C.M. Wieland's Werke.
Fünfundzwanzigster Band.
{Balsora.}
In jener Zeit, da sich die Morgenländer Noch vor dem Thron der {Abbassiden} bückten, Herrscht' ein Kalif in Bagdads stolzen Mauern Der die Sicilischen Tyrannen selbst An Grausamkeit zu übertreffen strebte. Sein Leben war ein steter Todesschauer, Den Furcht und schwarzer Argwohn unterhielten. Auf wen sein Auge fiel, in dessen Antlitz Entdeckt' er gleich die Mienen des Verbrechers, Schon bebte sein Gewissen, wenn er Freunde Sich traulich sprechen sah; ein leises Wort Schien wider ihn sich zu verschwören, Und den Verdacht versöhnte nichts als Blut. So hatt' er oft vom unbesorgten Lager Den Ehmann, der, kein nahes Uebel träumend, An seiner Gattin Brust der Ruhe pflegte, Zum Richtplatz hingeschleppt; so mordete Sein Schwert zwei Freunde, deren einziges Verbrechen ihre Freundschaft war, und sie Empfindlicher zu quälen trennt' er sie Im Tode noch, den sie umarmt verlachten. |
Ein junges kaum der Brust entwöhntes Paar War noch allein von dieser Anzahl übrig, Als er, den Stamm der herrschenden Kalifen Dem Throne zu erhalten, sich entschloß, Dieß Paar, des Hauses Rest, vom Hof entfernt Und sicher vor Verdacht erziehn zu lassen. |
Er läßt den Helim, seinen Leibarzt, rufen, Von allen Weisen, welche Persis nährte, Den weisesten. Ihm war in allen Reichen Der Schöpferin, Natur, so weit Erfahrung Und tiefes Forschen reicht, nichts unbekannt Was wissenswürdig ist; vornehmlich hatte Der Sterne Lauf, des Leibes Wunderbau, Und mancher unerkannt wohlthät'gen Pflanze Geheime Tugend viele Jahre schon Bei Tag und Nacht den Forschenden beschäftigt. Groß war sein Geist, doch größer noch sein Herz. Selbst der Kalif, dem niemand redlich hieß, Nahm ganz allein den weisen Helim aus Und ehrte seine wohlgeprüfte Tugend. Dem trug er auf, dir Söhne zu erziehn, Damit sie fern vom höfischen Gepränge, Der Klippe, wo so oft die Unschuld scheitert, Mit Wissenschaft und Arbeit sich bemühten, |
Der Weise führt die königlichen Söhne In seine Wohnung, wo er sie, geschieden Von Hof und Welt, in einem stillen Hain Zur Einsamkeit verschloß. Hier zieht er beide Im Schooß der Weisheit und der Tugend auf. In Unschuld und an sanften Freuden reich Fließt ihre Jugendzeit unmerklich hin. |
Der weise Helim hatt' ein einzig Kind, Ein reizend Mädchen, zärtlich wie die Liebe, Schön wie der Mai, gefällig wie die Unschuld; Das beste Herz schlug in der schönsten Brust, Die schönste Seel' erschien im sanften Feuer Der Augen, und dem holden Mund entfloß, Wie Thau aus Rosen trieft, die süße Rede. Gleich alt als wie die Prinzen, blüht Balsora Mit ihnen auf. Sie liebten beide sie Wie ihre Schwester. Nur Abdallah fühlte Noch etwas mehr; ihn nahm ihr stiller Reiz, Ihr Herz nach seinem Herzen ausgebildet, Ihr ganzes Thun, der Klang von ihrer Stimme, Ihr Blick, ihr Gang, mehr als den Bruder ein. Sie fühlten beid', im Lieben unerfahren, Doch für einander von der Lieb' erschaffen, Mehr, als Geschwister, wenn sie sich umarmten. Für sie nur übte sich sein Mund in Liedern, Die ihren Namen durch die Palmen tönten; Für ihn brach sie in ihrer frohen Unschuld Am Rosenbach neu aufgeblühte Blumen. Oft ruhten sie in zärtlicher Umarmung, |
Wie selig waren sie, von keiner Ahndung Des Unglücks, das ob ihrem Haupte schwebte, Gestört, in ihrem süßen Traum von Wonne! |
Balsorens Schönheit, floh sie gleich den Ruhm, War viel zu groß, um unbekannt zu bleiben. Ihr Ruf drang auf den Flügeln des Gerüchtes Durchs ganze Land bis zu des Fürsten Ohren. Sogleich erwacht in ihm die alte Glut; (Er war zu wenig Mensch zur sanften Liebe) Er fliegt, von ungestümer Neugier glühend, Sie selbst in ihrer Einsamkeit zu sehen. Der Vorwand seine Kinder zu besuchen, Deckt seinen Zweck. Er sah die Schöne heimlich, Und kam, entbrannt von ihrem Reiz, zurück. |
