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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Siebentes Capitel.

Ein merkwürdiger Vortrag des Philistus. Wozu ein großer Herr Philosophen und witzige Köpfe brauchen kann. Dionysius stiftet eine Akademie von schönen Geistern.

Dionysius, dessen natürliche Eitelkeit durch die Discurse des Athenischen Weisen zu einer heftigen Ruhmbegierde aufgeschwollen war, hatte sich, unter andern Schwachheiten, in den

Kopf gesetzt, für einen Gönner der Gelehrten, für einen Kenner und sogar für einen der schönen Geister seiner Zeit gehalten zu werden. Er war sehr bekümmert, Plato und Dion möchten den Griechen (denen er vorzüglich zu gefallen begierig war) die gute Meinung wieder benehmen, welche man von ihm zu fassen angefangen hatte; und diese Furcht scheint einer von den stärkten Beweggründen gewesen zu seyn, warum er den Philosophen bei der Trennung mit so vieler Freundschaft überhäuft hatte. Er ließ es nicht dabei bewenden. Philistus sagte ihm, daß Griechenland eine Menge gelehrter und nicht allzu wohl genährter Müßiggänger habe, welche so berühmt als Plato, und zum Theil geschickter seyen, einen Prinzen bei Tische oder in verlornen Augenblicken zu belustigen, als dieser seltsame Mann den die wunderliche Grille plage, ein lächerlich ehrwürdiges Mittelding zwischen einem Aegyptischen Priester und einem Staatsmanne vorstellen zu wollen. Er bewies ihm mit den Beispielen seiner eigenen Vorfahren: daß ein Fürst sich den Ruhm eines vortrefflichen Regenten nicht wohlfeiler verschaffen könne, als indem er Philosophen und Poeten in seinen Schutz nehme; Leute, welche, für die Ehre seine Tischgenossen zu seyn, oder für einen mäßigen Gehalt, bereit seyen, alle ihre Talente ohne Maß und Ziel zu seinem Ruhm und zu Beförderung seiner Absichten zu verschwenden. —"Glauben wir, sagte er, daß Hieron der wunderthätige Mann, der Held, der Halbgott, das Muster aller fürstlichen, bürgerlichen und häuslichen Tugenden gewesen sey, wofür ihn die Nachwelt hält? Wir wissen was wir davon denken sollen. Er war, was alle Prinzen sind, und lebte wie sie alle leben. Er that was

ich und ein jeder andrer thun würde, wenn wir zu unumschränkten Herren einer so schönen Insel, wie Sicilien ist, geboren wären. Aber er hatte die Klugheit, Simoniden und Pindarn an seinem Hofe zu halten. Sie lobten ihn in die Wette, weil sie wohl gefüttert und bezahlt wurden. Alle Welt erhob die Freigebigkeit des Prinzen, und doch kostete ihm dieser Ruhm nicht halb so viel als seine Jagdhunde. Wer wollte ein König seyn, wenn ein König das alles wirklich thun müßte, was sich ein müßiger Sophist auf seinem Faulbette, oder Diogenes in seiner Tonne, einfallen läßt ihm zu Pflichten zu machen? Wer wollte regieren, wenn ein Regent allen Forderungen und Wünschen seiner Unterthanen genug thun müßte? Das Meiste, wo nicht alles, kommt auf die Meinung an, die ein großer Herr von sich erweckt; nicht auf seine Handlungen selbst, sondern auf die Gestalt und den Schwung, den er ihnen zu geben weiß. Was er nicht selbst thun will oder thun kann, das können widrige Köpfe für ihn thun. Halten Sie sich einen Philosophen, der alles demonstriren, einen Schwätzer, der über alles scherzen, und einen Poeten, der über alles Verse machen kann! Der Nutzen, den Sie von dieser kleinen Ausgabe ziehen werden, fällt zwar nicht sogleich in die Augen; wiewohl es an sich selbst schon Vortheils genug ist, für einen Beschützer der Musen gehalten zu werden. Denn dieß ist in den Augen von neunundneunzig Hunderttheilen des menschlichen Geschlechts ein untrüglicher Beweis, daß der Fürst selbst ein Herr von großer Einsicht und Wissenschaft ist; und diese Meinung erweckt Zutrauen und ein günstiges Vorurtheil für alles was er unternimmt. Aber dieß ist der geringste Nutzen, den Sie von

Ihren witzigen Kostgängern ziehen. Setzen wir den Fall, es sey nöthig eine neue Auflage zu machen. Braucht es mehr, um in einem Augenblick ein allgemeines Murren gegen Ihre Regierung zu erregen? Die Mißvergnügten (eine Art von Leuten, welche die klügste Regierung niemals gänzlich ausrotten kann) machen sich einen solchen Zeitpunkt zu Nutze. Sie setzen das Volk in Gahrung, untersuchen die Aufführung des Fürsten, die Verwaltung seiner Einkünfte und tausend Dinge, an welche vorher niemand gedacht hatte. Die Unruhe nimmt zu: die Repräsentanten des Volks versammeln sich: man übergibt dem Hofe eine Vorstellung, eine Beschwerung um die andere. Unvermerkt nimmt man sich heraus, die Bitten in Forderungen zu verwandeln, und die Forderungen mit ehrfurchtsvollen Drohungen zu unterstützen. Kurz, die Ruhe Ihres Lebens ist, wenigstens auf einige Zeit, verloren. Sie befinden sich in kritischen Umständen, wo der kleinste Fehltriit die schlimmsten Folgen nach sich ziehen kann; und es braucht nur einen Dion, der sich zu einer solchen Zeit einem mißvergnügten Pöbel an den Kopf wirft, so haben wir einen Aufruhr in seiner ganzen Größe. Hier zeigt sich der wahre Nutzen unsrer witzigen Köpfe. Durch ihren Beistand können wir in etlichen Tagen allen diesen Uebeln zuvorkommen. Lassen wir den Philosophen demonstriren, daß diese Auflage zur Wohlfahrt des gemeinen Wesens unentbehrlich ist; der Spaßvogel trage irgend einen lächerlichen Einfall, irgend eine lustige Hofanekdote, oder ein boshaftes Mährchen in der Stadt herum; und der Poet verfertige eilends eine neue Komödie und ein paar Gassenlieder, um dem Pöbel etwas zu sehen und zu singen zu geben; so wird alles ruhig

