RELIGION UND RASSE

Rektoratsrede gehalten an der 100. Stiftungsfeier der Universität Bern

am 17. November 1934
MAX HALLER
PAUL HAUPT BERN
Akademische Buchhandlung vormals Max Drechsel 1935

Wer es heute unternimmt, über das Thema "Religion und Rasse" zu sprechen, der setzt sich von vornherein dem Verdachte aus, als wolle er aus der Höhe akademischer Erörterung in den Dunst und Staub der politischen Arena hinabsteigen. Denn es braucht ja wohl hier und heute nicht besonders hervorgehoben zu werden, in welchem Masse die Worte Religion und Rasse zu Schlagworten und Parteipunkten geworden sind, mit denen sich trefflich fechten lässt, um so trefflicher, je weniger klar und eindeutig die Begriffe sind, die sich mit den Worten verbinden, oder auch umgekehrt: je enger durch unausgesprochen vorausgesetzte Umgrenzung diese Begriffe zugespitzt und dadurch als Waffen im Kampf um die sogenannte öffentliche Meinung verwendbar gemacht werden. In neun von zehn Fällen wird nämlich der, der das Wort Rasse in den Mund nimmt, stillschweigend hinzufügen: "semitische" oder "arische" Rasse und damit dem Worte eine Affektbetontheit verleihen, die es an sich' selbst in keiner Weise hat; und wo in der öffentlichen Diskussion auch bei uns von Religion die Rede ist, da begreift der Redner darunter zumeist eine von vielen Religionen, nämlich die christliche im Gegensatz zur jüdischen oder heidnischen. Dass unter solchen Voraussetzungen ein erspriessliches Gespräch nicht zustande kommen kann, braucht nicht erst durch den Hinweis auf die "exempla quae terrent" erwiesen zu werden.

Sollte es unter solchen Umständen nicht am Ende ein sehr dankbares Unternehmen, ja geradezu eine Pflicht akademischer Erörterung sein, unbekümmert um die Meinung des Tages und das Gewicht der Schlagworte zunächst einmal die Begriffe zu klären und sie wieder in die grössern Zusammenhänge hineinzustellen aus denen sie im Blick auf ihre praktische Verwendbarkeit herausgerissen wurden, das Auge hinauszulenken von dem gewaltsam verengerten Kampffeld auf den weiten Plan, darauf seit Jahrhunderten die Wissenschaft versucht, die Fülle der Erscheinungen in Natur und Geschichte und ihre Gesetzmässigkeit

im Werden und Vergehen zu erkennen, und so an ihrem Teile beizutragen, dass aus Chaos auch hier Kosmos werde? Denn darin besteht doch wohl vor allem der Dienst, den die Forschung dem Leben, die Universität der Volksgemeinschaft leisten darf und muss, von denen sie getragen sind. Die Universität Bern war, nach ihrer Schwesteranstalt in Basel, die erste Hochschule im deutschen Sprachgebiet, die der jungen Disziplin der allgemeinen vergleichenden Religionsgeschichte im 19. Jahrhundert Heimatrecht gewährte und damit nach dem Vorbild angelsächsischer, französischer und niederländischer Universitäten anerkannte, dass es sich hiebei nicht um ein dilettierendes Herumtasten in allen möglichen Wissensgebieten handle, sondern um ernsthafte wissenschaftliche Erforschung eines bestimmt umrissenen Lebensgebietes, die durchaus in den Aufgabenkreis einer Universitas litterarum falle. Es soll bei dieser Gelegenheit doch auch erwähnt werden, dass der Name des ersten bahnbrechenden deutschen Forschers, auf dem Gebiet der Religionsphänomenologie, Hermann Usener, eng mit Bern verknüpft ist. Sollte da vielleicht, gerade hier und heute, auf dem Boden eines Landes, wo drei Rassen durch die Gewalt gemeinsamen geschichtlichen Erlebens und Erleidens zu einer Volksgemeinschaft zusammengeschmiedet worden sind, die Möglichkeit gegeben sein, das von der Parteien Gunst und Hass verzerrte Bild der Beziehungen von Religion und Rasse mit jener leidenschaftslose Distanziertheit neu zu entwerfen, die das Vorrecht und die Pflicht wahrer Wissenschaft ist? Dies um so mehr, als in dem Problem Religion und Rasse sich die Hauptprobleme der modernen religionswissenschaftlichen Forschung wie in einem Brennpunkte schneiden. Handelt es sich doch dabei letztlich auch um die Zentralfrage, von der die Religionsgeschichte ausgegangen ist und deren Lösung ihr als Ziel vorschwebt: Einheit oder Vielheit? Eigengesetzlichkeit oder Abhängigkeit von bestimmten physischen oder psychischen Gegebenheiten? Entwicklung oder Zerfall? Gewiss kann die Religionsgeschichte auf all diese Fragen eine letzte Antwort so wenig geben, als die Historie überhaupt zu den Anfängen des Geschehens vorzudringen vermag; sie wird gerne hier das Feld ihrer Schwesterdisziplin, der Religionsphilosophie räumen. Aber sie wird — bei allem schuldigen Respekt vor Lepold von Rankes Kanon: "Geschichte will sagen, wie es wirklich gewesen ist" — doch nicht ohne Gewinn

für jene klar zu machen versuchen, einmal wie sich die Beziehungen von Religion und Rasse in den verschiedenen Religionen wiederspiegeln, und dann: wie der Blick der Forschung bald von der einen, bald von der andern Erscheinung mehr gefesselt, die eine oder die andere in den Vordergrund schob.

