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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Sechster Band.

Drittes {Kapitel.}

Alcibiades macht seine junge Geliebte mit Aspasien bekannt.

Ich bin, wie du siehest, auf den Zeitpunkt meiner Geschichte gekommen, der für mein ganzes übriges Leben entscheidend gewesen ist, und ich halte mich um so mehr verbunden, dir genauere Rechenschaft davon zu thun, da es mir (ungeachtet mich dieses Geständniß deiner Liebe unwürdig macht) noch immer unmöglich ist, an diesen Alcibiades, durch den ich Danae wurde, ohne Vergnügen zu denken. Erwarte nicht daß ich mich rechtfertigen werde, bester Agathon! Ich würde es versuchen, wenn ich eine andre Absicht haben könnte, als dich

zu überführen, daß Danae die Ehre, die du ihr zugedacht hast, nicht annehmen kann. Ihr ist genug, wenn sie nicht unwürdig ist eine Freundin Agathons zu seyn. Aber sie ist zu stolz, auch diese Ehre durch Entschuldigungen erschleichen zu wollen, und die bloße Erzählung ihrer Geschichte ist die ganze Apologie, die sie jemals für ihre Schwachheiten machen wird.Nach allen den Geständnissen, die ich dir über meine Herkunft, Erziehung und übrigen Umstände gethan habe, wirst du es, denke ich, sehr begreiflich finden, daß ein Mann wie Alcibiades einen außerordentlichen Eindruck auf ein so unerfahrnes, rohes, vernachlässigtes Geschöpf, wie ich war, machen mußte. Es würde mir damals schwer gefallen seyn, zu sagen, ob meine Sinne, mein Herz oder meine Einbildung am meisten eingenommen waren. Itzt, da ich mit mehr Kenntniß des Herzens und mit kälterm Blut in die Abenteuer meiner Jugend zurücksehe, glaube ich ziemlich zuverlässig sagen zu können, daß Sinne und Einbildung den meisten Antheil an dem Irrthum meines Herzens hatten.Ich habe in meinem Leben nur Einen Mann gesehen, der ihm den Vorzug der Gestalt, des Anstandes und der männlichen Grazie hätte streitig machen können. Die Gaben seines Geistes waren eben so glänzend als seine Außenseite. Nichts war lebhafter als sein Witz, nichts überredender als seine Beredsamkeit, nichts einschmeichelnder als sein Umgang. Alle Herzen flogen ihm entgegen. Unwiderstehlich wenn er gefallen wollte, tapfer wie ein Theseus, freigebig als ob er Königreiche zu verschenken hätte, stolz wie ein Halbgott, in allem was er that von den übrigen Menschen unterschieden

und über sie erhaben, und (was ihn am gefährlicheren machte) selbst in seinen Lastern liebenswürdig, riß er durch eine Art von Uebermacht, deren er sich nur gar zu wohl bewußt war, alles mit sich fort. Er wußte nicht was Widerstand war, denn er hatte nie einen erfahren; und der Uebermuth, den ihm dieser Umstand gab, half nicht wenig dazu, seine Siege zu beschleunigen und glänzender zu machen. Zum Unglück für eine jede, die in seinen Wirbel gezogen wurde, war dieser Maun, der so viel Liebe einflößte, selbst unfähig Liebe zu empfinden. Er spielte nur mit den Herzen, die er von allen Seiten an sich zog; und nie hat ein Mann, mit feurigern Sinnen und einer größern Gabe sich selbst und (wenn er wollte) auch andre über diesen Punkt zu täuschen, eine der Zärtlichkeit unfähigere Seele gehabt. Fiel ihm irgend ein neues Gesicht, oder eine Figur, die seine Phantasie reizte, in die Augen, so hätte die ganze Welt glauben müssen, Amor mit allen seinen Flammen sey in seinen Busen gefahren. Er glaubte es zuweilen selbst. Aber der Irrthum dauerte nur so lange, als er noch etwas zu wünschen hatte. Von dem Augenblick an, da das Räthsel aufgelöst und seiner Einbildung nichts mehr zu rathen übrig war, verschwand die Bezauberung; und der Verräther hatte nicht einmal die Geduld, von seinen Schauspielergaben Gebrauch zu machen, und das arme betrogene Geschöpf durch verstellte Zärtlichkeit in seinem süßen Irrthum zu unterhalten.So war der Mann beschaffen, den mein Schicksal in meinen Weg brachte, um mich aus Umständen, die so wenig mit dem, wozu mich die Natur gemacht hatte, zusammen stimmten, in einen Kreis zu versetzen, wo ich vielleicht mehr, als ich jetzt