bleiben: und während die politischen Müßiggänger sich darüber zanken werden, ob der Philosoph recht oder unrecht argumentirt habe, indeß die kleine ärgerliche Anekdote und die neue Komödie den Witz aller guten Gesellschaften in Athem erhält; wird der Pöbel ein paar Flüche zwischen den Zähnen murmeln, seinen Gassenhauer anstimmen, und — bezahlen! Solche Dienste (setzte Philistus hinzu) sind doch wohl werth, etliche Leute zu unterhalten, die ihren ganzen Ehrgeiz darein setzen, Worte zierlich zusammenzusetzen, Sylben zu zählen, Ohren zu kitzeln und Lungen zu erschüttern; Leute, deren äußerste Wünsche erfüllt sind, wenn man ihnen so viel gibt, als sie brauchen, um durch eine Welt, an die sie wenig Ansprüche machen, sorglos hindurch zu schlendern, und nichts zu thun, als was der Wurm im Kopfe, den sie ihren Genie nennen, ihnen zum größten Vergnügen ihres Lebens macht."Dionysius fand diesen Rath seines würdigen Ministers vollkommen nach seinem Geschmacke. Philistus übergab ihm eine Liste von mehr als zwanzig Candidaten, aus denen er nach Belieben auswählen könnte. Der Prinz glaubte, daß man so nützlicher Leute nicht zu viel haben könne, und wählte alle. Die sämmtlichen schönen Geister Griechenlands wurden unter blendenden Verheißungen an seinen Hof eingeladen. In kurzer Zeit wimmelte es in seinen Vorsalen von Philosophen und Priestern der Musen. Alle Arten von Dichtern, epische, tragische, komische und lyrische, welche ihr Glück zu Athen nicht hatten machen können, zogen nach Syrakus, um ihre Leyern und Flöten an den anmuthigen Ufern des Anapus zu stimmen, und sich satt zu essen. Sie glaubten, daß es ihnen gar

wohl erlaubt seyn könne, die Tugenden des Dionysius zu besingen, nachdem der göttliche Pindar sich nicht geschämt hatte, die Maulesel des Hieron unsterblich zu machen. Sogar der Sokratische Antisthenes ließ sich durch die Hoffnung herbeilocken, daß ihn die Freigebigkeit dieses neuen Musageten in den Stand setzen würde, die Vortheile der freiwilligen Armuth und der Enthaltsamkeit mit desto mehr Gemächlichkeit zu studiren; Tugenden, von deren Schönheit (nach dem stillschweigenden Geständniß ihrer eifrigsten Lobredner) sich nach einer guten Mahlzeit am beredtesten sprechen läßt. Kurz, Dionysius hatte das Vergnügen, sich mitten an seinem Hofe eine Akademie für seinen eignen Leib zu errichten, deren Vorsteher und Apollo er selbst zu seyn würdigte, und in welcher über die Gerechtigkeit, über die Gränzen des Guten und Bösen, über die Quelle der Gesetze, über das Schöne. über die Natur der Seele, der Welt und der Götter, und andere solche Gegenstände, die nach den gewöhnlichen Begriffen der Weltleute zu nichts als zur Conversation gut sind, mit so vieler Schwatzhaftigkeit und Subtilität, und mit so wenig gesundem Menschenverstande disputirt wurde, als es in irgend einer Schule der damaligen oder folgenden Zeiten zu geschehen pflegte. Er hatte das Vergnügen, sich bewundern, und wegen einer Menge von Tugenden und Heldeneigenschaften lobpreisen zu hören, die er sich selbst niemals zugetraut hätte. Seine Philosophen waren keine Leute, die (wie Plato) sich herausgenommen hätten, ihn hofmeistern und lehren zu wollen, wie er zuerst sich selbst, und dann seinen Staat regieren müsse. Der strengste unter ihnen war zu höflich, etwas an seiner Lebensart auszusetzen; und

alle waren bereit es einem jeden Zweifler sonnenklar zu beweisen, daß ein Fürst, welcher Zueignungsschriften und Lobgedichte so gut bezahlte, so gastfrei war, und seine getreuen Unterthanen durch den Anblick so vieler Feste und Lustbarkeiten glücklich machte, der würdigste unter allen Königen seyn müsse.In diesen Umständen befand sich der Hof zu Syrakus, als der Held unsrer Geschichte in dieser Stadt ankam; und so war der Fürst beschaffen, welchem er, unter ganz andern Voraussetzungen, seine Dienste anzubieten gekommen war.

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