C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Aspasia
oder die platonische Liebe.
Schön, liebenswerth, mit jedem Reiz geschmückt, Der Aug' und Herz und Geist zugleich entzückt, An edlem Bau und langen blonden Haaren Der schönsten Frau in Artaratens Reich, An Grazien nur Amors Mutter gleich, Sah sich, im Flor von fünf und zwanzig Jahren, Aspasia zum priesterlichen Stand Aus eines Helden Arm, aus Cyrus Arm, verbannt. |
Es hatte zwar zu Ekbatane (So hieß ihr Sitz) die Oberpriesterin Der stets jungfräulichen Diane Die Majestät von einer Königin. Ihr Kerker war ein schimmernder Palast, Ihr Zimmer ausgeschmückt mit indischen Tapeten; Und, ihr Brevier gemächlicher zu beten, Schwoll unter ihr mit Polstern von Damast Der weichste Canapee. Auch hielt die Frau im Beten (Wie billig) Maß, aß viel und niedlich, trank Den besten Wein, den Kos und Cypern senden, Und, wenn sie sich zur Ruh begab, versank Die schöne Last der wohlgepflegten Lenden In Schwanenflaum; und doch, bei frischem Blut, Und blühendem Gesicht, schlief sie — nur selten gut. |
Man glaubt, der Stand der Oberpriesterinnen Sey diesem Ungemach vor andern ausgesetzt. Vergebens hoffen sie, mit ihren andern Sinnen, Was einem abgeht, zu gewinnen; Durch alle fünfe wird der sechste nicht ersetzt. |
Die Stoa lehrt uns zwar, wir können, was wir wollen; Allein dem Prahlen bin ich gram. Aspasien hätte man, eh sie den Schleier nahm. Vorher im Lethe baden sollen. Liegt's etwa nur an ihr, sich nicht bewußt zu seyn? Und kann man stets der Phantasie gebieten? Sie mag sich noch so sehr vor Ueberraschung hüten, Geberde, Kleidung, Blick mag noch so geistlich seyn; Man ist deßwegen nicht von Stein. Oft fällt im Tempel selbst, bei ihrer Göttin Schein, Ein weltlicher Gedank' ihr ein: "So schien durch jenen Myrtenhain, Wo Amorn über sie der erste Sieg gelungen, Der stille Mond!" — Was für Erinnerungen! An solchen Bildern schmilzt der priesterliche Frost. Diana selbst, um ihr die Strafe gern zu schenken, Darf an Endymion nur denken. Ein Priester hälfe sich vielleicht, in süßem Most Versuchungen, wie diese, zu ertränken; Doch, wenn ich recht berichtet bin, Schlägt dieß Recept nicht an bei einer Priesterin. Galenus sagt: das Uebel quille Bei dieser aus der Herzensfülle. |
Mit einem Wort': ihr ging's nach aller Nonnen Weise. Die gute Priesterin gestand sich selbst ganz leise, Es irre, wer sie glücklich preise. Die Schäferin, die, statt auf Sammt und Flaum Im dunkeln Busch' auf weiches Moos gestrecket, Ihr junger Hirt, leibhaftig, nicht im Traum, Mit unverhofften Küssen wecket, War, wenn sie schlaflos sich auf ihrem Lager wand, Oft ihres Neides Gegenstand. |
Doch (wie uns die Natur für alle kleine Plagen Des Lebens immer Mittel weist) Auch unsre Priesterin fand endlich das Behagen, Das ihr Gelübd' und Zwang versagen — Wo meint ihr wohl? — in ihrem Geist! |
Der Zufall führt ihr einen Magen Vom Strand des Orus zu. Es war in seiner Art Ein seltner Mann, wiewohl noch ohne Bart, Von Ansehn jung, doch altklug an Betragen; An Schönheit ein Adon, an Unschuld ein Kombab; |
Ein Weiser dieser Art schien wirklich ganz allein Für eine Priesterin, wie sie, gemacht zu seyn. Er sprach von dem, was in den Sphären Zu sehen ist, mit aller Zuversicht Der Männer, die, versengt an Angesicht Und am Gehirn, vom Land der fabelhaften Seren, Gebläht mit Wundern, wiederkehren. |
