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C.M. Wieland's Werke.

Fünfundzwanzigster Band.

Serena.

Serena war die liebenswürdigste
Der Töchter ihres Landes, schön und gut;
So schön, daß sie zu einer Liebesgöttin
Ein {Alkamen} zum Muster nehmen konnte;
So gut, daß jede Mutter ihren Töchtern
Zum Vorbild immer nur Serenen gab.
Beim ersten Blick enthüllte Geist und Herz
In ihren Augen sich, und jeder Zug
Des lieblichen Gesichts war Bürge einer Tugend,
Sie war die Zierde glücklicher Gefilde,
Wo, eines großen Gutes Erbin, sie
Des Lebens frühen Lenz in Unschuld unter
Der besten Mutter Augen froh verlebte,
Und Küsse, welche die Natur dem Freunde
Bestimmt, unwissend einer Freundin gab.
So schwebte, einem jungen Engel ähnlich,
Der Jugend Morgenröthe über ihr
Dahin, ach! ahnungslos, wie bald
Des schönsten Tages Hoffnung ein zerstörendes
Gewitter niederdonnern werde!

Serena, ohne sich gesell'gen Freuden Ganz zu entziehn, gefiel sich schon als Kind Mehr in der Einsamkeit, und schlich sich unvermerkt Davon, sobald die Freuden rauschend wurden. Dann war ihr liebster Aufenthalt Ein stilles Thal, ein dunkler Buchenwald, Wo, an der Musen Hand, ihr junger Geist Aus dieser schalen Welt sich in die Dichterwelten Der Tugend und der Freiheit flüchtete, Dann unter einer selbstgewachs'nen Laube Sich in Betrachtungen verlor; zuweilen Auf weichen Veilchen schlummernd, in Gesichten Des Himmels schönern Frühling sah, und dich, Von dem die Schönheit dieser Unterwelt Nur ein erstorbner bleicher Abglanz ist.

So lebte sie kaum achtzehn Jahr' ein Leben,
Das oft die Engel auf die Erde lockte,
Als plötzlich sich die schönste Scene wandelt.
Ein Vater, welchem Ehrfurcht, Stolz und Geiz
Und jene Denkart, die des Herzens Stimme
Für Schwärmerei erklärt, das leiseste
Gefühl der Menschlichkeit vorlängst geraubt,
Zwang sie, sich selbst Jokasten Preis zu geben,
Dem lasterhaft'sten Jüngling seiner Zeit,
Berüchtigt, unerfahrner Mädchen Einfalt,
Der Frauen Tugend und der Häuser Ruhe
Mit glücklichem Erfolg bestürmt zu haben.
Allein in Harpax Sinn gilt Stand und Reichthum
Die ganze Schaar der armen Tugenden.
Der treuen Mutter ernstes Widerstreben
War so vergeblich, als der Tochter Jammern.

Ach! nicht der Thränenstrom der schönen Unschuld, Sogar die händeringende Verzweiflung, Die um den Tod als eine Wohlthat flehte, Erweichten den entmenschten Vater nicht! So wurde dann Serena (deren Arm Die Allmacht der Religion allein Zurückhielt, sich das Leben nicht zu nehmen), So wurde sie, von allen Redlichen Beklagt, ein Raub des sieggewohnten Lasters!

Jokasto, dem Gesetz und Priestersegen
Das ungerechte Recht (das schändlichste
Von allen Unterdrückungsrechten) gab,
Der Schönheit und der reinsten Unschuld Blüthe
Mit frevelhaftem Schwelgen zu entweihen,
Ward bald genug der Reize überdrüssig,
Wovon der beste Theil an ihm verloren ging,
Und kehrt' aus seiner Gattin, keuschen Armen
Auf schnöder Phrynen feilen Schooß zurück.
Umsonst bemüht sie sich, durch Zärtlichkeit,
Durch wache Sorgfalt über ihre Pflichten,
Durch Unterwerfung, ja durch Thränen oft,
Das Herz des Unempfindlichen zu ändern.
Der Reiz, der ihn an Fremden bis zum Unsinn
Bezauberte, verlor an seiner Gattin, bloß
Durch diesen Namen, alle Macht an ihm.
Wie unglückselig brachte nun Serena
Des Lebens Morgen zu! In einer Zeit,
Da alles Freude winkt, und ihre Seele,
An eines edlern Freundes Seite glücklich,
Gleich einer Himmelsblume aufgeblühet wäre,
Verweint sie ihrer Jugend beste Kraft,

