C.M. Wieland's Werke.
Fünfundzwanzigster Band.
Zemin und Gulindy.
O Göttin Liebe! Königin der Geister, Was sind wir, wenn nicht du des Lebens Werth Uns fühlen lehrst? Du bist's, die unsre Triebe, Die Winde, die uns wie die Welt beseelen, In süße Harmonien wiegt. Wie schmachtet Das leere Herz, bis du dich drein ergießest? Wie rufen dich die nie entschlafnen Stimmen Der ew'gen angeschaffnen Triebe her? Sanfttönend, gleich dem schwachen Laut der Seufzer, Die einer unerfahrnen Schäferin Den jungen sehnsuchtsvollen Busen heben. O du, mit deiner lächelnden Gespielin, Der Unschuld, lehrest uns ein himmlisch Leben! Ihr, die ihr lebt, o segnet euer Schicksal, Umarmt euch zärtlicher und dankt's der Liebe, Dankt's ihr nur, daß ihr lebt. Der Menschenfeind, Der Unempfindliche, der Böse, dem der Himmel In seinem Zorn ein liebend Herz versagt: Er lebet nicht! Vergnügen, Wonn', Entzückung, Sind ihm, dem Unglücksel'gen, leere Töne. Doch daß ihr stärker fühlt, wie unentbehrlich |
Vor grauer undenkbarer Zeit beherrschte Ein guter Geist, des höchsten Gottes Liebling, Die Elementengeister (Firnaz nennen ihn Arabiens Dichter), Luft und Erd' und Meer Gehorchten ihm mit ihrem geist'gen Volke, Den Gnomen, Nymphen, Sylphen und Sylphiden. Durch einen innern Hang zog diesen Geist Die Menschheit an; vor allen übrigen Geschlechtern war er Adams Kindern hold, Und, ihnen wohlzuthun, sein stündliches Geschäfte. Kindern, die nur erst zu athmen Begannen, gab er geist'ge Hüter zu, Die ungesehn um ihre Häupter schwebten, Und vieler pflegt' er selbst, in deren Zügen Er eines edlern Sinnes und der höhern Bestimmung Spuren fand. Er bildete Des künft'gen Dichters Herz, der seinen Brüdern Den hohen Reiz der Tugend singen sollte; Sorgfältig wacht' er für die junge Schöne, Bei der sich Zärtlichkeit mit Leichtsinn paarte, Und rettete, noch auf dem jähen Rand Des Abgrunds, oft des feur'gen Jünglings Unschuld. |
Vor allen aber, die er liebte, waren Ihm Zemin und Gulindy an sein Herz |
So sprach der Geist, und nun vernehmet, welch Ein Mittel, seinen Vorsatz auszuführen, Ihm seine Weisheit zeigte. Zemin wurde, Von Kindheit an, der weiblichen Umarmung Entrissen, und von aller Frauen Anblick Geschieden. Seiner Mutter selbst war, ihn Zu sehen, nicht erlaubt. So weit vom Hof Entfernt als möglich, ward er, durch Vermittlung Des Geisterkönigs, in der Stille eines Einsiedlerischen Waldes auferzogen. Hier wuchs und stärkte sich durch Uebungen |
So ward der Geist gebildet, welcher einst Ein zahlreich Volk und sich beglücken sollte. Der Leib, des Geistes Werkzeug, ward zugleich, Durch tausend Uebungen, geformt, gehärtet. Ihm wichen bald die trefflichsten Gespielen. Ein hoher Geist, in jeder Miene sichtbar, Ein Wesen, das beim ersten Blick den Helden, Den Menschenfreund, den tapfern, edeln, guten, Großherz'gen Menschen (der nur ist ein Held!) Verkündiget, beseelte was er that. So wuchs und blüht' er unter Firnaz Augen, Bis sechzehn Sommer hingeflossen waren. Noch war ihm unbekannt, daß ein Geschlecht |
Indeß nun Zenim, mit der schönsten Hälfte Der Menschheit unbekannt, einsiedlerisch Im Schooß der Weisheit wuchs, ward ihm Gulindy Von Firnaz selbst sorgfãltig zugebildet. Auf sein Verordnen wurde auch von ihr Der Männer Anblick stets entfernt. Sie lebte Ihr erstes Pflanzenalter unter Spielen, Mit rosengleichen jugendlichen Mädchen, In einem einsamen Palast, den Firnaz Für sie erbauen ließ, in Unschuld hin. So waren kaum acht Jahr' in ihrer Mutter Umarmungen vorbeigeflohn, als Firnaz Sie heimlich stahl, da sie mit ihrer Sirma (So hieß von ihren Freundinnen die schönste) In einem Labyrinth des Gartens irrte. |
