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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Sechstes Capitel.

Kunstgriffe des Günstlings Timokrates. Bacchidion. Dion und Platon werden entfernt.

Philistus und Timokrates sahen sich durch diesen glücklichen Ausschlag in der Gunst ihres Herrn aufs neue befestiget. Aber sie wollten sie nicht länger mit Plato theilen, für welchen Dionysius eine Art von Schwächelt behielt, die vielleicht der natürlichen Obermacht eines großen Geistes über einen kleinen zuzuschreiben war. Um auch diesen Sieg noch zu erhalten, gerieth Timokrates auf einen Einfall, wozu ihm die geheime Unterredung im Schlafzimmer des Dionysius den ersten Wink gegeben hatte. Es war einer von den Einfällen, zu deren Erfindung eben kein großer Aufwand von Witz erfordert wird: aber die Vortheile, die er sich davon versprach, waren desto beträchtlicher. Er hoffte dadurch, zu gleicher Zeit, sich ein Verdienst um den Tyrannen zu machen, und das Ansehen des Philosophen bei demselben zu untergraben; und er betrog sich nicht in seiner Hoffnung.Dionysius hatte, von ihm aufgemuntert, angefangen, unvermerkt wieder eine größere Freiheit bei seiner Tafel einzuführen. Die Anzahl und die Beschaffenheit der Gäste, welche dazu eingeladen wurden, gab den Vorwand dazu. Plato, der bei aller Erhabenheit seiner Grundsätze einen kleinen Ansatz zum Hofmanne hatte, machte es, wie es manche ehrwürdige Männer in seinem Falle auch zu machen pflegen: er sprach bei jeder Gelegenheit von den Vorzügen der Nüchternheit, und

aß und trank immer dazu wie ein andrer. Die kleine Erweiterung der allzu engen Gränzen der akademischen Frugalität (von welcher der Vater der Akademie selbst gestehen mußte, daß sie sich für den Hof eines Fürsten nicht schicke) erlaubte den vornehmsten Syrakusern, und jedem, der dem Prinzen seine Ergebenheit bezeigen wollte, ihm prächtige Feste zu geben; Feste, wo die Freude zwar ungebundener herrschte, aber doch durch die Gesellschaft der Musen und Grazien einen Schein von Bescheidenheit erhielt, welcher die Strenge der Weisheit mit ihr aussöhnen konnte.Timokrates machte sich diesen Umstand zu nutze. Er lud den Prinzen, den ganzen Hof und die Vornehmsten der Stadt ein, auf seinem Landhause die Wiederkunft des Frühlings zu begehen, dessen alles verjüngende Kraft (zum Unglück für den ohnehin übel befestigten Platonismus des Dionysius) auch diesem Prinzen die Begierden und die Kräfte der Jugend wieder einzuhauchen schien. Die schlaueste Wollust, hinter eine verblendende Pracht versteckt, hatte dieses Fest angeordnet. Timokrates verschwendete seine Reichthümer mit desto fröhlicherm Gesichte, da er sie eben dadurch doppelt wieder zu bekommen versichert war. Alle Welt bewunderte die Erfindungen und den Geschmack dieses Günstlings. Dionys versicherte, sich niemals so wohl ergötzt zu haben. Und sogar der göttliche Plato (der weder auf seinen Reisen zu den Pyramiden und Gymnosophisten, noch zu Athen so etwas gesehen hatte) wurde von seiner dichterischen Einbildungskraft so sehr verrathen, daß er die Gefahren zu vergessen schien, die unter den Bezauberungen dieses Orts, und unter dieser Verschwendung

von Reizungen zum Vergnügen lauerten. Der einzige Dion erhielt sich bei seinem gewöhnlichen Ernste. Allein der Contrast seines finstern Bezeigens mit der allgemeinen Fröhlichkeit machte auf alle Gemüther Eindrücke, die nicht wenig dazu beitrugen, seinen bevorstehenden Fall zu befördern. Indeß schien niemand darauf Acht zu geben; und in der That ließ die Vorsorge, welche Timokrates gebraucht hatte, daß jede Stunde und beinahe jeder Augenblick ein neues Vergnügen herbei führen mußte, wenig Muße Beobachtungen zu machen.Der schlaue Höfling hatte ein Mittel gefunden, dem Philosophen selbst, bei einer Gelegenheit wo es so wenig zu vermuthen war, auf eine keine Art zu schmeicheln. Dieß geschah durch ein großes pantomimisches Ballet, worin die Geschichte der menschlichen Seele, nach Platons Grundsätzen unter Bildern, die er in einigen seiner Schriften an die Hand gegeben hatte, allegorisch vorgestellt wurde. Timokrates hatte die jüngsten und schönsten Figuren hierzu gebraucht, die er zu Korinth und aus dem ganzen Griechenlande hatte zusammen bringen können.Unter den Tänzerinnen schien Eine besonders dazu gemacht, alles was der gute Plato in etlichen Monaten an dem Gemüthe des Tyrannen gearbeitet hatte, in eben so vielen Augenblicken wieder zu zerstören. Sie stellte unter den Personen des Tanzes die Wollust vor; und wirklich paßten ihre Figur, ihre Gesichtsbildung, ihre Blicke, ihr Lächeln, alles so vollkommen zu dieser Rolle, daß das Anakreontische Beiwort "wollustathmend" ausdrücklich für sie gemacht zu seyn schien. Jedermann war von der schönen Bacchidion bezaubert; aber