Man holt den Helim plötzlich ins Serai. Ihm schwant sein Unglück; zitternd höret er Gebückt, im Staube, zu des Thrones Füßen, Des Sultans Wort: dein lang geprüfter Eifer Für meinen Dienst verdiente längst Belohnung. Empfang' auf einmal mehr, als sich dein Stolz Im kühnsten Flug zu hoffen je vermaß! Von Stund an, Helim, theile deine Tochter Den heil'gen Thron des Mahomed mit mir! |
Bestürzt vernimmt der Greis dieß Donnerwort. Er kennt Balsorens Herz, doch muß er schweigen. Ihr Schicksal ängstigt ihn, kaum hält sein Muth, Der nie gewankt, die väterliche Zähre |
Er spricht's umsonst. Nichts hemmt des Sultans Willen; Die Fiebergluth, die aus Balsorens Augen Sein Herz erhitzt, gährt schon in allen Adern, Und glüht in jedem Blick. So glüht ein Löwe Vor heißer Brunst, es lechzt der dürre Schlund, Die Flammen schießen funkelnd aus den Augen, Die Mähne strotzet, und mit Wuth im Blick Sucht er die junge Löwin brüllend auf. |
Balsora muß sogleich vor ihm erscheinen. Der Vater selbst soll ihr das Todesurtheil, Des Fürsten Vorsatz, vor dem Thron entdecken. Sie kommt. Man führt sie vor. Ihr matter Blick Verräth die Sorgen der beklemmten Brust. Jetzt zittert Furcht auf ihren bleichen Wangen, Jetzt färbet sie die jugendliche Scham. Mit Wunder staunt der Fürst sie an; so schön Sind, däucht ihn, kaum des Paradieses Nymphen, Die der Prophet den Gläubigen verspricht. |
Doch kaum vernahm die Unglückselige Das zugedachte Glück, so brechen ihr Die Kniee, kalter Schweiß steht auf der Stirn, Und, todtenbleich, sinkt sie am Throne hin. Der Vater {schwichtiget} des Fürsten Grimm, Der aus den Augen droht, mit heißem Flehn. Die Ehre, spricht er, die mein Mund so rasch Ihr kund gethan, der nicht vorher dazu Bereiteten, ist allzu blendend, und |
Der Fürst gesteht es zu. Man trägt Balsoren In ihres Vaters Haus. Nach langer Mühe Schleicht wieder sich das fast erloschne Leben Durch die entnervten welken Glieder hin. Sie fühlt sich wieder selbst; doch sie von neuem Langsamer nur zu tödten, wacht zugleich Bewußtseyn ihres Unglücks auf mit ihr. Wie? ruft sie aus, und ringt die zarten Hände, Du, der du mich, den ich so zärtlich liebe, Dir soll die Hoffnung deiner stillen Seufzer, Der reinsten Treue Lohn, entrissen werden? Ich, die ich dein zu seyn mein einzig Glück, Mein Leben nannt', ich, deiner Seelen Hälfte, Soll, dir geraubt, in fremden Armen leben? O nein! eh' soll dieß Auge, das nur dich Zu sehn liebet, sich auf ewig schließen! So jammerte die Arme Tag und Nacht, Sich selbst verzehrend, bis ein tobend Fieber Sie niederwarf, und nah dem Tode brachte. |
Es wird bekannt; man klagt sie überall; Selbst der Tyrann erzittert vor der Botschaft. Indessen schärft Gefahr und Angst des Alten Erfindsamkeit, und, sicher seiner Kunst, Spricht er zufriednen Muth der Tochter ein; Indem ein Trank, ein Wunder seiner Kunst, Des Fiebers Wuth und die Gefahr des Todes |
Drauf eilt er voll verstelltem Schmerz, mit Asche Das Haupt bestreut, und mit zerriss'nen Kleidern, Balsorens Tod dem Sultan anzuzeigen. Der Fürst, der menschlich nie gefühlt, vernahm Mehr zürnend als gerührt die Trauerpost. Drauf sprach er: weil in allen meinen Reichen Schon ruchtbar ward, wozu ich sie bestimmte, Soll man der Braut die gleiche Ehr' erweisen, Die der Gemahlin widerfahren wäre. Ihr Leichnam werd' ins schwarze Haus gebracht! |
