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Kapitel 

VOLKSMÄRCHEN DER KABYLEN

III. BAND

DAS FABELHAFTE

HERAUSGEGEBEN VON LEO FROBENIUS

1921

VERLEGT BEI EUGEN DIEDERICHS/JENA



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EIN BAND ZEICHNUNG VON F. H. EHMCKE


29. Wettverwandeln

Ein armer Bäcker hatte einen einzigen Sohn, der war jung und klug. Der Vater verdiente aber nicht genug, daß er den Sohn hätte ordentlich kleiden können, und so ging er ständig in schmutzigen Kleidern einher. Der Vater buk jeden Tag eine Anzahl Kuchen. Die legte er auf ein Brett. Das mußte der Sohn auf den Kopf nehmen und damit handelnd durch die Straßen ziehen. Da der Junge geschickt war, gelang es ihm auch täglich, die Ware abzusetzen, und so verdienten Vater und Sohn genügend, um ein einfaches Leben zu führen.

Als der Bursche nun eines Tages mit seinem Kuchenbrett durch die Straßen ging, wurde er aus einem Fenster heraus aufgefordert, in ein Haus zu treten, um seine Waren anzubieten. Er trat ein. Die ihn gerufen hatte, war die junge Tochter eines sehr, sehr wohlhabenden Mannes, und diese hatte ihn weniger der Kuchen wegen, als um in ihrer Einsamkeit durch Zwiegespräch einige Unterhaltung zu haben, hereingerufen. Das junge Mädchen hockte sich denn auch neben den Bäckerburschen auf die Treppe nieder und begann mit ihm zu sprechen. Sie fand die Unterhaltung so angenehm und den Burschen so aufgeweckt, daß sie darüber ganz den Kauf eines Kuchens vergaß, bis der Bursche endlich aufschreckte, weil ihm einfiel, daß er ja bis zum Abend noch all seine Kuchen verkaufen müsse. Da hielt sie ihn nieder und sagte: "Laß das nur meine Sorge sein. Deine Kuchen sollen dir reichlich bezahlt werden. Unterhalte dich noch etwas mit mir."

Das wohlhabende Mädchen unterhielt sich mit ihm bis zum Abend und sie sagte: "So gut habe ich mich noch nie unterhalten. Du bist ein gescheiter Bursche, komm nur morgen wieder." Dabei drückte sie ihm ein Geldstück in die Hand und eilte von dannen. Der Bursche, der das Geldstück für eine Kupfermünze hielt, ging beklommen nach Hause, da er glaubte, einer Tracht Schläge seitens seines Vaters nicht entgehen zu können. Der Vater sah auch sehr zornig auf das noch mit Kuchen gefüllte Brett, nahm auch sehr unlustig das dargereichte Geldstück aus der Hand seines Sohnes. Kaum fühlte der Vater aber das Geld in seiner Hand, so hellte sich auch seine Miene auf, denn die Tochter des reichen Vaters hatte dem Bäckerjungen ein schweres Goldstück zum Geschenk gemacht, so daß der Ertrag dieser Unterhaltung die übliche Einnahme des Burschen weit übertraf.



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Am andern Tage trug der Bäckerbursche wiederum sein Brett mit Kuchen durch die Straßen. Die Tochter des wohlhabenden Mannes rief ihn wieder an und er saß, gleich wie am gestrigen Tage, bei ihr und unterhielt sich mit ihr, und beide, der Sohn des ganz armen Bäckers und die Tochter des sehr wohlhabenden Kaufmannes, hatten eine noch größere Freude an dem Zwiegespräch als gestern. Als es Abend war, gab das wohlhabende Mädchen dem armen Bäckerjungen wieder ein Goldstück für den Vater mit. Am dritten Tage verlief es ebenso.

Am vierten Tage saß der Bäckerbursche wieder auf der Stufe mit der Tochter des wohlhabenden Mannes. Das Mädchen sagte: "Mein Junge, ich will mich immer so gut unterhalten, wenn es dir auch zusagt. Ich bin also bereit, deine Frau zu werden." Der Bäckerjunge erschrak und sagte: "Wo denkst du hinaus! Wie kann ich, der Sohn eines ganz armen Bäckers, dich, die Tochter eines sehr wohlhabenden Mannes, heiraten! Wie sollen mein Vater und ich denn die Brautgabe (thaemams) aufbringen!" Das Mädchen sagte: "Wenn du mich nicht zur Frau nehmen willst, dann hast du recht. Wenn du mich aber heiraten möchtest, dann mußt du selbst wissen, daß du so klug bist, daß dir das gelingen wird, da ich es auch will. Natürlich wird es nicht am ersten Tage gleich gelingen. Aber nach und nach wirst du dahin kommen, wenn du willst!" Der Bäckerbursche sagte: "Ja, ich will." Das reiche Mädchen sagte: "Dann wird es gehen." Der Bäckerbursche sagte: "Erst wird es sehr schwer sein." Das reiche Mädchen sagte: "Daran ist kein Zweifel." Der Bäckerbursche sagte: "Ich will." Dann lief der Bäckerjunge so schnell er konnte nach Hause.