Natürlich ist es im Rahmen einer knappen Stunde völlig ausgeschlossen, eine auch nur einigermassen erspriessliche Auseinandersetzung mit den verschiedenen modernen Rassentheorien zu geben. Es muss genügen, daran zu erinnern, dass der Begriff der Menschenrasse zum erstenmal von der Naturforschung des 18. Jahrhunderts geprägt, durch Linné und dem Göttinger Blumenbach für lange Zeit gültig fixiert, von dem Anthropologen Haeckel und dem Geographen Peschel umgebildet, von Gobineau um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Grundlage einer grosszügigen Kulturphilosophie gemacht, neuerdings von Hans Günther, Herman Wirth und andern auf Grund der Mendelschen Vererbungsgesetze erweitert und namentlich auf das psychische, ethische und religiöse Gebiet ausgedehnt wurde. Auf alle Fälle handelt es sich dabei um einen Begriff der Naturwissenschaft - und nicht der Geschichtswisschaft, und namentlich ist noch völlig ungeklärt, inwieweit Hautfarbe, Schädel- und Knochenbau, Haarwuchs etc., also die äussere Physis, mit Sprache, Temperament, Begabung, ethischen und psychischen Anlagen und dergleichen gleichlaufen. Es sind, angefangen von Herder, in dieser Hinsicht allzu oft Behauptungen an Stelle von Beweisen gesetzt worden, als dass nicht von Anfang an eine Mahnung zur Vorsicht am Platz wäre. Es wird der Klarheit der Darstellung dienen, wenn im Folgenden eine von vielen Definitionen des Rassebegriffs zugrunde gelegt wird, nämlich diejenige von Hans Günther: Rasse ist eine grössere Gruppe von Menschen mit den gleichen leiblichen und seelischen Erbanlagen. 1)

Ebenso aussichtslos wie eine Erörterung des Rassenbegriffs wäre es, an dieser Stelle eine Uebersicht über den Stand des Problems vom Wesen oder Ursprung der Religion geben zu wollen. Es sei auch hier an eine von vielen Definitionen erinnert, nämlich an die von Rudolf Otto: "Innewerden des Mysterium tremendum ac fascinosum, des Ganz anderen"2), und im weitern sei betont, was schon Schleiermacher der Aufklärung

gegenüber hervorgehoben hat, dass "Religion nur wirklich ist in Religionen", dass also der Blick beständig auf die Fülle der Einzelerscheinungen gerichtet bleiben muss, wenn von Beziehungen "der" Religion zu irgend etwas anderem, also etwa zur Rasse, gesprochen wird.

Der Begriff der Rasse tritt relativ spät und selten in den Gesichtskreis der Religionen, relativ früh in den der Religionswissenschaft. Die Antike beachtet sehr wohl somatische wie psychische Merkmale und Kennzeichen, durch die nicht nur Einzelne, sondern Menschen- und Völkergruppen sich von einander unterscheiden; aber sie hat kaum je ernstlich diese Unterscheidung auf das Geistesleben oder gar auf den Götterglauben angewandt. Es ist trotzdem an sich zu vermögen, dass ein vorhandenes Rassegefühl sich darin Ausdruck verschaffen würde, dass die Beziehung zu den Göttern auf die eigene physische Gruppe eingeschränkt und umgekehrt Götter einer andern Gruppe als artfremd mit Abscheu abgelehnt würden. Ein kurzer Gang durch die Geschichte der verschiedenen historischen Religionen muss uns darüber orientieren.

Wenn der König Sargon von Akkad im dritten vorchristlichen Jahrtausend sich den "Herrn aller Schwarzköpfigen" nennen lässt, 3) so versteht er darunter nicht bloss die Bewohner seines Stadtgebietes oder des Zweistromlandes, sondern die ganze Menschheit des damaligen Vorderasiens, die er treffend mit einem körperlichen Merkmal kennzeichnet, das auch heute in der Rassenkunde entscheidende Bedeutung hat. Aber die Götter Sargons sind Götter von Akkad und nicht Vorderasiens, ja vielleicht bloss des Königs besondere, sozusagen persönliche Schirmherren und Helfer. Babylonische Gottheiten, z. B. der Jagd- und Kriegsgott Ninib, wandern in der Folge nach Westen, wie umgekehrt andere, z. B. der Gewittergott Adad-Ramman, aus dem aramäischen Westen in das babylonische Pantheon übernommen werden. — Auf ägyptischen ägyptischen Denkmälern wird der tributbringende Ausländer von dem Herrn des Landes nach seiner äussern Erscheinung so scharf als nur immer möglich unterschieden: der Aethiopier schwarz, der Semite gelb, der Lydier seltsamerweise weiss, alles Im Gegensatz zu den dunkelbraunen Bewohnern des Niltales; auch Kopfform, Körperhaltung, Bartwuchs werden verblüffend scharf beobachtet und dargestellt, so dass auch dem heutigen Beschauer

der Rassenunterschied in die Augen springt. Aber diese nämlichen Denkmäler sagen kein Wort davon, dass die Götter dieser rassefremden Völker ebenfalls als artfremd empfunden oder abgelehnt würden; vielmehr hat Aegypten in der Folge den Hyksosgott Sutech wie den syrischen Baal und den hethitischen Teschup genau so leicht assimiliert, wie es vor Zeiten die Gaugötter von Theben und Memphis, von Sais und Bubastis zu einem panägyptischen Pantheon zusammengefasst hatte und später den hellenistischen Serapis sich aneignen und seinerseits Isis und Usir an den Westen abgeben sollte. Umgekehrt ist der Machtbereich der eigenen Gottheiten so wenig auf das eigene Land oder die eigene Rasse eingeschränkt, dass Echnaton in seinem Sonnenhymnus zu Aton beten kann:

Die Länder von Syrien und Nubien und das Land Aegypten
Jedes setzest du, Aton, an seine Stelle und gibst ihnen, was sie brauchen! 4)

Zugegeben, dass Echnaton einen Sonderfall darstellt; aber ein solcher wäre nicht möglich, wenn die Religion Aegyptens irgendwann und irgendwie rassenmässige Beschränkung gekannt hätte.

