C.M. Wieland's Werke.
Fünfundzwanzigster Band.
Serena.
Serena war die liebenswürdigste Der Töchter ihres Landes, schön und gut; So schön, daß sie zu einer Liebesgöttin Ein {Alkamen} zum Muster nehmen konnte; So gut, daß jede Mutter ihren Töchtern Zum Vorbild immer nur Serenen gab. Beim ersten Blick enthüllte Geist und Herz In ihren Augen sich, und jeder Zug Des lieblichen Gesichts war Bürge einer Tugend, Sie war die Zierde glücklicher Gefilde, Wo, eines großen Gutes Erbin, sie Des Lebens frühen Lenz in Unschuld unter Der besten Mutter Augen froh verlebte, Und Küsse, welche die Natur dem Freunde Bestimmt, unwissend einer Freundin gab. So schwebte, einem jungen Engel ähnlich, Der Jugend Morgenröthe über ihr Dahin, ach! ahnungslos, wie bald Des schönsten Tages Hoffnung ein zerstörendes Gewitter niederdonnern werde! |
So lebte sie kaum achtzehn Jahr' ein Leben, Das oft die Engel auf die Erde lockte, Als plötzlich sich die schönste Scene wandelt. |
Ein Vater, welchem Ehrfurcht, Stolz und Geiz Und jene Denkart, die des Herzens Stimme Für Schwärmerei erklärt, das leiseste Gefühl der Menschlichkeit vorlängst geraubt, Zwang sie, sich selbst Jokasten Preis zu geben, Dem lasterhaft'sten Jüngling seiner Zeit, Berüchtigt, unerfahrner Mädchen Einfalt, Der Frauen Tugend und der Häuser Ruhe Mit glücklichem Erfolg bestürmt zu haben. Allein in Harpax Sinn gilt Stand und Reichthum Die ganze Schaar der armen Tugenden. Der treuen Mutter ernstes Widerstreben War so vergeblich, als der Tochter Jammern. |
Jokasto, dem Gesetz und Priestersegen Das ungerechte Recht (das schändlichste Von allen Unterdrückungsrechten) gab, Der Schönheit und der reinsten Unschuld Blüthe Mit frevelhaftem Schwelgen zu entweihen, Ward bald genug der Reize überdrüssig, Wovon der beste Theil an ihm verloren ging, Und kehrt' aus seiner Gattin, keuschen Armen Auf schnöder Phrynen feilen Schooß zurück. Umsonst bemüht sie sich, durch Zärtlichkeit, Durch wache Sorgfalt über ihre Pflichten, Durch Unterwerfung, ja durch Thränen oft, Das Herz des Unempfindlichen zu ändern. Der Reiz, der ihn an Fremden bis zum Unsinn Bezauberte, verlor an seiner Gattin, bloß Durch diesen Namen, alle Macht an ihm. |
Wie unglückselig brachte nun Serena Des Lebens Morgen zu! In einer Zeit, Da alles Freude winkt, und ihre Seele, An eines edlern Freundes Seite glücklich, Gleich einer Himmelsblume aufgeblühet wäre, Verweint sie ihrer Jugend beste Kraft, |
Indessen kam Arist in diese Gegend, Wo er ein Gut besaß, das an die Flur Jokastens gränzt': ein Jüngling edlen Stammes, Den die Natur mit ihren schönsten Gaben Verschwendrisch ausgeschmückt. Der reinste Kern Der Wissenschaften hatte seinen Geist Genährt, die Welt und selbst der Hof Sein Herz nicht angesteckt, nur seine Tugend Verschönert und Gefälligkeit gelehrt. Es blitzt in seinem feuervollen Auge Was Ueberwindendes, ein sanft Gemisch Von Ernst und Majestät und milder Anmuth; Die Redlichkeit saß auf der freien Stirn, Und edler Anstand zierte, was er that. Er hatte nie geliebt. Sein großes Herz Fand nur die Tugend schön, und, wie man sagt, Ward diese von den Schönen seiner Zeit Den Schäferinnen, die die Einfalt kleidet, Den dichterischen Mädchen, überlassen. |
Jokasto hatt' auf Schulen und auf Reisen Ihn einst gekannt. So wenig sie sich glichen, |
Aristen war der Ruhm von ihrer Tugend, Von ihrer Schönheit und von ihrem Unglück Vorher bekannt. Allein wie tief getroffen Stand er, da er sie selber sah! Die Menge Der Regungen, die ihn auf einmal faßten, Entriß ihn fast sich selbst. Die Obermacht Der Tugend, die ihr ganzes Antlitz bildet, Der matte Reiz, der nicht gefallen will Und doch gefällt, ein Auge, das umsonst Verbergen will was ihre Seele leidet, Wie rührt dieß alles sein empfindlich Herz! Oft muß sich ihr sein Auge schnell entziehen, Um seine Wehmuth, stets bereit in Thränen Zu schmelzen, nicht zu deutlich sehn zu lassen. |
