C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Das Leben ein Traum.
Eine Träumerei bei einem Bilde des schlafenden Endymion. 1771.
1. |
Wie schön, von Luna eingewiegt, Endymion hier im Mondschein liegt! Auf seinen Wangen scheint der schönste Traum zu schweben. Die Wonne, die sein Herz entzückt, In jedem Muskel ausgedrückt, Scheint was Vergötterndes dem Sterblichen zu geben. Du, dem sein Schlaf ein Bild des Todes heißt, Sieh' hier dich widerlegt! Ist glücklich seyn nicht leben? |
2.
Wenn Demokrits, des Weisen, Geist In andre Welten zieht, läßt er den Abderiten Sein sichtbar Theil zurück. Sie nennen's Demokriten; Da geht er ja und schwatzt und ißt und trinkt Und macht es (wie die Herren dünkt) So gut, als einer ihrer besten. Und doch betrügen sich die Herr'n. Der wahre Demokrit ist fern' Im Geisterreich, bei Jovis Gästen, Gibt unterwegs vielleicht Besuch dem Mann im Mond Und irrt, von Welt zu Welt, durch Lamberts Himmelskreise, Bis in den Raum, wo Niemand wohnt. |
3.
Und glaubet nicht, daß etwa dieß der weise Demokritus ex privilegio Voraus gehabt. Es geht uns eben so. Das träge Thier, das wir gewöhnlich reiten, Ist (wie Pythagoras uns lehrt) Kein Theil von unserm Selbst, wie des Centauren Pferd. Was Wunder denn, wenn sich der Geist zu Zeiten Verändrung macht (denn meistens geht der Trott Des Thierchens etwas schwer) und, wie sich Anlaß zeiget, Bald einen Schmetterling, bald einen Liebesgott, Bald einen Cherub gar besteiget?4.
Die letzte Art von Reiterei Hat (die Gefahr des Schwindels ausgenommen, Und daß man wissen will, der Ein' und Andre sey Ein wenig angebrannt davon zurück gekommen) Den Werth der Schnelligkeit. Ihr kommt in gleicher Zeit Auf keinem Pegasus so weit Und steigt so hoch, daß euch (wie dort dem frommen Stallmeister Don Quixotte's) der Sitz der Sterblichkeit Ein Senfkorn nur, und wir, die auf zwei Beinen Uns drauf bewegen, kaum wie Haselnüsse scheinen.5.
Die Weisen, die zu Fuße gehn Und nach den überird'schen Kreisen Bei kaltem Blut durch lange Röhren sehn, Sind keine Gönner zwar von solchen Seelenreisen Und fordern trotziglich, ihr sollt, was ihr gesehn, Durch x und y beweisen. Bleibt noch so überzeugt dabei, Ihr habt's gefühlt, gehört, gesehn — mit Geistessinnen: Bei ihnen ist damit sehr wenig zu gewinnen. Das große Machtwort Schwärmerei Löst Alles auf! — Als ob, indem ich seh' und höre, Am Wie? mir was gelegen wäre? |
6.
Denkt zum Exempel euch, in aller seiner Pracht Den ersten besten Schach aus tausend einer Nacht: Mit aller Majestät, die seines Gleichen kleidet, Füllt er den goldnen Thron in seinem Divan aus; Er nickt (im Schlummer zwar), doch dieser Nick entscheidet! Sein Seneschall macht ein Edict daraus, Der Staatsversorgung folgt ein Schmaus Und Saitenspiel und Tanz und Sängerinnen; Bis endlich mit betäubten Sinnen Der eingesungne Völkerhirt' In großem Pomp zu seiner Ruhestätte Um Mitternacht getragen wird. |
7.
