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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Fünftes Capitel.

Wie Agathon sich vor den Athenern vertheidigt. Er wird verurtheilt, und auf immer aus Griechenland verbannt.

Meine wenigen Freunde hatten sich inzwischen in der Stille so eifrig zu meinem Besten verwandt, daß sie mir Hoffnung machten, alles könne noch gut gehen, wenn ich mich nur entschließen könnte, meine Vertheidigung nach dem Geschmack und der Erwartung des Volks einzurichten. Ich sollte mich zwar so vollständig rechtfertigen als es immer möglich wäre, sagten sie; aber am Ende sollt' ich mich doch den Athenern auf Gnade oder Ungnade zu Füßen werfen. Meinen Feinden dürfte ich nach aller Schärfe des Selbstvertheidigungs- und

Wiedervergeltungsrechts begegnen: aber den Athenern sollte ich schmeicheln, und, anstatt ihre Eigenliebe durch den mindesten Vorwurf zu beleidigen, bloß ihr Mitleiden zu erregen suchen. Vermuthlich würde der Erfolg diesen Rath meiner Freunde, der sich auf die Kenntniß des Charakters eines freien Volks gründete, gerechtfertiget haben; wenigstens ist gewiß, daß die ersten Bewegungen dieser Unbeständigen bereits angefangen hatten, dem Mitleiden und den Regungen ihrer vormaligen Liebe zu weichen. Ich las es, da ich das Gerüste, von welchem ich zu dem Volke reden sollte, bestieg, in vieler Augen, sah, wie sie nur darauf warteten, daß ich ihnen einen Weg zeigen möchte, mit guter Art, und ohne etwas von ihrer demokratischen Majestät zu vergeben, wieder zurück zu kommen. Aber sie fanden sich in dieser Erwartung sehr betrogen. Die Verachtung, womit mein Gemüth beim Anblick eines Volkes erfüllt wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit so ausschweifender Freude ins Gefängniß begleitet hatte, und das Gefühl meines eignen Werthes, waren beide zu lebhaft. Die Begierde ihnen Gutes zu thun, welche die Seele aller meiner Handlungen und Entwürfe gewesen war, hatte aufgehört. Ich würdigte sie nicht, eine Schutzrede zu halten, die ich für eine Beschimpfung meines Charakters und Lebens gehalten hätte; aber ich wollte ihnen zum letztenmal die Wahrheit sagen. Ehmals, wenn es darum zu thun gewesen war, sie von ihren eignen wahren Vortheilen zu überzeugen, hatte ich alle meine Beredsamkeit aufgeboten. Aber itzt, da die Rede bloß von mir selbst war, verschmähte ich den Beistand einer Kunst, worin der Ruf mir einige Geschicklichkeit

zuschrieb. In diesem Stücke blieb ich meinem gefaßten Vorsatze getreu; aber nicht der Kürze und Gelassenheit, die ich mir vorgeschrieben hatte. Der Affect, in den ich unvermerkt gerieth, machte mich weitläufig und zuweilen bitter. Meine Rede enthielt eine zusammen gezogene Erzählung meines ganzen Lebenslaufs in Athen, der Grundsätze, welchen ich in der Republik gefolgt war, und meiner Gedanken von dem wahren Interesse der Athener. Ich ging bei dieser Gelegenheit ein wenig streng mit ihren Urtheilen und Lieblingsprojecten um. Ich sagte ihnen, daß ich in der Sache der Schutzverwandten eine Probe gegeben hätte, nach was für Maximen ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt haben würde: allein da diese Maximen so weit von ihrer Gemüthsbeschaffenheit und Denkart entfernt wären, so würden sie sehr weislich handeln, einen Menschen aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht gesonnen sey, den Pflichten eines allgemeinen Freundes der Menschen zu entsagen, um ein guter Bürger von Athen zu seyn.Der Schluß meiner Rede liegt mir noch so lebhaft im Gedächtniß, daß ich ihn, als eine Probe des Ganzen, wörtlich wiederholen will. "Die Götter (sage ich) haben mich zu einer Zeit, da ich es am wenigsten hoffte, meinen Vater finden lassen. Sein Ansehen und seine Reichthümer gaben mir weniger Freude, als die Entdeckung, daß ich mein Leben einem rechtschaffenen Manne zu danken hätte. Athen wurde durch ihn mein Vaterland. Ich sah es als den Platz an, den mir die Götter angewiesen das Beste der Menschen zu befördern. Die Vortheile dieser einzelnen Stadt waren in meinen Augen ein zu kleiner Gegenstand, um dem allgemeinen Besten der

