C. M. Wieland's Werke.
Dritter Band.
Viertes Buch.
Die Bewohner Arkadiens in diesen Zeiten waren gute Leute,
größten Theils Hirten, aber weit davon entfernt, so zärtlich
und witzig zu seyn und so schöne Monologen halten zu
können, als die Myrtillen und Korisken des sinnreichen
Guarini.Doch dieß wollen wir ihnen gerne zu gute halten, Danae:
denn, wie sehr wir auch für die geistvolle Poesie dieses wälschen
Dichters, für die Magie seines Ausdrucks und die
Musik seiner Verse eingenommen sind; so können wir uns
doch nicht verbergen, daß die Vermischung der arkadischen
Einfalt mit der romantischen Spitzfindigkeit in Gedanken und
Ausdrücken, die er seinen Liebhabern gibt, ungefähr eben die
Wirkung auf uns mache, als wenn wir die künstliche Symmetrie,
die in groteske Formen verschnittenen Bäume und
die in einen Punkt zusammen laufenden, nach der Schnur
gezogenen Hecken unsrer (ehmaligen) Lustgärten in arkadische
Gegenden versetzt sehen würden;
| In Gegenden, wo die Natur, vom Zwange der Regeln entbunden, |
| Als spielte sie nur, die großen Wunder gethan, |
| Wozu die Kunst noch nie den Schlüssel gefunden, |
| Und edel ohne Schwulst, harmonisch ohne Plan, |
| Den Reichthum mit Einfalt, den Reis mit Majestät verbunden. |
| In stille Matten, an denen ein rieselnder Bach |
| Durch junge durchsichtige Büsche sich windet, |
| Und Wäldchen, wo der Hirt ein kühles Sonnendach, |
| Und Amor den Schlaf, und Begeistrung der Penseroso findet. |
Allein diesen lieblichen Gegenden des schönen Arkadiens
fehlt' es noch an Einwohnern, die ihrer würdig waren.
Noch glichen sie jenen unvollendeten Menschen die, von
Prometheus aus geschmeidigem Thon gebildet, auf den
beseelenden Funken warteten, den er für sie aus der geheimen
Quelle des himmlischen Feuers im Olymp zu stehlen
unternahm.Freiheit und Ueberfluß des Nothwendigen theilte ihnen
diejenige Art des Wohlstandes mit, welche die Grundlage
der Glückseligkeit, aber nicht die Glückseligkeit selbst ist. Sie
lebten friedsam unter einander; die Nothwendigkeit hatte
ihnen sogar die edleren Begriffe von einem gemeinsamen
Besten und dieses von Tugend und Verdienst gegeben; aber
die Reize der verfeinerten Geselligkeit, diese kannten sie noch
nicht. Ihre Jünglinge waren noch wild, ihre Mädchen
blöde. Die Liebe war bei ihnen wenig mehr als die Sättigung
eines thierischen Triebes; ihre Seele war noch nicht
zur Idee einer feinen ausgesuchten Glückseligkeit
aus der Wahl ihrer Gesellschaft (wenn ich mir einen
Ausdruck von Milton eigen machen darf) erhöhet. Bei
ihren Festen herrschte lärmende zügellose Fröhlichkeit, die sich
oft, nach thrakaischer Weise, in Schlachten mit Bechern
und Krügen und alle Mal in einem allgemeinen Rausch
endigte. Denn sie kannten noch für Sterbliche und Götter
selbst keine größere Wonne. Das feinere Gefühl des Schönen
und Anständigen, die edlere Liebe, die allein dieses
schönen Namens würdig ist, den züchtigen Scherz und das
witzige Lachen und diese liebliche Trunkenheit, welche die
Seele nicht ersäuft, nur sanft begeistert, sie (wie der
Homerische Nepenthe) in süßes Vergessen aller Sorgen
einwiegt, unfähig zur Traurigkeit macht und jeder zärtlichen
Regung und schuldlosen Freude öffnet, — von allem diesem
wußten die guten Leute nichts. Zwar hatten die Musen
angefangen, ihnen ihre Gaben mitzutheilen; die Arkadier
waren unter allen Griechen durch die Liebe zur Musik berühmt.
