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C. M. Wieland's Werke.

Dritter Band.

Beilage

zu dem vorstehenden Gedichte.

Ein schlafender Endymion, den ich einst in einer müßigen Stunde mit Vergnügen betrachtete, brachte mir eine Stelle aus dem Cicero in den Sinn, wo dieser große Schriftsteller bei Gelegenheit des Satzes, "daß der Mensch zur Thätigkeit geboren sey," sagt: "Und wenn wir auch versichert wären, daß wir die angenehmsten Träume von der Welt haben sollten, würden wir uns doch Endymions Schlaf nicht wünschen; im Gegentheil, der Zustand eines Menschen, dem dieß begegnete, würde in unsern Augen um nichts besser seyn, als Tod."Diese Stelle führte mich zu einer Folge von Betrachtungen über den Gegenstand des berühmten Monologs in Shakspeare's Hamlet — "Seyn und Nichtseyn;" — einen Gegenstand, der dem gedankenlosen Haufen so klar und einfach vorkommt, daß sie nicht begreifen, wie man etwas darüber sollte denken können, während der Philosoph mit Schwindeln in die Tiefe desselben hinab sieht.Es war an einem schönen Sommertage, und ich befand mich eben ohne irgend etwas, das meinen Geist verhindert

hätte, sich aus dem ersten besten Gegenstande, der sich ihm anbieten mochte, ein Geschäft zu machen. Ein Ueberrest von der Laune, welche den neuen Amadis geboren hatte, machte meine Gedanken in Verse hinfließen; und so entstand das Gedicht, welchem Herr Boie einen Platz in seiner poetischen Blumenlese auf das Jahr 1778, S. 81, einzuräumen beliebte. — Ein Gedicht, welches mehr einem Werke der Natur als der Kunst ähnlich sieht und keinen andern Plan hat, als die oft unsichtbaren Faden, wodurch freiwillige Gedanken in einem Dichterkopfe zusammen hangen, aber, seiner anscheinenden Unordnung ungeachtet, ein Ganzes, in der kunstmäßigen Bedeutung dieses Wortes, geworden wäre, wenn die Dazwischenkunft zufälliger Umstände dessen Vollendung nicht verhindert hätte.Der Grundriß davon ist ungefähr dieser:"In jeder Vorstellung, die für die Seele Empfindung ist, ist subjective Wahrheit. Endymion hat in seinem langen Traume die angenehmsten Gesichte. Es sind Einbildungen; aber diese Einbildungen haben für ihn die Stärke wirklicher Empfindungen: er genießt, weil er zu genießen glaubt. Das Daseyn dieser angenehmen Gegenstände außer seinem Gehirne — würde die Wonne dieses Genusses nicht vergrößern. Was geht es ihn an, ob sie für Andre, ob sie für sich selbst wirklich sind? Sie sind wirklich für ihn: dieß ist ihm genug. Er ist in diesem Falle so glücklich, als in jenem. — Wohl bemerkt, daß hier der Zustand, worin er sich vor diesem langen Traume, wovon die Rede ist, befunden, und der Zustand, in welchen er durchs Erwachen versetzt werden mag,

hier in keine Betrachtung kommt. —Sein Zustand während des besagten Träumens ist also vom Tode so verschieden, als Leben und Tod verschieden sind, und Cicero hat Unrecht."Unsre Seele kann auch wachend träumen. Der speculative Weise — ein Demokrit, zum Beispiel, der (wie Horaz sagt) sein Vieh auf seinen Aeckern weiden läßt, indessen sein Geist in idealischen Welten herum wandert —oder ein Begeisterter aus einer andern Classe, der, wenn wir andere Erdensöhne uns auf gewöhnlichen Steckenpferden erlustigen, auf einem Cherub in die unsichtbaren Welten hinein trottet — Leute von dieser Art gelangen oft dazu, von dem, was sie wachend träumen, von ihren Hypothesen, Vermuthungen, Wünschen, sich so stark zu überreden, als ob es empfundene oder erwiesene Wahrheiten wären. Ohne es zu bemerken oder bemerken zu wollen, däucht ihnen die Fertigkeit, womit sie sich ihre Einbildungen anschauend denken, für die Gewißheit derselben gut zu sagen. Was sah nicht Poiret, dieser scharfsinnige Vernunftkünstler, nachdem er es einmal bis zu der muthigen Entschließung gebracht hatte, die Realität der Gesichte einer Antoinette Bourignon a priori zu beweisen? Was sind die wunderbarsten Feenmährchen gegen die erstaunlichen Träume, womit sein Buch von der Oekonomie Gottes angefüllt ist? Und was für ein demonstratives Ansehen hat er diesen Träumen nicht zu geben gewußt?"Die Seher dieser Art finden einen wesentlichen Theil ihrer Glückseligkeit in dergleichen Träumereien, welche für sie Wahrheit sind; und sie würden Ursache haben, denjenigen, die sie ihrer Gesichte berauben, sie dadurch in den Stand

