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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Fünftes Capitel.

Gemüthsverfassung des Dionysius. Unterredung mit Dion und Platon. Folgen derselben.

Dionysius war von Natur hitzig und ungestüm. Eine jede Vorstellung, von der seine Einbildung getroffen wurde, beherrschte ihn so sehr, daß er sich dem mechanischen Triebe, den sie in ihm hervorbrachte, gänzlich überließ. Aber wer ihn so genau kannte als Philistus, hatte wenig Mühe, seinen Bewegungen oft durch ein einziges Wort eine andere Richtung zu geben. Im ersten Anstoß seiner unbesonnenen Hitze waren die gewaltsamsten Maßnehmungen immer die ersten, auf die er fiel. Aber man brauchte ihm nur den Schatten einer Gefahr dabei zu zeigen, so legte sich die auffahrende Lohe wieder, und er ließ sich eben so schnell überreden die sichersten Mittel zu erwählen, wenn sie gleich die niederträchtigsten waren.Da wir die wahre Triebfeder seiner vermeinten Sinnesänderung oben bereits entdeckt haben, wird sich niemand

wundern, daß er von dem Augenblick an, da sich seine Leidenschaften wieder regten, in seinen natürlichen Zustand zurück sank. Was man bei ihm für Liebe der Tugend angesehen, was er selbst dafür gehalten hatte, war das Werk zufälliger und mechanischer Ursachen gewesen. Daß er der Tugend zu Liebe seinen Neigungen die mindeste Gewalt hätte thun sollen, so weit ging sein Enthusiasmus für sie nicht. Die ungebundene Freiheit, worin er zu leben gewohnt war, stellte sich ihm wieder mit den lebhaftesten Reizungen dar. Nun sah er in Plato bloß einen verdrießlichen Hofmeister, und verwünschte sich selbst, daß er schwach genug habe seyn können, sich von einem solchen Pedanten einnehmen und in eine seiner eigenen so wenig ähnliche Gestalt umbilden zu lassen. Er fühlte nur allzuwohl, daß er sich eine Art von Verbindlichkeit aufgelegt hätte, in den Gesinnungen zu beharren, die er diesem Sophisten (wie er ihn jetzt nannte) unbesonnener Weise gezeigt hatte, und besorgte, nicht ohne Grund, daß Dion und die Syrakuser die Erfüllung seines Versprechens, aus eine gesetzmäßige Art zu regieren, als eine Schuldigkeit von ihm verlangen würden. Diese Gedanken waren ihm unerträglich, und hatten die natürliche Folge, seine ohnehin bereits erkaltete Zuneigung zu dem Philosophen von Athen in Widerwillen zu verwandeln, den Dion aber, den er nie geliebt hatte, ihm doppelt verhaßt zu machen. Dieß waren die geheimen Dispositionen, welche den Verführungen des Timokrates und Philistus den Eingang in sein Gemüth erleichterten. Es war schon so weit mit ihm gekommen, daß er vor diesen ehmaligen Vertrauten sich der Person schämte, die er einige Wochen

lang, gleichsam unter Platons Vormundschaft, gespielt hatte; und vermuthlich rührte es von dieser verderblichen Scham her, daß er in so verkleinernden Ausdrücken von einem Manne, den er anfänglich beinahe vergöttert hatte, sprach, und seiner Leidenschaft für ihn einen so spaßhaften Schwung zu geben suchte.Er ergriff also den Vorschlag des Philistus mit der Ungeduld eines Menschen, der sich von dem Zwang einer verhaßten Einschränkung je eher je lieber los zu machen wünscht; und damit er keine Zeit verlieren möchte, machte er gleich des folgenden Tages Anstalt, denselben ins Werk zu setzen. Er berief den Dion und den Philosophen in sein Cabinet, und entdeckte ihnen mit allen Anscheinungen des vollkommensten Zutrauens, daß er gesonnen sey sich der Regierung zu entschlagen, und den Syrakusern die Freiheit zu lassen, sich diejenige Verfassung zu erwählen, die ihnen die angenehmste seyn würde.Ein so unerwarteter Vortrag machte die beiden Freunde stutzen; aber sie faßten sich unverzüglich. Sie hielten ihn für eine von den sprudelnden Aufwallungen einer noch ungeläuterten Tugend, welche gern auf schöne Ausschweifungen zu verfallen pflegt, und hofften daher, es werde ihnen leicht seyon, den Prinzen auf reifere Gedanken zu bringen. Sie billigten zwar seine gute Absicht; stellten ihm aber vor, daß er sie sehr schlecht erreichen würde, wenn er das Volk, welches in politischer Hinsicht immer als ein Unmündiger zu betrachten sey, zum Meister über eine Freiheit machen wollte, die es allem Vermuthen nach, zu seinem eignen Schaden mißbrauchen würde. Sie sagten ihm hierüber alles was eine gesunde Staatskunst sagen kann.

