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Kapitel 

C. M. Wieland's Werke.

Vierter Band.

Drittes Capitel.

Geisterlehre eines ächten Materialisten.

Wir haben die Natur gefragt, Kallias, worin die Glückseligkeit bestehe, und wir hörten ihre Antwort: "Ein schmerzenfreies Leben, die angenehmste Befriedigung unserer natürlichen Bedürfnisse, und der abwechselnde Genuß aller Arten von Vergnügen, womit die Einbildungskraft, der Witz und die Künste unsern Sinnen zu schmeicheln fähig sind." Dieß ist alles, was der Mensch fordern kann. Wenn es eine erhabnere Art von Glückseligkeit gibt, so können wir wenigstens gewiß seyn, daß sie nicht für uns gehört, da wir nicht einmal fähig sind, uns eine Vorstellung von ihr zu machen.

Es ist wahr, der enthusiastische Theil unter den Verehrern der Götter schmeichelt sich mit einer zukünftigen Glückseligkeit, zu welcher die Seele nach der Zerstörung des Körpers erst gelangen soll. Die Seele, sagen sie, war ehemals eine Freundin und Gespielin der Götter, sie war unsterblich wie sie, und begleitete (wie Plato homerisirt) den geflügelten Wagen Jupiters, um mit den übrigen Unsterblichen die unvergänglichen Schönheiten zu beschauen, womit die unermeßlichen Räume über den Sphären erfüllt sind. Ein Krieg, der unter den Bewohnern der unsichtbaren Welt entstand, verwickelte sie in den Fall der Besiegten; sie wurde vom Himmel gestürzt und in den Kerker eines thierischen Leibes eingeschlossen, um durch den Verlust ihrer ehemaligen Wonne, in einem Zustande, der eine Kette von Plagen und Schmerzen ist, ihre Schuld auszutilgen. Das unendliche Verlangen, der nie gestillte Durst nach einer Glückseligkeit, die sie in keinem irdischen Gute findet, ist das Einzige, das ihr zu ihrer Qual von ihrem vormaligen Zustand übrig geblieben ist; und es ist unmöglich, daß sie diese vollkommne Seligkeit, wodurch sie allein befriedigt werden kann, wieder erlange, ehe sie sich wieder in ihren ursprünglichen Stand, in das reine Element der Geister, empor geschwungen hat. Sie ist also vor dem Tode keiner andern Glückseligkeit fähig, als derjenigen, deren sie durch eine freiwillige Absonderung von allen irdischen Dingen, durch Ertödtung aller irdischen Leidenschaften und Entbehrung aller sinnlichen Vergnügen fähig gemacht wird. Nur durch diese Entkörperung wird sie der Beschauung der wesentlichen und göttlichen Dinge fähig, worin die Geister

ihre einzige Nahrung und diese vollkommne Wonne finden, von welcher die sinnlichen Menschen sich keinen Begriff machen können. Solchergestalt kann sie nur, nachdem sie, durch verschiedene Grade der Reinigung, von allem, was thierisch und körperlich ist, gesäubert worden, sich wieder zu der überirdischen Sphäre erheben, mit den Göttern leben, und im unverwandten Anschauen des wesentlichen und ewigen Schönen, wovon alles Sichtbare bloß der Schatten ist, Ewigkeiten durchleben, die eben so gränzenlos sind, als die Wonne, von der sie überströmet werden.Vielleicht gibt es Leute, Kallias, bei denen die Milzsucht hoch genug gepriesen ist, daß diese Begriffe eine Art von Wahrheit für sie haben. Es ist auch nichts Leichteres, als daß junge Personen von lebhafter Empfindung und feuriger Einbildungskraft durch eine einsame Lebensart und den Mangel solcher Gegenstände und Freuden, worin sich dieses übermäßige Feuer verzehren könnte, von solchen hochfliegenden Chimären eingenommen werden, welche so geschickt sind, ihre nach Vergnügen lechzende Seele durch eine Art von Wollust zu täuschen, die nur desto lebhafter ist, je verworrener und dunkler die bezaubernden Phantomen sind, die sie hervorbringen. Allein ob diese Träume, außer dem Gehirn ihrer Erfinder, und derjenigen, deren Einbildungskraft so glücklich ist ihnen nachfliegen zu können, einige Wahrheit oder Wirklichkeit haben, ist eine Frage, deren Erörterung, wenn sie der gesunden Vernunft aufgetragen wird, nicht zum Vortheil derselben ausfällt. Wem anders als der Unwissenheit und dem Aberglauben der ältesten