Und ist für jede Freude todt. Der Tag In allem Glanz des Sommers ist ihr schwärzer Als Mitternächte; nichts als in der Einöd', Die an ihr Landhaus gränzt, die Einsamkeit, Und des erseufzten Todes Bild, gibt ihr Ein linderndes tiefsinniges Ergötzen. Sie war zu edel, ihres Mannes Laster Und ihren Jammer andern zu entdecken; Der Schmerz, den uns ein Freund zur Hälft' erleichtert, Drückt ihre Brust mit seiner ganzen Last.

Indessen kam Arist in diese Gegend,
Wo er ein Gut besaß, das an die Flur
Jokastens gränzt': ein Jüngling edlen Stammes,
Den die Natur mit ihren schönsten Gaben
Verschwendrisch ausgeschmückt. Der reinste Kern
Der Wissenschaften hatte seinen Geist
Genährt, die Welt und selbst der Hof
Sein Herz nicht angesteckt, nur seine Tugend
Verschönert und Gefälligkeit gelehrt.
Es blitzt in seinem feuervollen Auge
Was Ueberwindendes, ein sanft Gemisch
Von Ernst und Majestät und milder Anmuth;
Die Redlichkeit saß auf der freien Stirn,
Und edler Anstand zierte, was er that.
Er hatte nie geliebt. Sein großes Herz
Fand nur die Tugend schön, und, wie man sagt,
Ward diese von den Schönen seiner Zeit
Den Schäferinnen, die die Einfalt kleidet,
Den dichterischen Mädchen, überlassen.
Jokasto hatt' auf Schulen und auf Reisen
Ihn einst gekannt. So wenig sie sich glichen,

Sucht' er doch seine reizende Gesellschaft, Und nöthigt' ihn mit sich an seine Tafel. Hier sah Arist zum erstenmal Serenen, So rührend wie die Tugend, wenn sie leidet: In ihrem Aug', obgleich sein heitres Licht Erloschen war, glänzt etwas Schmachtendes, Das mehr als alles Feuer reizen konnte. Ihr ganzes Antlitz, jeder sanfte Zug Schien wider Willen von Melancholie Umnebelt; und doch blieb die ächte Schönheit Auch im gewaltsamen Verblühen noch entzückend.

Aristen war der Ruhm von ihrer Tugend,
Von ihrer Schönheit und von ihrem Unglück
Vorher bekannt. Allein wie tief getroffen
Stand er, da er sie selber sah! Die Menge
Der Regungen, die ihn auf einmal faßten,
Entriß ihn fast sich selbst. Die Obermacht
Der Tugend, die ihr ganzes Antlitz bildet,
Der matte Reiz, der nicht gefallen will
Und doch gefällt, ein Auge, das umsonst
Verbergen will was ihre Seele leidet,
Wie rührt dieß alles sein empfindlich Herz!
Oft muß sich ihr sein Auge schnell entziehen,
Um seine Wehmuth, stets bereit in Thränen
Zu schmelzen, nicht zu deutlich sehn zu lassen.
Sie lieset, was für sie der Edle fühlt,
In seinem Auge, das mit stillen Klagen,
Und Blicken, die zugleich sein großes Herz
Und seine unglücksel'ge Lieb' entdecken,
Sie innig rührt. Nie hattest du, Natur,
Ein gleicher Paar an Zärtlichkeit und Tugend

Einander zugedacht; das Schicksal nie Tyrannischer zwei Liebende getrennt.

