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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Fünfter Band.

Viertes Capitel.

Ein Verwandter seines Vaters macht dem Agathon sein Geburts- und Erbrecht streitig. Sein Gemüthszustand unter diesen Widerwärtigkeiten.

So glücklich meinen Feinden ihr Anschlag von Statten gegangen war, so glaubten sie doch, sich meines Untergangs noch nicht genugsam versichert zu haben. Sie fürchteten die Unbeständigkeit eines Volkes, von welchem sie allzu wohl wußten, wie leicht es von Liebe zu Haß und von Haß zu Mitleiden überging. Es blieb möglich, daß ich mit der bloßen Verbannung auf einige Jahre durchwischen konnte; und dieß ließ eine Veränderung der Scene besorgen, bei welcher weder ihr Groll gegen mich, noch ihre eigene Sicherheit ihre Rechnung fanden. Man mußte also noch eine andere Mine springen lassen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen vertrieben wäre, alle Hoffnung jemals wieder zurück zu kommen abgeschnitten würde. Man mußte beweisen, daß ich kein Bürger von Athen sey; daß meine Mutter keine Bürgerin, und Stratonikus nicht mein Vater gewesen; daß er mich, in Ermangelung eines Erben von seinem eignen Blute, aus bloßen Haß gegen denjenigen, der es den Gesetzen nach gewesen wäre, angenommen und untergeschoben habe; und daß also die Gesetze mir kein Recht an seine Erbschaft zugeständen. Da es zu Athen niemals an Leuten fehlt, welche, gegen eine angemessene Belohnung, alles gesehen und gehört haben was man will, und da von denjenigen, die der Wahrheit das beste Zeugniß hätten geben können, niemand mehr am Leben war; so hatten meine Gegner wenig Mühe, alles dieß eben so gut zu beweisen, als sie meine Staatsverbrechen

bewiesen hatten. Es wurde also eine neue Klage angestellt. Derjenige, der sich zum Kläger wider mich aufwarf, war ein Neffe von meinem Vater, durch nichts als die liederliche Lebensart bekannt, wodurch er sein Erbgut schon vor einigen Jahren verpraßt hatte. Seine Unverbesserlichkeit hatte ihn endlich der Freundschaft meines Vaters, so wie der Achtung aller rechtschaffenen Leute, beraubt; und dieses Umstands bediente er sich nun, mich um eine Erbschaft zu bringen, die er, bevor noch von mir die Rede war, als der nächste Verwandte, in seinen Gedanken schon verschlungen hatte. Die Geschicklichkeit des Redners, dessen Dienste zur Ausübung seines Bubenstücks erkaufte, der mächtige Beistand meiner Feinde, die Umstände selbst, in denen er mich unvermuthet überfiel, und vornehmlich die Gefälligkeit seiner Zeugen, alle die Unwahrheiten zu beschwören, die er zu seiner Absicht nöthig hatte: alles das zusammen genommen versicherte ihm den glücklichen Ausgang seiner Verrätherei; und die Reichthümer, die ihm dadurch zufielen, waren, in den Augen eines gefühllosen Elenden wie er, wichtig genug, um mit Verbrechen, die ihm so wenig kosteten, erkauft zu werden.Dieser letzte Streich, der vollständigste Beweis, auf was für einen Grad die Wuth meiner Feinde gestiegen war, und wie gewiß sie sich des Erfolgs hielten, ließ mir keine Hoffnung übrig, die ihrige zu Schanden zu machen. Denn alle meine vermeinten Freunde, bis auf wenige, deren guter Wille ohne Vermögen war, hatten, sobald sie mich vom Glück verlassen sahen, mich auch verlassen. Andere, welche zwar von dem Unrecht, das mir angethan wurde, überzeugt waren,