Der Bäckerjunge kam zu seinem Vater und sagte: "Vater, ich will das Mädchen des wohlhabenden Mannes heiraten, mit dem ich mich immer so gut unterhalten habe." Der Vater sagte: "Bist du verrückt?" Der Junge sagte: "Nein, ich bin nicht verrückt. Aber ich bitte dich, morgen zu dem wohlhabenden Manne zu gehen und bei ihm um seine Tochter für mich zu werben."

Der Vater wollte dies nicht tun. Er stellte dem Sohne vor, was er, der ganz arme Bettler, denn dem reichen Manne als Morgengabe darbringen könne. Er sagte ihm, wie unglücklich ein in einem wohl.. habenden Hause erzogenes und verwöhntes Mädchen in einem so armen Hause wie dem des Bäckerjungen sich fühlen müsse. Noch vieles andere sagte der Vater; der Sohn blieb aber dabei, den Vater zu bitten und zu bitten, für ihn um die Tochter des wohlhabenden



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Mannes zu werben. Der Sohn blieb dabei, daß er sagte: "Und wenn die erste Werbung heute nicht gelingt, dann gelingt vielleicht die von morgen oder die von übermorgen."

Der Vater des Bäckerjungen wollte die Bitte seines Sohnes nicht erfüllen. Zuletzt tat er es aber doch. Er machte sich auf den Weg und kam zu dem wohlhabenden Manne. Er trug dem wohlhabenden Manne seine Bitte vor. Der wohlhabende Mann sah ihn erst sehr lange und sehr erstaunt an. Dann ließ er seine drei Negersklaven kommen, daß sie den armen Bäcker packten und hinauswürfen. Die drei Negersklaven packten den Bäcker und warfen ihn zum Hause hinaus, nachdem sie ihn verprügelt hatten.

Zu Hause angekommen, sagte der Bäcker zu seinem Sohne: "Da siehst du, daß ich recht hatte." Der Sohn sagte: "Das habe ich vorher befürchtet. Das erste Mal ist es nicht gelungen. Vielleicht gelingt es das zweite, vielleicht erst das dritte Mal." Der Vater wollte nicht noch einmal zu dem wohlhabenden Manne gehen. Der Sohn bat ihn so, daß er es am zweiten Tage wiederholte. Der reiche Mann war noch erstaunter und sagte: "Das übersteigt jede Unverschämtheit, die mir bisher vorgekommen ist." Der Bäcker wurde wieder von den drei Negersklaven gepackt, verhauen und hinausgeworfen.

Der Vater war nun so hartnäckig in seinem Widerstand, daß der Sohn all seine Beredsamkeit aufbieten mußte, ihn zu einem dritten Werbegang zu überreden. Endlich gelang es, und der Bäcker erschien wieder mit seiner Brautbitte vor dem reichen Manne, und zwar hatte dieser dieses Mal einen Freund zu Besuch, der von dem verrückten Bäcker schon gehört hatte. Der reiche Mann wollte, nachdem der Bäcker seine Bitte vorgetragen hatte, wieder seine Sklaven rufen, daß sie wie sonst den Aufdringlichen packten, schlügen und hinauswürfen. Der Freund zog den wohlhabenden Vater des unterhaltungsbedürftigen Mädchens aber beiseite und sagte zu ihm: "Wenn du fortfährst, den Mann durch die Neger so behandeln zu lassen, wird es noch so kommen, daß er ihnen eines Tages unter den Händen stirbt und dann hast du große Unannehmlichkeiten. Ich rate dir deswegen zu einem andern Verfahren, das auch dahin führen muß, den Mann fernzuhalten. Fordere von ihm eine Brautgabe (thaemams), die er unmöglich beschaffen kann." Der reiche Mann sagte: "Dein Vorschlag ist gut. Sage mir doch etwas, was unmöglich zu beschaffen ist." Der Freund dachte nach und sagte: "So fordere von ihm das Ladjib jarbe (eine mystische Sache). Kein Mensch weiß, was Ladjib jarbe ist und keiner kann sagen, wie man Ladjib



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jarbe beschafft." Der Reiche sagte: "Ich danke dir für deinen Vorschlag, mein Freund."