gemeiner unbegeisterter Menschen setzen wollten — wie jener Argeer (der, in einer Art von Wahnsinn, ganz allein im Schauplatze sitzend die schönsten Tragödien zu hören glaubte) seinen Freunden, welche ihn mit Niesewurz geheilt hatten — statt des Dankes zuzurufen: Pol me occidistis."Doch wozu haben wir nöthig, unsre Beispiele aus der Classe der ungewöhnlichen Menschen herzuholen? Ist nicht das Leben der Meisten eine Kette von angenehmen oder unangenehmen sinnlichen Eindrücken und Vorstellungen? Gesetzt, es wäre aus Allem, was die Sinne vergnügen und berauschen kann, zusammen gewebt und dauerte so lange, als Nestors Leben; wenn es vorüber ist, was ist es Andres, als ein verschwundener Traum?"Von jeher fanden die Weisen, daß es so leicht nicht sey, als Viele meinen, sich zu überzeugen, daß Alles, was einem Sterblichen unterm Monde von seiner Geburt an bis zum Erwachen in eine andre Welt (denn was ist der Tod Andres?) begegnet, etwas mehr als ein langer Traum sey, in welchem die Sachen nur allzu oft wenig ordentlicher, weiser und zweckmäßiger zugehen, als in einem Sommernachtstraum."Vermuthlich dachte der weise Salomo so etwas, da er sein berühmtes "Eitelkeit der Eitelkeiten" über Alles, was unter der Sonne ist, ausrief."Aus diesem Grunde fand es vermuthlich Diogenes nicht der Mühe werth, in einem Leben, das einem Traume so ähnlich ist, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, wie und warum wir so und nicht anders träumen? — oder, wenn

er in seiner Tonne gemächlich lag, sich heraus zu begeben, um bei Alexandern Gefahr zu laufen, auf persischen Polstern übel zu liegen. Aber aus eben diesem Grunde fand Aristipp, indem er die Sache von einer andern Seite betrachtete, daß nichts thörichter wäre, als in einem Leben, worin der künftige Augenblick so wenig in unsrer Gewalt ist, den gegenwärtigen ungebraucht oder ungenossen entschlüpfen zu lassen."Ein weiser Mann, sagt er, geht nicht auf die Jagd des Vergnügens aus — denn wie oft findet man gerade das Gegentheil dessen, was man sucht! — Aber ein unschädliches Vergnügen, das man — wie ein Wanderer im Vorübergehen eine Blume, die an seinem Wege steht —pflücken kann, nicht zu pflücken, würde eine große Sünde — gegen uns selbst seyn."Man hat dem ehrlichen Aristipp diese Maxime übel ausgedeutet, und gleichwohl enthält sie mit Grunde nichts, als einen Gedanken, welchen Epiktet noch stärker und ernsthafter ausdrückt, da er sagt: "Es würde Gottlosigkeit seyn, die Annehmlichkeiten, womit uns die Götter dieses mühselige Leben versüßen wollen, zu verschmähen."So weit spricht der Dichter der zufälligen Rhapsodie, von welcher wir hier den Entwurf geben, gleichsam mit sich selbst. Aber nun fängt er zu dialogiren an — denn, in der That, die besten Monologen schläfern ein, wenn sie zu lange währen. Er stellt sich einen Stoiker vor, der ihn behorcht hat und über die Maxime des Aristipps oder überhaupt über den Ton, worin der Dichter von Träumen und Leben vernünftelte, den Kopf schüttelt. Er redet ihn an:

