C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Sechstes Buch.
Wie sehr man bei Ihnen auf seiner Hut seyn muß, Danae!
— Ich dachte nicht, daß Sie sich eines Ausdrucks wieder
erinnern sollten, der mir, ich weiß nicht wie, entschlüpft
war; und nun glauben Sie sogar, ein Recht zu haben, mich,
wie Sie sagen, zu Erfüllung meines Versprechens anzuhalten. —
War es denn wirklich ein Versprechen? Ich sagte,
vielleicht würd' ich Ihnen in der Folge von den Grazien
Geheimnisse verrathen; und, ohne für mein Vielleicht
die mindeste Achtung zu haben, bestehen Sie darauf, daß ich
Ihre Neugierde gereizt hätte. Es wäre sehr unhöflich, gefällt
es Ihnen zu sagen, die Neugier eines Frauenzimmers rege
zu machen, wenn man nicht gesonnen sey oder sich nicht im
Stande wisse, sie zu befriedigen.In der That ist dieß ein Grund, gegen den ich nicht sehe,
was man einwenden könnte. Ich kann nicht daran denken,
solche Vorwürfe von Ihnen zu verdienen: Sie sollen befriediget
werden.Göttinnen, in denen der höchste Grad des Reizes mit
der ersten Blüthe einer ewigen Jugend gepaart ist, die unter
lauter Freuden, Scherzen und Liebesgöttern leben und ihrer
Natur nach lauter Gefälligkeit sind, — mit einem Worte,
die Grazien, wie sollten sie immer ohne kleine Anekdoten
geblieben seyn? Töchter des frohen Bacchus und der zärtlichen
Cythere, müßten sie ganz aus der Art geschlagen seyn,
wenn sie unempfindlich gegen die Liebe seyn könnten, die sie
einflößen; und unter so vielen Göttern, Halbgöttern und
Sterblichen, von denen sie jemals geliebt wurden, sollten
wohl alle, alle, nicht einen ausgenommen, nur Platonische
Liebhaber gewesen seyn? — Es ist nicht wahrscheinlich!Gleichwohl habe ich die gemeine Meinung und das Zeugniß
einer unendlichen Menge von Schriftstellern für mich,
wenn ich Ihnen versichre, daß die Grazien — die unschuldigsten
unter allen Göttinnen sind.Es ist wahr, der jungfräuliche Stand, der ihnen gewöhnlich
beigelegt wird, ist für sich allein nicht hinlänglich, sie
gegen schalkhafte Vermuthungen völlig sicher zu stellen. Auch
Minerva hatte ihr Abenteuer mit dem hinkenden Vulcan,
Luna das ihrige mit dem schönen Endymion, die schöne
Jo, Kallisto, Europa und zwanzig andre die ihrigen, die
den reizenden Stoff der Maler und Dichter vermehren. Und
erzählt uns nicht Ovid, wie wenig es gefehlt hätte, daß
sogar die ehrwürdige Vesta von dem gefährlichsten Liebhaber,
den eine Spröde haben kann, überrascht worden wäre? Ueberdieß
find' ich nirgends, daß uns die geheimen Geschichtschreiber
der Götter eine hinlängliche Nachricht geben, woher alle
die kleinen Amoretten kommen, die in den Hainen von
Paphos und Gnidos und Cythere, in größerer Anzahl als
die Schmetterlinge in einem warmen Sommer, herumflattern.
Der einzige Claudian (wenn ich nicht irre) begnügt sich,
ihnen überhaupt die Nymphen zu Müttern zu geben. Sehen
Sie, Danae, ob dieses genug ist, die Grazien frei zu sprechen,
— wenn man anders Ursache haben könnte zu erröthen, so
lieblichen kleinen Göttern, als die Amoretten sind, das Daseyn
gegeben zu haben. Doch ich will Ihnen ohne Umschweife
gestehen, was man sich am Hofe der Liebesgöttin in die Ohren
geflüstert hat.Erinnern Sie sich des reizenden Genius,
| — Halb Faun, halb Liebesgott,
Der flatterhaft um alle Blumen scherzet,
Um alle buhlt, doch nur die schönsten herzet
Und, daß sein kleines Horn die Nymphen nicht erschreckt,
Es unter Rosen schlau versteckt. |
Ein Dichter, den Sie kennen, malte Hamiltons Geist
unter diesem Bilde ab; aber dieses Bild ist kein Geschöpf
der Phantasie, wie Sie vielleicht dachten: wirklich findet sich
unter den Paphischen Göttern einer, der das Urbild davon war.Unter den jungen Faunen, welche die Spielgesellen der
Amoretten sind, war einer,
| Der schönste kleine Faun!
