C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Fünftes Buch.
Ohne den Beistand der Charitinnen ist die Schönheit, was
Pygmalions idealisches Bild war, eh' es zu athmen und
zu empfinden anfing. Alles, was sie für sich allein thun kann,
ist, den Wunsch, sie beseelt zu sehen, einzuflößen. Wenn
man dieß Liebe nennen will, so mag es immer Liebe seyn.
Aber was ist dieß gegen jene unbeschreibliche Süßigkeit, womit
die Grazie sich in die Herzen hinein schmeichelt, gegen
jene geistigen, unauflöslichen Fesseln, mit denen sie die Seelen
an sich zieht, jenen unbegreiflichen Zauber, dessen Quelle
und seltsame Wirkungen der reizend schwärmende Petrarca
aus seiner Erfahrung so unübertrefflich besungen hat?War es etwa die körperliche Schönheit seiner geliebten
Feindin (wie er seine Laura zu nennen pflegt), oder
waren es nicht
diese Augen, aus denen Amor Süßigkeit und Anmuth
ohne Maß zu regnen schien; — war es nicht dieses Lächeln,
welches einen Wilden hätte in Liebe zerschmelzen
können, — aus welchem eine selige Ruhe, die keinem
Schmerze Raum ließ, derjenigen ähnlich, die man im
Himmel genießt, in die Seele herab stieg; —dieses reizende
Erblassen, welches (beim Anblick seiner Qual) ihr süßes
Lächeln mit einer verliebten Welke bedeckte ;— dieser
Gang, nicht der Gang einer Sterblichen, sondern eines
himmlischen Wesens. und diese Worte, in deren Klang
eine mehr als menschliche Lieblichkeit war, — mit einem
Worte, war es nicht diese (in dem süßen Irrthum eines
Verliebten) ihr allein eigene und sonst nie gesehene
Anmuth,was die schöne Seele dieses Platons der Dichter in
einen so außerordentlichen, so ekstatischen Zustand setzte, daß
er Dinge fühlte und phantasirte und sang und that, die vor
ihm in kein menschliches Herz gekommen waren und nach
ihm nur der kleinen Zahl empfindungsvoller Seelen, die
jemals etwas Aehnliches erfahren haben, verständlich seyn
können?
Sie kennen die Lieder dieses liebenswürdigen Schwärmers
zu gut, schöne Danae, daß Ihnen nicht zwanzig andere Stellen
beifallen sollten, welche dieses bestätigen. Es ist wahr,
er spricht an mehr als einem Orte von der körperlichen
Schönheit seiner Geliebten mit genugsamer Empfindung, um
das Lächerliche einer bloß intellectualen Leidenschaft zu vermeiden.
Aber nur die Schönheit ihrer Seele und die
Grazien, die diese über Alles, was sie sagt und thut,
ausgießt, sind (wie er sich ausdrückt) die Zauberer, die
ihn verwandelt haben.Die Mutter der Liebe und der Grazien, sie, in welcher
die griechischen Musen den höchsten Begriff der Schönheit
zu verkörpern gesucht haben, läßt sich zwar nicht ohne
eigenthümlichen Reiz denken; aber es ist dieser hohe
Reiz, der (wie unser Winkelmann sagt) mehr mit den
Augen des Verstandes unmittelbar erblickt, als durch Hülfe
der Sinne empfunden werden kann."Wissen Sie auch, mein Herr, daß Sie und Ihr Winkelmann
wirklich ein wenig schwärmen, um nicht ein härteres
Wort zu gebrauchen? — Ein Reiz, der an einer körperlichen
Gestalt — idealisch oder nicht — mit dem Verstande
unmittelbar erblickt werden soll, welch eine Forderung!