wünschen sollte, geglänzt habe; aber durch den ich doch, wie mich däucht, nothwendig gehen mußte, um das werden zu können was ich bin.Die alte Krobyle fand nicht für gut, ihrer Pflegetochter zu entdecken, wie theuer sie dem Alcibiades ihre anmaßlichen Rechte über sie verhandelt habe. Sie sagte ihr von dem ganzen Vertrage nichts, als daß sie sich anschicken sollte, noch diesen Abend vor Aspasien zu erscheinen.Das außerordentliche Ansehen, worin diese Dame lebte, welche durch den Tod des Perikles wenig oder nichts von ihrem Einfluß über Athen verloren hatte, machte die junge Danae vor dem bloßen Gedanken eines solchen Besuchs zittern. Indessen wurde doch jeder Augenblick dazu angewandt, ihre kleine Person in ein Licht zu setzen, welches ihr den ersten Blick einer so berühmten Kennerin des Schönen günstig machen möchte. Beinahe bin ich versucht zu sagen, sie hatte, wie Sokrates, eine Art von Genius, der ihr bei solchen Gelegenheiten sagte, was sie nicht thun sollte. Krobyle, welcher die Casse des Alcibiades zu Dienste stand, war der Meinung, ihre Reizungen müßten durch einen schimmernden Putz der Aufmerksamkeit einer so großen Dame, wie Aspasia wäre, empfohlen werden. Aber Danae verstand ihren Vortheil besser. Nichts konnte einfacher und ungekünstelter seyn als ihr Kopfputz und ganzer Anzug; aber anziehender hätte er nicht seyn können, wenn die Grazien selbst ihre Aufwärterinnen gewesen wären.Niemals in meinem Leben schlug mir das Herz, wie in dem Augenblicke, da ich von einer lieblichen jungen Sklavin,

durch Gemächer, die den Aufenthalt einer Königin ankündigten, in das Zimmer der Aspasia geführt wurde. Verblendet von dem Glanze, der meinem schüchternen Blick allenthalben entgegen schimmerte, glaubte ich, da ich es endlich wagte, die Augen zu ihr zu erheben, daß ich eine Göttin vor mir sehe. Sie saß auf einem Persischen Ruhebette, und schien sich mit beobachtendem Blick an meiner Verwirrung zu ergötzen. Aber sie hatte in einer Gesichtsbildung, die ausdrücklich für die Majestät ihrer Figur gemacht war, etwas so unwiderstehlich Reizendes, und dieser forschende Blick war durch ein so einnehmendes Lächeln gemildert, daß es unmöglich war, sie ohne Liebe anzusehen. Was in diesen Augenblicken in meiner Seele vorging, ist wirklich über alle Beschreibung. Ich fühlte ein neues Wesen, eine andere vollkommnere Art von Daseyn, gleich der Versetzung in die Wohnung der Götter, oder in Elysium. Meine durch das Anschauen eines Gegenstandes, der alle Träume meiner Phantasie auslöschte, befriedigte Seele schwamm in einem Aether von Liebe und Wonne. Ich warf mich zu ihren Füßen, und hob Augen zu ihr auf, in welchen, wie ich glaube, alles was ich fühlte ausgedrückt war, Augen, die von Thränen der süßesten Empfindlichkeit glänzten.Aspasia fuhr noch etliche Augenblicke fort, der sympathetischen Wollust, die ihr mein Entzücken mittheilte, zu genießen; aber endlich warf sie ihre schönen Arme um meinen Leib, hob mich zu sich auf, drückte mich an ihren Busen, und sagte: liebenswürdiges Machen, diese Empfindlichkeit hat dir in Aspasien eine Freundin mit der ganzen Zärtlichkeit einer Mutter gewonnen.

Was ich ihr antwortete, erräth Agathon. Keine Worte —ich hatte keine; und Worte würden auch nicht ausgedrückt haben, was ich empfand —aber sie war mit mir zufrieden. Und nun mußte ich mich neben sie auf das Ruhebette setzen.Welch eine Veränderung in meinem Zustande hatten diese wenigen Minuten hervorgebracht! Wie hätte die Tochter einer armen Flötenspielerin von Chios, die Pflegetochter der alten Krobyle, die vor kurzem noch genöthigt war dem Maler Aglaophon die Dienste einer beweglichen Statue zu thun, sich träumen lassen dürfen, in wenigen Stunden an Aspasiens Seite zu sitzen, und mit den zärtlichsten Liebkosungen von ihr überhäuft zu werden? Aber wie unglücklich würde sie sich auch gefühlt haben, hätte sie nach einem so wonnevollen Zustande wieder in die Hütte der alten Krobyle zurückkehren, und sich selbst sagen müssen, daß alles nur ein entzückender Traum gewesen sey! Dieß nur zu denken hätte die glückliche Danae auf einmal aus dem Sitze der Götter in den Tartarus herabgestürzt. Aber ihre ganze Seele war von dem gegenwärtigen Anblicke verschlungen; sie konnte jetzt an nichts Künftiges denken.Die großmüthige Aspasia vermied alles, was das arme Mädchen aus ihrer angenehmen Bezauberung hätte erwecken können. Sie fragte nicht nach ihren vorigen Umständen, und ließ ihr auch nicht merken, daß sie davon unterrichtet sey. Sie sprach nicht einmal von ihren Talenten; und um sogar der Besorgniß, daß ihr Glück nur von kurzer Dauer sein möchte, zuvorzukommen, stand sie nach einer kleinen Weile auf, und führte mich in ein sehr schönes Gemach, wovon das Cabinet

unmittelbar an ihr eignes Schlafzimmer stieß. Dieß, meine liebste Danae, sagte sie, ist dein eignes Zimmer, und wird es so lange seyn, als es dir gefällt, und als dir Aspasia lieb genug bleiben wird, um sie nicht ohne Schmerz verlassen zu können. — So werd' ich es ewig bewohnen, rief die entzückte Danae.

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