Aber ohne die Grazien und Amorn in ihrer
Gesellschaft ist es selbst den Musen nicht gegeben, die
Verschönerung des Menschen zu vollenden.So war es mit Arkadien beschaffen, als die Grazien,
ehe sie mit Amorn nach Paphos, dem Sitz ihrer schönen
Mutter zogen, den lieblichen Gegenden, wo ihre Kindheit
in ländlicher Einfalt und Unwissenheit ihrer selbst dahin geflossen
war, die ersten Wirkungen ihrer neuen Macht zurücklagen
wollten.Ein alter König in Arkadien hatte Wettspiele der Schönheit,
aber nur für die Jünglinge, angeordnet; und der Tag
dieser Wettspiele stand bevor.Warum schließen wir unsre Mädchen von einem Streit
aus, der sie zum wenigsten so nahe angeht, als uns? —
sagte Damöt zu seinen Landsleuten.
Du hast Recht, antworteten die Arkadier: die Mädchen
sollen zu gleicher Zeit um den Preis der Schönheit streiten,
— und aus des schönsten Jünglings Hand soll das schönste
Mädchen einen Kranz von jungen Rosen, das Zeichen des
Sieges, empfangen, sprach Damöt.Nichts konnte einfältiger seyn, als dieser Gedanke Damöts;
und doch hatte ihn noch Niemand gehabt. Sie wissen,
Danae, daß dieses die allgemeine Geschichte der
Erfindungen ist.Aber auch Damöt würde ihn nicht gehabt haben. Die
Grazien waren es, die ihn unbemerkt auf seine Lippen legten;
und die Grazien waren es, welche die Arkadier so bereit
und einstimmig machten, ihn auszuführen.Die Nachricht von diesen neuen Wettspielen weckte die
arkadischen Schönen auf ein Mal wie aus einem tiefen
Schlummer auf.Bisher waren sie, wie Winkelmann von der Diana
sagt, schön gewesen, ohne sich ihrer Reizungen bewußt zu
seyn; oder, noch richtiger zu reden, ihre Schönheit hatte
noch keine Reizungen.
| Wenn, wie es oft geschah, an Festen zum Exempel,
In einem heil'gen Hain (denn Tempel
Gab's nicht in diesem Schäferland)
Die schöne Welt sich bei einander fand,
Stieg unter hunderten nicht einer jungen Dirne |
| Der Einfall auf: Gefäll' ich oder nicht?
Gefiel sie — gut! so hatt' ihr fein Gesicht, |
| Der rothe Mund, die weiße freie Stirne, |
| Die schöne Brust, dieß oder das, daran
Die Schuld; sie hatte selbst zur Sache nichts gethan. |
| Die Mädchen wußten nicht, daß große schwarze Augen |
| Zu etwas mehr, als in die Welt hinaus |
| Einfältiglich dadurch zu gucken, taugen; |
| Nicht, wie man einen Blumenstrauß |
| Mit Vortheil an den Busen stecket, |
| Damit, durch eine kleine List, |
| Die Hälfte, die er nicht bedecket, |
Aber nun gingen ihnen plötzlich die Augen auf. Der Wunsch,
zu gefallen, hob jeden Busen und strahlte aus jedem Auge.
Einzeln schlichen sie sich jetzt in stille Gebüsche, an überschattete
Bäche oder in Grotten, wo herab murmelnde Quellen
in spiegelhelle Brunnen sich sammelten. Dort beschaueten
sie sich selbst, dort schminkten sie sich, wie Hagedorns ländliche
Dirne, aus der silbernen Quelle und versuchten, wie
sie den Blumenkranz aufsetzen wollten, damit er ihnen am
besten lasse, und überlegten, wie sie mit guter Art diese
Schönheit hervorstrechen lassen oder jenen Fehler verbergen
könnten.Unter allen diesen Schäferinnen hatte keine mehr Anspruch
an den Preis der Schönheit zu machen, als Phyllis, eine
junge Unempfindliche, welche das Vergnügen, zu gefallen,
weniger als irgend eine von ihren Gespielen zu kennen schien.