So sehr Serena auch sich selbst besitzt,
Verbirgt sich doch ihr fühlend Herz nicht ganz;
Ein halber Blick, der seinem Blick begegnet,
Ist schon genug, sie wehmuthsvoll zu machen.
Arist verließ sie kaum, so brach sein Schmerz,
Nun ungehemmt, in heiße Thränen aus.
Er weinte lange, bis sich sein Gefühl
In Klagen mildern konnt': ach, rief er aus,
Daß ich sie sehen muß! o, mein Verhängniß,
Warum mußt' ich sie sehn? Zu spät sie sehn!
Die Göttliche! — Der erste Anblick hat
Mit Flammenzügen, die der Tod nicht löschet,
Ihr himmlisch Bild in meine Brust gegraben!
Wer muß der seyn, der solche Reizungen
Besitzt und ihren hohen Werth nicht fühlt?
Wem haucht ihr Bild nicht eine bess're Seele,
Nicht Lieb' und Mitleid ein? — O sprich warum,
Verhängniß! trenntest du zwei gleiche Herzen
So grausam? Warum muß die schönste Liebe,
Die Liebe, die sonst meiner Tugenden
Erhabenste, mein Stolz gewesen wäre,
Jetzt ein Verbrechen seyn, das mir die Pflicht
Verbeut? —Die reinste Liebe soll ich tödten?
Wie kann ich's? — wie? — Dich, göttliche Serena,
Nicht lieben soll dich dieses Herz, worin
Dein holdes Bild, mit jedem dieser Züge
Der engelgleichen Unschuld, allen Raum
Erfüllt, und alle Wünsche zu sich reißet?
Nein, meine Liebe kämpft nicht mit der Pflicht.

Wie könnt' ein Trieb aus deinen Augen stammen, Der heilig nicht und deiner würdig wäre? — Ach, ewig will ich weinend um dich klagen, Dich lieben, und durch öde Wüsteneien Dich rufen — Doch wohin verirrst du dich, Mein banges Herz? was klag' ich so vergebens? Kann meine Leidenschaft, so rein sie ist, Das Elend dieser Unglücksel'gen lindern? Ach, alle meine Thränen, alle Qualen Der Seele, die, nur sie beglückt zu sehen, Den fürchterlichsten Tod, das bängste Leben Nicht scheute, sind umsonst; ein leichter Wind Verstreut sie, wie die unerhörten Klagen Des Jünglings, der auf der Geliebten Grabmal Starr wie ein Marmor steht, dann bebt und weinend Gen Himmel sieht und sie vom Schicksal fordert. Ihr alle, die das Schicksal seinen Pfeilen Zum Ziel erwählte, ihr von allen Menschen Die Unglückseligsten, wie viel ihr leidet, O tröstet euch, ich leide mehr als ihr! Nicht wer den liebsten Freund vor seinen Augen Aus edeln Wunden für das Vaterland Sein Leben strömen sieht, mit sterben will, Und doch nicht kann, weil ihn die Sieger fesseln; Auch der nicht, dem die Hoffnung seines Lebens, Die schönste Braut, aus dem entzückten Arme, Vom Blitz gerührt, in schwarze Asche fällt, Fühlt solche Pein, fühlt sie so stark als ich! Ach lohntest du auch nur mit Einem Blick Der Zärtlichkeit, Serena, meine Leiden! O weintest du nur Eine Thrän' um mich,

Der so dich liebt, daß er sein eignes Elend Beim deinigen vergißt; dann wollt' ich willig, Von dir verbannt, auf ewig deines Anblicks, Du Göttliche, beraubt, mein Elend tragen.