Sie lieset, was für sie der Edle fühlt, In seinem Auge, das mit stillen Klagen, Und Blicken, die zugleich sein großes Herz Und seine unglücksel'ge Lieb' entdecken, Sie innig rührt. Nie hattest du, Natur, Ein gleicher Paar an Zärtlichkeit und Tugend |
So sehr Serena auch sich selbst besitzt, Verbirgt sich doch ihr fühlend Herz nicht ganz; Ein halber Blick, der seinem Blick begegnet, Ist schon genug, sie wehmuthsvoll zu machen. Arist verließ sie kaum, so brach sein Schmerz, Nun ungehemmt, in heiße Thränen aus. Er weinte lange, bis sich sein Gefühl In Klagen mildern konnt': ach, rief er aus, Daß ich sie sehen muß! o, mein Verhängniß, Warum mußt' ich sie sehn? Zu spät sie sehn! Die Göttliche! — Der erste Anblick hat Mit Flammenzügen, die der Tod nicht löschet, Ihr himmlisch Bild in meine Brust gegraben! Wer muß der seyn, der solche Reizungen Besitzt und ihren hohen Werth nicht fühlt? Wem haucht ihr Bild nicht eine bess're Seele, Nicht Lieb' und Mitleid ein? — O sprich warum, Verhängniß! trenntest du zwei gleiche Herzen So grausam? Warum muß die schönste Liebe, Die Liebe, die sonst meiner Tugenden Erhabenste, mein Stolz gewesen wäre, Jetzt ein Verbrechen seyn, das mir die Pflicht Verbeut? —Die reinste Liebe soll ich tödten? Wie kann ich's? — wie? — Dich, göttliche Serena, Nicht lieben soll dich dieses Herz, worin Dein holdes Bild, mit jedem dieser Züge Der engelgleichen Unschuld, allen Raum Erfüllt, und alle Wünsche zu sich reißet? Nein, meine Liebe kämpft nicht mit der Pflicht. |
So klagt' er seinen mitleidwerthen Jammer; Doch hielt die Tugend und die Zärtlichkeit Ihn ab, sein Herz Serenen mehr zu öffnen, Als seine Augen, sein verwirrtes Ansehn Und seine still entfliehnden Seufzer thaten, So oft sie sich begegneten. Sie hatten Sich vielmals schon auf diese Art gesehn, Und jedesmal blieb seine Zärtlichkeit Unausgesprochen, wie sein Schmerz. Auch sie, So streng die Tugend jeden Blick bewachte, War zur Verstellung viel zu offenherzig, Und ließ ihr Mitleid über seine Qual Ihn öfters sehn. Oft hub sich ihre Brust Von unterdrückten Seufzern, langsam athmend, Oft wandte sich in schüchterner Verwirrung Ihr Auge von dem seinen weg. Allein Arist bemerkte selten diese stummen Zeugen Von ihrer unglücksel'gen Sympathie. Die Zärtlichkeit erlaubt' ihm nicht, die Spuren Der Gegenlieb' in ihrem Aug' zu suchen. Was half ihm auch die traurige Entdeckung? Sie mehrte nur sein unheilbares Elend. |
Zusehends schwand indessen in Serenens Gestalt der Jugend Blüthe. Ihr Verhängniß, Jokasto's Grausamkeit, die täglich wuchs, Die zärtliche Empfindung für Aristen, Sein Elend, ihre Qual, die Furcht der Zukunft, |
Arist sah ihre bleichen Wangen welken; Je mehr sie dem Verblühn sich näherte, Je rührender ward ihm ihr Anblick. Oft Beschloß er sie zu trösten, seinen Schmerz, Wie wüthend er auch war, ihr zu verbergen, Und durch die Ueberredungen der Weisheit Ihr leidend Herz in sanfte Ruh' zu wiegen. Jetzt will er reden, doch ein kalter Schauer Erschüttert ihn, da ihm ihr Blick begegnet. Das bängeste Gefühl der eignen Pein Verwischt die herzerhebenden Ideen, Womit er sie und sich erheitern will. Er flieht Serenens Gegenwart, die beiden So traurig ist. Umsonst spricht die Vernunft Ihm Ruhe zu; sie selber kann ja nicht Empfindungen verdammen, die so edel, so Gerecht sind. Immer schwebt ihr rührend Bild Vor seinen Augen, immer sieht er sie, Den thränenvollen Blick zum Himmel aufgehoben, duldend wie ein stilles Lamm Ihm, schweigend, ihres Schicksals Härte klagen. |
Einst ging Arist an einem Sommerabend Allein, und tief in seine Qual verhüllt, Durch ein Gehölze in Jokasto's Flur. Für jede freie Brust, die, unbestürmt Von Sorg' und Gram, der Freud' entgegenathmet, |