Er brachte sie, auf einer Silberwolke, In eine Insel, die, dem Blick der Schiffer Verborgen, unter ew'gen Wolken ruht. Zwölf Nymphen, schöner als die Morgenröthe, |
Hier blühte, wie der Mai bekränzt mit Rosen Vor andern Monaten, Gulindy auf, Sich unbewußt die Nymphen übertreffend. Nie wallt' ihr junges Herz, von andern Trieben Als von Empfindungen der reinen Unschuld Der Geist, der ihr in weiblicher Gestalt, Minerven gleich, stets gegenwärtig war, Vergaß kein Mittel, ihren sanften Busen Der Liebe, die sie einst empfinden sollte, Vorauszuweihn. Oft führt er sie und Sirma, Beim Zauberschein des Monds, in stille Thäler, Und spielt ihr auf der goldnen Cither Lieder, Von der Geburt der Seele, von der Schönheit Der seligen Natur, und ihrer Unschuld, Und von der Süßigkeit. der heil'gen Freundschaft. Dann floß das ganze weiche Herz des Mädchens In himmlische zufriedne Harmonien; Oft perlten die Empfindungen der Seele In stillen Thränen von den Rosenwangen. Dann schmiegte sie sich sanft an ihre Sirma, Und fühlt in ihrem Arm die Freude doppelt, Und träumt' in ihrer jugendlichen Einfalt Nichts von noch höhern Freuden. Denn es nahm Die Freundschaft noch in ihrem freien Herzen Der Liebe Platz, und alle ihre Wünsche, Und ihre zärtlichsten Verlangen waren |
Indessen naht, gleich einem klaren Bach, Der, kaum ein Quell, aus Marmorklippen sprudelnd, Durch Blumen floß, und nun mit andern Bächen Verstärkt, sich schwellt und eilt ein Strom zu werden, Die Zeit der vollen Jugendblüth' heran. Die Wünsche wachsen nun mit ihrem Busen Zugleich, und oft, wenn sie allein ist, fühlt Sie wundernd in sich selbst ein großes Leeres, Und eine Sehnsucht, die der Freundin Kuß Nicht stillen kann. Oft wenn sie durch den Hain In Schatten irrt, voll angenehmer Schwermuth, Bricht unvermuthet ein geheimer Seufzer Hervor, und wird in ihrem Mund zur Rede. |
"Wie wird mir? welche neue Rührungen? Was fühlest du, Gulindy, welche Seufzer? Was will dieß Schauern, diese Bänglichkeit, Die ohne Ursach' dich so oft ergreift? Was heben dich, mein Herz, für leise Wünsche, Wenn du in Sirma's Arme zärtlich sinkst? Ich such' in ihrem Blick, ob sie mich liebt, Und finde nicht dieß Feuer, das ich suche. Ihr ruhig Aug' ist matt und wenig sagend, Und ihren Küssen scheinet was zu fehlen. |
So spricht sie laut, und wundert sich, da sie Sich sprechen hört. Jetzt naht sie einem Brunnen, Bückt sich herab auf seine glatte Flut Und stutzt, und sieht, begierig und erstaunt, Zum erstenmal ihr unbekanntes Bild. Wie? ruft sie, welche liebliche Gestalt! Sieht aus der Flut mir eine Nymph' entgegen? Wie glänzt ihr Auge! wie erblaßt die Rose Vor ihrer Wangen süßer Röthe! welch Ein zaubrisch Lächeln wallt um ihre Lippen! Doch wie? Dieß Wasserbild regt sich mit mir, Weicht, wenn ich weiche, naht sich wenn ich nahe, Und ist, wenn ich's umarmen will, verschwunden. Weß ist dieß Bild? wie wenn es meines wäre? Ja, ja, so malen sich die Blumen hier, So bückt sich der Jasminstrauch in die Wellen. Es ist mein Bild, in meinen Augen strahlt Dieß Feuer, meinen Mund umfließt dieß Lächeln; Ich seh' es, Sirma hat mir nicht geschmeichelt. |