Der je, statt an der Brust, am Nektarschlauch gesogen!
Ihm fehlten nur Flügel und Bogen,
So glaubtet ihr, Amorn zu schaun.
An einem Rosenzaun
Ward einst um ihn ein Nymphchen vom Schlafe betrogen:
Denn auch dem Schlaf' ist nicht zu traun!
Dem schönen kleinen Faun
War alle Welt und Venus selbst gewogen;
Gefällig erzogen die Nymphen zu Gnid
Den holden Fündling auf; er hüpfte, scherzt' und lachte
Mit andern Amorn herum, und keine Seele dachte,
Daß Art noch nie von Art sich schied.
Thalia selbst, der Grazien munterste, machte
Sich eine Freude daraus, so lang' er Knabe noch war,
Den schönen jungen Wilden
Zum Amor umzubilden,
Sein kleines Horn zu vergülden
Und Rosen zu flechten ins lockige Haar. |
Wer hätte dem kleinen Faun zugetraut, daß er fähig
wäre, so viele Liebe mit — einer Art von Gegenliebe zu erwiedern,
welche, die Wahrheit zu sagen, der Natur eines
Fauns so gemäß war, daß man sich vielmehr wundern sollte,
wie man ihm weniger zutrauen konnte?Ich weiß nicht, wie es kam; Göttinnen haben in gewissen
Dingen besondre Vorrechte; man wurde nichts davon
gewahr; — aber ein allerliebstes kleines Geschöpf, in dessen
Gestalt und Zügen ein seltsames Gemische von Leichtfertigkeit
und Anmuth seinen zweideutigen Ursprung verrieth, kam
auf ein Mal in den Hainen zu Gnid zum Vorschein. Mit
süßer Bestürzung fand es Pasithea, da sie einst in einer
Sommerlaube eingeschlafen war, beim Erwachen,
| So zärtlich und bekannt,
Als waren sie verwandt,
Auf ihrem Busen spielen
Und mit der kleinen runden Hand
In seinen Rosen wühlen. |
| Epheugleiches krauses Haar umkränzte
Seine breite Stirn', im schwarzen Auge glänzte
Süßer Trotz; die Mutter that der Mund,
Um und um von Reiz umflossen,
Hörnerchen, die aus den Locken sprossen,
Und der kühne Blick den Vater kund, |
| Mit tausend reizenden Grimassen
Stahl ins Heiz der kleine Gott sich ein
Und schien ganz ausgelassen
Vor Freude da zu seyn. |
Der schöne Faun und ihre Schwester Thalia waren
der erste Gedanke, den Pasithea hatte, da sie das kleine Mittelding
von Faun und Grazie betrachtete. Sie eilte damit
ihren Schwestern zu. Aber keine wollte wissen, woher er
gekommen seyn könnte. Und doch, sagte Thalia lächelnd,
sieht er so sehr in unser Geschlecht, daß man wetten sollte,
eine von uns müßt' ihm näher verwandt seyn, als sie gestehen
will.Ein scherzhafter Streit erhob sich darüber unter den Grazien;
eine schob ihn immer der andern zu und machte gewisse
Züge ausfindig, worin sie die eine oder die andere
Schwester erkennen wollte. Ihr Lachen zog eine Menge von
Amoretten und Nymphen herbei, die an dem kleinen Lustspiele
Theil nahmen. Alle fanden den kleinen Gott unendlich
liebenswürdig, aber keine wollte sich zu ihm bekennen.