Der Hellene schied sich so scharf als nur irgend möglich von dem Stammelnden, mochte dieser ihm noch so überlegen sein in exaktem Wissen, wie die Babylonier, an künstlerischer Tradition, wie die Aegypter, oder an staatenbildender Kraft, wie die Perser oder später die Römer. Er nennt aber auch Thraker und Makedonen Barbaren, wo von Rassenunterschied in unserm Sinne keine Rede sein kann. Das Kriterium des Andersseins ist also hier nicht die körperliche Erscheinung, sondern die Sprache. Wie wenig aber der Bereich der Religion zusammenfiel mit dem der Hellenität, das zeigt der ganze Verlauf der griechischen Religionsgeschichte: die Götter der Achäer walten auch über Ilion und weisen den Schiffen griechischer Kolonisten den Weg ins fremde Land, wo dann ihr Dienst ebenso blüht, wie in der Heimat. Die kyprische, ja vielleicht phönizische Aphrodite und der thrakische Dionysos treten sehr früh, wenn Walter Otto recht hat, schon zur homerischen Zeit, gleichberechtigt neben den alten Hirtengott Apoll, der selbst vielleicht aus Lykion in Kleinasien stammt, und Athene, die griechischste Gestalt des Olympierkreises. Im Mittelpunkt griechischen Denkens steht die keineswegs das, was wir heute als Rasse bezeichnen würden;

und die Götter sind zuerst Götter bestimmter Städte und hernach vielleicht aller Hellenen — —, aber niemals Götter, deren Machtbereich durch die Grenzen einer bestimmten Rasse gegeben oder beschränkt wären. Nun hat man vielfach versucht, den arteigenen Gehalt der griechischen Religion nach dem Wesen griechischer Frömmigkeit zu bestimmen, einer Frömmigkeit der Erdnähe, in der "starkes, demütiges Abhängigkeitsgefühl und aufrechte, freie Haltung des Menschen im Gleichgewicht stehen."5) Aber Erwin Rohde war es doch, der uns aufmerken lehrte auf die Klänge, die mit schriller Dissonanz diese griechische Harmonie und Klarheit durchbrechen und die man unmöglich, wie auch schon geschehen, nur aus Rassemischung erklären kann; so darf man also wohl auch von einer rassemässig bestimmten und begrenzten Form hellenischer Religiosität. nicht mehr sprechen. — Was von Hellas gilt, gilt in erhöhtem Masse von Rom: ein stärkerer Gegensatz der Rasse als zwischen Latinern und Etruskern ist für unser Empfinden kaum denkbar; und doch hat Rom, soweit wir zurückblicken können, gerade in religiöser und kultischer Hinsicht alle nur denkbare Anregung von den Etruskern angenommen, nicht nur Götter, sondern die etruskische Haruspicie und Vogelschau, die später als echtestes römisches Kultusart erscheinen, über deren altorientalischen Ursprung aber heute kaum mehr Zweifel herrschen können. 6) Auch gegen den spätem Orient hat Roms Religion nie rassische Abneigung gezeigt, von der Magna mater des dritten vorchristlichen bis zum. Mithras des dritten nachchristlichen Jahrhunderts, trotz gelegentlicher Senatsbeschlüsse gegen Magier und Chaldäer. Natürlich hat man auch hier einen besonders artmässigen Typus der Religion festzustellen unternommen, meist in Anlehnung an Hegels berühmte Definition. Aber "nüchterne Zweckmässigkeit" und ängstliche Observanz finden sich nicht nur bei den Römern, sondern z. B. seltsamerweise genau so am andern Ende der Welt bei den Chinesen.

Die einzige Religion der Antike, in der Rassengegensätze sich mit religiösen verbunden finden, oder besser gesagt, wo sich das eine im andern Ausdruck verschafft, ist die des alten Iran. Zarathuschtra findet den Gegensatz von iranischer und turanischer Menschheit augenscheinlich schon vor, und es brauchte nicht viel, um die letztgenannte in die ahrimanische Welt, die Gegenschöpfung

des bösen Geistes zu verweisen, zu der später auch alles sonstwie Artfremde, Griechen, Römer und Araber gerechnet wurde. 7) Hier erscheint also deutlich greifbar Rassegegensatz als religiöser Gegensatz.

Anders war die Entwicklung im alten Indien, wo ursprünglich die ganze religiöse Vorstellungswelt der von Norden eindringenden Rasse eigentümlich ist; der Mythos spiegelt die Geschichte der Eroberung des Landes durch die Herrenrasse wieder; Indra ist der Typ der Kshatriya oder Kriegerkaste — Kaste, portugiesisch casta bedeutet ja selbst Farbe, Art, Rasse — die Götter sind Gegner der dunkelfärbung Ureinwohner, arisch und dravidisch schliessen sich in Glauben und Kult nicht weniger aus, als in Politik und Wirtschaft. Aber schon in vorbuddhistischer Zeit scheint der Gegensatz ausgeglichen, so dass damals wie heute Tamulen und Kanaresen nicht weniger eifrige Varuna- und Shivaverehrer sind, als die Bewohner der Indusländer. An Stelle der Rassen-, ja vielfach auch der Kastengegensätze, tritt die Sekte. Alles in allem, wie in andern Dingen, eine der iranischen diametral entgegenlaufende Entwicklung.

Rassebildend endlich hat die Religion gewirkt in Ostasien; denn was aus den Bewohnern des heutigen China im Laufe der Jahrtausende ein Volk geschaffen hat, das uns heute als der Typus einer einheitlichen Rasse erscheint, das ist nicht Gemeinsamkeit von Blut und Boden, sondern Gleichartigkeit von Kultur, Sprache, Weltbild und Moralgesetz, nach chinesischen Begriffen also Religion. Wie wenig aber der heute unzweifelhaft in unheimlich starkem Ausmass vorhandene chinesische Rassenstolz sich in religiöser Ausschliesslichkeit äusserte, zeigt am besten die glatte Uebernahme des Buddhismus und, im 17. Jahrhundert, des römischen Katholizismus durch das kulturell und staatlich so straff geschlossene Chinesentum. 8)

Schon eher könnte man von solcher Ausschliesslichkeit reden bei dem primitiven Staats- und Herrscherkult Japans, dem Shintoismus, den moderne japanische Gelehrte, wie Kato, ganz umsonst bemüht sind, als universale Weltreligion zu kennzeichnen. 9) Da Staat und Rasse in Japan weithin zusammenfallen, so ist schwer zu entscheiden, ob die Lehre, die das eine, den Staat, verherrlicht, mehr politischen oder mehr rassischen Charakter hat, Exponent der Blutverbundenheit oder des Machtgefühls ist. Die Grundverschiedenheit

von chinesischer und japanischer Religiosität, die sich auch an der völlig verschiedenen Ausgestaltung des auf beiden Seiten übernommenen Buddhismus bei diesen beiden ein und derselben gelben Rasse angehörigen Völkern offenbart, ist vielleicht eines der bedeutsamsten Argumente gegen jede Verquickung von Religion und Rasse.