Der Reiche trat wieder zu dem Bäcker und sagte ihm: "Die Bitte deines Sohnes um die Hand meiner Tochter ist so unerhört, daß ich auch eine unerhörte Forderung für Brautgabe stellen muß. Sage deinem Sohn, daß ich ihm meine Tochter zur Frau geben würde, wenn er mir Ladjib jarbe verschafft und vorführt." Der Bäcker ging.

Der Bäcker kam nach Hause und sagte erregt zu seinem Sohne: "Nun hast du den Erfolg des Brautwerbens. Ich bin zwar heute nicht von den Negersklaven verhauen und hinausgeworfen worden, wohl aber hat der Vater deines schönen unterhaltungsbedürftigen Mädchens mir die Forderung der Brautgabe genannt, die du niemals erfüllen kannst. Banne die Sache also aus deinem Kopf." Der Bäckerbursche fragte: "Wie lautet denn die Thaemamsforderung des Vaters ?" Der Vater sagte: "Der reiche Mann will dir seine Tochter geben, wenn du ihm Ladjib jarbe verschaffst und vorführst." Der Bäckerjunge sagte: "Ich will sehen, ob ich das kann. Hier bekomme ich das nicht. Ich will aber in die Welt hinauswandern und sehen, ob ich irgendwo erlernen kann, was Ladjib jarbe ist."—Am andern Tage nahm der Bursche von seinem Vater Abschied und wanderte von dannen.

Sechs Monate lang wanderte der Bäckerjunge, ohne daß es ihm gelang, in Erfahrung zu bringen, was Ladjib jarbe eigentlich sei und bedeute. Er arbeitete bald hier, bald dort, lernte viele Fertigkeiten und den Umgang mit Menschen. Er scheute keine Arbeit und schärfte Verstand und Rede; aber was Ladjib jarbe sei, das vermochte er nicht zu erfahren.

Eines Tages ging er auf der Landstraße einem fernen Ort zu und traf da einen Juden. Der Bursche hatte nichts zutun. Der Jude suchte einen Lehrling. Der Jude fragte: "Wo gehst du hin?" Der Junge sagte: "Ich gehe dahin, wo ich Brot finde." Der Jude sagte: "Dann komm mit mir. Ich will dir Brot geben." Der Jude führte den Burschen in sein Haus und hieß ihn dann in einer Kammer niedersitzen. Der Jude ging auf den Hof.

In der Kammer war die Tochter des Juden, es war ein hübsches Mädchen, das sehr einsam lebte und erfreut war, in dem Burschen einen Kameraden zu gewinnen. Das Mädchen sagte sogleich Zum Burschen: "Bursche, du weißt, daß mein Vater jeden Zauber aus führen kann, den es gibt. Er will dich als Lehrling nehmen; er wird



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dich aber, sobald er merkt, daß du gescheit bist, entlassen. Wenn du also lange hierbleiben willst, was mich sehr freuen würde, so stelle dich sehr dumm an und tue stets so, als ob du von alledem, was mein Vater macht und kann, nichts verstehst." Der Bursche bedankte sich und sagte, daß es ihm, da er glaube, hierzu klug genug zu sein, nicht schwer fallen würde, sich immer genügend töricht zu stellen.

Der Bursche blieb bei dem Juden. Der Bursche war fleißig und tat alles, was der Jude ihm befahl. Wenn der Jude ihn aber einmal fragte ob er verstanden habe, wozu und warum dieses oder jenes getan worden sei, so sagte der Bursche stets: "Ich bitte dich, mich jede Arbeit ausführen zu lassen, die dir nützlich ist. Ich bitte dich aber, mich nicht mit so schwierigen Fragen zu quälen, denn ich habe einen kurzen Verstand und bin deswegen schon aus der Schule gejagt worden. Verlange bitte nicht von mir, daß ich mich mit Nachdenken anstrenge, denn ich werde dann meine andern Arbeiten nicht mehr mit der genügenden Sorgfalt ausführen können." Mit dieser Antwort war der Jude sehr zufrieden und so vernachlässigte er es, genügend zu beobachten, was der Bursche in seinen Mußestunden tue. Sonst hätte er es merken müssen, daß der Bursche mit Hilfe seiner Tochter, die den Burschen sehr lieb gewonnen hatte, alle Zauberbücher abschrieb und alle einzelnen Griffe der Zauberei erlernte.