Insonderheit bewies ihm Plato, der innere Wohlstand eines Staats beruhe nicht auf der Form seiner Verfassung, sondern auf der innerlichen Güte der Gesetzgebung, auf tugendhaften Sitten und auf der Weisheit des Regenten, dem die Handhabung der Gesetze anvertraut sey. Seine Meinung ging dahin: Dionysius habe nicht nöthig sich der obersten Gewalt zu begeben, da es nur von ihm abhange, durch vollkommene Beobachtung aller Pflichten eines weisen und tugendhaften Fürsten die Tyrannie in eine rechtmäßige Monarchie zu verwandeln; eine Regierungsart, welcher die Völker sich desto williger unterwerfen würden, da sie durch das Gefühl ihres Unvermögens, sich selbst zu regieren, geneigt gemacht würden sich regieren zu lassen, ja denjenigen als eine Gottheit zu verehren, welcher sie schütze und für ihre Glückseligkeit arbeite.Dion stimmte hierin nicht gänzlich mit seinem Freunde überein. Die Wahrheit war, daß er den Dionysius besser kannte, und, weil er sich wenig Hoffnung machte, daß seine guten Dispositionen von langer Dauer seyn würden, gern so schnell als möglich einen solchen Gebrauch davon gemacht hätte, wodurch ihm die Macht Böses zu thun, auf den Fall wenn ihm der Wille dazu wieder ankäme, benommen worden wäre. Er breitere sich also mit Nachdruck über die Vortheile einer wohl geordneten Aristokratie vor der Regierung eines Einzigen aus, und bewies, wie gefährlich es sey, den Wohlstand eines ganzen Landes von dem zufälligen und wenig sichern Umstand, ob dieser Einzige tugendhaft seyn wolle oder nicht, abhangen zu lassen. Er behauptete sogar: von einem Menschen, der die höchste Macht in Händen habe, zu verlangen, daß er sie niemalen

mißbrauchen solle, sey etwas gefordert, das über die Kräfte der Menschheit gehe; denn es sey nichts Geringeres als —von einem mit Mängeln und Schwachheiten beladenen Geschöpfe, weil man ihm die Macht eines Gottes eingeräumt habe, auch die Weisheit und Güte eines Gottes zu verlangen. Er billigte also das Vorhaben des Dionysius, die königliche Gewalt aufzugeben, im höchsten Grade. Jedoch stimmte er mit seinem Freunde darin überein: daß, anstatt die Einrichtung des Staats in die Willkür des Volks zu stellen, er selbst, mit Zuziehung einiger verständiger Männer, die das Vertrauen des Volks hätten, sich ungesäumt der Arbeit unterziehen sollte, eine dauerhafte und zum möglichsten Grad der Vollkommenheit gebrachte Verfassung zu entwerfen.Dionysius schien sich diesen Vorschlag gefallen zu lassen. Er bat sie, ihre Gedanken über eine so wichtige Sache in einen vollständigen Plan zu bringen, und versprach, sobald als sie selbst über das, was man thun sollte, einig seyn würden, zur Ausführung eines Werkes zu schreiten, welches ihm, wie er vorgab, sehr am Herzen liege.Diese geheime Unterredung hatte bei dem Tyrannen eine gedoppelte Wirkung. Sie vollendete seinen Haß gegen Dion, und setzte den Platon aufs neue in Gunst bei ihm. Denn ob er gleich nicht mehr so gern als anfangs von den Pflichten eines guten Regenten sprechen hörte, so hatte er doch sehr gern gehört, daß Plato sich als einen Gegner des popularen Regiments und als einen Freund der Monarchie erklärt hatte. Er ging aufs neue mit seinen Vertrauten zu Rathe. Es komme nun allein darauf an, sagte er, sich den Dion vom Halse zu schaffen.