Von den eigentlichen Weltreligionen, Buddhismus, Islam und Christentum erübrigt es sich, hier ausführlich zu sprechen. Es liegt in dem Begriff und Anspruch einer Weltreligion, dass sie die vorhandenen Verschiedenheiten der Menschheit, also auch die Rassenunterschiede grundsätzlich ignoriert. —Aber noch bleiben zwei Religionen zu erwähnen, bei denen die Dinge besonders verwickelt liegen: Israel-Juda einer-, die Germanen anderseits.

Israel hat sich, es wäre töricht es leugnen zu wollen, zu allen Zeiten durch eine besonders, starke religiöse Ausschliesslichkeit ausgezeichnet, den berühmten Partikularismus der alttestamentlichen Religion. Beim Einzug in sein Land z. B. wird ihm von seinem Gotte Jahve geboten, die Ureinwohner dem chërem, dem Bann, zu unterwerfen, d. h. kurzerhand mit Stumpf und Stiel, auszurotten. 10) Mag es sich hiebei um eine Weihegabe an den Kriegsgott handeln, oder um tabuistische Praktiken, wie sie auch bei Kelten, Azteken und vielen Primitiven nachweisbar sind, sicher ist damit eine Linie vorgezeichnet, die für die ganze Zukunft bedeutsam ist. Natürlich hat es in neuerer Zeit nicht an Versuchen gefehlt, diesen Partikularismus auf die Rassenverschiedenheiten zurückzuführen: gebannt werden die Artfremden, Emoriter und Hethiter, 11) geschont die Stammverwandten, Moabiter, Edomiter und sogar Aramäer. 12) Allein abgesehen davon, dass der nichtsernitische Ursprung der Emoriter noch durchaus nicht bewiesen ist, das Semitentum einiger dem Bann unterworfenen Stämme, wie der Amalekiter, aber keinem Zweifel unterliegt, so darf vor allem nicht übersehen werden, dass das exklusive Verhältnis Jahves zu seinem Volk nicht ein naturhaftes, auf Blutgemeinschaft beruhendes, sondern ein geschichtliches ist. Auf der Erwählung beruht nach der Auffassung des Alten Testamentes der Vorzug Israels, nicht auf der Zugehörigkeit des Volkes zu einer besonders als blutverwandt empfundenen Völkergruppe. Gelegentlich begegnen wir im Alten Testament sogar einem Gedanken, der die Rassengegensätze und -vorurteile geradezu ausschliesst,

nämlich dem der Völkerfamilie, zum Beispiel in der Völkertafel der Genesis (Kapitel 10). Unleugbar ist freilich, dass das Erwählungsbewusstsein sich nach und nach in ein Abstammungsbewusstsein umwandelt oder wenigstens sich damit kombiniert: "Wir sind Kinder Abrahams, des Freundes Gottes!" Aber am Anfang steht doch jenes, nicht dieses, und zudem kommt dieser Rassegedanke erst im Judentum d. h. nach dem Untergang beider Reiche und der Gründung der neuen Gemeinde durch Esra zu seiner richtigen Ausprägung. Hier, im Judentum, haben wir nun in der Tat das religionsgeschichtlich klassische Beispiel dafür, wie nicht etwa Rasse Religion schafft, sondern umgekehrt eine Rasse entsteht unter der Führung religiöser und kirchlicher Notwendigkeiten. Das Abstammungsprinzip wird durch die Religion dargeboten und zur Grundlage nicht etwa eines neuen Staates oder Volkes gemacht, sondern einer neuen Rasse, die mit der Zeit kräftig genug wird, in Gestalt zahlreicher Proselyten aus der Umwelt Fremdkörper nicht nur kirchlich anzugliedern, sondern blutmässig aufzusaugen, bis dann zu Anfang des Mittelalters die völlige rassische Abriegelung erfolgt, die für das Judentum in der Folge charakteristisch wird. 13) Dass diese Entwicklung für den, der richtig zu lesen und kritisch zu deuten versteht, aus dem Alten Testament ohne Mühe abzulesen ist, das macht die israelitisch-jüdische Geschichte für den Religionshistoriker so überaus reizvoll.

Wesentlich anders stehen die Dinge bei den Germanen, und zwar nicht nur deshalb, weil hier die Klarheit des Blickes durch die Aktualität des Problems vielfach doch sehr stark getrübt ist — es genüge die Namen Rosenberg, Hauer und auch Günther zu nennen — sondern weil die sichern Ergebnisse germanischer Religionsgeschichte auch für einen unzweifelhaft kompetenten Forscher wie Karl Helm ungeheuer problematisch bleiben. 14) Auch dies sei nicht übersehen — wie vor nicht allzulanger Zeit an dieser Stelle von Helmut de Boor vorzüglich ausgeführt wurde — dass die Bindung der Germanen weit weniger an Gottheit oder Götter als vielmehr an Sippe, Gau, Stamm schliesst, um endlich im Schicksalsbegriff sich zu kosmischer Weite zu steigern. 15) Schliesslich sei auch angeführt, was Neckel neuerdings so stark betont, dass die sogenannte germanische Religion eine ausgesprochen synkretistische Religion ist, d. h. dass es zu einer einheitlichen

Religionsbildung auf germanischem Boden so wenig gekommen ist wie zu einer einheitlichen Staatsbildung, und dass, soweit unsere Kenntnis zurückreicht, Einflüsse von aussen her auf den Glauben der Germanen wirksam gewesen sind. Es Ist unter solchen Umständen geradezu ausgeschlossen, von einer Rassebestimmtheit oder Rassebeschränktheit der germanischen Religion zu sprechen, ja es fragt sich überhaupt, ob auch nur, wie dies oftmals versucht wurde, von einem einheitlichen germanischen Frömmigkeitstypus die Rede sein kann. Nicht Rasse-, sondern Sippengefühl, in der Wikingerzeit das Standesgefühl des Kriegers und Edeln, Treue gegen den Führer, dazu in jeder Phase ein starkes Naturgefühl, treten hier an Stelle der eigentlichen religiösen Empfindungen, des Gehorsams gegen den göttlichen Willen, und schaffen sich in den verschiedenen Göttergestalten ihren adäquaten Ausdruck: Thor, der Bauerngott, Odin der Speerschwinger und Gott der Krieger usw.