Als der Bursche nun alles gelernt hatte, schrieb er seinem Vater, er weile da und da und habe auch manches gelernt. Er wolle nun nach Hause kommen, habe aber den Weg vergessen. Darum bäte er den Vater, daß er ihn da und da abholen möge. Der Bäcker empfing den Brief. Er war sehr erfreut, von seinem Sohne endlich einmal etwas zu hören, und er machte sich sogleich auf den Weg. Der Bursche nahm von der Tochter des Juden Abschied, packte seine Bücher zusammen und ging seinem Vater entgegen. Der Bäcker und sein Sohn trafen sich. Der Bäcker war über die Maßen glücklich, seinen Sohn wieder gefunden zu haben und beide begaben sich auf den Heimweg.

Nachdem sie einen Monat lang gewandert waren, schlug der Bursche seine Zauberbücher nach und sah, daß ganz nahebei Leute auf einer Jagd sich befanden, die aber erfolglos war, weil sie keinen Hund hatten. Er rief also seinen Vater herbei, zog ein Hundehalsband heraus und sagte: "Lege mir dieses Halsband um, dann werde ich ein Hund werden. Mit dem Hund gehe an jenen Ort, wo du Jäger triffst, die dir den Hund abkaufen werden wollen. Verkaufe



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den Hund für fünfzig Goldstücke, vergiß aber ja nicht bei dem Verkaufe das Halsband für dich zu behalten, mir also abzunehmen, sonst werde ich nicht imstande sein, zu dir zurückzukehren." Der Bäcker merkte sich alles genau, legte dem Burschen das Hundehalsband um und führte ihn, der sich sogleich in einen Hund verwandelte, an die angegebene Stelle. Die Jäger sahen den Hund. Sie kamen sogleich heran und baten den Bäcker, ihnen den Hund zu verkaufen. Der Bäcker verkaufte den Hund für fünfzig Goldstücke, nahm das Halsband ab und ging weiter. Der Hund lief dann eine Zeitlang mit den Jägern, verkroch sich dann in einen Busch und verwandelte sich dort wieder in den Burschen. Die Jäger suchten und suchten nach dem Hunde. Inzwischen war der Bursche wieder bei seinem Vater angekommen und wanderte mit diesem den Weg der Heimatstadt zu.

Nachdem sie wieder einen Monat weit gegangen waren, schlug der Bursche in seinem Zauberbuche nach und sah, daß sie gerade auf ein Dorf zukamen, wo die besten Schützen um einen Gewinn nach dem Ziele schossen, ohne daß einer mitten in das Ziel zu treffen imstande war, weil alle Gewehre nichts taugten. Da gab der Bursche seinem Vater ein Gewehrfutteral und sagte: "Ziehe dieses Gewehrfutteral mir über den Kopf. Ich werde mich dann sogleich in ein Gewehr verwandeln. Mit dem Gewehr gehe in die Stadt. In der Stadt schießen die Leute gerade um die Wette nach einem Ziele. Keiner aber trifft. Tritt du zu ihnen und schieße mit deinem Gewehr. Du wirst sogleich mitten hinein treffen und zwar jedesmal, so oft du anlegst. Die Leute werden mich dann kaufen wollen. Verkaufe das Gewehr für fünfzig Goldstücke, behalte aber ja das Futteral bei dir. Verkaufe das Futteral ja nicht, sonst kann ich nicht zu dir zurückkommen. Dann geh weiter und warte da und da auf mich. Ich werde dort wieder zu dir kommen." Der Vater tat, wie der Sohn ihm geraten. Er zog das Gewehrfutteral dem Burschen über den Kopf, und dieser verwandelte sich sogleich in ein Gewehr. Mit dem Gewehr ging der Vater in die Stadt und kam gerade dazu, wie die Schützen sich untereinander über die Schlechtigkeit ihrer Gewehre beklagten. Der Vater erklärte sich bereit, auch einige Schüsse zu unternehmen, und die andern waren hiermit einverstanden. Der Bäcker schoß und traf mitten in das Ziel. Er schoß wieder und wieder und traf immer genau in das Ziel. Da baten die Schützen der Stadt ihn, das Gewehr zu verkaufen. Der Bäcker verkaufte das Gewehr für fünfzig Goldstücke, behielt das



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Futteral für sich und ging fort. Die Schützen schossen noch einige Zeit und stellten dann, als es Essenszeit war, das Gewehr beiseite. Sowie das Gewehr allein war, verwandelte es sich; der Bursche nahm wieder seine gewöhnliche Gestalt an und lief hinter dem Vater her, den er am verabredeten Platze traf und mit dem er dann wieder den Weg der Heimatstadt entgegen einschlug.