So klagt' er seinen mitleidwerthen Jammer;
Doch hielt die Tugend und die Zärtlichkeit
Ihn ab, sein Herz Serenen mehr zu öffnen,
Als seine Augen, sein verwirrtes Ansehn
Und seine still entfliehnden Seufzer thaten,
So oft sie sich begegneten. Sie hatten
Sich vielmals schon auf diese Art gesehn,
Und jedesmal blieb seine Zärtlichkeit
Unausgesprochen, wie sein Schmerz. Auch sie,
So streng die Tugend jeden Blick bewachte,
War zur Verstellung viel zu offenherzig,
Und ließ ihr Mitleid über seine Qual
Ihn öfters sehn. Oft hub sich ihre Brust
Von unterdrückten Seufzern, langsam athmend,
Oft wandte sich in schüchterner Verwirrung
Ihr Auge von dem seinen weg. Allein
Arist bemerkte selten diese stummen Zeugen
Von ihrer unglücksel'gen Sympathie.
Die Zärtlichkeit erlaubt' ihm nicht, die Spuren
Der Gegenlieb' in ihrem Aug' zu suchen.
Was half ihm auch die traurige Entdeckung?
Sie mehrte nur sein unheilbares Elend.
Zusehends schwand indessen in Serenens
Gestalt der Jugend Blüthe. Ihr Verhängniß,
Jokasto's Grausamkeit, die täglich wuchs,
Die zärtliche Empfindung für Aristen,
Sein Elend, ihre Qual, die Furcht der Zukunft,

In der vielleicht in einer schwachen Stunde Die Tugend dem Gefühle weichen könnte; Dieß alles marterte das sanfte Herz Der Liebenswürdigen, und trocknete Des schönen Lebens Quellen langsam auf.

Arist sah ihre bleichen Wangen welken;
Je mehr sie dem Verblühn sich näherte,
Je rührender ward ihm ihr Anblick. Oft
Beschloß er sie zu trösten, seinen Schmerz,
Wie wüthend er auch war, ihr zu verbergen,
Und durch die Ueberredungen der Weisheit
Ihr leidend Herz in sanfte Ruh' zu wiegen.
Jetzt will er reden, doch ein kalter Schauer
Erschüttert ihn, da ihm ihr Blick begegnet.
Das bängeste Gefühl der eignen Pein
Verwischt die herzerhebenden Ideen,
Womit er sie und sich erheitern will.
Er flieht Serenens Gegenwart, die beiden
So traurig ist. Umsonst spricht die Vernunft
Ihm Ruhe zu; sie selber kann ja nicht
Empfindungen verdammen, die so edel, so
Gerecht sind. Immer schwebt ihr rührend Bild
Vor seinen Augen, immer sieht er sie,
Den thränenvollen Blick zum Himmel aufgehoben,
duldend wie ein stilles Lamm
Ihm, schweigend, ihres Schicksals Härte klagen.
Einst ging Arist an einem Sommerabend
Allein, und tief in seine Qual verhüllt,
Durch ein Gehölze in Jokasto's Flur.
Für jede freie Brust, die, unbestürmt
Von Sorg' und Gram, der Freud' entgegenathmet,

War diese Gegend und des Abends Anmuth Ein irdisches Elysium. Allein Wohin Arist den kummerschweren Blick Voll Anmuth wirft, sieht er des Todes Farben. Schon stieg der Mond in halbem Glanz hervor, Die Stille wallt' aus leichten Thaugewölken Von ihm herab, und herrschte um und um. Die Thaler schlummerten, der träge Bach Floß schläfriger, die Nachtigallen schwiegen; Nur schauerte zuweilen durch die Gegend Ein matter West, und schien dem Trauernden Ein Seufzer der Natur, die ihn beklagte.

