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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Viertes Capitel.

Worin Hippias eine seine Kenntniß der Welt zu zeigen scheint.

Ich habe schon bemerkt, daß die Glückseligkeit, welche wir suchen, nur in dem Stand einer Gesellschaft, die sich schon zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit erhoben hat, statt finde. In einer solchen Gesellschaft entwickeln sich alle diese mannichfaltigen Geschicklichkeiten, die bei dem rohen Menschen, der wenig bedarf, einsam lebt, und wenig Leidenschaften hat, immer müßige Fähigkeiten bleiben. Die Einführung des Eigenthums, die Ungleichheit der Güter und Stände, die Armuth der einen, der Ueberfluß, die Ueppigkeit und Trägheit der andern, dieses sind die wahren Götter der Künste, die Merkure und die Musen, denen wir ihre Erfindung oder doch ihre Vollkommenheit zu danken haben. Wie viele Menschen müssen ihre Bemühungen vereinigen, um einen einzigen Reichen zu befriedigen! Diese bauen seine Felder und Weinberge, jene pflanzen seine Lustgärten; andere bearbeiten den Marmor, woraus seine Wohnung aufgeführt wird; Tausende durchschiffen den Ocean, um ihm die Reichthümer fremder Länder zuzuführen; Tausende beschäftigen sich die Seide und den Purpur zu bereiten, die ihn kleiden, die Tapeten, die seine Zimmer schmücken, die kostbaren Gefäße, woraus er ist und trinkt, und das

weiche Lager, worauf er der wollüstigen Ruhe genießt; Tausende strengen in schlaflosen Nächten ihren Witz an, um neue Bequemlichkeiten, neue Wollüste, eine leichtere und angenehmere Art die leichtesten und angenehmsten Verrichtungen, die uns die Natur auferlegt, zu thun, für ihn zu erfinden, und durch die Zaubereien der Kunst, die den gemeinsten Dingen einen Schein der Neuheit zu geben weiß, seinen Ekel zu täuschen, und seine vom Genuß ermüdeten Sinnen aufzuwecken. Für ihn arbeitet der Maler, der Tonkünstler, der Dichter, der Schauspieler, und überwindet unendliche Schwierigkeiten, um Künste zur Vollkommenheit zu treiben, welche die Anzahl seiner Ergötzungen vermehren sollen. Allein alle diese Leute, welche für den glücklichen Menschen arbeiten, würden sie es thun, wenn sie nicht selbst glücklich zu seyn wünschten? Für wen arbeiten sie als für denjenigen, der ihre Bemühung ihn zu vergnügen belohnen kann? Der König von Persien selbst ist nicht mächtig genug, einen Zeuxis zu zwingen, daß er ihm eine Leda male. Nur die Zauberkraft des Goldes, welchem eine allgemeine Uebereinkunft der gesitteten Völker den Werth aller nützlichen und angenehmen Dinge beigelegt hat, kann das Genie und den Fleiß einem Midas dienstbar machen, der ohne seine Schätze vielleicht kaum würdig wäre, dem für ihn arbeitenden Maler die Farben zu reiben.Die Kunst, sich die Mittel zur Glückseligkeit zu verschaffen, ist also schon gefunden, mein lieber Kallias, sobald wir die Kunst gefunden haben, einen genugsamen Vorrath von diesem wahren Steine der Weisen zu bekommen, der uns die ganze Natur unterwirft, Millionen unsersgleichen zu