Und wie sollen wir uns überreden lassen, Ihnen
ein solches Anschauungsvermögen zuzugestehen, mit desses
Hülfe Sie in jedem Gegenstande sehen könnten, was Sie
wollten, ohne daß uns andern Sterblichen erlaubt wäre, mit
Beihülfe der Augen unsers Leibes zu untersuchen, ob die
Augen Ihres Verstandes recht gesehen hätten?"Soll ich Ihnen die Wahrheit gestehen, Danae? Ich besorge
selbst, Sie haben Recht. Aber es gibt Augenblicke,
wo ich diese hohe unkörperliche Grazie (welche, wenn
ich nicht irre, Winkelmann zuerst von den Grazien im
gewöhnlichen Verstande unterschieden hat) wirklich zu empfinden
glaube. Diese Empfindung ist so fein, so geizig, daß
sie mich vielleicht betrügen könnte; aber ich kann doch, Alles
wohl überlegt, selbst dem bescheidenen Geiste des Zweifels,
den ich aus der sokratischen Schule geerbt habe, nicht so viel
einräumen, daß ich seinen Bedenklichkeiten die Gewißheit
meiner Empfindung aufopfern sollte.Doch dem mag seyn, wie Sie wollen; dieß wenigstens
geben Alle, von denen wir unsre Nachrichten aus der
Götterwelt empfangen, zu, daß Venus die Grazien von dem
Augenblick an, da Amor sie nach Paphos brachte, zu ihren
vertrautesten und unzertrennlichsten Begleiterinnen gemacht
habe. Nicht aus einem geheimes Mißtrauen in sich selbst
(erlauben Sie mir, Danae, auf einen Augenblick diesen
Rückfall in meine Grille), sondern um sich zu der Fähigkeit
sinnlicher Wesen herab zu lassen, bediente sie sich der Hülfe
der Grazien, wenn sie sterblichen Augen sichtbar werden
wollte. Von den Grazien gebadet und mit Ambrosia gesalbt
und ausgeschmückt und mit dem berühmten Gürtel umgeben,
in welchen von den Händen ihrer lieblichen Töchter jeder
anziehende Reiz und zärtliches Verlangen und das süße Liebkosen,
das den Weisen selbst das Herz nimmt, eingewebt
war, ging sie, sich dem Urtheil des Paris auf Jda auszustellen,
ihres Sieges über die Schönsten unter den Göttinnen
gewiß; — und an die Grazien angelehnt stand sie,
als Adonis zum ersten Mal in den reizenden Gebüschen
sie erblickte, welche in spätern Zeiten unter dem Namen
Daphne den Göttern der Freude und den Musen gewidmet
wurden.
| Unwiderstehlich schön stand sie in Rosenschatten,
An ihre Grazien gelehnt
Und, Lilien gleich, die sich mit Veilchen gatten,
Durch sanftern Reiz verschönt.
Er blieb, in himmlischer Wonne verloren,
Schwebend, sprachlos, halb vergöttert stehn;
Denn, seitdem das Meer die Lust der Welt geboren,
Hatte noch kein Gott so reizend sie gesehn. |
Auch in den Olympus begleiteten die Grazien ihre Mutter,
und nun konnte kein Götterfest ohne ihre Gegenwart
mehr vollkommen seyn. Die Götter selbst, deren Sitten uns
Homer nicht immer so fein und polirt vorstellt, als man
von Göttern billig erwarten sollte, änderten sich durch den
geheimen Einfluß der Charitinnen gar sehr zu ihrem Vortheile.
Sie brachen nicht mehr in ein unauslöschliches Gelächter
aus, wenn der ehrliche hinkende Vulcan, um einem
Hader zwischen seinem Vater und seiner Mutter ein Ende
zu machen, mit wohlgemeinter, wiewohl possirlicher Geschäftigkeit
die Stelle des Mundschenken vertrat; und Jupiter
drohte seiner Gemahlin nicht mehr, daß er ihr Schläge geben
oder sie, mit einem Amboß an jedem Fuße, zwischen den
Wolken aufhängen wollte. Juno wurde die angenehmste
Frau, Jupiter der gefälligste Ehemann und die Götter
überhaupt die beste Gesellschaft von der Welt.
| Minerva, welche sonst die Philosophin machte
Und, wenn die ganze unsterbliche Schaar
Bis aus den Momus selbst bei guter Laune war,
In einem Winkel saß und Hypothesen erdachte,
Ließ jetzt zuweilen doch der hohen Stirne Ruh'
Und sah dem Tanz der Musen und Grazien zu,
Die alte Vesta sogar, die (wie Homer erzählet)
Den edlen Jungfernstaud
Zu ihrem Theil erwählet
Und sonst an jedem Spiel viel Aergerliches fand,
Soll mit den Grazien und mit Amorn und dem Knaben,
Den Jupiter sokratisch liebt und küßt,
Oft blinde Kuh gespielet haben:
Ein Spiel, das in der That die Unschuld selber ist. |
Die Grazien sind lauter Gefälligkeit. Sollten sie nicht,
um die Stirne der guten alten Vesta zu entrunzeln, sich
auch zu Kinderspielen herunter lassen?Die Sympathie, welche zwischen liebenswürdigen Wesen
eine Freundschaft stiftet, die in ihrem ersten Augenblick alle
Stärke eines reifen Alters hat, macht aus den Musen,
den Töchtern Jupiters und der Harmonie, und aus den
Grazien die vertraulichsten Gespielen. Die ersten konnten
nicht anders als unendlich viel dabei gewinnen; ihre Ernsthaftigkeit
hatte es wohl vonnöthen, durch die Anmuth der
letztern gemildert zu werden.Die Gesänge, welche sie ihren Günstlingen eingaben,
hatten nun nicht bloß erhabene und die menschliche Schwachheit
übersteigende Gegenstände, die Vermählung des Chaos
mit der alten Nacht, den Ursprung der Götter und
der Welt und die Wanderungen der Seele, zum Gegenstande;
sie hielten es nun für ein edles und wohlthätigen
Gottheiten sehr anständiges Geschäft, auch die Freuden der
Sterblichen zu verschönern.