Nachdem der Bäcker mit seinem Sohne wieder einen Monat lang gegangen war, schlug der Bursche sein Buch nach und sah, daß vor ihnen ein Marktplatz war, auf dem an diesem Tage besonders viel Vieh und Maulesel gehandelt wurden. Der Bursche gab darauf seinem Vater ein Mauleselgebiß und sagte: "Lege mir dieses an und ich werde mich sogleich in einen sehr schönen Maulesel verwandeln. Reite auf mir in die vor uns liegende Stadt, in der heute großer Viehmarkt ist und verkaufe mich da für fünfzig Goldstücke. Vergiß aber ja nicht, mir, ehe du mich weggibst, das Gebiß abzunehmen, denn sonst kann ich nicht wieder zu dir kommen. Dann gehe bis da und dahin und warte dort auf mich; ich werde dann bald nachkommen."

Der Bäcker legte dem Sohne das Gebiß an; der Sohn verwandelte sich in einen Maulesel und der Vater ritt in die Stadt. In der Stadt war Viehmarkt. Ein Mann kam und bot für den Maulesel fünfzig Goldstücke. Der Bäcker nahm sie, vergaß aber, dem Maulesel das Gebiß abzunehmen. Der neue Besitzer ritt auf dem Maulesel von dannen und der Vater ging an den verabredeten Ort und wartete da auf seinen Sohn. Als der Vater gegangen war, begann der Maulesel seinem neuen Besitzer arg mitzuspielen, er schlug aus, er biß, er stieg in die Höhe, er drückte ihn an die Mauer und warf ihn auf die Erde. Er konnte es aber nicht erreichen, daß der neue Besitzer ihm das Gebiß abnahm, da dieser nicht auf den Gedanken kam, solchen

Versuch zu unternehmen.

Inzwischen hatte der Jude schon lange gemerkt, daß sein Lehrling ihm entflohen war. Er mochte aber seine Bücher aufschlagen wie und wo er wollte, er vermochte kein Mittel zu erkennen, seiner wieder habhaft zu werden. Als er aber eines Tages wieder nachschlug, sah er, daß der Bursche als Maulesel mit dem Gebiß im Maul die Fähigkeit der freien Betätigung verloren hatte. Sogleich machte sich der Jude auf den Weg. Er war im gleichen Zeitpunkte in der Stadt, in der der Mann sich mit dem eben gekaufen Maulesel abquälte, schaute eine Weile zu und sagte dann zu dem Manne: "Ihr habt mit dem Esel ein schlechtes Geschäft gemacht, Freund, denn es ist ein Tier



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mit einem sehr schlechten Charakter. Ihr würdet mit ihm nur fertig werden, wenn ihr ihn genau kenntet wie ich. Da das nicht der Fall ist, verkauft ihn mir bitte; es soll mir auf ein paar Goldstücke mehr nicht ankommen." Der Mann war sehr froh, daß er das schlimme Tier so schnell wieder los wurde und verkaufte es an den Juden. Der Jude bestieg den Maulesel und ritt mit ihm von dannen.

Der Jude kehrte mit dem Maulesel heim. Er ritt in sein Gehöft und band den Maulesel mit Gebiß sogleich im Stall an. Dann ging er in seine Kammer, um zu essen und dann, um seine Bücher nachzuschlagen. Die Tochter des Juden hatte, als der Vater in das Gehöft einritt, sogleich erkannt, was es mit dem Maulesel für eine Bewandtnis habe. Sobald der alte Jude sich in seine Kammer eingeschlossen hatte, rief sie durch das Fenster einen Hirtenbuben heran, der draußen die Schafe des Vaters grasen ließ und sagte: "Komm sogleich her, binde den Maulesel los und führe ihn zur Tränke, nimm ihm da das Geschirr ab und laß ihn saufen, ohne daß es mein Vater merkt. Wenn du es geschickt machst, werde ich dir ein gutes Geschenk geben."

Der Hirtenbube band sogleich den Maulesel ab und ritt zur Tränke. Dort stieg er ab und nahm gerade dem Maulesel das Geschirr ab, als der Jude in sein Buch blickte und die ganze Sachlage erkannte. Sogleich setzte der Jude auf einem Pferde hinter dem Hirtenbuben mit dem Maulesel her.