"Du hörest, sagt er , daß ich nicht viel dawider einwenden werde, wenn du alle Vergnügungen der Sinne und der Einbildung —wenigstens in Rücksicht auf ihren Gegenstand, auf ihre Dauer und auf ihre Ungewißheit — für eitel Eitelkeit erklärest, Aber, guter Seneca! wenn dieß nun einmal das Los der Erdenbewohner wäre: was gewännest du dabei, wenn du dich von unsern Kinderspielen absondertest, in deinem Winkel ernsthafte Grillen fingest und nichts Angenehmes fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen wolltest, weil Alles, was wir fühlen, sehen, hören, schmecken und riechen, ein Spiel der Sinne ist?"Der Stoiker antwortet dem Dichter, der ihn in der Person Aristipps anredet, in dem hohen Tone, der diese Secte unterscheidet. "Der Weise, spricht er, hat andere Dinge zu thun, als sich zu belustigen. Lebt er etwa für sich selbst? Was ist Vergnügen oder Schmerz für den Mann, der nichts bedarf, nichts wünschet, nichts fürchtet? der keine andere Gesetze kennt als das ewige Gesetz des Rechts, und unbeweglich der Einzige auf seiner Seite bleibt, wenn gleich die ganze Welt zum glücklichen Laster überginge? Immerhin mag das Leben eines Crassus, eines Antonius, eines Cäsars den Namen eines Traumes verdienen; aber das Leben eines Cato — ist das Leben eines Gottes!"Natürlicher Weise kann der Dichter seinen Aristipp nicht sogleich verstummen lassen. Dieser hat noch etwas zu sagen, eh' er schweigen muß; und es wäre unbillig, ihn mit Strohhalmen fechten zu lassen, da es ihm nicht an bessern Waffen fehlt. "Es steht bei dir (erwiedert Aristipp), einem in

deiner Phantasie erzeugten Menschen die Eigenschaften, die Selbstgenügsamkeit, die unabhängigkeit, die immer weise. immer wohlthätige Wirksamkeit, mit einem Worte, die ganze Größe des vollkommensten Wesens zu geben. Aber, was nicht bei dir steht, ist, uns auf dem ganzen Erdboden einen Menschen zu zeigen, der diesem Ideal, das du den Weisen nennest, gleich wäre. Die Rede ist von Erdensöhnen, und du sprichst uns von einem Gott. Denn dieß ist der Weise, den du ohne Leidenschaften, ohne Ungleichheiten, ohne Bedürfnisse, ohne Schwachheit schilderst: er ist ein Gott oder — ein Schwärmer, dem es träumt, daß er ein Gott sey. Dein Cato zum Exempel —"Bei diesem Namen brennt der Stoiker auf. "Wie? (ruft er) und selbst einen Cato, selbst den Helden der Tugend, verschont dein sträflicher Leichtsinn nicht?""Die Tugend (antwortet jener)— dieß Wort umfaßt Alles, was gut, schön und groß ist! Aber die Tugend gibt keinen Freibrief gegen das Urtheil der gesunden Vernunft, und nicht Alles ist Tugend, was ihren Stempel trägt. Die Tugend ist die Göttin der schönen Seelen; nichts ist liebenswürdiger als sie; aber ein Schwärmer, ein Mensch, der nicht Herr von seiner Einbildung ist, kann die Tugend selbst nicht weislich lieben. Dein Cato, mit allen seinen großen Eigenschaften, war gleichwohl nur ein Don Quixote: er kämpfte sein ganzes Leben durch mit phantasirten Ungeheuern, wie dieser mit Riesen und bezauberten Mohren. Es ist wahr, er liebte die Tugend über Alles, er blieb ihr getreu — bis sie ihn auf eine gar zu harte Probe setzte; er unternahm

das Unmögliche für sie; aber seine Tugend — war eine Dulcinee."

———

Hier wurde der Dichter unterbrochen. Andre Beschäftigungen brachten ihm dieses Spiel einiger müßigen Stunden aus dem Sinne, und seine Rhapsodie blieb ein Fragment. Seinem ersten Plane nach sollte es hier nicht aufgehört haben. Nicht der Stoiker sollte siegen; aber sein vorgeblicher Aristipp eben so wenig. Der Dichter wollte in seiner eigenen Person zwischen sie treten und Friede unter ihnen machen. Er wollte in einem lebhaften Gemälde gegen den Stoiker vorstellen, wie viel Chimäre, wie viel Träumerisches selbst in dem Leben der besten Menschen ist. Aber er wollte auch in der warmen kunstlosen Sprache der Empfindungen gegen Aristippen beweisen: "daß die Thätigkeit des Weisen und Tugendhaften allein den Namen eines wahren Lebens verdiene, und daß, mitten unter den angenehmen oder unangenehmen Täuschungen unsrer innern und äußern Sinne, die Vervollkommnung unser selbst und die Bestrebung, alles Gute außer uns zu befördern, unserm Daseyn Wahrheit, Würde und innerlichen Werth mittheilen, und ein Leben, welches ohne sie der Zustand einer sich einspinnenden Raupe wäre, zu einer Vorübung auf eine bessere Zukunft, zu einem wirklichen Fortschritt auf der langwierigen, aber herrlichen Laufbahn machen, auf welcher die Geister einem Ziele, das sie nie erreichen können, sich ewig zu nahen bestimmt sind."