Er irrte tiefer in den Hain, bis er
An eine hohe Laube kam, aus Geißblatt
Und blühender Akazia gewölbet.
Er nähert langsam sich. Doch wie bestürzt
Bebt er zurück, da er Serenen, einsam
Halb von der Laube Dunkelheit beschattet,
Voll Schwermuth sitzen sieht, ihn nicht bemerkend.
Ihr weißer Arm stützt ihr tiefsinnig Haupt,
Das matt und welk auf ihren Busen hängt,
Die Seufzer ihres bangen Herzens zittern
Durch die benachbarten Gebüsch'. Arist,
Den diese Scene, die er nicht vermuthet,
In traurig's Staunen setzt, hört ihren Klagen,
Von einem dichten Strauch verborgen, zu.
"O dunkles unergründliches Verhängniß,
Zur Qual nur lebend seyn! Ach welch ein Leben!
Wie lang ist's schon, seitdem der Freude Lächeln
Vor mir verschwand? Seitdem für mich die Schöpfung
Zur Wüste ward, der Tag zur Mitternacht,

Die schlummerlose Thränennacht zum Jahr! Wo bist du hin, du süßer Traum der Kindheit? Ihr Tage die mir Augenblicke schienen, Ihr süßen Freuden meiner frommen Jugend, Ihr einsamen Entzückungen, da mich, Von Menschen ungestört, die Engel nur Dem, der mich schuf, mein Daseyn danken hörten, Wo seyd ihr hin? Weh' mir! ihr seyd verschwunden, Auf ewig! O! wie früh verschwandet ihr! Hat je ein fühlend Herz, das seine Wünsche Allein der Unschuld und dem Himmel weihte, Ein grausamer Geschick erfahren? Je Das Unglück schönre Hoffnungen zernichtet? Ach Gott! du liebst zu sehr uns wohlzuthun, Als daß mein Jammer seinesgleichen habe! Verborgner Schluß der ewigen Regierung! O darf ich's wagen, ist's dem Schmerz erlaubt? Warum ward mir ein fühlend Herz gegeben, Zur Tugend und zur Liebe ganz erschaffen? Wenn jenes, dem die Sympathie es zugedacht, Von ihm getrennt seyn mußte! — Ach, ihr holden Betrognen Hoffnungen, ihr Paradiese Voll Engelslust, worein die Phantasie Mich schmeichelnd führt', als noch die süße Freiheit Den edeln Wunsch, geliebt zu seyn, erlaubte! Wo seyd ihr hin? wie schnell seyd ihr verblüht! Zum Unglück zärtlichs Herz! das höher schlug, Wenn ich in süßer Täuschung mir den Freund Den liebenswürdigen vor Augen malte, Der mich allein die Liebe lehren konnte! Ich sah die Majestät des Edelmuths

In seinem Anblick, sah die Redlichkeit Auf seiner Stirn, und jeden ernsten Zug Des Angesichts von Menschenlieb' erheitert — Wie zärtlich wallt' in meiner Brust die Sehnsucht Des Edeln werth zu seyn? Wie übt' es sich, Leichtbildsam, in den Armen der Gespielen Zu den Empfindungen der künft'gen Liebe? Was für ein Bild des allerschönsten Lebens Ging da vor meinem Blick vorbei? Wie selig, Wie paradiesisch war da jede Stunde, Die im Gefolge guter Thaten sich Zum Himmel schwang? Wie reich an heitrer Lust Floß unser Leben in die Ewigkeit? — Ach alles ist dahin! Es war ein Traum! Vergeblich hat die Tugend dieses Herz, Als wie ein Genius, bewacht, es einst Dem theuern Freunde, seiner werth, zu schenken! Vergeblich hauchtet ihr, ihr sel'gen Hüter Der frommen Unschuld, unter Frühlingsrosen Empfindungen der Zärtlichkeit mir ein! Und du, den die Natur vielleicht für mich bestimmte, Du Edelmüthiger, so groß, so zärtlich, Wie sich mein Geist den künftigen Freund einst bild'te Der Himmel weiß, wie mich dein Leiden rührt, Wie oft ich, deinen Schmerz nicht mehr zu sehn, Mein thränend Auge plötzlich von dir wandte, Wie gern ich um dein Glück noch mehr als jetzt, Noch mehr, wenn's möglich ist, erdulden wollte. Du, Tugend, zeugest mir, wie rein und heilig Mein Herz ihn liebet! — Ach! er hat verdient Glückseliger zu seyn! — Nie hat sein Mund