Der junge Daphnis, so schön und blöde, als Phyllis schön
und unempfindlich, liebte sie. Schon zwei Sommer schlich
er ihr nach. Tausend Mal hatte er sich ihr mit dem Vorsatze
genähert, seine Liebe zu entdecken; aber noch nie hatte er
den Muth in sich gefunden, ihn auszuführen.
| Oft hatte zwar sein Blick die kühne That gewagt,
Oft Seufzer, Thränen oft, die ihm ins Auge drangen,
Sein stummes Leiden ihr geklagt:
Allein was konnte das bei einem Kind verfangen,
Dem die Natur noch nichts für ihn gesagt? |
Jetzt wurde Phyllis von ihm überschlichen, da sie allein
am Rand einer Quelle saß.
| Sie saß auf Blumen und Moos,
In schönen Gedanken verloren,
Ein frischer Roth, als Auroren
In junger Rosen Schoß
Entgegen glänzt, umzog ihr liebliches Gesicht.
Sie schien zum ersten Mal zu fühlen,
und sah — ganz Auge — nicht
Den Hirten; nein, die schönen Augen zielen
Nach einem Ast, wo unverhüllt
Vom jungen Laub zwei sanfte Täubchen spielen,
Der schönen Liebe schönstes Bild! |
Schon eine Weile stand der junge Hirt, die Augen an
die ihrigen geheftet, hinter dem leichten Gebüsche, und
Amor, der unsichtbar neben ihm schwebte, haucht' ihm Gedanken
ein, über die er, als hatt' er gefühlt, daß sie nicht
sein eigen waren, sich zu verwundern schien. Ietzt, dacht'
er, jetzt,
| Da ihrer Wangen Glut, die wallende Bewegung
Der sanften Brust, des Herzens innre Regung
Verräth; jetzt, da sie sich
Betroffen fragt: Wie ist mir? Was bedeutet
Der süße Schmerz, der mich
Zu seufzen zwingt? — Ietzt, Daphnis, zeige dich!
Ietzt ist sie, dich zu hören, vorbereitet! |
Der junge Daphnis gab den geheimen Eingebungen des
kleinen Gottes nach. Aber seine Blödigkeit war zu groß,
um auf ein Mal zu weichen.
| Er tritt hervor, mit vieler Sorgfalt zwar,
Damit sein Anblick sie zu sehr nicht überrasche;
Er steigert lang an seiner Schäfertasche,
Stets lauter, sumst ein Lied und hustet endlich gar. |
Alles umsonst! In ihre Gedanken vertieft, sah und hörte
die schöne Phyllis nichts.Eine kleine Ungeduld wandelte den Sohn der Venus an.
Was zögerst du? flüstert' er ihm ein; zu ihren Füßen wirf
dich! — Und mit einem kleinen Stoß, den ihm Amor gab,
lag Daphnis, ohne selbst zu wissen wie, zu ihren Füßen.
| Erschrocken schauert sie in sich hinein, will fliehn
Und bleibt im Fliehn am Boden kleben.
Er klag! und klagt so schön, daß ihn
Zu hassen, klagt so schön, daß ihm nicht zu vergeben
Nichts Leichtes war. — |
Pasithea, die jüngste von Amors Schwestern, war dem
schwärmenden Bruder unsichtbar nachgefolgt. Und jetzt, da,
von Amorn angetrieben, der schöne Hirt die Kniee des bebenden
Mädchens mit zärtlichem Ungestüm umfaßte, jetzt
glaubte die Grazie, daß es Zeit sey, ihrer ehemaligen Gespielin
beizustehen. Von ihrem sanften Anhauch glitschte
eine zarte Flamme von schönem Unwillen aus den seelenvollen
Augen des Mädchens, die über ihr ganzes reizendes Gesicht
einen höhern Glanz verbreitete. Mit dem Stolze der
Unschuld, aber mit bebender Hand, stieß sie den Jüngling
zurück. Denn beinahe in dem nämlichen Augenblicke zerfloß
ihr kleiner Unwille in Mitleiden und Liebe.Amor schien alle seine Macht aufzubieten, um den jungen
Hirten verführerisch zu machen.
| Das Mädchen blickt erstaunt auf ihn
Und wundert sich, noch nie bemerkt zu haben,
Wie schön er ist, wie seine Wangen blühn,
Die krausen Locken, schwarz wie Raben,
Und schwarz sein Aug', und seinem runden Kinn
Von Amorn selbst ein Grübchen eingegraben.
Wie viel, sonst ungesehn, sieht jetzt die Schäferin!
Ihr Auge schmilzt in immer sanftre Blicke;
Es war des Hirten Schuld, wenn er von seinem Glücke
Die Zeugen nicht in ihnen schwimmen sah.