freiwilligen Sklaven unserer Ueppigkeit macht, uns in jedem schlauen Kopf einen dienstwilligen Merkur, und, durch den unwiderstehlichen Glanz eines goldnen Regens, in jeder Schönen eine Danae finden läßt.Die Kunst reich zu werden, Kallias, ist im Grunde nichts anders, als die Kunst, sich des Eigenthums andrer Leute mit ihrem guten Willen zu bemächtigen. Ein Despot hat unter dem Schutz eines Vorurtheils, welches demjenigen sehr ähnlich ist, womit die Aegypter den Krokodil vergöttern, in diesem Stück ungemeine Vortheile. Da sich seine Rechte so weit erstrecken als seine Macht, und diese Macht durch keine Pflichten eingeschränkt ist, weil ihn niemand zwingen kann sie zu erfüllen: so kann er sich das Vermögen seiner Unterthanen zueignen, ohne sich darum zu bekümmern, ob es mit ihrem guten Willen geschieht. Es kostet ihm keine Mühe, unermeßliche Reichthümer zu erwerben; und um mit der unmäßigsten Schwelgerei in Einem Tage Millionen zu verschwenden, braucht er nur den Theil des Volkes, den seine Dürftigkeit zu einer immerwährenden Arbeit verdammt, an diesem Tage — fasten zu lassen. Allein, außerdem daß dieser Vortheil nur sehr wenigen Sterblichen zu Theil werden kann, ist er auch nicht so beschaffen, daß ein weiser Mann ihn beneiden könnte. Das Vergnügen hört auf Vergnügen zu seyn, sobald es über einen gewissen Grad getrieben wird. Das Uebermaß der sinnlichen Wollüste zerstöret die Werkzeuge der Empfindung; das Uebermaß der Vergnügen der Einbildungskraft verderbt den Geschmack des Schönen, indem für unmäßige Begierden nichts reizend seyn kann, was in die Verhältnisse

und das Ebenmaß der Natur eingeschlossen ist. Daher ist das gewöhnliche Schicksal eines morgenländischen Fürsten, der in die Mauern seines Serails eingekerkert ist, in den Armen der Wollust vor Ersättigung und Ueberdruß umzukommen. Er vergeht vor langer Weile, indeß die süßesten Gerüche von Arabien vergeblich für ihn duften, die geistigsten Weine ihm ungekostet aus Krystallen entgegen blinken, tausend Schönheiten, deren jede zu Paphos einen Altar erhielte, alle ihre Reizungen, alle ihre buhlerischen Künste umsonst verschwenden, seine schlaffen Sinnen zu erwecken, und zehntausend Sklaven seiner Ueppigkeit in die Wette eifern, um unerhörte und ungeheure Wollüste zu erdenken, welche vielleicht fähig seyn möchten, das abgestumpfte Gefühl dieses unglückseligen Glücklichen auf etliche Augenblicke zu täuschen. Wir haben also mehr Ursache als man insgemein glaubt, der Natur zu danken, wenn sie uns in einen Stand setzt, wo wir das Vergnügen durch Arbeit erkaufen müssen, und unsre Leidenschaften erst mäßigen lernen, eh' wir zu einer Glückseligkeit gelangen, die wir ohne diese Mäßigung nicht genießen könnten.Da nun die Despoten — und die Straßenräuber die Einzigen sind, denen es (auf ihre Gefahr) zusteht, sich des Vermögens andrer Leute mit Gewalt zu bemächtigen: so bleibt demjenigen, der sich aus einem Zustande von Mangel und Abhängigkeit emporschwingen will, nichts anders übrig, als "daß er sich die Geschicklichkeit erwerbe, den Vortheil und das Vergnügen der Lieblinge des Glückes zu befördern."

Unter den vielerlei Arten, wie dieses geschehen kann, sind einige dem Menschen von Genie, mit Ausschluß aller übrigen, vorbehalten; und diese theilen sich, nach ihrem verschiedenen Endzweck, in zwei Classen ein, wovon die erste die Vortheile, und die andre das Vergnügen des beträchtlichsten Theils einer Nation zum Gegenstande hat. Die erste, unter welcher die Regierungs- und Kriegskünste begriffen sind, scheint ordentlicher Weise nur in freien Staaten Platz zu finden; die andre hat keine Gränzen als den Grad des Reichthums und der Ueppigkeit eines jeden Volks, von welcher Art seine Staatsverfassung seyn mag. In dem armen Athen wurde ein guter Feldherr unendliche Mal höher geschätzt als ein guter Maler. In dem reichen, wollüstigen Athen hingegen gibt man sich keine Mühe zu untersuchen, wer der tüchtigste sey ein Kriegsheer anzuführen. Man hat wichtigere Dinge zu entscheiden. Die Frage ist, welche unter etlichen Tänzerinnen die artigsten Füße hat und die leichtesten Sprünge macht? Ob die Venus des Praxiteles, oder des Alkamenes die schönere ist? —Daher kommt es auch, daß die Künste des Genie's von der ersten Classe, für sich allein, selten zum Reichthum führen. Die großen Talente, die großen Verdienste und Tugenden, die dazu erfordert werden, finden sich gemeiniglich nur in armen und emporstrebenden Republiken, die alles, was man für sie thut, nur mit Lorberkränzen bezahlen. In Staaten aber, wo Reichthum und Ueppigkeit schon die Oberhand gewonnen haben, kann man aller dieser Talente und Tugenden, welche die Regierungskunst zu erfordern scheint, entbehren. Man kann in solchen Staaten Gesetze