niemand war es so sehr als Dionysius. Er dachte nicht einmal daran, der Wollust Widerstand zu thun, welche eine so verführerische Gestalt angenommen hatte, um seine erkaltete Zuneigung zu ihr wieder anzufeuern. Kaum daß er noch so viel Gewalt über sich behielt, um von demjenigen, was in ihm vorging, nicht allzu deutliche Zeichen sehen zu lassen. Denn er getraute sich noch nicht, wieder gänzlich Dionysius zu seyn; ob ihm gleich von Zeit zu Zeit kleine Züge entwischten, welche dem beobachtenden Dion bewiesen, daß er nur durch einen Rest von Scham, den letzten Seufzer der sterbenden Tugend, noch zurückgehalten werde.Timokrates triumphirte in sich selbst; seine Absicht war erreicht. Die allzu reizende Bacchidion bemächtigte sich in kurzem der Begierden, des Geschmacks und sogar des Herzens des Tyrannen. Und da er den Timokrates zum Unterhändler seiner Leidenschaft, die er eine Zeit lang geheim halten wollte, vonnöthen hatte, so war der gefällige Höfling von diesem Augenblick an wieder der nächste an seinem Herzen. Der gute Plato, dem diese Intrigue nicht lange verborgen bleiben konnte, bedauerte nun zu spät, daß er zu viel Nachsicht gegen den Hang des Prinzen nach Ergötzungen getragen hatte. Erfühlte nur gar zu wohl, daß die Gewalt seiner metaphysischen Bezauberungen durch eine stärkere Macht aufgelöst worden sey. Weil er nicht ohne Nutzen beschwerlich seyn wollte, sing er an, den Hof seltner zu besuchen. Aber Dion ging noch weiter: er unterstand sich, dem Dionysius wesen seines geheimen Verständnisses mit der schönen Bacchidion Vorwürfe zu machen, und ihn seiner Verbindlichkeiten mit einem Ernst zu erinnern, den der Tyrann

nicht mehr ertragen konnte. Dionysius antwortete im Ton eines Asiatischen Despoten: Dion behauptete was er gesprochen hatte, wie ein Mißvergnügter, der sich stark genug fühlt, den Drohungen eines übermüthigen Despoten Trotz zu bieten. Zwar wurde jener, da er schon im Begriff war seiner Wuth den Zügel schießen zu lassen, von dem vorsichtigen Philistus noch zurückgehalten: allein Dion fand sich so sehr beleidigt, und die Sachen waren schon so weit gekommen, daß ein schleuniger Entschluß gefaßt werden mußte. Der kleinste Aufschub war gefährlich: aber ein öffentlicher Ausbruch war es nicht minder. Man fand also, das Sicherste würde seyn, den trotzigen Patrioten, welcher entschlossen schien, es aufs Aeußerste ankommen zu lassen, heimlich auf die Seite zu schaffen. Dion verschwand auf einmal; und erst nach einigen Tagen machte Dionys bekannt: daß eine gefährliche Verschwörung gegen seine Person und gegen die Ruhe des Staats, an welcher Dion gearbeitet habe, seine Entfernung aus Sicilien nothwendig gemacht habe. Es bedrängte sich auch wirklich, daß Dion bei nächtlicher Weile unvermuthet in Verhaft genommen, zu Schiffe gebracht, und in Italien ans Land gesetzt worden war.Um die angebliche Verschwörung wahrscheinlich zu machen, wurden verschiedene Freunde Dions, und eine noch größere Anzahl von Anhängern des Philistus, welche gegen diesen Prinzen zu reden bestochen waren, in Verhaft genommen. Man unterließ nichts, was seinem Proceß das Ansehen der genauesten Beobachtung der Justizformalitäten geben konnte; und erst nachdem er durch die Aussage einer Menge von