Der Maulesel war gerade vom Geschirr befreit, da kam der Jude an. Der Bursche verwandelte sich sogleich aus dem Maulesel in einen Fisch in der Quelle und schwamm in das Meer. Der Jude verwandelte sich sogleich in eine Angel und hätte fast den Fisch erwischt, da verwandelte der sich in eine Taube. Die Taube flog empor in die Luft, da verwandelte sich der Angelhaken in einen Falken, der hinter der Taube herflog. Die Taube flog nach der Heimatstadt des Bäckers. Der Falke hatte die Taube fast erwischt, da verwandelte sich die Taube zu einem Ring an dem Finger der schönen unterhaltungsbedürftigen Tochter des wohlhabenden Mannes.

Kaum hatte der Bursche sich zu dem Ring am Finger des schönen Mädchens verwandelt, da nahm der Jude seine natürliche Gestalt an, ging in das Haus und traf das Mädchen, wie es gerade im Hofe ihrem Vater den schönen neuen Ring zeigte. Der Jude trat heran und sagte: "Der Ring ist gestohlen, ich will den Ring wieder haben, denn er gehört mir." Der reiche Mann sagte: "Wie bist du zu dem Ring gekommen, meine Tochter, daß dieser Mann es wagen kann



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ihn als gestohlen zu beanspruchen ?" Das schöne Mädchen sagte: "Ich weiß nicht, wie ich dazu kam, ich fand ihn soeben an meinem Finger." Der reiche Mann sagte: "So gib ihn lieber dem Mann." Das schöne Mädchen war ärgerlich und sagte: "Dann werfe ich den Ring fort, so wie er an mich geflogen ist."

Das schöne Mädchen warf den Ring im Hofe fort. Der reiche Mann, seine Tochter und der Jude sahen den Ring rollen. Der Jude wollte ihn erhaschen. Da verwandelte sich der Ring in einen Granatapfelbaum, der mitten im Hofe aufwuchs, da wo der Ring liegen geblieben war. Sogleich verwandelte sich der Jude in eine Axt, die den Baum umschlug und mit jedem Schlage den Baum zu stärkerem Wanken brachte. Während die Axt aber unten an dem Baume einschlug, reifte oben am äußersten Zweige eine Granatfrucht mehr und mehr heran, und als der Baum unter den Schlägen der Axt umsank, fiel die Granatfrucht reif zu Boden. Das alles sahen der reiche Mann und seine Tochter.

Die Granatapfelfrucht fiel auf die harten Fliesen des Bodens nieder, zersprang und zerstreute im Auseinanderfallen ihre vielen kleinen Kerne, so daß sie weit umherspritzten. Sogleich aber verwandelte sich die Axt, die den Baum gefällt hatte, in einen Hahn, der lief eiligst auf die Samenkörner der Granatapfelfrucht zu und pickte eins nach dem andern auf. Ein letztes Samenkorn, das ganz klein war, fiel aber in die Ritzen der Fliesen und blieb da liegen. Der Hahn sah sich um und suchte das letzte Samenkorn. Er konnte es nicht finden. Da verwandelte sich das Samenkorn in ein Messer, und das Messer schnitt dem Hahn den Hals ab, so daß er sogleich starb.

Das alles sahen der reiche Mann und seine Tochter. Das schöne unterhaltungsbedürftige Mädchen schlug voller Erstaunen die Hände über dem Kopfe zusammen und sagte: "Was ist das?"Der reiche Mann sah erstaunt auf das Messer und sagte: "Was ist das?" Da verwandelte sich das Messer in den Bäckerburschen und der Bursche sagte: "Was das ist? Das ist Ladjib jarbe. Das ist das, was ich deiner Bestimmung nach dir als Morgengabe für deine Tochter vorführen sollte. Ich habe das getan, genau wie du es verlangt hast und nun bitte ich dich, mir deine Tochter zur Frau zu geben." Der reiche Mann konnte nichts sagen. Seine schöne Tochter war glücklich darüber, daß der Bäckerjunge wieder vor ihr stand und alles so durchzuführen imstande war. Der reiche Mann gab seine Einwilligung.

Es wurde ein großes Fest veranstaltet. Der Bäckerbursche kam



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nicht als armer, sondern als reicher Mann, denn er verstand es, mit der vom Juden erlernten Kunst große Schätze zu erwerben.


Copyright: arpa, 2015.

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