er.Der leichtsinnigste, witzigste, verwegenste, aber liebenswürdigste Bösewicht, auf den je die Sonne geschienen hat! — sagte Aspasia, nachdem er fortgegangen war. Ich weiß keine Tugend, keine Vollkommenheit, wovon er nicht entweder den Schein oder die Wirklichkeit besäße; aber er allein hat das Mittel gefunden, mit allem, was einen Mann schätzbar und liebenswürdig macht, alle Laster, deren die menschliche Natur fähig ist, zu verbinden. Perikles, dessen Pflegesohn er war, hat in seinem ganzen Leben nichts Tadelnswürdiger's gethan, als daß er durch zu viel Nachsicht diesen verzärtelten Menschen aus ihm gemacht hat, der er nun ist. Doch das ganze Athen, der weise Sokrates selbst machte es nicht besser. Von seiner Kindheit an wurde er angewöhnt, der allgemeine Liebling aller Welt zu seyn. Alles was er that gefiel, seine Unarten waren angenehme Lebhaftigkeiten, seine Wildheit das Feuer einer Heldenseele, seine muthwilligsten Ausschweifungen witzige Einfälle und Ergießungen eines fröhlichen, nichts Arges denkenden Herzens. Immer hatte er das Glück, oder vielmehr das Unglück, daß man seine Untugenden, um der schönen Form willen, die er ihnen zu geben wußte, entschuldigte, oder gar für Verdienste gelten ließ. Er übte seine Leichtfertigkeiten mit einer so guten Art aus, gab seinen Lastern eine so angenehme Wendung, eine so eigene Grazie, daß man ihn auch da, wo er Tadel und Bestrafung verdiente, immer liebenswürdig

fand. Dinge, die man einem andern nie vergeben hätte, wurden an ihm bewundert, oder wenigstens dadurch, daß man bloß darüber lachte, gebilliget und aufgemuntert. Nun, da es zu spät ist, fangen die Athener an gewahr zu werden, daß sie übel daran gethan haben. Aber sein Genius überwältigt sie auch wider ihre bessere Ueberzeugung, und die Bezauberung wird nicht eher völlig aufhören, als wenn er sie zu Grunde gerichtet haben wird. Es geht ihnen nicht besser mit ihm, als unsern Schönen. Seine Unbeständigkeit, seine Treulosigkeit, sein Uebermuth gegen unser Geschlecht, sind weltkundig. Tausend warnende Beispiele sollten uns klug gemacht haben. Aber alles ist umsonst. Eine jede, die es noch nicht erfahren hat, eilt was sie eilen kann, die Zahl der Betrogenen zu vermehren. Jede schmeichelt sich, reizender, oder geschickter, oder wenigstens glücklicher zu seyn als ihre Vorgängerinnen. Man thut alles ihn zu gewinnen, alles ihn zu erhalten; er wird mit der pünktlichsten Treue geliebt; kein Opfer, das er fordern kann, ist zu groß; man glaubt nie zu viel für ihn thun zu können; man verblendet sich über seine Untreue; und zuletzt, wenn man nicht mehr daran zweifeln kann, tröstet man sich wenigstens mit dem süßen Gedanken, daß man doch einmal von Alcibiades geliebt worden sey, und jede schmeichelt sich, es mehr gewesen zu seyn als die übrigen. Ich habe es für nöthig gehalten, Danae (fuhr sie fort), dir den gefährlichen Menschen in seiner wahren Gestalt zu zeigen; denn du wirst ihn täglich in meinem Hanse sehen. Ich selbst erfahre das allgemeine Loos: ich liebe ihn; wiewohl die Zeit. da er mir gefährlich war, schon lange vorüber ist. Die deinige,