Was mit diesem eiligen Rundblick über die wichtigsten positiven Religionen bezweckt wurde, war, zu zeigen, dass uns in der Religion nur an ganz vereinzelten Stellen diese als rassebestimmt entgegentritt, dass es also nicht angeht, Religion allgemein als Ausfluss bestimmter Rasseeigentümlichkeiten anzusehen, so wenig wie etwa als ideologischen Ueberbau ökonomischer Gegebenheiten. Damit soll nun aber natürlich nicht geleugnet werden, dass Rasseeigenarten bis zu einem gewissen Grade auf die Religion einwirken — man bedenke nur, welche Schauer der Andacht indische und chinesische Götterfratzen bei ihren Verehrern auszulösen vermögen, die uns unverständlich sind. — Irgendwie wird die eigene physische und psychische Besonderheit des Menschen von ihm auf das Bild seiner Götter übertragen werden, und ebenso wird die seelische Grundstimmung einer Rasse in den Religionen ihr angehöriger Völker irgendwie zum Ausdruck gelangen. Aber alleinbestimmend ist Rasse für die Religion so wenig, wie Milieu, Kultur, Geschichte, Grund und Boden, Recht, Sprache, die alle mit der Religion wie unter sich in Austausch und Wechselwirkung stehen. Dass aber, wie sich an einigen charakteristischen Beispielen zeigen liess, die Religion rassebildend gewirkt hat, dürfte nur für den erstaunlich sein, der sich der Einsicht verschliesst, dass Rasse kein statischer, sondern ein dynamischer Begriff ist, dass Rassen nicht unveränderlich sind, sondern werden und vergehen, wie

alles Irdische. Das Konstante sind nicht die physischen Erscheinungen und die damit vielfach parallel laufenden seelischen, sondern die in der Psyche des genus humanum verwurzelten geistigen Potenzen, zu denen, soweit unser Erkennen zurückreicht, immer auch das religiöse Empfinden gehört hat, mag es sich auch in noch so primitiven Tabuvorstellungen und magischen Praktiken Ausdruck verschaffen.

Wie hat nun die Wissenschaft der allgemeinen vergleichenden Religionsgeschichte sich im Laufe ihrer Entwicklung zu dem eben herausgestellten Tatbestand verhalten? Hat sie ihn erkannt und auf welchen Wegen und Umwegen ist sie zu solcher Erkenntnis gelangt? Da ist von vornherein zu antworten: Sie hat ihn sehr lange überhaupt nicht erkannt, sie ist vielmehr, um es etwas pointiert auszudrücken, lange Zeit hindurch vom Rassegedanken eigentlich fasciniert gewesen, und daher kann sie auch nicht ganz von Mitschuld freigesprochen werden an dem Unfug, der heute mit diesem Gedanken getrieben wird. Um diesen Gang der Dinge verstehen zu können, ist ein Blick auf das Werden der Religionswissenschaft unerlässlich.

Die Religionsgeschichte ist eine recht junge Wissenschaft und beginnt in dem Augenblick, da dem menschlichen Geiste die Augen aufgehen für die Mannigfaltigkeit der Religionen und wo zugleich die Frage nach der Richtigkeit und Wahrheit der Religion zurücktritt hinter dem Interesse an der Vielheit und der Struktur der einzelnen Religionen. Dies war nun schon der Fall bei den antiken Philosophen, ja aus naheliegenden Gründen auch schon im alten Indien und China. Es gibt in der griechischen Philosophie schon von der Sophistik an ein Nachdenken über die Religion, das freilich letztlich zur Zersetzung des Volksglaubens führte, aber doch auch Ergebnisse zeitigte, die für die Religionsphilosophie auch heute noch nicht unbeachtlich sind, wie etwa die Lehre des Euhemeros von Messene von der Entstehung der Götter durch Vergottung der Herrscher, oder des Statius Leitsatz: timor fecit deos. Auch der grosszügige Entwurf des Kirchenvaters Augustin vom Verhältnis der vielen Religionen zur Einen in seinem Buch von der Civitas Dei sei in diesem Zusammenhang wenigstens erwähnt. Der

erste Versuch, die Religionen nach einem in ihnen selbst liegenden Kriterium zu ordnen, stammt bezeichnenderweise aus dem Islam, und zwar von keinem geringeren als vom Propheten selbst, der Buchreligionen und Religionen ohne Buch, d. h. ohne Kanon unterscheidet. Auf dem nämlichen Boden des islamischen Orientes entstanden denn auch die ersten Versuche einer wissenschaftlichen Systematik der Religionen, so das Buch des Schahrastani "Ueber die Religionen" (12. Jahrhundert), während des Inders Madhavaçaya "Inbegriff aller Lehren" sich auf Indien, ein freilich gerade religionsgeschichtlich recht weitschichtiges Gebiet, beschränkt.

In der mittelalterlichen christlichen Theologie ist eine leidenschaftslose Betrachtung nachchristlicher Religionen solange nicht möglich, als die Kirche noch um ihre Existenz nach aussen kämpft, also bis zum vorläufigen Austrag ihrer Auseinandersetzung mit dem Islam. Gerade dieser Kampf aber brachte die Theologie in enge Berührung mit fremdem Glauben und nötigte sie, die Mannigfaltigkeit. der Erscheinungen durch Ordnung und Gruppierung zu bewältigen. Sogleich taucht denn auch ganz unvermittelt die Ueberlegung auf, ob nicht Völkertypus statt einzelner Nationen als Typen verschiedener Religionsformen aufgefasst werden könnten, so bei Roger Bacon, der neben heidnischen und primitiven auch jüdische, sarazenische und tartarische, d. h. mongolische Religion unterschieden wissen will. Der Begriff der Rasse, wenn auch zunächst noch nicht der Name derselben, taucht auf.