Allein für wen sind alle diese Reize? Wem blühen diese Wangen? dieser Mund Wem ist er schön? Vergeblich? — —Jene Rose Winkt mir, an meiner Brust zu blühn, und kühlend Mir süße Balsamwirbel zuzuathmen. Wem aber winken diese Rosenwangen? Wem schmückte dich, Gulindy, die Natur So reizend aus, daß du dir selbst gefällst? O wäre doch ein Wesen mir geschaffen, Das stark und zärtlich fühlte, dessen Wünsche Den Wünschen dieser Brust antworteten! Zwar liebt mich Sirma, zärtlicher vielleicht Als andre Freundinnen, doch meinem Durst Nach Liebe nicht genug. O Firnaz, sprich, Ist in der Schöpfung ganzem Umkreis denn Kein Herz, das mir entgegen schlägt, und mich So lieben könnte, wie ich's lieben wollte? Kein Wesen, das mich sucht, und, fänden wir Uns endlich, so in meine Arme sänke, Wie ich an seine Brust? O wär's für mich, Und nur für mich allein, erschaffen! Kennte Kein Glück als mich zu lieben, mir zu leben; Wie ich ihm leben würde, ihm allein! Wie wollt' ich, von der Morgenröth' erweckt, Am frischen Bach die schönsten Blumen lesen, Dein Haar, du Liebenswürdige, zu schmücken! Wie wollt' ich, am Granatbaum neben dir Gelagert, in die Wette mit der Nachtigall, Dir unermüdet meine Liebe singen! Wie wollten wir ein himmlisch Leben leben! Doch welche eitle thörichte Begierden! |
So sprach sie mit sich selbst, in schöner Unruh', Indem durch des Instinctes Macht die Liebe Sie zu dem unbekannten Jüngling zog, Dem Sympathie und Schicksal sie bestimmte. Stilllächelnd hörte sie der Geister König, In einer nahen Wolke, hochvergnügt Daß jede Regung ihres jungen Herzens Unwissend sich in seinen Anschlag fügte. |
Indeß war Zemins Brust von gleichen Wünschen Noch mehr empört, und seine Stirne glich Dem Sommertag, den nach dem schönsten Morgen Gewölk und graue Regen überziehn. Er ist nicht mehr das Bild des muntern Scherzes, Er sucht die Einsamkeit, er flieht den Freund, Er flieht in öde lichtberaubte Wälder. Das neue Grün, das Lachen junger Fluren Verdrießt ihn jetzt: sie sollten traurig seyn, Und seiner Seele düstre Farben tragen. So ward ein ganzes finstres Jahr bereits Verträumt. Zwar liebt er seinen Sittim, Noch wie zuvor, noch leidenschaftlicher Sogar; allein sein unbefriedigt Herz Verlangt noch mehr, verlangt mit Ungestüm |
Einst ging er vor des Morgenrothes Anbruch Im Garten des Palasts allein umher. Die Dämmerung, die allgemeine Stille, Der Flor, der noch die Reize der Natur Verhüllte, alles stimmt' zu seiner Schwermuth. Er irrte lang gedankenvoll umher, Und brach zuletzt in diese Reden aus: |
Nein! nicht vergebens pochen diese Triebe So stark in mir; vielleicht weissagen sie Mir noch ein unbekanntes größres Glück. Wie heftig wünsch' ich oft noch mehr von Sittim Geliebt zu seyn? Ich eil' ihn zu umarmen, Und tausend Zärtlichkeiten, die ich fühle, In seinen Busen auszuschütten. Aber kaum Erblick' ich ihn, so wird mein Herz versteint. Nein, Sittim ist es nicht, dem diese Triebe Bestimmt sind, lieb' ich ihn gleich mehr als alle. Wem sind sie also? Ach! Vielleicht so zwecklos Und eitel wie der Träumenden Entschlüsse, Wie Wolkenbilder, die der Ost zerwehet. Doch die Natur, wo schafft sie was vergebens? Sie, deren Werke mir der weise Mirza Voll Nichtigkeit, voll Harmonien zeigte, Wird sie umsonst ins Herz zukünft'ger Götter Allmächt'ge Wünsche senken? — Nein, gewiß! |