meine liebe Danae, wird noch kommen. Ich mußte dich warnen, weil ich dich liebe. Aber nun überlass' ich dich deinem Herzen. Alles was ich um dich zu verdienen wünsche, ist, daß du mich zu deiner Vertrauten machest, sobald du eine Vertraute nöthig haben wirst.Ich versprach es ihr mit einer Naivität, über die sie lächeln mußte, und setzte hinzu: die Begierde mich ihrer Liebe würdig zu machen, würde meinem Herzen keine Zeit lassen, sich mit einem andern Gegenstande zu beschäftigen. — Du hast noch nicht lange genug gelebt, meine Tochter, erwiederte sie, um dein Herz zu kennen; und noch weniger, um alle die Gefahren zu kennen, wovon es umgeben ist. In einigen Jahren wird dich deine eigene Erfahrung gelehrter gemacht haben. Indessen wird es nur auf dich ankommen, dich der meinigen zu deinem Vortheil zu bedienen. Ein gefühlvolles Herz ist sehr zu beklagen, wenn es bloß auf eigene Unkosten lernen muß, sich gegen ein Geschlecht zu verwahren, das bei uns nichts als seine Befriedigung sucht, und von dem wir immer betrogen werden, so lange wir es nach uns selbst beurtheilen. — Ich versicherte sie, mit einem Ton in den mein ganzes Herz einstimmte, daß von nun an mein angelegenstes Geschäft seyn würde, mich nach ihr zu bilden und ihren Lehren zu folgen.Meine Erfahrung, bester Agathon, hat mich gelehrt, wie wichtig es für ein junges Mädchen ist, frühzeitig eine Person ihres Geschlechts kennen zu lernen, welche vortrefflich genug ist, sich ihres Herzens zu bemächtigen. Vor wenigen Stunden war das meinige noch ganz von dem Bilde des verführerischen Alcibiades erfüllt. Wie leicht würde ihm sein Sieg geworden

seyn, wenn er damals, anstatt mich in Aspasiens Schutz zu bringen, sich der Mittel, woran er nur allzu reich war, hätte bedienen wollen, mich in seine eigene Gewalt zu bekommen! Aber er wollte sich seinen Sieg schwer machen; wiewohl er in der Folge mehr als Einmal Ursache fand zu wünschen, daß er sich weniger auf die Unwiderstehlichkeit seiner Verdiente und Gaben verlassen haben möchte. Der erste Augenblick, da ich Aspasia sah, schien mich zu einer andern Person umzuschaffen. Der Wunsch, dem Ideal weiblicher Vollkommenheit, welches ich in ihr zu erblicken glaubte, ähnlich zu werden, wurde die herrschende Leidenschaft meiner Seele. Mir war als ob mein Herz mir sagte: diese Göttin ist doch immer nicht mehr als was du auch werden kannst; sie ist —doch nur ein Weib. Dieser Gedanke machte mich stolz auf mein Geschlecht; und, ohne diesen Stolz, womit sollten wir uns gegen den Uebermuth des eurigen schützen? Alcibiades schien mir nun ein ganz andrer Mann, da ich ihn neben Aspasien sah. Ihr Glanz verdunkelte den seinigen; ich konnte ihn ungeblendet ansehen. Meine Augen verweilten darum nicht mit minderm Vergnügen auf seiner Gestalt; ich fühlte seine Reizungen nicht schwächer: aber ich empfand stärker den Werth der meinigen.Aspasia pflegte beinahe alle Abende Gesellschaft zu sehen, und an gewissen Tagen versammelte sich alles, was in Athen durch Stand, Schönheit, Geist und Talente vorzüglich war, in ihrem Hause. Sie sagte mir, wenn ich lieber allein seyn wollte, sollten einige von ihren Mädchen mir den Abend angenehm zubringen helfen. Ich ersuchte sie darum. Sie verließ mich unter neuen Ausdrücken einer Zärtlichkeit, die mich

über allen Ausdruck glücklich machte. Bald darauf traten drei angenehme junge Mädchen in mein Zimmer, wovon die älteste kaum vierzehn Jahre hatte. Sie glichen in ihrer leichten und niedlichen Kleidung den Freuden, welche die Dichter und Maler, in Gestalt junger Mädchen, vor dem Wagen der Liebesgöttin hertanzen lassen. Wir wurden in kurzer seit vertraut miteinander; denn sie begegneten mir als ob wir uns immer gekannt hätten. Sie waren Sklavinnen der Aspasia, in ihrem Hause geboren, und, da sie vorzügliche Gaben zu den Künsten der Musen zeigten, zu ihrem Vergnügen erzogen. Es befanden sich noch mehrere von dieser Art im Hause, die an Reizungen und Geschicklichkeiten vollkommen genug gewesen wären, den Hof eines Königs zu zieren; und dieß mag wohl in einer Stadt, wo der zaumlose Muthwille der Komödienschreiber weder Talente noch Tugend, weder Götter noch Menschen schont, Gelegenheit zu gewissen Verleumdungen gegeben haben, die dir nicht unbekannt seyn können. Es ist wahr, die Freiheit eines Hauses, welches eine Art von Tempel aller Musen und Götter der Freude war, schien den Aristophanes einigen Vorwand zu geben. Aber um diesem Vorwand alle Scheinbarkeit zu benehmen, braucht man nur zu bedenken, daß Aspasia die Gemahlin des Ersten unter allen Griechen war; daß Sokrates seine jungen Freunde, und die edelsten Athener ihre Gemahlinnen in keine bessere Gesellschaft führen zu können glaubten; und daß man die verdorbnen Sitten eines Aristophanes haben mußte, um die Akademie des Geschmacks, der Philosophie, der Wohlredenheit und der feinsten Lebensart, dem niedrigsten Pöbel, der das