Das Zeitalter der Entdeckungen vom 14. bis 18. Jahrhundert lieferte dem wissenschaftlichen Denken die nötigen Unterlagen zu einer ernsthaften Religionsvergleichung; Katholische, bald aber auch protestantische Missionare, Seefahrer und Konquistadoren, Händler und Krieger trugen an ihrem Teile dazu bei, dass der Stoff zum Aufbau einer wirklichen Religionswissenschaft sich mit der Zeit zu geradezu verschwenderischer Fülle anhäufte. Neben die Aufgabe, die einzelnen Volks- und Stammreligionen möglichst genau aufzunehmen und darzustellen, trat sogleich die zweite der gruppierenden Verarbeitung, zuerst an die Hand genommen, im 17. Jahrhundert von der Religionsphilosophie des englischen Deismus in der Erwartung, dass auf diesem Wege die gesuchte Urreligion oder natürliche Religion gefunden werden könnte. Zuerst wurde sehr primitiv nach Erdteilen gruppiert. 16) Schon einen Schritt weiter führte. die ethnographische Gruppierung, zuerst,

wenn auch für lange Zeit ohne Erfolg, versucht von David Hume. Von hier gelangt man ganz von selbst zur Klassifikation der verschiedenen Volksreligionen unter überragende Begriffe, nämlich Völkerfamilien, Sprachfamilien, Rassen, zumal, wie einleitend bemerkt wurde, eben jetzt die Naturwissenschaft begann, den Rassebegriff zu gestalten. Dabei bediente man sich nun freilich eines Schemas, dessen Unzulänglichkeit auch heute noch nicht genügend erkannt ist, nämlich der Völkertafel von Gen. 10, wo entsprechend den Namen der Söhne Noahs die gesamte Menschheit in die drei Gruppen der Semiten, Hamiton und Japhetiten eingeteilt wird. Von diesen drei Bezeichnungen für Sprachstämme hat sich der Begriff des Semitentums heute durchgesetzt. Als Name für eine relativ kleine afrikanische Völker- und Sprachgruppe hat sich der Name Hamiton erhalten. Den Semiten gegenüber aber wird seit etwa einem Jahrhundert die grosse Gruppe der Indogermanen gestellt, nachdem die Sprachwissenschaft das Sanskrit entdeckt und Franz Bopp darin die Mutter der europäischen Sprachen zu erkennen glaubte. Wohlgemerkt — es handelt sich bei beiden Bezeichnungen, Semiten und Indogermanen, um Sprachgruppen, nicht um Rassen im Sinne der Anthropologie. Dies hat freilich nicht gehindert, dass heute kritiklos Indogermanen mit nordischer Rasse, Semiten mit Asiaten gleichgestellt werden. Wie wenig aber Sprachzugehörigkeit und Rasse sich decken, das hat vor einigen Jahren Felix Stähelin 17), und neuerdings Kurt Galling an einem kleinen, aber überzeugenden Beispiele, den Philistern, gezeigt, die eine durchaus der griechischen ähnliche politische und kriegerische Verfassung, auch wie erst neuerdings erkannt wurde, griechische Personennamen besitzen, während Ortsnamen, Götter und Sprache gut semitisch sind.

Die religionsgeschichtliche Forschung ist nun zunächst der Versuchung, in die sie durch die überraschenden Entdeckungen der Sprachwissenschaft geführt wurde, fast völlig erlegen. Sie hat sich die Identifikation von Rasse und Sprachfamilie angeeignet und ihrerseits für die Unterscheidung und Gruppierung der Religionsformen nutzbar gemacht. Dies war insofern verzeihlich, als die vergleichende Religionswissenschaft praktisch ein Kind der indogermanischen Sprachwissenschaft ist. Indien, das Land, wo die Religionen sich begegnen, wo ein Kaiser Akbar schon im 16. Jahrhundert einen Religionskongress abgehalten hatte, wo das

ganze Leben und Denken selbst Religion ist, zwang den Sprachforscher mit Macht in die Religionsvergleichung, und es ist sicher kein Zufall, dass der Oxforder Linguist Max Müller, der Verfasser einer Einleitung in die Sprachwissenschaft, auch der Begründer der vergleichenden Religionswissenschaft wurde und trotz der Mängel seiner historischen Konstruktionen und seiner Mythendeutung, dank der Weite seines Gesichtskreises und der Fülle der Detailkenntnisse auf allen Religionsgebieten, die grosse Persönlichkeit der Religionswissenschaft bis heute geblieben ist. Von Indien aus wurden denn auch die Religionen der Völker Mittelasiens und Europas erst erfasst und gedeutet, und zwar zunächst auf rein sprachlichem Wege. Wie man auf dem Wege des Rückschlusses aus den europäischen und asiatischen Tochtersprachen eine indogermanische Ursprache und damit ein indogermanisches Urvolk glaubte rekonstruieren zu können, so gewann man auf demselben sprachlichen Wege auch die Religion dieses Urvolkes. Auf der Sprachvergleichung beruhte auch Max Müllers und seiner Schüler Mythenvergleichung; die vedische Mythologie erschien ihnen als die Urform der Mythen aller indogermanischen Völker; nicht nur die Namen der Götter, sondern auch, was von ihnen zu sagen war, führten in einer Linie von Ceylon bis nach Drontheim. Schliesslich wurde auch der Frömmigkeitstypus zum Vergleich herangezogen und Max Müller stellte die Theorie vom Henotheismus auf, d. h. die Lehre von der Verehrung nicht eines einzigen, aber eines einzelnen Gottes, der vom Verehrer aus der Reihe der übrigen Götter herausgehoben und derart angerufen wird, dass die übrigen daneben bedeutungslos erscheinen. Dies erschien als die Grundform indogermanischen Glaubens überhaupt. 18) Die auf Max Müller zurückgehende Neigung, zwischen indischem, iranischem und germanischem Glauben Brücken zu schlagen, ist heute noch bei Indologen wie Germanisten gerade lebendig genug und kann sich auf Namen besten Klanges, wie Schelling, Schopenhauer und Deussen berufen. Noch unserm Jahrhundert gehört Schröders zweibändiges Werk "Arische Religion" an und für das Handwörterbuch "Religion in Geschichte und Gegenwart" schrieb Heinrich Güntert 1926 eine Skizze der indogermanischen Religion. Dabei wird heute mehr Gewicht als auf Mythologie und Götternamen auf gewisse gemeinsame religiöse Grundstimmungen

