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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Sechstes Capitel.

Agathon endigt seine Erzählung.

Die Veränderung, welche mit mir vorging, da ich aus den Hainen von Delphi auf den Schauplatz der geschäftigen Welt, in das Getümmel einer volkreichen Stadt, in die unruhigen Bewegungen einer zwischen Demokratie und Aristokratie hin und her treibenden Republik, und in das moralische Chaos der bürgerlichen Gesellschaft trat, worin Leidenschaften mit Leidenschaften, Absichten mit Absichten, in einem allgemeinen und ewigen Streit gegen einander rennen, und nichts beständig, nichts gewiß, nichts das ist was es scheint, noch die Gestalt behält die es hat, —diese Veränderung war so groß, daß ich ihre Wirkung auf mein Gemüth durch nichts anders zu bezeichnen weiß, als durch die Vergleichung mit der Betäubung, worin (nach meinem Freunde Plato) unsre Seele eine Zeit lang, von sich selbst entfremdet, liegen bleibt, nachdem sie aus dem Ocean des reinen ursprünglichen Lichts, der die überhimmlischen Räume erfüllt, plötzlich in den Schlamm des groben irdischen Stoffes herunter gestürzet worden ist. Die Menge der neuen Gegenstände, welche von allen Seilen auf mich eindrang, verschlang die Erinnerung derjenigen, welche mich vierzehn Jahre lang umgeben hatten. Ich hat hatte

Mühe mich selbst zu überreden, daß ich eben derjenige sey, der im Tempel zu Delphi den Fremden die Merkwürdigkeiten desselben gewiesen und erklärt hatte. Sogar das Andenken meiner geliebten Psyche wurde eine Zeit lang von diesem Nebel, der meine Seele umzog, verdunkelt.Allein dieß dauerte nur so lange, bis ich des neuen Elements, worin ich itzt lebte, gewohnt worden war. Denn nun vermißte ich ihre Gegenwart desto lebhafter wieder, je größer das Leere war, welches die Beschäftigungen und selbst die Ergötzungen meiner neuen Lebensart in meinem Herzen ließen. Die Schauspiele, die Gastmähler, die Tänze, die Musikübungen, konnten mir jene seligen Nächte nicht ersetzen, die ich in den Entzückungen einer zauberischen Begeisterung an ihrer Seite zugebracht hatte. Aber, so groß auch meine Sehnsucht nach diesen verlornen Freuden war, so beunruhigte mich doch weit mehr die Vorstellung des unglücklichen Zustandes, in welchen die rachgierige Eifersucht der Pythia meine Freundin vermuthlich versetzt hatte. Den Ort ihres Aufenthalts ausfindig zu machen, schien beinahe eine Unmöglichkeit. Denn entweder hatte die Priesterin sie fern genug von Delphi, um uns alle Hoffnung des Wiedersehens zu benehmen, verkaufen, oder sie gar an irgend einer entlegenen barbarischen Küste aussetzen und dem Zufalle Preis geben lassen. Allein, da der Liebe nichts unmöglich ist, so gab ich auch die Hoffnung nicht auf, meine Psyche wieder zu finden. Ich belud alle meine Freunde, alle Fremden die nach Athen kamen, alle Kaufleute, Reisende und Seefahrer mit dem Auftrage, sich allenthalben wohin sie kämen nach ihr zu erkundigen; und damit sie

weniger verfehlt werden könnte, ließ ich eine unzählige Menge Copien ihres Bildnisses machen, welches ich selbst, oder vielmehr der Gott der Liebe durch meine Hand, in der vollkommensten Aehnlichkeit, nach dem gegenwärtigen Original gezeichnet hatte, da wir noch in Delphi waren. Ich gestehe dir sogar, daß das Verlangen meine Psyche wieder zu finden (anfänglich wenigstens) der hauptsächlichste Beweggrund war, warum ich mich in der Republik hervorzuthun suchte. Denn nachdem mir alle andern Mittel fehl geschlagen waren, schien mir nichts übrig zu bleiben, als meinen Namen so bekannt zu machen, daß er ihr zu Ohren kommen müßte, sie möchte auch seyn wo sie wollte. Dieser Weg war in der That etwas weitläufig. Ich hatte zwanzig Jahre in Einem fort größere Thaten thun können als Hercules und Theseus, ohne daß die Hyrkanier, die Massageten, die Hibernier oder die Lästrigonen, in deren Hände sie inzwischen hätte gerathen können, mehr von mir gewußt hätten als die Einwohner des Mondes. Zu gutem Glücke fand der Schutzgeist unsrer Liebe einen kürzern Weg uns zusammen zu bringen, wiewohl in der That nur, um uns Gelegenheit zu geben, auf ewig von einander Abschied zu nehmen.Hier fuhr Agathon fort, der schönen Danae die Begebenheiten zu erzählen, die ihm auf seiner Wanderschaft bis auf die Stunde, da er mit ihr bekannt wurde, zugestoßen, und wovon wir dem Leser bereits im ersten und zweiten Buche dieser Geschichte Rechenschaft gegeben haben: und nachdem er sich auf Unkosten des weisen Hippias ein wenig lustig gemacht hatte, entdeckte er seiner schönen Freundin (welche seine ganze