Sein Herz verrathen, niemals ging ein Blick Aus seinen Augen, den die Unschuld strafte. Er drückt' in seiner Brust mit tiefem Schweigen Die Seufzer des geheim beweinten Leidens — Wie hätt' er mich geliebt? — Doch, ernstes Schicksal! Auch diese süßen Träume raubst du mir! Die Pflicht verbietet sie! — Zu strenge Pflicht, Die wider alle Triebe kämpft, und das sogar Versagt, was sonst mein Herz geadelt hätte! — Doch flieht nur, flieht, ihr mehrt nur meine Qual, Entflieht ihr Bilder jener Seligkeiten, Ihr eiteln Träume meiner Jugend, flieht! Gewiss're Hoffnungen erheitern mich, Mein Geist, der Angst der steten Klagen müde, Sieht freudigschauernd seine Rettung nah', Und schwebt schon zu den seligen Gefilden Der Ruh' empor. Er sieht den nahen Tod, Und weint ihm froh entgegen — Komm, o komm, Mit deiner umgestürzten Fackel, komm, Du langerseufzter, komm! du hast für mich Nichts Furchtbares: und zeigtest du Dich auch mit allen deinen Schrecken mir, Du wirst mir schön, du wirst mein Engel seyn! Komm, Freund der Leidenden, du letzte Hoffnung Des müden Kummers, schließe diese Augen, Sie haben ausgeweint. — Komm, führe mich Dahin, wo Ruh' und Unschuld ewig herrschen — In welche neue sel'ge Gegenden Wirst du entzückt, mein Geist? Welch einen Glanz, Welch eine Sonne thauen diese Himmel? — Wie wird mir? Wie verliert sich die Erinnerung

Der Noth in Engelslust? Wie süßerquickend Fließt die äther'sche Luft um mich? Was eilen Für göttliche Gestalten, himmlisch lächelnd, Mit offnen Armen auf mich zu? wie zaubrisch Ertönt die Harmonie von ihren Harfen! — Fleuch, Schmerz, entweihe nicht die Seele mehr, Die schon den Himmel fühlt! — Ihr kurzen Tage, Die ihr mich noch von diesem Glücke scheidet, O rauschet schneller fort! — Und du, mein Freund, Dir soll noch meine letzte Thräne weinen, Du bist es werth! — O fühltest du die Ruhe, Die jetzo mich umfängt! mein Leid ist fort. Ja, ja, ich seh' die aufgehellte Zukunft, Wir werden glücklich seyn! — Ihr stillen Lauben, Wo ich vordem den schnellen Lenz versang, Seyd mir zum letztenmal gegrüßt! Ihr Bäche, An denen ich in heil'gen Träumen schlief, Fließt sanfter hin! Ihr vormals werthen Fluren, Nehmt diesen Leib, der einst wie ihr geblüht Und nun erstirbt, mit seinen Thränen auf!

So sagte sie, und sah mit heiterm Auge,
Nicht thränend mehr, die Brust mit Trost erfüllt,
Gen Himmel auf. Und freundlich sah hinwieder
Der Mond auf sie herab; es schienen ihr
Die Hügel ringsumher, als wie ätherisch,
Mit Glanz umflossen. Um sie schwebt ihr Schutzgeist
Unsichtbar her, und labt ihr Ohr und Herz
Mit ihr allein vernommnen Melodien.
Sie geht und läßt den unglücksel'gen Freund,
Von tausend kämpfenden Bewegungen
Zerrissen; langsam schlägt sein banges Herz,

Er athmet ängstlich, wie die letzten Seufzer Des Sterbenden, bis ihm ein Strom von Thränen, Wohlthät'ge Thränen, kurze Lindrung schafft.