Dieses unvollendete Gedicht, wovon bisher die Rede gewesen ist, sollte der Absicht des Dichters nach entweder vollendet werden oder, wenn es Bruchstück bliebe, unter zwanzig andern verunglückten Geschöpfen der Laune, unbemerkt vermodern. Aber sein Schicksal wollte es anders. Der ehemalige Herausgeber des Göttingischen Musenalmanachs ersuchte ihn, mit einer so verbindlichen Art, um einen kleinen Beitrag zu seiner Blumenlese für das Jahr 1773, daß es unserm Dichter um so weniger möglich war, ihn mit Entschuldigungen abzuspeisen, da viele freundschaftliche Dienste, wodurch Herr B. ihn verpflichtet hatte, der Verweigerung einer so geringen Gefälligkeit einen Schein von Unerkenntlichkeit zu geben schienen. Gleichwohl fand sich unter seinen Papieren nichts, als dieß nämliche Bruchstück, was im Nothfall den Mangel eines vollendeten Stückes einiger Maßen ersetzen konnte. Er schickte es ihm also zu, mehr zum Zeichen seines guten Willens, als in der Meinung, daß es eines Platzes in einer Sammlung, die mit den Namen unsrer besten Dichter prangt, würdig sey. Ein freundschaftliches Vorurtheil hieß den Herrn B. anders denken, und so wurde dieses Fragment der Welt bekannt.Was sich der Verfasser von dem Urtheile, das Manche darüber fällen würden, zum Voraus vorgestellt hatte, traf nun ein. Er vermuthete, daß die wackern Leute, die ihn (damals wenigstens) nicht verstehen konnten oder wollten, auch dießmal nicht errathen würden, was er mit diesen zufälligen Gedanken über einen schlafenden Endymion beabsichtigt haben könne. Und so erfolgte es. Man fand sehr ärgerlich,

daß er von Aristipp in einem Tone, der wenigstens keine deutliche Mißbilligung merken läßt, gesagt hatte:

Und eine Lust in Unschuld, die ein Mann,
Wie einen Schmetterling, geschwinde
In seinem Wege haschen kann,
Nicht haschen, hielt der weise Mann
Für eine Sünde.
Aber noch ärgerlicher fand man, daß er sich nicht gescheuet hatte, eine höchst anstößige Vergleichung zwischen dem Tugendhelden Cato und dem irrenden Ritter Don Quixote von Mancha anzustellen, ja die Tugend des erstern gar für eine bloße Dulcinee auszugeben. "Dieß ist entsetzlich! sagte Iemand, dessen Namen wir aus billiger Schonung verschweigen: Dulcinee, so zärtlich und inbrünstig sie auch von dem Ritter von Mancha geliebt wurde, war im Grunde doch weder mehr noch weniger, als eine Chimäre. Wenn also Cato's Tugend eine Dulcinee war, so war sie ein bloßes Hirngespinnst. Welche Lästerung!" —Gleichwohl hat es eine Menge gelehrter Männer, ja sogar heilige Kirchenväter gegeben, welche mit Cato's Tugenden noch weit unfreundlicher umgegangen sind. Eine Chimäre ist, nach der Erklärung der Gräfin Orsina, ein Ding, das kein Ding ist; und ein Ding, das kein Ding ist (sagt eben diese kluge Dame), ist so viel als gar nichts. Nun frage ich alle ehrliche Leute, ob es ihnen nicht auch so zu Muthe sey, wie dem guten Plutarch, der irgendwo sagt: "Ich würde mich weit weniger beleidigt halten, wenn man von mir sagte: Es gibt keinen Plutarch, es ist nie ein solcher Mann wie Plutarch gewesen,