Er irrte tiefer in den Hain, bis er An eine hohe Laube kam, aus Geißblatt Und blühender Akazia gewölbet. Er nähert langsam sich. Doch wie bestürzt Bebt er zurück, da er Serenen, einsam Halb von der Laube Dunkelheit beschattet, Voll Schwermuth sitzen sieht, ihn nicht bemerkend. Ihr weißer Arm stützt ihr tiefsinnig Haupt, Das matt und welk auf ihren Busen hängt, Die Seufzer ihres bangen Herzens zittern Durch die benachbarten Gebüsch'. Arist, Den diese Scene, die er nicht vermuthet, In traurig's Staunen setzt, hört ihren Klagen, Von einem dichten Strauch verborgen, zu. |
"O dunkles unergründliches Verhängniß, Zur Qual nur lebend seyn! Ach welch ein Leben! Wie lang ist's schon, seitdem der Freude Lächeln Vor mir verschwand? Seitdem für mich die Schöpfung Zur Wüste ward, der Tag zur Mitternacht, |
So sagte sie, und sah mit heiterm Auge, Nicht thränend mehr, die Brust mit Trost erfüllt, Gen Himmel auf. Und freundlich sah hinwieder Der Mond auf sie herab; es schienen ihr Die Hügel ringsumher, als wie ätherisch, Mit Glanz umflossen. Um sie schwebt ihr Schutzgeist Unsichtbar her, und labt ihr Ohr und Herz Mit ihr allein vernommnen Melodien. |
Sie geht und läßt den unglücksel'gen Freund, Von tausend kämpfenden Bewegungen Zerrissen; langsam schlägt sein banges Herz, |
Indessen legt Serena sich, den Tod Erwartend, nieder. Ruhig sah sie ihn Herbeinahn; froh wie eine Braut der Ankunft Des langentbehrten Freunds entgegensiehet. Er kam in Cherubinischer Gestalt: Statt nächtlichschwarzer Todesschrecken glänzte Des Himmels Heiterkeit um ihn; es tönten Einwiegende ätherische Accente Von Engelsharfen Ruhe in ihr Herz, Das, immer schwächer pochend, endlich ganz Zu schlagen aufhört, während ihre Seele, Erst sanft betäubt in süßer Ohnmacht, dann Von himmlischen Begeistrungen verzückt, Dem Genius in die Arme sinkt, der sie Mit festlichem Triumph ins wahre Leben führt. |
Erwartet nicht, daß ich Aristen schildre, Als er die Freundin todt vor sich erblickte! Daß ich ihn male, diesen Unglücksel'gen, Der, sinnlos und betäubt, in Todesschmerzen Dahinsinkt, dann sich langsam wieder sammelt, Und den gelindern Schmerz, der nun vertobt hat, In Thränenbächen ausweint. — Nein! ihn malte kein {Timanthes} nicht, nicht Dürer, weinen gleich Die Engel selbst den leidenden Erlöser, Den, noch im höchsten Leiden groß und göttlich, Sein seelenvoller Griffel dargestellt: Ihn könnte nicht die allerzärtlichste Der Frauenseelen, Englands {Singer,} schildern. |
Er floh die Welt. Sie hatte lange schon Nichts Reizendes für ihn. Doch jetzt noch minder, Da mit Sternen alle seine Wünsche Zur Ewigkeit sich aufgeschwungen hatten. In einem abgelegnen Aufenthalt Lebt' er, was ihm zu leben übrig war, Der Weisheit und Serenens Angedenken. Des Schmerzens Wuth verwandelte sich jetzt In eine sanftere Melancholie, Die Ernst und Mattigkeit auf all sein Thun Und jede Miene goß. Sein Antlitz glich Dem Angesicht der Erde, wenn den Himmel Ein herbstlich weitumschattend Grau bewölkt, Und nach und nach der Auen Glanz erlischt. Doch Ruh' und Hoffnung war in seiner Seele. Er pries die Vorsicht, die Serenens Leiden Ihr Ziel gesetzt; er sah sie in den Chören Der englischen Gespielen, am Krystall Der Himmelsbäch', und sehnte sich zu ihr. Sie schien ihm jeder Handlung heil'ger Zeuge; Wie zärtlich war er für sein Herz besorgt, Es ihrer Liebe würdig zu erhalten! Vielleicht war's auch Serenens Gegenwart, Der Anhauch ihres Nektarmundes, der In stillen, der Betrachtung heil'gen Stunden, Jetzt leis' ihn anweht, jetzt entzückt dahinreißt. Oft in der Wälder dichtgewölbten Gängen, Zur Abendzeit, sah er, in holden Träumen, Die Himmlische, wie sie auf Regenbogen Hernieder sank. Aus ihren Mienen strahlte Die Würde der Unsterblichen, die Anmuth |