nicht kennt noch kennen kann was edle Seelen Freude nennen, als ein Gelag von Bacchanten und Mänaden, oder als eine Schule der Ausschweifung und Liederlichkeit vorzuschildern.Dieser erste Abend, da ich mit den liebenswürdigen Sklavinnen der Aspasia Bekanntschaft zu machen anfing, lehrte mich, wie welt ich noch in der einzigen Kunst, in welcher ich mir einige Stärke zugetraut hatte, von der Vollkommenheit entfernt war. Einige Tage darauf machte Aspasia Gelegenheit, daß es schien als ob sie von ungefähr dazu komme, als ich mich mit den drei Mädchen in pantomimischen Tänzen übte. Sie setzte sich unter uns hin, und wurde unsre Lehrmeisterin, indem sie scherzend vorgab, bloß unsre Richterin seyn zu wollen. Sie gab uns Fabeln aus der Göttergeschichte, oder Begebenheiten aus der Heldenzeit zu Tänzen auf. Meine Gelehrigkeit und feine Empfindung erhielt ihren Beifall. In der That verstand ich ihre leisesten Winke; und da sie sich eine Ergötzlichkeit daraus machte, diese Uebungen fortzusetzen, so erreichte ich in kurzer Zeit eine Fertigkeit darin, die vielleicht nicht wenig dazu beitrug mich zu ihrem Liebling zu machen. Denn sie selbst hatte ehmals den Ruhm der vollkommensten Tänzerin; und noch itzt liebte sie diese Kunst so sehr, daß sie, wenn sie mich einen Charakter oder eine Situation vorzüglich gut machen sah, in einem augenblicklichen Vergessen dessen was sie itzt war, ausrief: mich däucht ich sehe mich selbst in meine Jugend zurück versetzt!Mit diesen Uebungen wurden alle andern verbunden, die man bei uns Griechen zur vollkommnen Erziehung einer Schönen rechnet. Aspasia, welche so viele Ursache hatte die

meinige als ihr eignes Werk anzusehen, schien den ganzen Umfang ihres Vermögens in Vewollkommnung eines Werkes, worin sie sich selbst gefiel, erschöpfen zu wollen. Die Virtuosen von allen Arten, die das Haus des Perikles als ihr eigenes anzusehen gewohnt waren, eiferten in die Wette, diese Absicht meiner edlen Wohlthäterin befördern zu helfen. Ein jeder schien seinen größten Stolz darin zu suchen, wenn er sich rühmen könnte, etwas zu Verschönerung und Vollendung dieser Danae, in welcher Aspasia sich selbst wieder hervorbringen wollte, beigetragen zu haben. Alles Verdienst, was ich mir selbst dabei zueignen kann, war Gelehrigkeit, und brennende Begierde einer Wohlthäterin zu gefallen, die alles für mich that, was die beste Mutter für eine einzige Tochter thun kann, und die ich, auch ohne Rücksicht auf das was ich ihr schuldig war, um ihrer selbst willen unaussprechlich liebte. Und war nicht auch diese Gelehrigkeit, dieser Enthusiasmus für das Schöne, dieses Verlangen, einer Wohlthäterin, deren Güte ich durch nichts anders vergelten konnte, das Vergnügen, ihre Absicht mit mir erreicht zu sehen, zu gewähren — war nicht auch dieß ein bloßes Geschenk der Natur?

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