Der Weg — nur bis zum nächsten Stern', Ist ziemlich weit, wie uns die Zache lehren: Drum lügt sich's gut aus einer solchen Fern'; Und was er ihr erzählt — setzt, daß es Mährchen wären — So wünscht man's wahr und glaubt es gern. Wie dem auch sey, die Luft der idealen Sphären Bekam Aspasien gut; sie ward in kurzer Zeit So schön davon! Ihr ist, es werde So leicht ihr drin, so wohl, so weit Ums Herz, daß ihr der Dunstkreis unsrer Erde Bald grauenhafter scheint als eine Todtengruft. |
Die vorbesagte Luft Hat eine sonderbare Tugend Mit Lethens Flut gemein. Aspasia sog darin von ihrer freiern Jugend |
Nachdem in weniger als einem Vierteljahr |
Der Name, wie man weiß, thut öfters viel zur Sache. Vor Alters stellten euch die von Böotien Drei Klötze auf und nannten's Grazien. Man irrt noch heut zu Tag sehr gern in diesem Fache. Wie Mancher sieht bei seinem Trauerspiel, Daß unsre Augen Wasser machen, Und, überzeugt, wir weinen aus Gefühl, |
Dieß war Aspasiens Fall. Die gute Frau befand Nur darum sich so wohl im Lande der Ideen, Weil Alles dort dem schönen Feenland, Worin von Jugend an sie gern zu irren pflegte, Dem Land der Phantasie, so wunderähnlich sah. |
Ob Alkahest hiervon die Folgen überlegte; Ob ihm nicht selbst vielleicht was Menschliches geschah, Wovon er anfangs nicht den kleinsten Argwohn hegte; Kurz, ob er, ohne die Gefahr Voraus zu sehn, der Narr von seinem Herzen war, Getrauen wir uns nicht zu sagen. Er fing sein Werk so systematisch an, Daß man zur Noth sich überreden kann, Er habe nichts dabei zu wagen Vermeint; wiewohl, für einen Mann Von solcher Gattung gut zu sagen, |
Die Geister — konnten sie auch wohlerzogner seyn? — Die Geister kamen nun, zwar ohne Fleisch und Bein, Doch so geputzt, als Geister nur vermögen, In Mäntelchen von Sonnenschein Aspasien auf halbem Weg entgegen. Den ganzen Weg zu ihr zurück zu legen, Dieß hieße (meint Herr Alkahest) Mehr fordern, als sich billig fordern läßt. Man soll vielmehr zu beiden Theilen Einander gleich entgegen eilen. Wenn Geister einer schönen Frau Zu Lieb' in Rosenduft sich kleiden: So ziemt es auch der schönen Frau, Der Geister wegen, selbst mit einem kleinen Leiden, Von Fleisch und Blut sich möglichst zu entkleiden. Nichts, dächt' ich, kann so billig seyn! |
Aspasia ergibt sich desto leichter drein, Da sie dabei an Schönheit zu gewinnen Die beste Hoffnung hat. Den Salamanderinnen An Reizen gleich zu seyn, dieß ist doch wohl Gewinn Für eine Oberpriesterin, Die ihrem Spiegel gegenüber Mit jedem Tag ein Reizchen welken sieht? |
Herr Alkahest, um beim Entkörp'rungswesen Recht ordentlich zu gehn, fing mit der Tafel an. Aspasia aß und trank nach Skrupel und nach Gran Und nur, was ihr der Weise ausgelesen; Nichts, was nicht fein und leicht und geistig, kurz so nah' An Nektar und Ambrosia |
Wir selbst gestehn, wir sind den Sommernächten Beim Mondschein gut, wiewohl wir dächten, Daß unserm schwärmerischen Paar Die Hälfte schon entbehrlich war. Der Mondschein hat dieß eigen, wie uns däucht, Er scheinet uns die Welt der Geister aufzuschließen: Man fühlt sich federleicht Und glaubt in Luft dahin zu fließen; Der Schlummer der Natur hält rings um uns herum Aus Ehrfurcht alle Wesen stumm; Und aus den Formen, die im zweifelhaften Schatten Gar sonderbar sich mischen, wandeln, gatten, Schafft unvermerkt der Geist sich ein Elysium. Die Werktagswelt verschwind't. Ein wollustreiches Sehnen Schwellt sanft das Herz. Befreit von irdischer Begier Erhebt die Seele sich zum wesentlichen Schönen, Und hohe Ahnungen entwickeln sich in ihr. |