Menschheit vorgesetzt zu werden; aber ich sah beides so genau mit einander verknüpft; daß ich nur alsdann gewiß seyn konnte, jene wirklich zu erhalten, wenn ich dieses beförderte. Nach diesen Grundsätzen habe ich in meinem öffentlichen Leben gehandelt, und diese Handlungen haben mir euern Unwillen zugezogen. Die Athener wollen auf Unkosten des menschlichen Geschlechts groß seyn; und sie werden es so lange seyn wollen, bis sie, in Ketten, welche sie sich selbst schmieden, und deren sie würdig sind sobald sie über Sklaven gebieten wollen, allen ihren Ehrgeiz auf den rühmlichen Vorzug einschränken werden, die besten Sprecher und die gelenkigsten Pantomimen in der Welt zu seyn. Aber von Agathon erwartet nicht, daß er euern Lauf auf diesem Wege, den die Gefälligkeit eurer Redner mit Blumen bestreut, beschleunigen helfe. Mein Privatleben hat euch bewiesen, daß die Grundsätze, nach welchen ich eure öffentlichen Handlungen zu leiten gewünscht hätte, die Maßregeln meines eigenen Verhaltens waren. Mein Vermögen hat mehr zum Gebrauch eines jeden unter euch, als zu meinem eigenen gedienet. Ich habe mir Undankbare verbindlich gemacht, und diese Erfahrung lehrt mich, Güter mit Gleichgültigkeit zurückzulassen, welche ich übel anwandte, da ich sie am besten anzuwenden glaubte. Dieß, ihr Athener, ist alles, was ich euch zu meiner Vertheidigung zu sagen habe. Ihr seyd nun, weil euch die Menge eurer Arme zu meinem Herrn macht, Meister über meine Umstände, und, wenn ihr wollt, über mein Leben. Verlangt ihr meinen Tod, so meldet mir nur, was ich in eurem Namen dem weisen und guten Sokrates sagen soll, zu dem ihr mich schicken werdet. Begnügt ihr euch aber mich

aus euern Augen zu verbannen: so werde ich, mit dem letzten Blicke nach einem einst geliebten Vaterland, eine Thräne auf das Grab eurer Glückseligkeit fallen lassen; und, indem ich aufhöre ein Athener zu seyn, in jedem Winkel der Welt, worin Tugend sich verbergen darf, ein besseres Vaterland finden."Es ist leicht zu vermuthen, schöne Danae, daß eine Apologie aus diesem Tone nicht geschickt war, mir ein günstiges Urtheil auszuwirken. Die Erbitterung, welche dadurch in den Gemüthern erregt wurde, die sich an dem angenehmen Schauspiel, mich vor ihnen gedemüthiget zu sehen, zu weiden gehofft hatten, war auf allen Gesichtern ausgedrückt. Demungeachtet sah ich niemals eine größere Stille unter dem Volk, als da ich aufgehört hatte zu reden. Sie fühlten, wie es schien, wider ihren Willen, daß die Tugend Ehrfurcht einprägt. Aber eben dadurch wurde sie ihnen desto verhaßter, je stärker sie den Vorzug fühlten, den sie dem beklagten, verlassenen und von allen Auszierungen des Glücks entblößten Agathon über die Herren seines Schicksals gab. Ich weiß selbst nicht wie es zuging, daß mir mein guter Genius aus dieser Gefahr heraus half. Genug, als die Stimmen gesammelt waren, fand sich, daß die Richter, gegen die Hoffnung meiner Ankläger, sich begnügten, mich auf ewig aus Griechenland zu verbannen, die Hälfte meiner Güter zum gemeinen Wesen zu ziehen, und die andre Hälfte meinen Verwandten zuzusprechen. Die Gleichgültigkeit, womit ich mich diesem Urtheil unterwarf, wurde in diesem fatalen Augenblicke, der alle meine Handlungen in ein falsches Licht setzte, für einen Trotz aufgenommen, welcher mich alles Mitleidens unwürdig machte. Gleichwohl erlaubte man

meinen Freunden, sich um mich zu versammeln, mir ihre Dienste anzubieten, und mich aus Athen zu begleiten; welches ich, ungeachtet mir eine längere Frist gegeben worden war, noch in eben der Stunde mit so leichtem Herzen verließ, als ein Gefangener den Kerker verläßt, aus dem er unverhofft in Freiheit gesetzt wird. Die Thränen der wenigen, die mein Fall nicht von mir verscheucht hatte, und meiner guten Hausgenossen waren das einzige, was, bei einem Abschiede, den wir auf ewig von einander nahmen, mein Herz erweichte; und ihre guten Wünsche alles, was ich von den Anerbietungen ihrer mitleidigen und dankbaren Vorsorge nahm.Ich befand mich nun wieder ungefähr in eben den Umständen, worin ich, vor einigen Jahren, unter dem Cypressenbaum im Vorhofe meines noch unbekannten Vaters zu Korinth gelegen hatte. Die großen Veränderungen, die mannichfaltigen Scenen von Reichthum, Ansehen, Gewalt, und äußerlichem Schimmer, durch welche mich das Glück in dieser kurzen Zwischenzeit herum gedreht hatte, waren nun wie ein Traum vorüber. Aber die wesentlichen Vortheile, die von allen diesen Begegnissen in meinem Geist und Herzen zurück geblieben waren, überzeugten mich, daß ich nicht geträumt hatte. Ich fand mich um eine Menge nützlicher und schöner Kenntnisse, um die Entwicklung und Uebung meiner Fähigkeiten, um das Bewußtseyn vieler guter Handlungen, und um eine Reihe wichtiger Erfahrungen, reicher als zuvor. Ich hatte den Geist der Republiken, den Charakter des Volks, die Eigenschaften und Wirkungen einiger mir vorher unbekannten Leidenschaften kennen gelernt, und Gelegenheit genug gehabt, vieler irrigen