So rief er, und ihn hört vom Wipfel einer Ceder Der Geisterfürst, und malt ein Schattenbild Der göttlichen Gulindy unversehens Vor seine Augen hin; dem folgte Zemin Durch tausend Büsche, bis es allgemach In einen reichten Nebel sanft zerfloß. Und dennoch eilt, mit Flügeln an den Füßen, Er immer noch, auf unbekannten Pfaden, Schwerathmend, dem geliebten Schatten nach, Und wähnt, er sehe bald den Saum von seinem Gewand, bald seinen Schleier durch die Büsche flattern. |
Jetzt ist es Zeit, sprach Firnaz zu sich selbst, Die Herzen, die sich suchen, zu vereinen. Ihm soll Gulindy, deren Ebenbild |
Gleich schwang sich Firnaz auf des Westwinds Fittig Der Gegend zu, wo noch Gulindy schlief. Ihr war, von ihm gesandt, in Traumgestalten Des Jünglings Bild erschienen, wie er irrend In Hainen lief, als ob er einen Freund Mit zärtlich ungeduld'ger Liebe suchte. Sie sah ihn, und ein neuer süßer Schauer Erschüttert' ihre hochgeschwellte Brust; Sie fühlte sich von innerer Gewalt Zu diesem holden Bilde hingerissen. Doch eben da der Fremdling sie entdeckte, Sie staunend ansah, wie an sie geheftet, Dann ihr mit offnen Armen voll Entzückung Entgegen eilt', entfloh das Traumgesicht, Und, eh' sie der Bestürzung und dem Schlummer Sich noch entwand, ward sie im Augenblick, So schnell wie ein Gedank' die Zeit durcheilt, Von Firnaz auf dieselbe Spur gebracht, Wo Zemin traurig ihren Schatten suchte. |
Auf einmal wacht sie auf und sieht sich um, Und wundert sich, wie sie hieher gekommen. Allein, wie wird ihr, da sie Zemin sieht, Das Urbild des geliebten Traumgesichtes, Der ihr entgegen kommt? Wie wird dem Jüngling, Als er die Göttliche, die er so lang |
Sie standen beide stumm und unbeweglich, Und sahn entzückt sich an, doch schlug Gulindy Sogleich mit holder Scham die Augen nieder, Da sie in Zemins Blick das Feuer sah, Das sie gewünscht. O lehnte Thomson mir Nur diesesmal den seelenvollen Pinsel, Des Jünglings tiefe Rührung abzuschildern, Als er in ihrer aufgeblühten Jugend Der ganzen Schöpfung Reiz verschwendet sah! Was für Empfindungen, was für Begeistrung Sog seine trunkne Seel' aus ihren Blicken? Lang' hielt die tiefe zitternde Bewundrung Das Wort zurück im halbgeschloss'nen Munde, Doch endlich brach die Liebe triumphirend Das ehrfurchtsvolle Schweigen; furchtsam nähernd Sprach er zu ihr: "O du, zu der mein Herz In voller Sehnsucht wallt, wie nenn' ich dich? Mit welchen würd'gen Namen grüß' ich dich, Unsterbliche, der Schöpfung schönster Schmuck! Nein, du bist nicht der Erde Schooß entsprossen, Der Himmel lacht aus deinen milden Augen, Vor deinem Reiz verlischt des Frühlings Schimmer. Was für Entzückung fließt aus deinem Blick! Welch neues Leben, welche neue Seele Hauchst du mir ein! — Ja, ja, du bist's! Dich suchte |
Ihr Glücklichen, die ihr der Liebe folgsam In Freuden schwimmt, die euch unsterblich machen, Seht, Kinder, hier den Schöpfer euers Glückes. Daß ihr euch mehr als andre lieben könnet, Daß euern zärtlichen Umarmungen Die Seligkeit der Himmlischen entsprießt, Dieß ist mein Werk. Ihr waret vom Geschick Einander zugedacht; ihr solltet lieben. Ihr fühltet euch einander unentbehrlich; Die Stimme der Natur,, die mein Bemühn Vernehmlicher gemacht, rief euch zusammen. Nun, meine Kinder, habt ihr euch gefunden, Und eures künft'gen Lebens schönste Pflicht Und süßestes Geschäft ist, euch zu lieben. Seyd selig! mischet eure Tugenden! |