Unschlüssig zieht sie die Hand von seinem Kusse zurücke,
Und selbst ihr Weigern lächelt — Ia! |
Noch niemals war eine Schäferin in Arkadien so reizend
gewesen; und noch kein Schäfer hatte empfunden, was der
Jüngling empfand: die feurigere Liebe, von der zärtlichsten
Ehrerbietung gefesselt. Unfähig, ihre liebenswürdige
Schwachheit zu mißbrauchen, schien er keine größere Wonne
zu wünschen, noch zu kennen,
| Als einen Blick, der ihm Gefühl gestand,
Und einen Kuß auf ihre schöne Hand. |
Ich habe nicht nöthig, Ihnen zu sagen, Danae, daß man
so liebt, wenn die Grazien mit Amorn die Herrschaft über
unsre Herzen theilen.Endlich darf ich hoffen, sagte Daphnis, daß Amor durch
meine geheimen Thränen, durch die verhehlten Schmerzen
zweier trauriger Jahre versöhnt ist! Täuscht mich eine betrügliche
Hoffnung, Phyllis? — O, dann laß mich, süßer
Gott der Liebe, laß mich nie aus diesem beglückenden Traum
erwachen!Ein zärtlicher Blick und ein sanfter Druck seiner Hand
gaben ihm die Antwort des gerührten Mädchens.Aber, ach, Phyllis, der morgende Tag! Alle unsre Jünglinge
wirst du versammelt sehen. Alle werden nur dir, nur
dir gefallen wollen. Wie liebenswürdig wird sie dieß Verlangen
machen! Was wird, ach Phyllis, was wird dann
aus deinem Daphnis werden?"Und du, Daphnis, du wirst alle unsre Mädchen versammelt
sehen. Jede wird sich selbst für die Schönste halten,
wenn sie dir gefällt, und jede wird es zu seyn wünschen
und Amors heimlich Gelübde thun. Ich werde mich schüchtern
hinter sie verbergen und nicht Muth haben, die Augen
aufzuheben. Daphnis, werden dann die deinigen mich
suchen und, wenn sie mich gefunden haben, mir sagen, daß du
mich noch liebest?"Die Antwort eines zärtlichen Liebhabers auf einen solchen
Zweifel ist etwas zu Bekanntes, Danae, als daß ich Sie
damit aufhalten sollte.Der gewünschte und gefürchtete Morgen war nun gekommen.
Die Jünglinge und die Alten versammelten sich am
Fuß eines Hügels, der in sanften Stufen wie ein Amphitheater
sich erhob, oben mit hohen Bäumen bekränzt, hinter
welchen die aufgehende Sonne hervorbrach. Sechs alte Arkadier,
deren geübtes Auge noch scharf genug sah, jede
Schönheit zu fühlen und keinen Fehler unbemerkt zu lassen,
nahmen als Richter ihren Platz; und die Jünglinge begannen
den Streit mit einem bewaffneten Reihentanze. Sie
tanzten um die Bildsäule des schönen Hyacinth, des Amykliden,
welchen Apollo geliebt hatte: ein Werk alter Kunst,
aber schön genug, um das Modell einer tadellosen männlichen
Schönheit zu seyn. Selbst ein Phidias oder Polyklet
konnte sich nur den Apollo unter den Musen oder den
jungen Bacchus schöner denken.Kaum war der Tanz mit einem Lobgesang auf den delphischen
Gott und seinen Liebling geendiget, so sah man die
schöne Jugend in die Wette sich entwaffnen und entkleiden;
jeder begierig, durch seine Eilfertigkeit zu zeigen, daß er
keine Ursache habe, das strenge Auge der Richter zu scheuen.