in der indogermanischen Religion gelegt, so namentlich auf den von Indien bis in den neuzeitlichen Katholizismus und Protestantismus der nordischen Völker reichenden Hang zur Mystik. Heiler hat z. B. in frappanter Weise durch vergleichende Tabellen dargetan, wie sehr die Stufen der Kontemplation bei indischen Bikhshus und katholischen Heiligen übereinstimmen, dabei freilich auch auf die tiefgreifenden Unterschiede zwischen beiden Formen der Mystik aufmerksam gemacht. Es sollte doch nicht übersehen werden, dass die indische Mystik eine rein kontemplative und quietistische ist, nach Rudolf Otto ein völliges Stillegen allen Willens und Wirkens, 19) während germanische Mystik Streben nach der "Vereinigung mit dem unendlich sich fortbewegenden, sich unablässig gestaltend wandelnden Ewigen" 20) ist. Auch die Existenz einer islamischen, d. h. semitischen und einer vorbuddhistischen chinesischen Mystik wurde in diesem Zusammenhang meist völlig ignoriert.

So sehen wir die eben zum Range einer Wissenschaft emporgestiegene allgemeine Religionsgeschichte gleich zu Anfang fast völlig im Banne einer Rassevorstellung. — Es konnte nicht ausbleiben, dass auch auf dem Boden der Semitistik versucht wurde, was auf indogermanischem Boden erwiesen schien, hier sogar mit mehr Aussichten auf Erfolg, als es sich um ein besser übersehbares Gebiet handelt; denn noch hatten die Denkmäler des Zweistromlandes nicht zu sprechen begonnen. Nachdem Ernest Renan seinen geistreichen Einfall hingeworfen hatte, die. Religion der semitischen Völker habe ihr Gepräge empfangen durch den Eindruck, den die unendliche Wüste auf das empfängliche Gemüt der nomadisierenden Semiten machte, 21) hat es nie mehr an Versuchen gefehlt, die verschiedenen semitischen Religionen auf einen Nenner zu bringen. Ein Urmonotheismus der Semien schien parallel dem indogermanischen Henotheismus als fassbare Grösse aus der Untersuchung aufzutauchen. Am gründlichsten und erfolgreichsten waren die Arbeiten von W. Robertson Smith und Jves Curtiss, von denen der erste die primitiven Grundlagen herausstellte, auf denen die Religionen auch der semitischen Völker ruhen, der andere im modernen Volksglauben des mohammedanischen Orients durch folkloristische Beobachtung an Ort und Stelle die altsemitische Grundlage nachzuweisen unternahm. Aber gerade hier zeigte sich mit besonderer

Deutlichkeit, dass derartige Zurückführung der Religionen auf grosse, mit Rasse oder Sprachfamilie zusammenfallende Typen an der Einzelforschung scheitert. Die These von Monotheismus der Semiten wurde unmöglich von dem Augenblick an, wo die mächtig aufstrebende Assyriologie ein Pantheon erkennen liess, das nicht das Ende, sondern zeitlich das erste war, was von semitischen Göttern zu sagen war, und was Smith als Grundlage semitischer Frömmigkeit erweisen wollte, das war eben nicht spezifisch semitisch, sondern allgemein primitiv und fand sich genau so bei Griechen, Hindus und Malayen, wie z. B. die Tabuvorstellungen, der Totemismus u. dgl., auf die Smith so besonderes Gewicht gelegt hatte.

Von einem andern Gesichtspunkt aus hat der Holländer Tiele das Problem angepackt, wenn er als Grundrichtung semitischer Frömmigkeit das theokratische Empfinden hervorhebt, d. h. die Auffassung der Gottheit als unendlich über dem menschlichen erhabener, wesensungleicher Macht, während die Indogermanen theanthropisch empfinden sollen, Gott und Mensch näher aneinanderrückend, ja das eine im andern aufgehen lassend. 22) Aber diese Theorie steht in Widerspruch mit dem gerade von Smith erbrachten Nachweis, dass es zu den Eigentümlichkeiten der Semiten gehöre, die Gottheiten als Stammesgenossen, Väter und Mütter, zu betrachten, und ebenso an der Beobachtung, dass die Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem bei Indern und Germanen eine verschiedene ist, dort ein Aufsteigen, hier ein Herunterkommen. Der Versuch, eine einheitliche semitische Urreligion zu erschliessen, muss also trotz der hohen Verdienste der zahlreichen Forscher, die sich um das Problem gemüht haben, als misslungen bezeichnet werden.

War aber einmal der Weg eingeschlagen, Religion aus der Rasse oder den damit gleichgesetzten Sprachstämmen herzuleiten und zu deuten, so musste notwendig versucht werden, über das indogermanische und semitische Gebiet hinauszugreifen und etwa einen mongolischen Typ der Religion oder einen gemeinsamen Grundcharakter der Negerreligionen herauszuarbeiten. Man glaubte zeitweilig, jene unter dem Stichwort Schamanentum, diese unter dem des Fetischismus klassifizieren zu können. Allein Schamanen, d. h. Priester oder Zauberer, die in der Ekstase weissagen, hellen und helfen, finden sich sogar im klassischen Griechentum

und im Islam, ja selbst in den biblischen Religionen; auch weist Wilhelm Grube auf den tiefgehenden Gegensatz hin zwischen dem scharfen Dualismus, auf dem alles Schamanentum fusst, und den ausgesprochen monistischen Voraussetzungen, die der vornehmsten der mongolischen Religionen, dem chinesischen Staats- und Himmelswelt zugrunde liegen. 23) Fetischismus ist zwar in Afrika zuerst richtig beobachtet worden, aber so wenig auf dieses beschränkt, als der Ahnenkult auf das alte China oder Rom.