Plutarch ist eine Chimäre; als wenn man sagte: Plutarch ist ein hoffährtiger, ungerechter, neidischer, hartherziger, boshafter Mann." — Gesetzt nun auch, der Dichter hätte Cato's Tugend eine Chimäre genannt: was wäre dieß gegen das, was der heilige Augustinus gethan hat, da er die Tugenden Cato's und aller andern weisen und guten Heiden geradezu für Laster ausgibt? Wer vergreift sich wohl mehr an Cato's Tugend, derjenige, der sie für eine Dulcinee hält, oder die unendliche Menge von Theologen, die den guten Mann zusammt seiner Tugend — in die Hölle geworfen haben? Wenn der Dichter dieß Letztere gethan hätte, hätte er nicht die ehrwürdigsten Autoritäten und eine unendlich überwiegende Mehrheit der Stimmen auf seiner Seite? Aber er hat nie einen solchen Gedanken gehabt. Er ist ein gutherziger Mensch, der gern lebt und leben läßt, aber, wie Plato, es den Poeten ein wenig übel nimmt, wenn sie dem Vater der Natur ungerechte und seiner unwürdige Dinge nachsagen. Er hat Cato's Tugend nicht einmal für eine Chimäre ausgegeben, wiewohl er sie eine Dulcinee genannt hat. Sollte der ungenannt bleibende Iemand nicht aus der Geschichte des Ritters von Mancha gewußt haben, daß Dulcinee keine Chimäre, sondern ein hübsches Bauernmädchen von Toboso war, Alonza Lorenzo genannt, welche dadurch nichts von ihrer Wirklichkeit, Personalität, auch übrigen Eigenschaften und jungfräulichen Ehren verlor, daß der Ritter sie in seiner Einbildung zu einer Prinzessin von Toboso und zur Dame seiner Gedanken erhob? Und hier liegt eigentlich der Vergleichungspunkt, welchen der Ungenannte zu übersehen beliebte. Der Dichter,

indem er von Cato sagt — und deine Tugend war nur eine Dulcinee — sagt weiter nichts als dieß: Cato liebte die Tugend, wie Don Quixote die schöne Alonza Lorenzo liebte. Beiden war es vollkommener Ernst damit. Aber in beider Köpfen stand es nicht so ganz richtig. Don Quixote erhob das Bauernmädchen Alonza Lorenzo in seiner Einbildung zu einem Ideal der Schönheit und weiblichen Vollkommenheit; und von diesem Augenblick an war sie für ihn nicht mehr Alonza Lorenzo, sondern die Prinzessin Dulcinea von Toboso. Csto machte sich ein Ideal von der politischen Tugend, welches nicht die Tugend eines weisen Staatsmannes, sondern die Tugend eines politischen Schwärmers war; und eben dadurch hörte sie auf, echte Tugend zu seyn, und wurde für ihn eben das, was Dulcinee für den Ritter von Mancha. Die Tugend konnte nichts dafür, daß Cato sich übertriebene Begriffe von ihr machte: so wie Alonza Lorenzo nichts dafür konnte und sich wenig darum bekümmerte, daß Don Quixote sie zu einer Dulcinee erhob. Diese war darum nicht weniger Alonza Lorenzo, jene nicht weniger Tugend; und der Ungenannte gab sich also eine sehr undankbare Mühe, da er dem Dichter in einer langen gereimten Epistel aus Gründen, die keinem Schulknaben unbekannt sind, bewies, die Tugend sey keine Chimäre. Davon war ja gar die Rede nicht; und der müßte wohl ein übel organisirter, unglücklicher Mensch seyn, der eines solchen Beweises vonnöthen hätte. Ob die Tugend eine Dulcinee sey, kann unter vernünftigen Leuten niemals eine Frage seyn. Aber ob Cato's Tugend eine Dulcinea war, darüber läßt sich wenigstens reden; und wer