Wenn Salomo in seinen alten Tagen Uns predigt: "Unterm Sonnenwagen |
8
"Gewinnen —(schnarrt mit aufgeworfner Nase Ein neuer Seneca) man hört an dieser Phrase Von welcher feinen Zunft du bist! Gewinnen? — Wisse, daß ein Weiser Nicht sich, daß er dem Ganzen lebt. Gold, Diademe, Lorberreiser, Mit Amors Rosen unterwebt, Der Künste Zauberei, der Reiz verwöhnter Musen, Der wollustvolle Tanz, das weiche Saitenspiel Glitscht schadlos ab an seinem festen Busen, Sein einzigs, unbeweglichs Ziel Ist, treu zu seyn den ewigen Gesetzen Des großen Alls, und Arbeit sein Ergetzen. Nie macht in seiner Pflicht ihn Furcht und Hoffnung schwank, Und weder Phrynens Schoß, noch eine Folterbank Wird über ihn erhalten können, Die Lust ein Gut, den Schmerz ein Weh zu nennen. Die ganze Welt verschwöre sich, Was Unrecht ist, in Recht zu wandeln: Betrogne Welt! bedauern kann er dich, Doch anders wird er nicht dir zu Gefallen handeln. |
Freund Seneca, du wirst vergönnen — Ich rede von der Brust — ich nenn' es: ein Gedicht. Den Weisen, den du malst, hat ihn ein Weib geboren, Und floß in seinen Adern Blut, War er mit Augen und mit Ohren Versehn und aß und trank, wie unser einer thut, So war er wahrlich nicht der Mann, den du uns malest! Herr Stoiker, wir kennen uns, du pralest! Wir wissen auch, was seyn kann oder nicht: Dein weiser Mann bleibt ewig — ein Gedicht. Ich sage mehr! Der Mann, der stets nach Regeln handelt, Stets Herr ist von sich selbst und niemals sich verwandelt, Allein für Andre lebt, nichts fürchtet, nichts begehrt, Kurz, nie was Menschliches erfährt, Der Mann, wofern er nicht ein Gott ist, ist ein Schwärmer! |
9.
Die Tugend ist den schönen Formen gleich, Die jungen Künstlern zu Modelen Ein Polykletus gibt: "Jhr Knaben, hütet euch Die Schönheitslinie nur ein Haar breit zu verfehlen!" Sie hält in Allem Maß und Zeit; Dem strengen Recht vermischt sie Billigkeit; Sie wird sogar aus zweien Uebeln wählen, Wenn ihr die Noth die schwere Wahl gebeut. Fehlt dem geraden Weg, wie öfters, Sicherheit, Läßt sie die Klugheit sich durch Seitenwege führen; Und wenn der Widerstand ihr Werk zu hemmen dräut, So gibt sie etwas nach, nicht Alles zu verlieren. |
10-
Dieß thut ein Cato nie; sein edler Starrsinn geht Allein und unverwandt auf seinem eignen Pfade |
11.
Hört eine Wahrheit, liebe Leute! Nur ärgert euch, ich bitte, nicht daran. Der Meisten Lebenslauf ist, von der schönsten Seite, Ein kläglich Lustspiel ohne Plan, Und ihr Verdienst oft bloß ein angenehmer Wahn. Kaum daß wir aus dem Traum der Kindheit aufzuwachen Beginnen, kaum die Freude, da zu seyn, Durch Ueberlegung uns beginnen wahr zu machen: So wiegt die Phantasie uns zwischen Lieb' und Wein In süßer Trunkenheit zu neuen Träumen ein. "Von Liebesgöttern und Freuden umgeben, Däucht dem bezauberten Jüngling die Welt Ein ewiges Paphos, unsterblich sein Leben Und eine Venus — die Erste, in deren Netz er fällt." |
Gesetzt (ein seltner Fall!) daß seine bess're Jugend Am Arm der Weisheit und der Tugend In edlern Uebungen verfließt, Und daß Homer sein Spiel, sein Lehrer Plato ist: Auch dann, im Mittagspunkt von seiner Weisheit, schwärmet |
So lebt er unbesorgt im Lande der Ideen, Glaubt Wunder, wenn er phantasirt, Wie tief er die Natur studirt, Und bleibt so unbekannt mit dem, was stets geschehen, Und ist so ungewohnt, was vor ihm liegt, zu sehen, Als hätt' ihn ein Komet zu uns herab geführt. "Nur das, was wirklich ist (wie ihn sein Plato lehret), |
12.
Wohlan, er werde wach! — Wie lange? — Nur zu bald Läßt Göttin Thorheit ihm in anderer Gestalt Den Zauberkelch entgegen blinken. Wir werden nie zu weise, noch zu alt, Ihr süßes Gift mit Lust hinein zu trinken: Unmerklich schläfert es die Weisheit wieder ein; Wir träumen fort und glauben wach zu seyn. Wenn Ritter Don Quixote den besten Platz im Himmel Und noch vorher in diesem Weltgetümmel |