Es sey nun, was ihr wollt — denn, hier es zu entscheiden, Ist nicht der Ort — es sey ein süßer Selbstbetrug, Es sey Realität, es sey vermischt aus beiden, Was diesen Seelenstand so reizend macht — genug, Ein Schwärmer, der in diesem Stande Mit einer Schwärmerin, wenn Alles dämmernd, still |
Die zärtlichste Empfindsamkeit Bemächtigt unvermerkt sich unsers Mystasogen. Der Geist der Liebe weht durch dieß Elysium, Wohin er mit Aspasien aufgeflogen. Er schlägt, indem er spricht, den Arm um sie herum Und schwärmt ihr von der Art, wie sich die Geister lieben, Die schönsten Dinge vor, mit einem Wörterfluß, Mit einer Glut, daß selbst Ovidius Corinnens Kuß nicht feuriger beschrieben. "Wie glücklich diese Geister sind! Wie viel ein Geist dadurch gewinnt, Daß ihn im Ausdruck seiner Triebe Kein Körper stört! — An ihm ist Alles Liebe, Und sein Genuß ist nicht ein Werk des Nervenspiels. Wie matt, wie unvollkommen malet In unsern Augen sich die Allmacht des Gefühls! Wenn dort ein Geist den andern ganz durchstrahlet, Ihn ganz durchdringt, erfüllt, mit ihm in Eins zerfließt Und, ewig unerschöpft, sich mittheilt und genießt! Ach! —ruft er aus und drückt (vor Schwärmen und Empfinden Deß, was er thut, sich unbewußt) Sein glühendes Gesicht an ihre heiße Brust — Ach! ruft er, welch ein Glück, vom Stoff sich los zu winden, Der so viel Wonn' uns vorenthält!" |
Aspasia, in eine andre Welt Mit ihm entzückt und halb, wie er, entkörpert, fühlte So wenig als ihr Freund, daß hier Der unbemerkte Leib auch eine Rolle spielte. Zu gutem Glück kommt ihr — und mir Ein Rosenbusch zu Hülf', in dessen Duft und Schatten Sie, in Gedanken, sich zuvor gelagert hatten. |
Wie weit sie übrigens in dieser Sommernacht Es im Entkörp'rungswerk gebracht, Läßt eine Lücke uns im Manuscript verborgen. Nur so viel sagt es uns: Kaum war am nächsten Morgen Das gute, fromme Paar erwacht, So wurden sie gewahr, der Weg, den sie genommen, Sey wenigstens — der nächste nicht, Um in die Geisterwelt zu kommen. Sie sahn sich schweigend an, verbargen ihr Gesicht, Versuchten oft zu reden, schlossen wieder Den offnen Mund und sahn beschämt zur Erde nieder. Der junge Zoroaster fand, Er habe bei dem Amt von einem Mystagogen Sich selbst und seinen Gegenstand Durch wie? und wo? und wann? betrogen. Gern' hätt' er auf sich selbst, gern' hätt' auf sich und ihn Aspasia gezürnt; allein sie fühlten beide Ihr Herz nicht hart genug, in dem gemeinen Leide Des Mitleids Trost einander zu entziehn. |
"Freund, sprach die Priesterin zuletzt, wir müssen fliehn! In dieser Art gilt ein Versuch für hundert: |
Und nun — was haben wir aus Allem dem zu lernen? Sehr viel zu lernen, Freund, sehr viel! Kennt ihr den Mann, der, als er nach den Sternen Zu hitzig sah, in eine Grube fiel? Es war ein Beispiel mehr! Laßt's euch zur Warnung dienen? Auch, wenn ihr je bei Mondenlicht im Grünen Platonisiren wollt, platonisirt allein! Und, kommt die Luft euch an, in einem heil'gen Hain Um solche Zeit — des Stoffs euch zu entladen, So laßt dabei (so wie beim Baden In einer Sommernacht) ja keine Zeugin seyn! |
Wir zögen leicht mehr schöner Sittenlehren Aus der Geschichte noch heraus: Allein wir lassen gern den Leser selbst gewähren. Wer eine Nase hat — spürt sie unfehlbar aus; Die Andern können sie entbehren. |