es behauptete, wäre darum noch lange kein Mensch, gegen welchen man das Kreuz predigen müßte.Es lassen sich zwar ganz gute Gründe angeben, warum Esprit, Mandeville und Andre, welche ganze Bücher über die Falschheit der menschlichen Tugenden geschrieben, der Tugend eben nicht den wichtigsten Dienst dadurch geleistet haben. Denn Montaigne hat sehr Recht, da er sagt: "Man gebe mir die allerschönste und reinste Handlung, und es müßte mir übel fehlen, wenn ich nicht ganz wahrscheinlich funfzig schlimme oder unlautere Beweggründe dazu finden wollte." — Aber wer sich darum ein Bedenken machen wollte, die Tugend eines Dion, Cato, Seneca, Julian oder irgend eines andern Sterblichen, den man für ein Muster gibt, zu prüfen, um das Echte von den Schlacken, das Uebertriebene von dem Wahren darin abzusondern, würde dem abergläubischen Andächtler gleichen, der aus Furcht, zu wenig zu glauben, dem Gebrauch seiner Vernunft entsagte und lieber Gefahr laufen wollte, die ungereimtesten Mährchen für Wahrheit anzunehmen, als zu untersuchen, ob der Gegenstand seines Vorurtheils die Hochachtung auch wirklich verdiene, die er auf Hörensagen demselben gewidmet hatte.Ueberhaupt scheint der Ungenannte sehr übel zu finden, daß man sich die Freiheit genommen, einen so ehrwürdigen Mann, wie Cato, mit einem so großen Narren, wie Don Quixote, zu vergleichen. Vermuthlich gehört er unter die weisen Männerchen, welche ihre Zeit übel anzuwenden glaubten, wenn sie ein Buch, das ihnen nur zum Zeitvertreib gemacht zu seyn scheint, mit Aufmerksamkeit lesen sollten. Gleichwohl

sind wenig Bücher in der Welt, welche ernsthafter gelesen und öfter wieder gelesen zu werden verdienten, als Don Ouixote; ja, wir erdreisten uns zu behaupten, daß ein Professor, der dazu angestellt würde, öffentliche Vorlesungen über den Don Ouixote zu halten, wofern der Angestellte anders der Mann dazu wäre, der studirenden Jugend und dem gemeinen Wesen ungleich nützlicher seyn würde, als ein Professor des Aristotelischen Organons. Hätte der Ungenannte das Buch des weisen Cervantes gelesen, wie man lesen soll, so würde er vermuthlich klug genug daraus geworden seyn, um sich über eine Vergleichung zwischen Cato und Don Quixote nicht zu ärgern. Es ist immer noch eine Frage, ob Cato oder der Heid von Mancha mehr dabei zu verlieren hat. Don Ouixote war freilich ein Narr — was den Punkt der irrenden Ritterschaft anbetraf; aber, dieser Narrheit ungeachtet, ein so edelmüthiger, frommer und tugendhafter Mann, als irgend eine wahre Geschichte einen aufzuweisen hat. Es würde sehr überflüssig seyn, den Beweis hiervon führen zu wollen. Seine ganze Geschichte, von Anfang bis zu Ende, enthält diesen Beweis. Er hatte sich den erhabensten Begriff von dem Charakter und den Pflichten eines irrenden Ritters aus Allem, was man jemals edel, gut und lobenswürdig genannt hat, zusammengesetzt; und er war, seiner Absicht und den Gesinnungen des Herzens nach, der Mann wirklich, der er zu seyn wünschte. Daß die äußern Gegenstände seinen Vorstellungen nicht immer entsprachen, daß der Ausgang seine edelsten und wohlthätigsten Absichten so oft zu Schanden machte, war seine Schuld nicht. Was

konnte er dafür, als er mit so viel Großmuth und Unerschrockenheit dem guten König Pentapolin mit dem aufgeschürzten Arm gegen den mächtigen Kaiser Alifanfaron, Herrn der Insel Taprobana, und gegen den Riesen Brandabarbaran, Herrn der drei Arabien, zu Hülfe kam und eine so große Niederlage unter dem zahlreichen Heere der Ungläubigen verursachte, was konnte er dafür, daß am Ende das, was er für zwei furchtbare Kriegsheere angesehen hatte, zwei Heerden Schafe waren? Und als er den wackern Ritter Don Gaiferos und die schöne Melisandra mit so vielem Eifer gegen die Mauren beschützte, hatte er darum weniger Recht, sich mit dem Bewußtseyn, eine tapfere und wohlthätige That gethan zu haben, über die Bosheit der Zauberer, seiner Feinde, zu beruhigen, weil sich's beim Ausgang zeigte, daß Don Gaiferos, die schöne Melisandra, der König Marsilius und alle seine Mauren —bloße Marionetten waren? Freilich sind wir Andere, welche dieß schon vorher wußten, nicht zu verdenken, wenn wir die Achseln zucken, da er, nachdem er die Ungläubigen in die Flucht gejagt und einen der edelsten Ritter von Karls des Großen Hofe so glücklich befreit zu haben glaubt, mit dem Triumphe der süßesten Selbstzufriedenheit ausruft: "Nun möcht' ich doch gleich alle Diejenigen vor mir haben, welche nicht glauben wollen, wie nützlich der Welt die irrenden Ritter sind! Man sehe mir einmal, was aus Don Gaiferos und der schönen Melisandra ohne mich geworden wäre? Es lebe die irrende Ritterschaft, trotz ihren Neidern und dem Unglauben Derjenigen, welche nicht Muth genug haben, sich einem so gefahrvollen