Sein Ursprung blieb eines von diesen Geheimnissen, die Jedermann
weiß, und Niemand zu wissen scheint.
| Die Zärtlichkeit, womit, da sie allein sich hielt,
Thalia den kleinen Faun, der kindlich nach ihr blickte,
An ihren Busen drückte,
Verrieth sie einer Najade,
Die an des Cepheus Gestade
Zwischen den Binsen hervor geschielt. |
Wollen Sie wissen, Danae, was aus diesem kleinen
Impromtu der artigsten unter den Grazien geworden ist? Er
wurde der Genius der Sokratischen Jronie, der Horazischen
Satire, des Lucianischen Spottes.
| Er lehrte Phänaretens Sohn
Die Kunst, durch lauerndes Verstellen,
Der Narren, die vor Weisheit schwellen
Der Gorgiassen, Stolz zu fällen;
Und dich, Horaz, den eleganten Ton,
Die Narren Roms, die Natta's, die Metellen,
Die Cacius und Cupiennius
Und zwanzig andre Narren in us
So fein zum Gegenstand von unserm Spott zu machen,
Daß selbst der Thor, indem wir ihn belachen,
Gern oder nicht uns lachen helfen muß. |
| Den schönen Geistern neuer Zeiten
Scheint er nicht minder hold zu seyn.
Er gab den Lockenraub, den frommen Verd-verd ein,
Ließ Mancha's Helden kühn mit Klappermühlen streiten,
Den schönen Facardin an Crystallinens Seiten,
Ein Spinnrad in der Hand, im Schlafrock unversehrt
Durch fünfzig Mohrensäbel schreiten, |
| Und meinen lieben Stern' auf seinem Steckenpferd —
Poor Yorik! — sich zu Tode reiten. |
Doch Sie erwarten nicht, Danae, daß ich Ihnen ein
Verzeichniß seiner Eingebungen aufschreibe; Sie wollen
noch mehr von den geheimen Geschichtchen der Grazien erfahren. —
Allein was könnte ich Ihnen, nach dem, was
Sie bereits wissen, noch Unterhaltendes davon sagen? Wenn
sie deren noch mehr gehabt haben, so müssen sie vermuthlich
diesem ähnlich gewesen seyn.Doch etwas hätte ich beinahe vergessen, das Ihnen vermuthlich
unerwarteter ist, als alles Andre, was ich von meinen
geliebten Göttinnen noch sagen könnte. Oder hätten
Sie sich wohl vorgestellt, daß eine von den Grazien wirklich,
im ganzen Ernste, verheirathet ist; so sehr im Ernste, daß
Juno selbst die Ehestifterin war?"Verheirathet?" — Nicht anders. — "Aber an
wen?" — O! gewiß, Sie würden alle mögliche Götter
rathen können und den rechten doch verfehlen. Wenn wir
nicht einen so unverwerflichen Zeugen vor uns hätten, als
Homer ist, wer würde sich einfallen lassen, eine Grazie an
— den Schlaf zu verheirathen?Doch vielleicht stellen Sie sich den Gott Schlaf nicht so
liebenswürdig vor, als ihn die griechischen Dichter und Künstler
zu bilden pflegten. — Und warum sollten wir ihn unter
einem weniger lieblichen Bilde denken, den holden Schlaf,
ihn, der, eben so wohl als die Grazien und Amor selbst,
unter die Wohlthäter des Menschengeschlechtes zu zählen ist?
| Ihn, dessen magischer Duft
Ein süßes Vergessen der Sorgen
Auf unsre Stirne träuft und uns mit jedem Morgen
In neues Daseyn ruft;
Ihn, dessen Gunst der Mann, in Purpur gekleidet,
Dem Mann am Pfluge, dem Sklaven beneidet;
Den holden Gott, der wenigstens bei Nacht
Des Glückes Eigensinn vergütet
Und, wenn der Gram an goldnen Betten wacht,
Und Harpax seinen Schatz mit hohlen Augen hütet,
Auf Stroh den Aermsten glücklich macht? |
Welcher Unglückliche findet nicht in ihm das Ende seiner
Schmerzen? Und wer ist so sehr den Göttern gleich, um
durch seinen Verlust sich nicht für elend zu halten?
| Schlummert nicht, von Küssen müde,
Mit gesenktem Augenlide
Amor selbst an seinem Busen ein?