Philistus hielt dafür, eh ein solcher Schritt gewagt werden dürfe, müßte das Volk beruhiget und das wankende Ansehen des Prinzen wieder befestiget seyn. Er schlug die Mittel vor, wodurch dieses am gewissesten geschehen könne. In der That waren dabei keine großen Schwierigkeiten; denn er und Timokrates hatten die vorgebliche Gährung in Syrakus weit gefährlicher vorgestellt, als sie wirklich war. Dionysius fuhr, auf sein Anrathen, fort, eine besondere Achtung für den Plato zu bezeigen; einen Mann, der in den Augen des Volks eine Art von Propheten vorstellte, welcher mit Göttern umgehe und Eingebungen behalte. "Einen solchen Mann (sagte Philistus) muß man zum Freunde behalten, so lange man ihn gebrauchen kann. Plato verlangt nicht selbst zu regieren; er hat also nicht dasselbe Interesse wie Dion. Seine Eitelkeit ist befriediget, wenn er bei demjenigen, der die Regierung führt, in Ansehen steht, und Einfluß zu haben glaubt. Es ist leicht, ihn, so lang' es nöthig seyn mag, in dieser Meinung zu unterhalten; und das wird zugleich ein Mittel seyn, ihn von einer genauern Vereinigung mit dem Dion zurückzuhalten."Der Tyrann, der sich ohnehin von einer Art von Instinct zu dem Philosophen gezogen fühlte, fand diesen Rath vortrefflich, und befolgte ihn so gut, daß Plato dadurch hintergangen wurde. Er affectirte ihn immer neben sich zu haben, wenn er sich öffentlich sehen ließ, und bei allen Gelegenheiten, wo es Eindruck machen konnte, seine Maximen im Munde zu führen. Er stellte sich als ob es auf Einrathen des Philosophen geschähe, wenn er dieß oder jenes that, wodurch er sich den Syrakusern angenehm zu machen hoffte; ungeachtet alles die

Eingebungen des Philistus waren, welcher, ohne daß es in die Augen fiel, sich wieder einer gänzlichen Herrschaft über sein Gemüth bemächtiget hatte. Er zeigte sich ungemein leutselig und liebkosend gegen das Volk. Er schaffte einige Auflagen ab, welche die unterste Classe desselben am stärksten drückten. Er belustigte es durch öffentliche Feste und Spiele. Er beförderte einig, deren Ansehen am meisten zu fürchten war, zu einträglichen Ehrenstellen, und ließ die übrigen mit Versprechungen wiegen, die ihm nichts kosteten und dieselbe Wirkung thaten. Er zierte die Stadt mit Tempeln, Gymnasien, und andern öffentlichen Gebäuden. Und alles dieß bewerkstelligte er, mit Hülfe seiner Vertrauten, auf eine so gute Art, daß der betrogene Plato sein ganzes Ansehen dazu verwandte, einem Prinzen, der so schöne Hoffnungen von sich erweckte, und seine Eitelkeit mit so vielen öffentlichen Beweisen einer vorzüglichen Hochachtung kitzelte, alle Herzen gewinnen zu helfen.Diese Maßnehmungen erreichten den vorgesetzten Zweck vollkommen. Das Volk, dessen Vorstellungsart von politischen Dingen immer vom Eindruck des Augenblicks abhängt, hörte auf zu murmeln, verlor in kurzer Zeit den bloßen Wunsch einer Veränderung, faßte eine heftige Zuneigung für seinen Prinzen, erhob die Glückseligkeit seiner Regierung, bewunderte die prächtige Uniform die er seinen Trabanten hatte machen lassen, betrank sich auf seine Gesundheit, und war bereit, allem was er unternehmen wollte, seinen dummen Beifall zuzuklatschen.

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