Welt haben die Nymphen und Faunen, die Najaden und Tritonen, die Furien und die erscheinenden Schatten der Verstorbenen ihre vermeinte Wirklichkeit zu danken? Ie besser wir die Körperwelt kennen lernen, desto enger werden die Gränzen des Geisterreichs. Ich will jetzt nichts davon sagen, ob es nicht wahrscheinlich sey, daß die Priesterschaft, die von jeher einen so zahlreichen Orden unter den Menschen ausgemacht, bald genug die Entdeckung machen mußte, was für große Vortheile man durch diesen Hang der Menschen zum Wunderbaren, von ihren beiden heftigsten Leidenschaften, der Furcht und der Hoffnung, ziehen könne. Wir wollen bei der Sache selbst bleiben. Worauf gründet sich die erhabene Theorie, von der wir reden? Wer hat jemals diese Götter, diese Geister gesehen, deren Daseyn sie voraussetzt? Welcher Mensch erinnert sich dessen, daß er ehemals ohne Körper in den ätherischen Gegenden geschwebt, den geflügelten Wagen Jupiters begleitet, und mit den Göttern Nektar getrunken habe? Was für einen sechsten oder siebenten Sinn haben wir, um das wirkliche Daseyn der Gegenstände damit zu erkennen, womit man die Geisterwelt bevölkert? Sind es unsre innerlichen Sinnen? Was sind diese anders als das Vermögen der Einbildungskraft, die Erscheinungen der äußern Sinne nachzuäffen? Was sieht das inwendige Auge eines Blindgebornen? Was hört das innere Ohr eines gebornen Tauben? Oder was sind die erhabensten Scenen, in welche die Einbildungskraft auszuschweifen fähig ist, anders als neue Zusammensetzungen, die sie gerade so macht, wie ein Madchen aus den zerstreuten Blumen in einem Parterre einen

Kranz flicht; oder höhere Grade dessen was die Sinnen einst empfunden haben, von welchen man jedoch immer unfähig bleibt, sich einige klare Vorstellung zu machen? Denn was empfinden wir bei dem ätherischen Schimmer, oder den ambrosischen Gerüchen der Homerischen Götter? Wir sehen, wenn ich so sagen kann, den Schatten eines Glanzes in unsrer Einbildung; wir riechen, so zu sagen, den Schatten eines lieblichen Duftes; aber wir sehen keinen ätherischen Glanz und empfinden keinen ambrosischen Geruch. Kurz, man verbiete den Schöpfern der überirdischen Welten sich keiner irdischen und sinnlichen Materialien zu bedienen: so werden ihre Welten (um mich eines ihrer Ausdrücke zu bedienen) plötzlich wieder in den Schooß des Nichts zurückfallen, woraus sie gezogen worden.Und brauchen wir wohl noch einen andern Beweis, um uns diese ganze Theorie verdächtig zu machen, als die Methode, die man uns vorschreibt, um zu der geheimnißvollen Glückseligkeit zu gelangen, welcher wir diejenige aufopfern sollen, die uns die Natur und unsre Sinnen anbieten? Wir sollen uns den sichtbaren Dingen entziehen, um die unsichtbaren zu sehen; wir sollen aufhören zu empfinden, damit wir desto lebhafter phantasiren können. Verstopfet eure Sinnen, sagen sie, so werdet ihr Dinge sehen und hören, wovon diese thierischen Menschen, die gleich dem Vieh mit den Augen sehen und mit den Ohren hören, sich keinen Begriff machen können. Eine vortreffliche Diät, in Wahrheit! Die Schüler des Hippokrates werden dir beweisen, daß man keine bessere erfinden kann, um — wahnsinnig zu werden.