| Nicht den Orpheen nur, nicht nur den Amphionen,
Auch den Sappho's und Anakreonen
Hauchten sie, bei Lieb' und süßen Wein,
Unter Rosen sanfte Lieder ein.
Wenn zwischen jungen Dirnen,
Aus denen Freude glänzt,
Die heiterste der Stirnen
Mit Myrt' und Ros' umkränzt,
Der alte Tejer scherzt' und lachte
Und fröhlich, wie Silen, die Jugend neidisch machte:
Waren's oft die Grazien und Musen,
Die mit freiem Haar und offnem Busen
Hand in Hand um ihren lieben Alten
Tanzten zu der goldnen Leier Klang
Und ihm jedes Lied mit einem Kuß vergalten,
Das er Amorn und der Freude sang. |
Selbst die Muse der Philosophie lernte den Grazien
das Geheimniß ab, zu gleicher Zeit zu unterrichten und zu
gefallen.
| Aus ihrer schönen Hand
Empfingen die Platon, die Humen
Und Fontenellen die Blumen.
Womit sie den steinigen Pfad der fliehenden Wahrheit bestreun,
Und, wenn sie erbitten sich läßt, den Sterblichen sichtbar zu seyn,
Das leicht gewebte Gewand,
Das unsrer Augen schont und unter schlauer Zierde
Nur das versteckt, was uns verblenden würde. |
Vorzüglich waren die Grazien die Schutzgöttinnen der
sokratischen Schule. Schon in der ersten Blume seiner
Jugend von ihnen begeistert, versuchte es Sokrates, sie
in Marmor zu bilden; und, daß es ihm gelungen sey, läßt
sich daher vermuthen, weil die Athener dieses einzige Werk
seiner Kunst würdig fanden, ihm in dem Vorhof ihrer Burg
einen Platz unter Meisterstücken zu geben. Speusippus,
Platons Nachfolger, stellte die Grazien in dem Hörsaale
auf, wo sie aus dem Munde seines Meisters gesprochen
hatten. Und welchem Sterblichen sind sie jemals günstiger
gewesen, als dem liebenswürdigen Xenophon? ihm, der die
wahren Züge der sittlichen Grazie in seinen Werken so
vollkommen ausgedrückt und in seinen Gedanken und
Empfindungen, wie in seiner Schreibart, Wahrheit,
Einfalt und ungeschminkte Anmuth so unverbesserlich vereiniget
hat?Den Grazien opferte bei den Griechen, wer gefallen wollte;
und es war eine Zeit zu Athen, wo der Staatsmann und
der Feldherr ihren Beistand eben so nöthig hatten, als
der geringste mechanische Künstler. Die Zauberei der Grazie,
die über Alles, was Alcibiades that und sagte, ausgegossen
war, gab seinen Fehlern selbst einen Reiz, der Andrer
Tugenden verdunkelte. Sollten wir uns wundern, daß durch
ihren Einfluß eine Aspasia fähig wurde, Griechenland im
Perikles zu beherrschen und im Sokrates zu unterrichten? —
Und wie liebenswürdig müßten wir uns (wenn
eine strengere Sittenlehre über diesen Punkt uns gerecht zu
seyn erlaubte) diejenigen unter den Schönen des Sokratischen
Jahrhunderts vorstellen, welche in einem besondern Verstande
als Priesterinnen der Grazien angesehen wurden?
| Nur den Phrynen, den Glyceren
Und Laiden konnt' es zugehören,
Euren Orgien
Würdig vorzustehn;
Ihnen, die zu Amors Künsten allen |
| Das Geheimniß, selbst den Weisen zu gefallen,
Euch in Paphos abgesehn. |
O Danae, welch ein Jahrhundert war diese in den Jahrbüchern
der Menschheit ewig unvergeßliche Zeit von Perikles
zu Alexandern! diese Zeit, von der man mehr als
von irgend einer andern sagen kann, daß sie unter der Herrschaft
der Grazien gestanden hat.