Ein schöner Anblick unverdorbner Natur und blühender ungeschwächter
Jugend, in welcher der schöne Umriß des jugendlichen
Alters, mit den Merkmalen der Stärke vereinbart
und erhoben durch den warmen Glanz einer von frischen
Rosen durchglühten Weiße, das beobachtende Auge so angenehm
rührte, daß es schwer war, kalt genug zu bleiben, um
Mängel in einzelnen Formen oder Theilen zu entdecken.Neue Tänze, mit Wettspielen im Ringen und Laufen
und allen andern Uebungen abgewechselt, welche geschickt sind,
die Eigenschaften einer schönen Bildung zu entwickeln, gaben
den Richtern Gelegenheit, ihr Urtheil festzusetzen; und oft
waren kleine Ausrufungen, welche der Anblick einer vorzüglich
schönen Stellung ihrem richterlichen Kaltsinn abnöthigte,
die Vorboten des Ausspruchs, der auf ihren Lippen schwebte.Die Gewohnheit befahl, aus allen diesen Nebenbuhlern
um den Preis Vier zu erwählen, welche für die Würdigsten
geachtet wurden, um den Vorzug zu streiten, wer unter
ihnen dem Liebling des Apollo am nächsten komme. Alles,
was diese Vier zu thun hatten, war, sich zwei und zwei zu
beiden Seiten seiner Bildsäule in der nämlichen Stellung
den Augen der Richter unbeweglich darzustellen.Die Stimmen wurden gesammelt, und Daphnis erhielt
den Preis.Der erröthende Jüngling wurde gekrönt; und so groß
war bei diesem glücklichen Volke die Liebe der Schönheit,
daß unter allen Besiegten nicht Einer war, der sich durch
den Vorzug des Siegers für beleidigt gehalten hätte. Ein
lautes Freudengeschrei rief seinen Namen aus, und der Wiederhall
brachte ihn bis in die Gegend, wo, durch einen den
Nymphen geheiligten Hain abgesondert, die Mädchen unter
der Aufsicht ihrer Mütter versammelt waren, um einen
Preis zu streiten, den jede wünschte und keine zu verdienen
hoffte.
| Vertheilt in kleine Gruppen stunden
Die holden Mädchen schüchtern da,
Und unter so vielen ward keine gefunden,
Die nicht von jeder Gespielin sich übertroffen sah. |
| Ein leichtes weißes Gewand, |
| Mit künstlichen Blumen bemalet
Von ihrer eigenen Hand,
Schien um sie her zu weben
Und stahl dem Auge nicht den lieblichen Contour.
Es glich dem Schatten nur,
Wodurch die Apellen den Reiz der schönsten Theile heben
Und Feuer und täuschendes Licht dem schönern Ganzen geben.
Ein Theil der Locken floß
Die schönen Schultern herab, ein Theil war aufgewunden,
Der Busen halb verhüllt, die schönen Arme bloß,
Und, nymphenmäßig, ein Theil der Kleidung aufgebunden. |
Unter die übrigen Schäferinnen hatten sich auch die Grazien
gemischt, aber, um noch unerkannt zu bleiben, in ihrer
vorigen Gestalt und Tracht; welche gleichwohl nicht verhindern
konnte, daß nicht ein Schimmer von Göttlichkeit und
der unbeschreibliche Reiz, der ihr ganzes Wesen ausmacht,
alle Augen mit stiller Bewunderung auf sie geheftet hätten.
"Wie reizend die Töchter der Lycänion sind! sagte eine zur
andern —mich däucht, daß ich sie noch nie so schön gesehen
habe. — Kannst du glauben, Aegle, daß du mir in diesem
Augenblick schöner vorkamst, da dich Thalia anlächelte? —
Für wen werden unsre Hirten Augen haben als für sie? "
Ich fühl' es (sagte Phyllis zu Aglajen und umarmte
sie) ich fühl' es, indem ich dich ansehe, nur die Göttin der
Liebe könnte dir den Preis zweifelhaft machen; und doch
kann ich nicht satt werden, dich anzusehen, und das Vergnügen,
das ich dabei empfinde, wird durch keine Unlust, übertroffen
zu seyn, beschattet. Umarme mich, liebenswürdige
Aglaja! Sage mir, du liebest mich, wie ich dich liebe!Aglaja umarmte sie und heftete einen Blick auf sie,
aus welchem die Grazie ganz hervor glänzte.
"Welch ein Blick war dieß! — rief die junge Schäferin
mit dem Ausdruck eines süßen Erstaunens im Gesicht und
im Ton ihrer Stimme. Aber —ach! was wird aus deiner
armen Phyllis werden?"Was fürchtest du, meine Liebe?"Ich fürchte dich, und in eben dem Augenblick fühl' ich,
daß ich dich unaussprechlich liebe."Was für eine Sprache, meine Freundin! Du fürchtest
mich?"Ach, Aglaja! Ich will dir meine ganze Schwachheit gestehen!
dein Anblick läßt keinem Mißtrauen, keiner Zurückhaltung
Platz. —Ich liebe" —sagte das erröthende Mädchen,
indem sie ihr Gesicht in dem Busen der Grazie verbarg.Und wie sollte dich der nicht wieder lieben, den du liebest?"Er liebte mich, Aglaja; ich bin es gewiß, er liebte mich.