Es ist also sehr wahrscheinlich, daß alle diese Geister, diese Welten, welche sie bewohnen, und diese Glückseligkeiten, welche man nach dem Tode mit ihnen zu theilen hofft, nicht mehr Wahrheit haben, als die Nymphen, Liebesgötter und Grazien der Dichter, als die Gärten der Hesperiden und die Inseln der Circe und Kalypso, kurz, als alle diese Spiele der Einbildungskraft, welche uns belustigen, ohne daß wir sie für wirklich halten. Die Religion unsrer Vater befiehlt uns, einen Jupiter, einen Apollo, eine Pallas, eine Aphrodite zu glauben: ganz gut! aber was für eine Vorstellung macht man uns von ihnen? Jedermann gesteht, daß es unmöglich sey, diese Götter, diese Göttinnen auf eine vollkommnere Weise abzubilden, als es von Phidias und Praxiteles geschehen ist. Gleichwohl ist der Jupiter des Phidias nichts anders als ein heroischer Mann, die Cythere des Praxiteles nichts mehr als ein schönes Weib; von dem Gott und der Göttin hat kein Mensch in Griechenland den mindesten Begriff. Man verspricht uns nach dem Tod ein unsterbliches Leben bei den Göttern; aber die Begriffe, die wir uns davon machen, sind entweder aus den sinnlichen Wollüsten, oder den feinern und geistigern Freuden, die wir in diesem Leben erfahren haben, zusammen gesetzt; es ist also klar, daß wir gar keine ächte Vorstellung von dem Leben der Geister und von ihren Freuden haben.Ich will hiermit nicht läugnen, daß es Götter, Geister, oder vollkommnere Wesen als wir sind, geben könne, oder vielleicht wirklich gebe. Alles was meine Schlüsse beweisen, ist dieß: "daß wir unfähig sind, uns eine richtige Vorstellung von

ihnen zu machen, oder kurz, daß wir nichts von ihnen wissen." Wissen wir aber nichts, weder von ihrem Zustande noch von ihrer Natur, so ist es für uns eben so viel als ob sie gar nicht wären. Anaragoras bewies mir einst mit dem ganzen Enthusiasmus eines Sternsehers, daß der Mond Einwohner habe. Vielleicht sagte er die Wahrheit. Allein was sind diese Mondbewohner für dich oder mich? Meinest du, der König Philippus werde sich die mindeste Sorge machen, die Griechen möchten sie gegen ihn zu Hülfe rufen? Es mögen Einwohner im Monde seyn: aber für uns ist der Mond weder mehr noch weniger als eine leere glänzende Scheide, die unsre Nächte erheitert, und unsre Zeit abmißt.Wenn es denn also, mein lieber Kallias, mit allen jenen übersinnlichen Dingen diese Bewandtniß hat und nothwendig haben muß: wie thöricht wär' es, den Plan unsers Lebens auf Chimären zu gründen, und uns der Glückseligkeit, deren wir wirklich genießen könnten, zu begeben, um uns, wie der Hund im Nil, mit ungewissen Hoffnungen, den Schatten unsrer Wünsche, zu speisen! Was könnte widersinniger seyn, als die Frucht seines Daseyns zu verlieren, in Hoffnung sich dafür schadlos zu halten, wenn man nicht mehr seyn wird! Denn daß wir itzt leben, und daß dieses Leben aufhören wird, das wissen wir gewiß; ob ein anderes alsdann anfange, ist wenigstens ungewiß; und wenn es auch gewiß wäre, so ist doch unmöglich das Verhältniß desselben gegen das itzige zu bestimmen, da wir kein Mittel haben, uns einen achten Begriff davon zu machen. Laß uns also den Plan unsers Lebens auf das gründen, was wir kennen und wissen; und nachdem

wir gefunden haben, was das glückliche Leben ist, den geradesten und sichersten Weg suchen, auf dem wir dazu gelangen können.

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