Dieß schwarze Haus war, seit uralten Zeiten, Ein königlicher Dom, aus schwarzem Marmor Gebaut mit grauenvoller Pracht. Hierher Trägt man, sobald der letzte Athem sie Verlassen hat, die herrschenden Kalifen Und was zum königlichen Hause Gehört, um Mitternacht, mit stillem Trauerpompe. Dann werden sie vom ersten Arzt gesalbet, Und auf Porphyr in ihren Reihn gelegt. Der Tod und ew'ge Nacht herrscht in den Wänden Der einsamen erhabenen Gewölbe; Doch zittert um die glänzend schwarzen Pfeiler Der bläulich weiße Schein von tausend Lampen. Kein Sterblicher, selbst der Kalife nicht, Darf dieses Tempels heil'ge Nacht besuchen, Dem ersten Arzt allein bleibt dieses Recht; Von hundert wohl bewehrten Mohren wird Der hundert Thore Eingang stets bewacht. |
Hieher ward Helims Tochter auch getragen. |
Jetzt kommt die Zeit, da sich des Schlaftrunks Kraft Verliert. Balsora wacht zuerst und staunt, (War ihr die List des Vaters gleich bekannt) In diesen furchtbaren Gewölben sich So einsam wieder findend, hebt sich dann |
Wie wird mir, ruft Abdallah, halb erwachend, Mit schwachem Laut, vor dem er selbst erschrickt: So bin ich noch! wo bin ich? welcher Tempel? Welch stiller Glanz? — Wie? seh' ich, oder trügt Ein süßer Traum mein ängstlich liebend Herz? Seh' ich nicht hier Balsora mir zur Seiten? Ja, ja, sie ist's, die Göttliche, sie ist's! Dieß sind des Paradieses stille Grotten, Und dieß der Schatten des geliebten Mädchens — So ruft er, außer sich, die Arme gegen sie Verbreitend, aus; und, länger sich nicht haltend, Fliegt sie, indem die süße Freudenthräne Aus ihrem Aug' auf seine Wange strömt, Mit offnem Arm in seine offnen Arme. O Wonne, unbeschreiblich, wie der Schmerz Mit dem sie dich, du Himmelsluft, erkauften! Mit welchen Wallungen des treuen Herzens Sank er an ihren Mund, sank sie In sanfter Ohnmacht hin an seine Brust! |
Doch der Erhalter ihrer Liebe hatte Für dieses auch gesorgt, und einen Weg, Sie unentdeckt durch die bewachten Thore Heraus zu führen, glücklich ausgesonnen. Der Vollmond naht' herbei. Nun ging im Volke Seit grauer Zeit die allgemeine Sage, Daß, die der Tod dem Fürstenhause raubt, Am nächsten vollen Mond um Mitternacht, In glänzender unsterblicher Gestalt, Aus einer von den Pforten gegen Morgen Hervorgehn und zum Paradiese wallen. Man nannte drum die Pforte insgemein Das Thor zum Paradies. Und diese Sage Half unserm Paar aus dem verhaßten Kerker. |
Der Weise, dessen steter Aus- und Eingang Ins schwarze Haus ganz unverdächtig war, |
Sie kommt, die frohe Nacht. Es eilt erseufzt Der Mond, der gern der Liebe Weg beleuchtet, In vollem Glanz herauf; der weise Vater Eröffnet still das Thor zum Paradiese. Sie gehn heraus. Ihr festliches Gewand, Vom Mond beglänzt, strahlt seinen stolzen Schimmer Weit von sich aus, ambrosische Gerüche Verrathen stracks die himmlische Erscheinung Den Wächtern, die, vor ihrem Glanz erstarrend, Sie für die Geister der Verstorbnen halten. Sie fallen zitternd auf ihr Antlitz hin, Bis die Unsterblichen, durch sie hinwandelnd, Dem langsam kühnen Blick entgangen sind. Nunmehr kommt Helim von der andern Seite, Und führet sie, umschattet von der Nacht, In ein verlass'nes Thal des Berges Khakan, Wo die Gesundheit in den reinern Lüften, |
Kaum trat der Tag aus seinen goldnen Pforten, So eilten schon die Wächter, die Erscheinung Dem Hofe kund zu thun; doch niemand war, Der dem Berichte glaubt; ihn hielt ein jeder Für ein Gedicht, womit dem Hof gewöhnlich Um einen kleinen Lohn geschmeichelt wurde. |