Aber, wenn er dich sehen wird! — Ach, liebste Freundin,
ich fühl' es voraus, ich werde unglücklich seyn; und doch
kann ich dich nicht weniger lieben! Er wird dich sehen und
beim ersten Blick vergessen, daß eine Phyllis ist, die er liebte,
und die ihr allzu weiches Herz gegen seine Thränen nicht
verhärten konnte. Und — auch du, Aglaja, auch du wirst
ihn lieben! Wie solltest du nicht? Er ist der schönste, der
sanfteste unter allen Hirten!"Fürchte nichts, liebe Phyllis! sagte die Grazie: wenn ich
auch so gefährlich wäre, als die Furchtsamkeit der Liebe dich
bereden will, deinem Hirten werd' ich, so bald er dich ansieht,
nur ein gewöhnliches Mädchen seyn. In den Augen
der Liebe ist nur das Geliebte schön."Vergib mir, liebste Freundin; mein eignes Herz sagt
mir — und ich bin doch ein Mädchen — was das seinige
fühlen wird, wenn du ihn mit einem solchen Blick ansehen
würdest, wie du mich jetzt ansahest. Verachte mich nicht,
daß ich so schwach bin, beste Aglaja! aber — wenn ich dich
etwas bitten dürfte —"Alles, was das Herz meiner sanften Gespielin beruhigen
kann!"Ach! es war eine alberne Bitte. Du kannst sie mir
nicht gewähren. Nicht so reizend zu seyn, wollt' ich dich bitten,
nicht so sehr einnehmend, so sehr rührend zu seyn, wie
du bist. Aber wie könntest du?"Sey ruhig, liebe Phyllis! — Sie kommen. — Besorge
nichts! Bald wirst du sehen, wie vergeblich deine Sorge war.
— Hier entschlüpfte die Grazie aus ihren Armen.Musik und Gesänge verkündigten die Ankunft der Hirten.
Mit Rosen bekränzt, kam der schöne Daphnis, gleich dem
Apollo, wenn er, die goldne Leier in der Hand, vom Pindus
herab steigt; von der blühenden Schaar der Jünglinge
begleitet, kam er den sanften Hügel herab, der in die Ebne
hinab führte, wo die Mädchen versammelt waren.In einem weiten Kreise setzten sich die Väter und die
Mütter paarweise auf der Anhöhe, welche die Wiese wie
ein haider Mond umgab.Die Jünglinge standen oder saßen am Fuße des Hügels;
der schöne Daphnis in ihrer Mitte, den Kranz von Rosen
in der Hand, der das schönste Mädchen krönen sollte; und
die drei Jünglinge, die schönsten nach ihm, an seiner Seite.Es war verordnet, daß diese drei eben so viele unter den
Mädchen auswählen sollten, und zwischen den Ausgewählten
sollte Daphnis den Ausspruch thun. Denn der selbst Schöne
ist, wie Jupiter beim Lucian sagt, der natürliche Richter
der Schönheit. Diejenige, welcher er den Kranz um die
Stirne legen würde, sollte für die Schönste erkannt werden.Der Herold rief eine allgemeine Stille aus, und nun
begann der Tanz der Schäferinnen."Und die Grazien tanzten mit?" fragen Sie, Danae.
Ja, sie tanzten mit."Die armen Schäferinnen! Der Streit war gar zu ungleich!
Was für Ehre konnt' es den Grazien machen, sterbliche
Mädchen, einfältige arkadische Schäferinnen auszulöschen?"Sie irren sich, Danae; das thaten die Grazien nicht.
Sie bewiesen ihr Daseyn vielmehr durch die Reizungen,
welche sie mittheilten, als durch ihre eigenen. Sie dachten
weniger daran, selbst zu gefallen, als zu machen, daß ihre
Gespielen gefallen mußten.