Ja, es würden (glaubt's Homeren!)
Selbst die Götter in den Sphären
Ohne ihn nicht selig seyn. |
Genug, der Schlaf, den Sie sich nun unter einem so
angenehmen Bilde, als Sie immer wollen, denken mögen,
| Mit krausem, gelbem Haar
Und schlaffen, jugendlichen Zügen,
Schön, wie der Liebesgott, wenn er von seinen Siegen
In Psychens Armen ruht, — wie Lunens Schläfer war,
Als er, in ihrem einsamen Vergnügen
Sie nicht zu stören, tief in süßen Träumen lag;
Schön, wie die schönste Nacht nach einem Sommertag! |
| Er liebte Pasitheen,
Und Pasithea — zwar sie wollte nichts gestehen,
Allein man wußte doch, sie war ihm heimlich gut,
Wie jetzo noch manch artig Mädchen thut.
Man sagt, er habe bloß, sie länger anzusehen,
Sie oft bei hellem Tag auf Rosen eingewiegt
Und, von des Anblicks Reiz besiegt,
Indem er neben ihr gesessen,
Sich und sein Amt so sehr dabei vergessen,
Daß allgemeine Agrypnie
Die Sterblichen befiel. Vergebens riefen sie
Dem süßen Schlaf. Die Hippokraten
Erschöpften fruchtlos Kunst und Müh;
Das Uebel widerstand den stärksten Opiaten!
Es griff zuletzt sogar die Götter an,
Und Zeus, der sonst doch in den Schlummerstunden
Vor Junons Aug' und Zunge Ruh gefunden,
Fand keinen Augenblick, den Schwan
Bei unsern Leden mehr zu machen,
Und spielte nun, aus bösem Muth, den Drachen. |
Kurz, die ganze Natur kam aus ihrem Geleise, und,
ihren Untergang zu verhüten, mußte auf ein schleuniges
Mittel gedacht werden, den Gott des Schlafs wieder einzuschläfern.
Man fand kein zuverlässigeres, als ihn unverzüglich
mit der schönen Pasithea zu vermählen. Die Hochzeit
wurde in größter Stille vollzogen. Die Grazien führten die
erröthende Braut an den Eingang seiner Grotte; in wenigen
Minuten schloßen sich die Augen des kleinen phlegmatischen
Gottes, und die ganze Natur entschlief.Ein so schläfriger Gemahl würde, wir gestehen es, nicht
viele sterbliche Schönen glücklich machen, und vielleicht der
sprödesten Tugend am gefährlichsten seyn. Nur die sanfteste
unter den Grazien war dazu gemacht, einen Gemahl liebenswürdig
zu finden, der, wenn ihre Küsse ihn weckten, kaum
so lange wachte, um sie anzusehen und vor Vergnügen —
wieder einzuschlafen.Gleichwohl sagt man, daß die Welt der Vermählung des
Schlafs mit der jüngsten Grazie diese süßen Träume zu
danken habe,
| Wobei der keusche Sinn
Von Vesta's Priesterin,
Wenn sie zu früh erwacht,
Sich viel Gedanken macht
Und doch aus Neubegierde —
Wie Alles enden würde?
Der Wiederkunft der Nacht
Bei Tage schon entgegen gähnt
Und sich nach ihrem Traume sehnt; |
| Die Träume, deren Scherzen
In einsamen Nächten die Schmerzen
Der jungen Wittwe betrügt
Und unter günstigen Schatten
Den wieder gefundenen Gatten
In ihren Armen wiegt; |
| Kurz, Danae, im ganzen Träumereich
Die angenehmsten Träume,
Die, jungen Amorinen gleich,
Dich unter Myrtenbäume
Und, wenn sie Zeugen spüren,
In stille Grotten führen, |
| Wo Amor lachend sich versteckt,
Dann Abends dich zum Baden
In laue Brunnen laden,
Wo, wenn der Freund der fliehenden Najaden,
Ein Faun, die dunkeln Büsche schreckt,
Dich Leda's Schwan mit seinen Flügeln deckt. |
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