Indeß gelangt mit den geliebten Kindern Der weise Greis auf Khakan glücklich an. Hier schloß die Einsamkeit sie von der Welt In selige vergnügte Thäler ein. Hier, Liebe, schenktest du dem besten Paar In stiller Ruh' die Fülle deiner Wonne. Abdallah, welch ein göttlich Glück war deines! Dir blüht Balsora, dir entwickelt sich Ihr schöner Geist; ihr unbeflecktes Herz, Mit allem Reiz der anmuthsvollen Unschuld, . Mit aller Pracht der jugendlichen Schönheit, Mit allen Himmeln voller Lust, ist dein. So wie ihr euer heitres Leben lebtet, So lebten, in der Zeit der ersten Lenze, An {Ladons} Strand die guten Hirten, die Den Grazien und ihren Zöglingen Mein Geßner singt. Ihr war't, was nicht zu seyn Auf ihrem Thron die Könige beseufzen, Was alle wünschen, wenige nur kennen, Und der nur fähig ist, den die Natur |
Indeß starb der Tyrann, und Ibrahim, Der Völker Lust, bestieg den Thron, wozu Des Bruders allgemein geglaubter Tod, Wiewohl er jünger war, das Recht ihm gab; Und, im Genuß der neuen goldnen Zeiten, Vergaß das Land der vor'gen Thränen ganz. |
Einst da der neue Sultan auf der Jagd Von seinen Leuten sich verloren hatte, Führt' ihn der Zufall, oder war es nicht Vielmehr ein guter Genius? unvermerkt Bis an des Berges Khakans Fuß. Er folgt Dem Fluß, der ihn durch anmuthsvolle Thäler, Die ringsum in der Abendsonne glänzen, Zu einer Reihe stiller Hütten führt. Er eilt hinzu. Doch, denkt euch sein Erstaunen, Da er im Schatten eines Mandelbaums Balsoren mit Abdallah sitzen sieht! Kaum wagt er's dem entzückten Blick zu glauben, Bis er zuletzt des Bruders Stimm' und Bildung, Als wie erwacht aus einem Traum, erkennt, Und freudenvoll in seine Arme sinkt. "So seh' ich euch, die ich so lang beweint, Ihr zärtlichen Gespielen meiner Jugend! Wird mir die größte Freude meines Lebens, Abdallen in Balfora's Arm zu sehn? Welch ein Geschick, welch eine Gunst der Gottheit Hat euch zurück in diese Welt geführt?" |
Sie sagten ihm, was Helim ihm, die Wonne Des Wiedersehens zu erhöhn, verschwiegen; |
Kaum hatte Ibrahim, des Hofs vergessend, Zwei Tag' in ihrer neidenswerthen Einfalt Das zärtliche geliebte Paar genossen, Als der Gedank' ihm kommt, dem ältern Bruder Das Reich, das ihm gebührte, abzutreten, Und da Abdallah unbeweglich dessen Sich weigert, ihm zum wenigsten davon Die Hälfte aufzudringen. Doch vergebens War alles, was er sagte, bat und flehte. Abdallah fand nichts neidenswerth an Kronen, Und sichre Freiheit an des Gatten Seite, Fern von der Welt, im Schooß der Ruhe, war Des Glückes Gipfel in Balsorens Augen. Sie zeigten dem Kalifen, von der Spitze Des fruchtbarn Khakans, ihrer Thäler Glück. |
"Die ganze Flur war, eh' wir sie bewohnten, So sprachen sie, nur eine schöne Wildniß; Sieh', welche Zier ihr unser Fleiß gegeben! Sieh', wie die Anger lachen, wie die Wiesen Von dichtem blumenvollem Grase strotzen, Und von der lüft'gen Ceder überschattet Der Oelbaum und die jugendliche Palme In stolzen Ordnungen die Hügel krönen. Hör' das Geblöck von ungezählten Heerden Sich durch die Thäler hundertfältig brechen. Sieh', wie, den Hirten unschuldsvoll entfliehend, Die Schäferinnen an den Bächen weiden. |
Voll stiller Wünsche kehrt der kluge Fürst Aus ihrem Arm in seinen goldnen Kerker Und eilet jeden langerseufzten Mai Zurück in die Elysischen Gefilde, Bei seinen Lieben wieder aufzuleben. Balsora und ihr Freund genossen bis Ins höchste Alter ihres stillen Glücks und sahn die Ebenbilder ihrer Tugend In edeln Kindern lieblich um sich blühn. Noch jetzt wünscht man in Khakans Gegenden Den Liebenden, sie recht beglückt zu wünschen: Seyd glücklich wie Abdallah und Balsora! |