Indessen legt Serena sich, den Tod
Erwartend, nieder. Ruhig sah sie ihn
Herbeinahn; froh wie eine Braut der Ankunft
Des langentbehrten Freunds entgegensiehet.
Er kam in Cherubinischer Gestalt:
Statt nächtlichschwarzer Todesschrecken glänzte
Des Himmels Heiterkeit um ihn; es tönten
Einwiegende ätherische Accente
Von Engelsharfen Ruhe in ihr Herz,
Das, immer schwächer pochend, endlich ganz
Zu schlagen aufhört, während ihre Seele,
Erst sanft betäubt in süßer Ohnmacht, dann
Von himmlischen Begeistrungen verzückt,
Dem Genius in die Arme sinkt, der sie
Mit festlichem Triumph ins wahre Leben führt.
Erwartet nicht, daß ich Aristen schildre,
Als er die Freundin todt vor sich erblickte!
Daß ich ihn male, diesen Unglücksel'gen,
Der, sinnlos und betäubt, in Todesschmerzen
Dahinsinkt, dann sich langsam wieder sammelt,
Und den gelindern Schmerz, der nun vertobt hat,
In Thränenbächen ausweint. — Nein! ihn malte kein
{Timanthes} nicht, nicht Dürer, weinen gleich
Die Engel selbst den leidenden Erlöser,
Den, noch im höchsten Leiden groß und göttlich,
Sein seelenvoller Griffel dargestellt:
Ihn könnte nicht die allerzärtlichste
Der Frauenseelen, Englands {Singer,} schildern.

Er floh die Welt. Sie hatte lange schon
Nichts Reizendes für ihn. Doch jetzt noch minder,
Da mit Sternen alle seine Wünsche
Zur Ewigkeit sich aufgeschwungen hatten.
In einem abgelegnen Aufenthalt
Lebt' er, was ihm zu leben übrig war,
Der Weisheit und Serenens Angedenken.
Des Schmerzens Wuth verwandelte sich jetzt
In eine sanftere Melancholie,
Die Ernst und Mattigkeit auf all sein Thun
Und jede Miene goß. Sein Antlitz glich
Dem Angesicht der Erde, wenn den Himmel
Ein herbstlich weitumschattend Grau bewölkt,
Und nach und nach der Auen Glanz erlischt.
Doch Ruh' und Hoffnung war in seiner Seele.
Er pries die Vorsicht, die Serenens Leiden
Ihr Ziel gesetzt; er sah sie in den Chören
Der englischen Gespielen, am Krystall
Der Himmelsbäch', und sehnte sich zu ihr.
Sie schien ihm jeder Handlung heil'ger Zeuge;
Wie zärtlich war er für sein Herz besorgt,
Es ihrer Liebe würdig zu erhalten!
Vielleicht war's auch Serenens Gegenwart,
Der Anhauch ihres Nektarmundes, der
In stillen, der Betrachtung heil'gen Stunden,
Jetzt leis' ihn anweht, jetzt entzückt dahinreißt.
Oft in der Wälder dichtgewölbten Gängen,
Zur Abendzeit, sah er, in holden Träumen,
Die Himmlische, wie sie auf Regenbogen
Hernieder sank. Aus ihren Mienen strahlte
Die Würde der Unsterblichen, die Anmuth

Des Paradieses floß um ihre Lippen; Die Rosenfinger bebten durch die Laute, In deren Goldklang ihre helle Stimme Das Lob der Gottheit sang. — Wie schlug alsdann Aristens Herz! wie flog sein Aug' ihr zu! Voll süßer Wehmuth, voll Gefühle, die Man nur in euch, ihr sel'gen Sphären, fühlet, Und die nur dann sich in des Menschen Seele Aus euch ergießen, wenn sie, vom Gedanken Der Ewigkeit begeistert, über Erd' und Zeit Empor sich schwingt und unter Engel mischt.

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