Einbildungen los zu werden, welche man sich von der Welt zu machen pflegt, wenn man sie nur von ferne, und ohne selbst in ihre Geschäfte eingeflochten zu seyn, betrachtet. Zu Delphi hatte man mich (zum Exempel) gelehrt, daß sich das ganze Gebäude der repulicanischen Verfassung auf die Tugend gründe. Die Athener lehrten mich hingegen, daß die Tugend an sich selbst nirgends weniger geschätzt wird als in einer Republik, den Fall ausgenommen, da man ihrer vonnöthen hat; und in diesem Falle wird sie unter einem Despoten eben so hoch geschätzt und nicht selten besser belohnt.Ueberhaupt hatte mein Aufenthalt in Athen die erhabene Theorie von der Vortrefflichkeit und Würde der menschlichen Natur, wovon ich eingenommen war, schlecht bestätiget: und dennoch fand ich mich darum nicht geneigter von ihr zurück zu kommen. Ich legte alle Schuld auf die Ansteckung allzu großer Gesellschaften, auf die Mängel der Gesetzgebung, auf das Privatinteresse, welches bei allen policirten Völkern, durch ein unbegreifliches Versehen ihrer Gesetzgeber, in einem beständigen Streite mit dem gemeinen Besten liegt. Kurz, ich dachte darum nicht schlimmer von der Menschheit, weil sich die Athener unbeständig, ungerecht und undankbar gegen mich bewiesen hatten. Aber ich faßte einen desto stärkern Widerwillen gegen eine jede andre Gesellschaft, als eine solche, welche sich auf übereinstimmende Grundsätze, Tugend und Bestrebung nach sittlicher Vollkommenheit gründet. Der Verlust meiner Güter und die Verbannung aus Athen schien mir die wohl thätige Veranstaltung einer für mich besorgten Gottheit zu seyn, welche mich dadurch meiner wahren Bestimmung habe

wieder geben wollen. Es ist sehr vermuthlich, daß ich durch Anwendung gehöriger Mittel, durch das Ansehen meiner auswärtigen Freunde, und selbst durch die Unterstützung der Feinde der Athener, welche mir gleich zu Anfang meines Processes heimlich angeboten worden war, vielleicht in kurzem wieder Wege gefunden haben könnte, meine Gegner in dem Genuß der Früchte ihrer Bosheit zu stören, und triumphirend nach Athen zurückzukehren. Allein solche Anschläge und solche Mittel schickten sich nur für einen Ehrgeizigen, welcher regieren will um seine Leidenschaften zu befriedigen. Mir fiel es nicht ein, die Athener zwingen zu wollen, daß sie sich von mir Gutes thun lassen sollten. Ich glaubte durch einen Versuch, der mir durch ihre eigene Schuld mißlungen war, meiner Pflicht gegen die bürgerliche Gesellschaft ein Genüge gethan zu haben, und nun vollkommen berechtigt zu seyn, die natürliche Freiheit, welche mir meine Verbannung wieder gab, zum Vortheil meiner eigenen Glückseligkeit anzuwenden. Ich beschloß also, den Vorsatz, den ich zu Delphi schon gefaßt hatte, nunmehr ins Werk zu setzen, und die Quellen der morgenländischen Weisheit, die Magier, und die Gymnosophisten in Indien zu besuchen, in deren geheiligten Einöden ich die wahren Gottheiten meiner Seele, die Weisheit und die Tugend (von welchen, wie ich glaubte, nur unwesentliche Phantomen unter den übrigen Menschen herumschwärmten) zu finden hoffte.Aber eh' ich auf die Zufälle komme, durch welche ich an der Ausführung dieses Vorhabens gehindert und in Gestalt eines Sklaven nach Smyrna gebracht wurde, muß ich meiner

jungen Freundin wieder erinnern, die wir seit meiner Versetzung nach Athen aus dem Gesichte verloren haben.

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