Erzählung nirgends weniger langweilig fand als an dieser Stelle) alle-, was von dem ersten Anblies , da er sie gesehen, in seinem Herzen vorgegangen war. Er überredete sie, mit eben der Aufrichtigkeit, womit er selbst es zu empfinden glaubte: "daß sie allein dazu gemacht gewesen sey, seine Begriffe von idealischen Vollkommenheiten und einem überirdischen Grade von Glückseligkeit zu realisiren; daß er, seitdem er sie liebe und von ihr geliebt sey, ohne seiner ehemaligen Denkungsart ungetreu zu werden, nur von dem was darin übertrieben und chimärisch gewesen, und zwar bloß dadurch zurückgekommen sey, weil er bei ihr alles dasjenige gefunden, wovon er sich vorher nur in der höchsten Begeisterung seiner Einbildungskraft einige unvollkommene Schattenbegriffe habe machen können; und weil es natürlich sey, daß die Einbildungskraft zu wirken aufhöre, sobald der Seele nichts mehr zu thun übrig sey, als anzuschauen und zu genießen."Mit Einem Worte, Agathon hatte vielleicht in seinem Leben nie so sehr geschwärmt, als itzt, da er sich, im höchsten Grade der verliebten Bethörung, einbildete, daß er alles was er der leichtgläubigen Danae vorsagte, eben so gewiß und unmittelbar sehe und fühle, als er ihre schönen, vom Geiste der Liebe und von aller seiner berauschenden Wollust trunknen Augen auf ihn geheftet sah, oder das Klopfen ihres Herzens unter seinen brennenden Lippen fühlte. Er endigte damit: "Er hoffe durch seine ganze Erzählung ihr begreiflich gemacht zu haben, warum, nachdem er schon so oft, bald von den Menschen, bald vom Glücke, bald von seinen eigenen Einbildungen betrogen worden, es entsetzlich für ihn seyn würde,

wenn er sich jemals in der Hoffnung betrogen fände, so vollkommen und beständig von ihr geliebt zu werden, als es zu seiner Glückseligkeit nöthig sey." Er gestand ihr, mit einer Offenherzigkeit, welche vielleicht nur eine Danae ertragen konnte, daß eine lebhafte Erinnerung an die Zeiten seiner ersten Liebe, begleitet von der Vorstellung aller der seltsamen Zufälle, Veränderungen und Katastrophen, die er in einem Alter von fünf und zwanzig Jahren bereits erfahren, ihn auf eine Reihe melancholischer Gedanken gebracht habe, worin es ihm schwer gewesen sey, seine gegenwärtige Glückseligkeit für etwas mehr als für ein abermaliges Blendwerk seiner Phantasie zu halten. "Gerade das Uebermaß derselben, sagte er, ist es, was mich befürchten machte, aus einem so schönen Traum aufzuwachen. Kannst du es mir verdenken, liebenswürdige Danae, — o du, die durch die Reizungen deines Geistes, auch ohne diese Liebe-athmende Gestalt, ohne diese Schönheit, deren Anschauen himmlische Wesen dir gegenüber anzufesseln vermögend wäre, durch die bloße Schönheit deiner Seele und den magischen Reiz eines Geistes, der alle Vorzüge, alle Gaben, alle Grazien in sich vereinigt, meinen Geist aus dem Himmel selbst zu dir herunter ziehen würdest! — Könntest du mir verdenken, daß ich vor der bloßen Möglichkeit deine Liebe jemals verlieren zu können, wie vor der Vernichtung meines ganzen Wesens, erzittere? —Laß mich, laß mich die Gewißheit, daß es nie geschehen könne, immer in deinen Augen lesen, immer von deinen Lippen hören, und in deinen Armen fühlen! Und wenn diese vergötternde Bezauberung jemals aufhören soll: so nimm im letzten Augenblick alle deine

Macht zusammen, und laß mich vor Entzücken und Liebe zu deinen Füßen sterben!"Von der Antwort, womit Danae diese Ergießungen einer glühenden Zärtlichkeit erwiederte, läßt sich das Wenigste mit Worten ausdrücken; und dieß kann, nach allem was wir bereits von ihren Gesinnungen für unsern Helden gesagt haben, der kaltsinnigste von unsern Lesern sich so gut vorstellen als wir es ihm sagen könnten. Daß sie ihm übrigens sehr höflich für die Erzählung seiner Geschichte gedankt, und große Freude darüber empfunden habe, in diesem Sklaven, der die Alcibiaden und den liebenswürdigen Cyrus selbst aus ihrem Herzen ausgelöscht hatte, den ruhmvollen Agathon, den Jüngling, den das Gerüchte zum Wunder seiner Zeit gemacht hatte, zu finden; und daß sie ihm hierüber viel Schönes gesagt haben werde, —versteht sich von selbst. Dieß und alles, was eine jede andre, die keine Danae gewesen wäre, in den vorliegenden Umständen auch gesagt hätte, wollen wir (so wie alle die feinen Anmerkungen und Scherze, wodurch sie in gewissen Stellen seine Erzählung unterbrochen hatte) überhüpfen, um zu andern Dingen, die in ihrem Gemüthe vorgingen, zu kommen, welche der größte Theil unserer Leserinnen (wir besorgen es, oder hoffen es vielmehr) nicht aus sich selbst errathen hätte, und welche wichtig genug sind, ein eigenes Kapitel zu verdienen.

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