Stande zu widmen!" u. s. w. — Allein demungeachtet ging in der Seele des guten Ritters eben dasselbe vor, was in ihr hätte vorgehen können, wenn der wirkliche Don Gaiferos und die wirkliche Melisandra seines Armes vonnöthen gehabt hätten; und er hatte — da er von Meister Petern, dem Eigenthümer des Marionettenspiels, aus seinem ekstatischen Gemüthszustande zurück gebracht wurde —vollkommen Recht, sich mit dem Gedanken zu trösten: "daß er bei der ganzen Sache keine andere Absicht gehabt, als die Pflichten seines Standes zu erfüllen. Entspricht der Erfolg meiner Absicht nicht, setzt er hinzu, so ist es nicht meine, sondern der verfluchten Zauberer Schuld, die mich aufs Aeußerste verfolgen."Alles dieß beweist wenigstens so viel, daß die Vergleichung, welche den Ungenannten so sehr erhitzte, daß er in seinem Unwillen eine ganze Epistel voll platter Verse gegen den armen Dichter aufs Papier schüttete, — dem Herzen und der Tugend des großen Cato keine Schande macht."Aber Don Ouixote war doch ein Narr (sagt man), ein Narr, der in einen Käficht eingesperrt zu werden verdiente?" — Gut! und nun fragt sich's, ob der große Cato, da er in dem äußerst verdorbenen, gesetzlosen und einer neuen monarchischen Verfassung schlechterdings bedürftigen Rom die Rolle seines Urgroßvaters spielte und durch eine moralisch unmögliche Wiederherstellung jener Sitten, die ehemals das arme Rom groß gemacht hatten, dem verzweifelt bösen Zustande des zu einer ungeheuren Größe aufgeschwollenen Roms abhelfen wollte, — ob er da was Weiseres und Schicklicheres unternommen habe, als Don Quixote, da er unternahm,

den in Verfall gerathenen Stand der irrenden Ritterschaft (einen Stand, der in den Zeiten der Kreuzzüge wohlthätig und gewisser Maßen unentbehrlich gewesen war) in den Zeiten Philipps des Dritten wieder herzustellen?Alles würde wohl bei Beantwortung dieser Frage darauf ankommen. ob und inwiefern die Umstände, unter welchen Cato die Sitten und Grundsätze des hölzernen Roms in dem marmornen Rom wieder herstellen wollte, sich gegen seine Unternehmung eben so verhielten, wie sich zu Don Quixote's Zeiten die Verfassung Spaniens gegen das Unternehmen dieses tapfern und wohlmeinenden Junkers verhielt? — Eine Frage, die durch die Geschichte beider Zeiten beantwortet wird, welche schwerlich irgend einem Unbefangenen den mindesten Zweifel übrig lassen kann, ob Cicero Recht gehabt habe, von seinem Freunde Cato zu sagen: er füge mit dem besten Willen und Herzen der Republik zuweilen Schaden zu, weil er bei manchen wichtigen Gelegenheiten im Senat wie in Platons Republik, nicht wie in Romuli faece (in den Hefen der alten Zeiten Roms) spreche.Doch genug zur Vertheidigung eines unvollendeten Gedichtes, dem wir, damit es auch in seiner jetzigen Gestalt für ein Ganzes gelten könne, die Ueberschrift, Das Leben ein Traum, gegeben haben; damit der Leser sogleich auf den rechten Gesichtspunkt gestellt werde und nicht mehr davon erwarte, als man von einer poetischen Rhapsodie über einen Satz, der in demselben Sinne, worin ihn unser Dichter nimmt, seit undenklichen Zeiten von einer Menge weiser Männer behauptet worden ist, billiger Weise erwarten kann.