| Da Philosophen, Künstler, Dichter,
Archonten, Priesterinnen, Richter
Die Macht der Grazien empfanden,
Die Majestät im Phydias,
Den Reiz im Kalamis verstanden,
Geschmack mit jeder Lust verbanden
Und Lust an allem Schönen fanden;
Da Plato denken, Hippias
Gefallen, Lais fühlen lehrte;
Da, wer kein Sklave war, die Kunst der Musen ehrte,
Der Philosoph mit kritischem Gefühl
Euphranorn malen sah, Damone singen hörte,
Und zwischen Scherz und Saitenspiel
Das Alter Munterkeit, die Jugend Weisheit lehrte;
Zeus-Perikles mit gleicher Leichtigkeit
Von Arbeit zu Ergötzlichkeit
Und von Aspasien ins Prytaneon kehrte,
(Denn alles Ding hat seine Zeit)
Und Alcibiades, wiewohl Gelegenheit
Ihn dann und wann zur Schelmerei verführte,
Im Rath Ulyß, Achilles in Gefahr
Und Paris nur bei freien Schönen war
Und, ob er Amorn gleich in seinem Schilde führte,
Die Feinde schlug, wie sichs gebührte. |
| O goldne Zeit, da noch sich schwesterlich umfaßt
Die Grazien und Musen hielten;
Da Helden noch die sanfte Lyra spielten,
Da Helden noch den Werth des Sängers fühlten,
Durch den Achilles lebt; da zwischen Theophrast
Und Glycera sich ein Menander bild'te;
Da noch kein blöder Wahn vor einem Alkamen
Und Zeuxis die Natur verhüllte;
Da ohne Neid Apelles, Protogen
Freundschaftlich sich den Vorzug streitig machten
Und, willig sein Verdienst dem andern zu gestehn,
Nur auf den Ruhm der Kunst bei ihrem Wettstreit dachten;
Und Jener, dem die Grazien
Zuerst aus allen Sterblichen
Am blumigen Cephisen
Sich ohne Gürtel wiesen,
Aus dessen Werke sie den Reiz, der nie verblüht,
Mit ihren süßen Lippen hauchten,
In Amors Flamme selbst ihm diesen Pinsel tauchten,
Durch den Cythere sich der Fluth entsteigen sieht,
Es wagen durfte, die Gunst der Grazien laut zu bekennen
Und ihren Maler sich zu nennen. |
Nur mit flüchtigen Zügen, schöne Danae — denn die
Grazien hassen ein mühsames nach der Lampe riechendes
Werk — hab' ich Ihnen den Einfluß dieser liebenswürdigen
Gottheiten auf Wissenschaften, Künste und Sitten entworfen.
Aber noch weiter estreckt sich ihre Macht. Nicht nur das
grenzenlose Reich der Einbildungskraft, nicht nur das ganze
Gebiet der Freude, — die Tugend selbst steht unter ihrer
Herrschaft. Die Epaminondas und die Scipionen
opferten ihnen nicht weniger, als die Menander und Aristippe.
Auch den Handlungen, dem Charakter und dem Leben
eines weisen und guten Mannes, — welches (wie Sokrates
zu sagen pflegte) gleich einem vollkommnen Gemälde
ein schönes Ganzes seyn muß —müssen die Grazien dieses
Ansehen von zwangloser Leichtigkeit, diesen Glanz der
Vollendung geben, der sie mehr zu Geschenken der Natur
als zu Werken der Kunst zu machen scheint.Diese Grazie war es, die der Tugend des Cato von
Utica fehlte, und bloß die Abwesenheit derselben ist, was so
vielen andern vermeinten Tugenden ein widriges, die Herzen
zurückstoßendes Ansehen gibt. Nur unter den Händen
der Grazien verliert die Weisheit und die Tugend der
Sterblichen das Uebertriebene und Aufgedunsene, das Herbe,
Steife und Eckige, welches eben so viele Fehler sind, wodurch
sie, nach dem moralischen Schönheitsmaß der Weisen, aufhört
Weisheit und Tugend zu seyn.Dieß war es, was Musarion ihren Schüler lehren
wollte; und sagen Sie mir, Danae, wie war es möglich, sie
nicht zu verstehen?
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