geben, ohne ein Solon, .Kriegsheere anführen, ohne ein Leonidas oder Themistokles zu seyn. Perikles, Alcibiades, regierten zu Athen den Staat und führten die Völker an; obgleich jener nur ein Redner war, und dieser keine andre Kunst kannte, als die Kunst, Herzen zu fangen. "In solchen Freistaaten hat das Volk die Eigenschaften, die in einem despotischen der Einzige hat, der kein Sklave ist; man braucht ihm nur zu gefallen, um zu allem tüchtig befunden zu werden." Perikles herrschte, ohne die äußerlichen Zeichen der königlichen Würde, so unumschränkt in dem freien Athen, als Artaxerxes in dem unterthänigen Asien. Seine Talente, und die Künste, die er von der schönen Aspasia gelernt hatte, erwarben ihm eine Art von Oberherrschaft, die nur desto unumschränkter war, da sie ihm freiwillig zugestanden wurde. Die Kunst eine große Meinung von sich zu erwecken, die Kunst zu überreden, die Kunst von der Eitelkeit der Athener Vortheil zu ziehen und ihre Leidenschaften zu lenken, machten seine ganze Regierungskunst aus. Er verwickelte die Republik in ungerechte und unglückliche Kriege, erschöpfte die öffentliche Schatzkammer, erbitterte die Bundsgenossen durch gewaltsame Erpressungen; und damit das Volk keine Zeit hätte, eine so schnöde Staatsverwaltung genauer zu beobachten, so bauete er Schauspielhäuser, gab ihnen schöne Bildsäulen und Gemälde zu sehen, unterhielt sie mit Tänzerinnen und Virtuosen, und gewöhnte sie so sehr an diese abwechselnden Ergötzungen, daß die Vorstellung eines neuen Stücks, oder der Wettstreit unter etlichen Flötenspielern zuletzt Staatsangelegenheiten wurden, über welchen man diejenigen vergaß, die es in der That waren. Nur fünfzig

Jahre früher würde man einen Perikles für eine Pest der Republik angesehen haben; allein damals würde Perikles ein Aristides gewesen seyn. In seinem Zeitraume war er, gerade so wie er war und weil er so war, der größte Mann des Staats: der Mann, der Athen zu dem höchsten Grade der Macht und des Glanzes erhob, den es erreichen konnte; der Mann, dessen Zeit als das goldne Alter der Musen in allen künftigen Jahrhunderten angezogen werden wird; und, was für ihn selbst das wichtigste war, der Mann, für welchen die Natur die Euripiden und Aristophane, die Phidias, die Zeuxis, die Dämonen und die Aspasien zusammen brachte, um sein Privatleben so angenehm zu machen, als sein öffentliches Leben glänzend war. "Die Kunst über die Einbildungskraft der Menschen zu herrschen, die geheimen, ihnen selbst verborgnen Triebfedern ihrer Bewegungen nach unserm Gefallen zu lenken, und sie zu Werkzeugen unsrer Absichten zu machen, indem wir sie in der Meinung erhalten, daß wir es von den ihrigen sind," ist also, ohne Zweifel, diejenige, die ihrem Besitzer am nützlichsten ist, und dieß ist die Kunst, welche die Sophisten lehren und ausüben; die Kunst, welcher sie das Ansehen, die Unabhängigkeit und die glücklichen Tage, deren sie genießen, zu danken haben. Du kannst dir leicht vorstellen, Kallias, daß sie sich in etlichen Stunden weder lehren noch lernen läßt: allein meine Absicht ist auch für itzt nur, dir überhaupt einen Begriff davon zu geben.Dasjenige, was man die Weisheit der Sophisten nennt, ist die Geschicklichkeit, sich der Menschen so zu bedienen, daß