hatten gleichwohl nicht Muth genug, sich für eine fremde Sache in Gefahr zu setzen; und der einzige, dessen Charakter, Ansehen und Freundschaft mir vielleicht hatte zu Statten kommen können, Plato, befand sich seit einiger Zeit am Hofe des jungen Dionysius zu Syrakus.Ich gestehe, daß ich, so lange die ersten Bewegungen dauerten, mein Unglück in seinem ganzen Umfang fühlte. Für ein redliches und dabei noch wenig erfahrnes Gemüth ist es entsetzlich, zu fühlen, daß man sich in seiner guten Meinung von den Menschen betrogen habe, und sich zu der abscheulichen Wahl genöthiget zu sehen, entweder in einer beständigen Unsicherheit vor der Schwäche der einen und der Bosheit der andern zu leben, oder sich gänzlich aus ihrer Gesellschaft zu verbannen. Aber die Kleinmüthigkeit, welche eine Folge meiner ersten melancholischen Betrachtungen war, dauerte nicht lange. Die Erfahrungen, die ich seit meiner Versetzung auf den Schauplatz einer größern Welt in so kurzer Zeit gemacht hatte, weckten die Erinnerungen meiner glücklichen Jugend in Delphi mit einer Lebhaftigkeit wieder auf, worin sie sich mir unter dem Getümmel des städtischen und politischen Lebens niemals dargestellt hatten. Die Bewegung meines Gemüths, die Wehmuth, wovon es durchdrungen war, die Gewißheit, daß ich in wenigen Tagen von allen den Gunstbezeugungen, womit mich das Glück so schnell und mit solchem Uebermaß überschüttet hatte, nichts als die Erinnerung, die uns von einem Traum übrig bleibt, und von allem, was ich mein genannt hatte, nichts als das Bewußtseyn meiner Redlichkeit aus Athen mit mir nehmen würde, —setzten mich auf einmal

wieder in jenen seligen Enthusiasmus, worin wir fähig sind dem Aeußersten, was die vereinigte Gewalt des Glücks und der menschlichen Bosheit gegen uns vermag, ein standhaftes Herz und ein heitre Gesicht entgegen zu stellen, Der unmittelbare Trost, den meine Grundsätze über mein Gemüth ergossen, die Wärme und neu beseelte Stärke, die sie meiner Seele gaben, überzeugten mich von neuem von ihrer Wahrheit. Ich verwies es der Tugend nicht, daß sie mir den Haß und die Verfolgungen der Bösen zugezogen hatte: ich fühlte daß sie sich selbst belohnt. Das Unglück schien mich nur desto stärker mir ihr zu verbinden, so wie uns eine geliebte Person desto theurer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die Betrachtungen, auf welche mich diese Gesinnungen leiteten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Wage der Weisheit alle diese schimmernden Güter sind, die ich im Begriff war dem Glücke wieder zu geben; und wie wichtig diejenigen seyen, welche mir keine republicanische Cabale, kein Decret des Volks zu Athen, keine Macht in der Welt nehmen konnte. Ich verglich meinen Zustand in der höchsten Flut meines Glückes mit der seligen Ruhe des contemplativen Lebens, worin ich, in glücklicher Unwissenheit des glänzenden Elends und der wahren Beschwerden einer mit Unrecht beneideten Größe, meine schuldlose Jugend hinweg gelebt hatte; worin ich meines Daseyns und der innern Reichthümer meines Geistes, meiner Gedanken, meiner Empfindungen, der eigenthümlichen und von aller äußerlichen Gewalt unabhängigen Wirksamkeit meiner Seele, froh geworden war; —und ich glaubte, bei dieser Vergleichung, alles gewonnen zu haben, wenn ich mich, mit freiwilliger