erkauften Zeugen überwiesen worden war, wurde seine Verbannung in ein förmliches Urtheil gebracht, und ihm bei Lebensstrafe verboten, ohne besondere Erlaubniß des Dionysius Sicilien wieder zu betreten. Der Tyrann stellte sich, als ob er dieses Urtheil ungern, und bloß durch die Sorge für die Ruhe des Staats gezwungen, unterzeichne; und, um eine Probe zu geben, wie gern er eines Prinzen, den er allezeit besonders boxgeschätzt habe, schonen möchte, verwandelte er die Strafe der Confiscation aller seiner Güter in eine bloße Zurückhaltung der Einkünfte von denselben. Aber niemand ließ sich durch diese Vorspiegelungen hintergehen, da man bald darauf erfuhr, daß er seine Schwester, die Gemahlin des Dion, gezwungen habe, die Belohnung des unwürdigen Timokrates zu werden.Plato spielte bei dieser unerwarteten Veränderung eine sehr demüthigende Rolle. Dionysius affectirte zwar noch immer, ein großer Bewunderer seiner Wissenschaft und Beredsamkeit zu seyn; aber sein Einfluß hatte so gänzlich aufgehört, daß ihm nicht einmal erlaubt war, die Unschuld seines Freundes zu vertheidigen. Er wurde täglich zur Tafel eingeladen; aber nur, um mit eignen Ohren anzuhören, wie die Grundsätze seiner Philosophie, die Tugend, und alles was einem gesunden Gemüth ehrwürdig ist, zum Gegenstande leichtsinniger Scherze gemacht wurden, welche sehr oft den ächten Witz nicht weniger beleidigten als die Sitten. Und damit ihm alle Gelegenheit benommen würde, die widrigen Eindrücke, welche man den Syrakusern gegen Dion beibrachte, wieder auszulöschen, gab man ihm, unter dem Schein einer besondern Ehrenbezeugung

eine Wache, die ihn wie einen Staatsgefangenen beobachtete und eingeschlossen hielt.Der Philosoph hatte denjenigen Theil seiner Seele, welchem er seinen Sitz zwischen der Brust und dem Zwerchfell angewiesen, noch nicht so gänzlich gedändiget, daß ihn dieses Betragen des Tyrannen nicht hatte erbittern sollen. Er fing an im Tone eines freigebornen Atheners zu sprechen, und verlangte unter verschiedenen Vorwänden seine Entlassung. Dionysius stellte sich über dieses Begehren bestürzt an, und schien alles anzuwenden, um einen so wichtigen Freund bei sich zu behalten. Er bot ihm sogar die erste Stelle in seinem Reich, und (wenn anders Plutarch nicht zu viel gesagt hat) alle seine Schätze an, wofern er sich verbindlich machen wollte, ihn niemals zu verlassen. Aber die Bedingung, welche hinzugesetzt wurde, bewies, wie wenig man erwartete, daß diese glänzenden Anerbietungen angenommen werden würden: denn man verlangte, daß er dem Tyrannen seine Freundschaft für den Dion aufopfern sollte. Plato verstand den stillschweigenden Sinn dieser Zumuthung. Er beharrete also auf seiner Entlassung, und erhielt sie endlich, nachdem er das Versprechen von sich gegeben hatte, daß er wieder kommen wolle, sobald der Krieg, welchen Dionysius mit Carthago anzufangen im Begriff war, geendigt seyn würde.Der Tyrann machte sich eine große Angelegenheit daraus, alle Welt zu überreden, daß sie als die besten Freunde von einander schieden; und Platons Ehrgeiz (wenn es anders erlaubt ist, eine solche Leidenschaft bei einem Philosophen vorauszusetzen) fand seine Rechnung zu gut dabei, als daß er sich hätte

bemühen sollen, die Welt von dieser Meinung zu heilen. Er gehe nur, sagte er, um Dion und Dionysius wieder zu Freunden zu machen. Der Tyrann bezeigte sich sehr geneigt hierzu; er hob sogar, zum Beweise seiner guten Gesinnung, den Beschlag auf, den er auf die Einkünfte Dions gelegt hatte. Plato hingegen machte sich zum Bürgen für seinen Freund, daß er nichts Widriges gegen Dionysen unternehmen sollte. Der Abschied machte eine so traurige Scene, daß die Zuschauer (außer den wenigen, welche das Gesicht unter der Maske kannten) von der Gutherzigkeit des Prinzen sehr gerührt wurden. Er begleitete den Philosophen bis an seine Galeeren, erstickte ihn beinahe mit Umarmungen, netzte seine ehrwürdigen Wangen mit Thränen, und sah ihm so lange nach, bis er ihn aus den Augen verlor.Und so kehrten beide, mit gleich erleichtertem Herzen, Plato in seine geliebte Akademie, und Dionysius in die Arme seiner Tänzerin zurück.

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