sie geneigt sind, unser Vergnügen zu befördern, oder überhaupt die Werkzeuge unsrer Absichten zu seyn. Die Beredsamkeit, welche diesen Namen erst alsdann verdient, wenn sie im Stand ist, die Zuhörer, wer sie auch seyn mögen, von allem zu überreden was wir wollen und in jeden Grad einer jeden Leidenschaft zu setzen, die zu unsrer Absicht nöthig ist; eine solche Beredsamkeit ist unstreitig ein unentbehrliches Werkzeug, und das vornehmste, wodurch die Sophisten diesen Zweck erreichen. Die Sprachlehrer bemühen sich, junge Leute zu Rednern zu bilden: die Sophisten thun mehr; sie lehren sie Ueberreder zu werden, wenn mir dieses Wort erlaubt ist. Hierin allein besteht das Erhabne einer Kunst, die vielleicht noch niemand in dem Grade besessen hat, wie Alcibiades, der in unsern Zeiten so viel Aufsehens gemacht hat. Der Weise bedient sich dieser Ueberredungsgabe nur als eines Werkzeugs zu höhern Absichten. Alcibiades überlaßt es einem Antiphon, sich mit Ausfeilung einer künstlich gesetzten Rede zu bemühen; er überredet indessen seine Landsleute, daß ein so liebenswürdiger Mann wie Alcibiades das Recht habe zu thun was ihm einfalle; er überredet die Spartaner zu vergessen, daß er ihr Feind gewesen, und daß er es bei der ersten Gelegenheit wieder seyn werde; er überredet die Königin Timea, die Mutter eines jungen Alcibiades durch ihn zu werden, und die Satrapen des großen Königs, daß er ihnen die Athener zu eben der Zeit verrathen wolle, da er diese überredet, daß sie ihn mit Unrecht für einen Verräther hielten. Eine solche Ueberredungskraft setzt die Geschicklichkeit voraus, jede Gestalt anzunehmen, wodurch wir demjenigen gefällig werden können, auf den wir

Absichten haben; die Geschicklichkeit, sich der verborgensten Zugänge seines Herzens zu versichern, seine Leidenschaften, je nachdem wir es nöthig finden, zu erregen, zu liebkosen, eine durch die andre zu verstärken, oder zu schwächen, oder gar zu unterdrücken: sie erfordert eine Gefälligkeit, die von den Sittenlehrern Schmeichelei genannt wird, aber diesen Namen nur alsdann verdient, wenn sie von den Gnathonen, die um die Tafeln der Reichen sumsen, nachgeäffet wird, —— eine Gefälligkeit, die aus einer tiefen Kenntniß der Menschen entspringt, und das Gegentheil von der lächerlichen Sprödigkeit gewisser Phantasten ist, die den Menschen übel nehmen, daß sie anders sind als wie diese ungebetenen Gesetzgeber es haben wollen; kurz, diejenige Gefälligkeit, ohne welche es vielleicht möglich ist, die Hochachtung, aber niemals die Liebe der Menschen zu erlangen; weil wir nur diejenigen lieben können die uns ähnlich sind, die unsern Geschmack haben oder zu haben scheinen, und so eifrig sind, unser Vergnügen zu befördern, daß sie hierin die Aspasia von Milet zum Muster nehmen, welche sich bis ans Ende in der Gunst des Perikles erhielt, indem sie in demjenigen Alter, worin man die Seele der Damen zu lieben pflegt, sich in die Gränzen der Platonischen Liebe zurückzog, und die Rolle des Körpers durch andre spielen ließ.Ich lese in deinen Augen, Kallias, was du gegen diese Künste einzuwenden hast, die sich so übel mit den Vorurtheilen vertragen, die du gewohnt bist für Grundsätze zu halten. Es ist wahr, die Kunst zu leben, welche die Sophisten lehren, ist auf ganz andre Begriffe von dem, was in sittlichem Verstande schön und gut ist, gebaut, als diejenigen hegen, die

von dem idealischen Schönen und von einer gewissen Tugend, die ihr eigner Lohn seyn soll, so viel schöne Dinge zu sagen wissen. Allein, wenn du noch nicht müder bist mir zuzuhören, als ich es bin zu schwatzen: so denke ich, es soll mir nicht schwer werden dich zu überzeugen, daß das idealische Schöne und die idealische Tugend mit jenen Geistermährchen, deren ich vorhin erwähnte, in die nämliche Classe gehören.

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