Hingabe der Vortheile die mir indessen zugefallen waren, wieder in einen Zustand zurück kaufen könnte, den mir meine Einbildungskraft mit ihren schönsten Farben, und in diesem überirdischen Lichte, worin er dem Zustande der himmlischen Wesen ähnlich schien, vormalte. Der Gedanke, daß diese Seligkeit nicht an die Haine von Delphi gebunden sey —daß die Quellen davon in mir selbst lägen — daß eben diese vermeintlichen Güter, welche mir mitten in ihrem Genusse so viele Unruhe und Zerstreuung zugezogen, die einzigen Hindernisse meines wahren Glücks gewesen — diese Gedanken setzten mich in eine innerliche Freude, die mich gegen alle Bitterkeiten meines Schicksals unempfindlich machte; und dieß ging zuletzt so weit, daß ich nach dem Tage meiner Verurtheilung ganz ungeduldig ward.Allein eben diese Denkart, welche mir so viel Gleichgültigkeit gegen den Verlust meines Ansehens und Vermögens gab, machte, daß ich das Betragen der Athener aus einem moralischen Gesichtspunkt ansah, aus welchem es mir Abscheu und Ekel erweckte. Meine Feinde schienen mir durch die Leidenschaften, von denen sie getrieben wurden, einigermaßen entschuldiget zu seyn: aber das Volk, das bei meinem Umsturz nichts gewann, das so viele Ursachen hatte mich zu lieben, mich wirklich so sehr geliebt hatte, und itzt, durch eine bloße Folge seiner Unbeständigkeit und Schwäche, ohne selbst recht zu wissen warum, sich dummer Weise zum Werkzeuge fremder Leidenschaften und Absichten machen ließ, dieses Volk ward mir so verächtlich, daß ich kein Vergnügen mehr an dem Gedanken fand, ihm Gutes gethan zu haben. Diese Athener, die auf

ihre Vorzüge vor allen andern Nationen der Welt so eitel waren, stellten sich meiner beleidigten Eigenliebe als ein abschätziger Haufe blöder Thoren dar, die sich von einer kleinen Rotte verschmitzter Spitzbuben bereden ließen, Weiß für Schwarz anzusehen; die — bei aller Feinheit ihres Geschmacks, wenn es darauf ankam, über die Versification eines Trinklieds oder die Füße einer Tänzerin zu urtheilen, weder Kenntniß noch Gefühl von Tugend und wahrem Verdienst hatten; die, bei der heftigsten Eifersucht über ihre Freiheit, niemals größere Sklaven waren, als wenn sie ihr chimärisches Palladium am tapfersten behauptet zu haben glaubten; die sich jederzeit der Führung ihrer übelgesinntesten Schmeichler mit dem blindesten Vertrauen überlassen, und nur in ihre tugendhaftesten Mitbürger, in ihre zuverlässigsten Freunde, das größte Mißtrauen gesetzt hatten. Sie verdienen es, sagte ich zu mir selbst, daß sie betrogen werden! Aber den Triumph sollen sie nicht erleben, daß Agathon sich vor ihnen demüthige. Sie sollen fühlen, was für ein Unterschied zwischen ihm und ihnen ist! Sie sollen fühlen, daß er nur desto größer ist, wenn sie ihm alle diese Flittern wieder abnehmen, womit sie ihn, wie Kinder eine auf kurze Zeit geliebte Puppe, umhängt haben; und eine zu späte Reue wird sie vielleicht in kurzem lehren, daß Agathon ihrer leichter als sie Agathons entbehren können!Die siehest, schöne Danae, daß ich mich nicht scheue, dir auch meine Schwachheiten zu gestehen. Dieser Stolz hatte ohne Zweifel einen guten Theil von eben der Eitelkeit in sich, welche ich den Athenern zum Verbrechen machte; aber vielleicht gehört er auch unter die Triebfedern, "womit die Natur edle

Gemüther versehen hat, um dem Druck widerwärtiger Zufälle mit gleich starker Zurückwirkung zu widerstehen, und sich dadurch in ihrer eigenen Gestalt und Größe zu erhalten." Die Athener rühmten ehmals meine Bescheidenheit und Mäßigung, zu einer Zeit, da sie alles thaten, um mich dieser Tugenden zu berauben. Aber diese Bescheidenheit floß mit dem Stolze, der ihnen itzt so anstößig an mir war, aus einerlei Quelle. Ich war mir eben so wohl bewußt, daß ich ihre Mißhandlungen nicht verdiente, wie ich ehmals fühlte, daß die Achtung, die sie mir bewiesen, übertrieben war; desto bescheidener, je mehr sie mich erhoben; desto stolzer und trotziger, je mehr sie mich heruntersetzen wollten.

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