Eine unruhige Bestrebung, gefallen zu wollen, ist das
sicherste Mittel, seines Zweckes zu verfehlen.Durch den geheimen Einfluß der Grazien ergoß sich ein
allgemeiner Geist von Wohlwollen und sanfter Fröhlichkeit
über diese jungen Schönen aus. Ohne Eifersucht, ohne Begierde,
vor andern bemerkt zu werden, schien eine jede stolzer
auf die Reizungen ihrer Gespielen, als auf ihre eigenen
zu seyn.Gestehen Sie, Danae, daß die Grazien hier ein Wunder
wirkten!Ihr Tanz schien die unvorbereitete Eingebung einer naiven
Freude, welche ihren Füßen und Armen Seelen gab oder
vielmehr durch alle ihre Bewegungen eine gemeinschaftliche
Seele hauchte.
| So tanzen, umschattet von flatternder Gase,
Am Fuße des Cynthus, auf kurzem, sammtnem Grase, |
| Die Nymphen um ihre Gebieterin her;
So sieht der alte Vater Homer |
| Latonens Tochter mit euch, ihr Charitinnen, |
| Und mit den Musen im delphischen Hain |
| Zum schönsten Gesang den schönsten Reigen beginnen. |
Die Einbildung konnte sich nichts Angenehmeres dichten,
als dieses Schauspiel war.
| Die Augen schwammen, ergetzt, befriedigt, trunken von Lust,
Auf schönen Formen dahin, vergaßen sich im Schauen
Und irrten von Reiz zu Reiz, von schwarzen Augen zu blauen
Und von der reifen Brust, |
Die, vollen Trauben gleich, zum Pflücken winkt,
Zu jener hin, die, wie ein Lilienbeet,
Von Amors Hauch zum ersten Mal gebläht,
In schönen Wellen steigt und sinkt.
—————
| Bei solchen Seenen war's, wo in den goldnen Zeiten
Die Kunst (die jetzt aus Schutt sich Muster graben muß)
Den Zeuxis und Parrhasius
Die schöne Menschheit sich von ihren schönsten Seiten
Zu sehen gab. Hier füllten sie
Das Magazin der Phantasie
Mit Stoff zu Göttern an und hatten nur zu wählen;
Den Bienen gleich, die auf der bunten Flur
Den schönsten Blumen nur die süße Beute stehlen.
Hier lernten sie der willigen Natur
Das Handwerk nicht, ihr ängstlich nachzuäffen,
Nein, das Geheimniß ab, sie selbst zu übertreffen. |
Die Grazien hatten, wie gesagt, alle Vorsicht angewandt,
ihre Gottheit zu verbergen; aber die Verkleidung in
Schäferinnen konnte nicht verhindern, daß sie nicht noch
immer die reizendesten unter allen ihren Gespielen schienen.
Sie würden es
| Selbst in dem gothischen Wulst
Der Dame Quintagnone |
geblieben seyn. Was Wunder also, daß, wie es nun dazu
kam, daß die erste Wahl geschehen sollte, die drei Jünglinge
in einem Augenblick einig waren, Lycänions Töchter
auszurufen? Jedermann billigte diese Wahl mit sanftem
Händeklatschen; und unter so vielen Müttern, welche zugegen
waren, fand sich nicht eine, welche den Vorzug, der
Lycänions Töchtern vor ihren eigenen gegeben wurde, nicht
mit Vergnügen anerkannt hätte.Nur Daphnis, welcher jetzt unter diesen Dreien die
Schönste krönen sollte, Daphnis allein stand in unschlüssiger
Verwirrung da und suchte mit Augen voller Unruhe —
seine Phyllis.Das arme Mädchen! Sie ward es nicht gewahr; woher
hätte sie den Muth, die Augen aufzuheben, nehmen sollen?
Sie hatte keinen Wunsch, die Schönste zu seyn, als in ihres
Daphnis Augen. Aber, wie konnte sie dieß hoffen, da er
Lycänions Töchter, da er Aglajen, von lauter Reizen
schimmernd, vor sich sah?Lange hatte Daphnis gezögert; alle Augen waren auf
ihn geheftet, und die Erwartung schwebte auf den halb geöffneten
Lippen. Endlich trat er hervor. Wie schön seyd ihr,
holde Schwestern! sprach er zu den Grazien: wahrlich, je
mehr ich euch betrachte, keinen sterblichen Mädchen gleich!
Es ist unmöglich, unter euch zu wählen. Aber — vergebet
mir, wenn mich Amor gegen eure Vorzüge ungerecht macht!Hier sah er sich wieder nach Phyllis um. Dieses Mal
begegnete sein Blick dem ihrigen, und, o! wie viel Liebe, welche
rührende Angst las er in ihren Augen! In jedem glänzte
eine zurück gehaltene Thräne. Wär' er auch unentschlossen
gewesen, so hatte ihn dieser Anblick fähig gemacht, sich dem
Zorne der Venus selbst um ihretwillen auszusetzen.
Vergebet mir, schöne Schwestern, rief er, und ihr Schäferinnen
alle, deren jede werth ist, von Amorn gekrönt zu
werden — ich liebe — und wie sollte sie, die ich liebe, nicht
die Schönste in meinen Augen seyn? — Mit diesen Worten
flog er der erröthenden Phyllis zu und wollte den Kranz auf
ihre Stirne setzen. In Freudethränen verwandelt, schlichen
die Thränen, die in ihren Augen standen, die glühenden
Wangen herab. — Nein, Daphnis, sprach sie, dieß ist zu
viel! Dein Herz, ja, dieß verdien' ich, und dieß ist Alles,
was ich wünsche. Der Kranz gehört Aglajen zu!Allgemeine Aufmerksamkeit war auf diese Scene geheftet;
aber bald wurde sie von einem unerwarteten Wunder
verschlungen.Amor zeigte sich auf einer goldenen Wolke, von Zephyrn
getragen; Gerüche von Ambrosia walleten, wie leichte Nebel,
von ihr herab. Der irdische Schleier, den die Grazien um
sich geworfen hatten, fiel von ihnen ab. Leicht schwebend
erhoben sie sich in ihrer eigenen Gestalt, wahre Göttinnen,
vom Boden zu Amorn auf.Süßes Schrecken und allgemeines Entzücken kam über die
ganze Versammlung. Daphnis und Phyllis warfen sich zur
Erde. Der bebende Jüngling wollte reden — aber Amor
unterbrach ihn, mit Worten, von deren Ton die Herzen
schmolzen: Du hast meine Macht vor dieser ganzen Versammlung
gerechtfertiget, junger Hirt! Du verdienst glücklich
zu seyn; und wenn alle Gaben, welche Amor und seine
Schwestern über Liebende auszugießen vermögen, euer Glück
vollkommen machen können, so soll euch nichts zu wünschen
übrig bleiben. — Und ihr, Jünglinge und Mädchen, höret
Amors Gesetz! Vergebens würd' es seyn, künftig um den
Preis der Schönheit zu streiten. Jede Schäferin sey zufrieden,
in den Augen ihres Hirten die Schönste zu seyn!Amor hatte noch nicht ausgeredet, als plötzlich ein kleiner
Hain voll aufblühender Rosen unter ihm empor stieg. Alle
Jünglinge liefen hinzu und pflückten Rosen, und jeder kränzte
die Haare seines Mädchens.Und nun, rief Aglaja, an die Arme ihrer schönen Schwestern
angeschlungen, mit dem Lächeln und der Stimme der
schönsten unter den Grazien herab, höret auch mich, ihr,
einst meine holden Gespielen! Niemals werden euch die
Grazien verlassen! Oft werden wir an Sommerabenden uns
in eure frohen Tänze mischen; zwar euern Augen unsichtbar;
aber an einem sanften Beben der Brust, an einem höhern
Gefühl der seligen Triebe der Liebe und des Vergnügens,
einander glücklich zu sehen, werdet ihr unsre Gegenwart erkennen!
Feiert, Töchter Arkadiens, künftig diesen Tag! Er
sey einem Wettstreit in jeder weiblichen Tugend heilig! Und
nur diejenige, welche die Beste ist, erhalte den Preis der
Schönheit!Auf ein Mal entzog sich das himmlische Gesicht den entzückten
Augen, die noch lange weit offen empor schauten,
seine Spuren in der ambrosischen Luft zu suchen. Ueberall
wuchsen Rosengebüsche, wo der Fuß der Grazien den Boden
berührt hatte, und Myrtenhecken und Lauben von Jasmin
schnell empor. In dieser Gegend, die ein andres Paphos
schien, richteten die Arkadier den Grazien einen Altar auf.
Freude und Eintracht und Liebe und Unschuld herrschten
unter diesen Glücklichen, so lange sie sich des Schutzes der
Liebenswürdigsten unter den Unsterblichen würdig erhielten;
und so oft die Rosen blühten, wurde das Fest der Grazien
gefeiert.
*