Schien es so eine Weile, als sollte die Religionsgeschichte sich in dem Feldgeschrei: Hie Indogermanen, hie Semiten! erschöpfen, so bereitete sich doch bereits im Stillen die Reaktion gegen diese Entwicklung vor. Sie kam von einer Seite her, da man es kaum erwartet hätte: von der Ethnographie einerseits, der Archäologie anderseits. Jene entdeckte gewisse, allen primitiven Religionen zugrunde liegende, von Rasse oder Sprachstamm völlig unabhängige Grundvorstellungen, diese wies in Verfolgung der durch Mannhardt gewiesenen Wege hin auf den primitiven Charakter auch der höher entwickelten Religionen. Schon Max Müllers Oxforder Kollege Tylor hatte dessen Henotheismus seine eigene Theorie vom Animismus, d. h. der Beseelung der Natur und vom Seelenkult gegenübergestellt, als Grundlage nicht bloss indogermanischer, sondern aller Religion. Andere mochten diesen Begriff ersetzen durch den des Totemismus, des Fetischismus, der Magie, des Totenkultes, des Glaubens an Mana oder Macht, in allen Fällen handelt es sich um etwas, was quer durch alle Religionen zu verfolgen und in keiner Weise durch Rassen- oder Sprachgrenzen beschränkt war.

Natürlich verfiel auch diese Forschungsweise dem Fehler aller Entdecker, die eigene Idee einseitig hervorzuheben, sei es, dass man mit Wilhelm Wundt alle religiösen Erscheinungen auf Animismus zurückführen wollte, oder wie P. Wilhelm Schmidt sich vorzeitig durch Andrew Langs Entdeckung der australischen Hochgötter oder Urväter blenden und zur Konstruktion eines Urmonotheismus im biblischen Sinne verführen liess. Gewaltige, für den Religionsforscher unentbehrliche Werke, wie etwa James Frazers "Goldener Zweig"24) verdanken solch einseitiger Durchführung einer Theorie ihren Ursprung.

Und doch hat hier ganz gewiss Nathan Söderblom am klarsten gesehen, wenn er den Gottesglauben zurückführt auf drei verschiedene Wurzeln: den Animismus, der die Vorstellung von Willen und Persönlichkeit schuf, den Mana- oder Machtglauben, der den Menschen zwingt, die Gottheit als das unendlich Mächtige und Ganz andere zu denken, also die Vorstellung der Heiligkeit formte, und den Urväterglauben, der auf die Frage "woher?" antwortet, also das Kausalitätsbedürfnis befriedigt. 25)

Es lag natürlich nahe, zu versuchen, ob nicht diese primitiven Elemente jeder Religion sich irgendwie mit dem Rassenschema verbinden liessen. Es ist in der Tat unbestreitbar, dass jede dieser Erscheinungen an irgend einem Punkte der Erde sich besonders klar beobachten liess, so der Ahnenkult in China, der Herrscherkult in Japan und Peru, der Heroenkult in Griechenland, aber auch Begriff wie tabu und mana dort, wo die Worte herstammen, auf den Südseeinseln. Es schien anfänglich, als seien diese religösen Grundformen auch bestimmten Menschengruppen eigentümlich, Sondergut bestimmter Rassen. Allein die Empirie korrigierte jeweilen sehr rasch die Theorie, und die Erkenntnis drängte sich auf, dass nichts so sehr Stammes-, Volks-, Sprachen- und schliesslich Rassengrenzen überkreuzt, wie die primitiven Grundformen der Religion. Dem melanesischen mana und tabu entsprechen genau das indianische openda und wakanda, aber ebenso Vorstellungen indogermanischer Frömmigkeit, wie der Lichtglanz, der um die Götter und Könige Persiens schwebt, ja schliesslich die unpersönlichen Gottheiten Indiens und seiner Spekulation ebensosehr wie nach Söderblom das japanische Shin und Kami oder das griechische Parallelen zu den australischen Hochgöttern liessen sich sofort an der Guineaküste, aber auch in der berühmten semitischen El-religion und im chinesischen Shang-Ti aufzeigen.

Gleichlaufend mit dieser Erforschung der primitiven Stämme und ihrer Religion ging die folkloristische Arbeit, die den Nachweis erbrachte, dass Begriffe wie Totenkult, Totemismus u. dgl. sich auch vertikal von den niedrigsten Entwicklungsstufen der Religionen bis zu den höchsten verfolgen lassen.

Von einer andern Seite her wurde das Problem angefasst durch die, aus der seit etwa zwei Menschenaltern rasch sich entwickelnden Assyriologie erwachsene, "panbabylonische" Schule Hugo Winklers. Sie versuchte, alle Religion, nicht nur Mesopotamiens,

sondern des ganzen Mittelmeerkreises, Indiens, Ostasiens und des vorcolumbischen Amerika auf eine in Babel gebildete und von da aus über den ganzen Erdkreis verbreitete altorientalische Weltanschauung zurückzuführen. 26) Ist diese Idee auch als groteske Uebertreibung längst aufgegeben, so hat sie doch das unvergängliche Verdienst, aufmerksam gemacht zu haben auf zahlreiche Entlehnungen und Gemeinsamkeiten der verschiedensten Religionen, wie die Aeonen- oder Weltzeitalterlehre, die Astrologie, die Heilandserwartung u. a. m., hat also an ihrem Teile dazu beigetragen, die Meinung zu erschüttern, als liessen sich sprach- und rassenmässige Typen in der Religion säuberlich auseinanderhalten.

All diese Ausweitungen der Religionsgeschichte nach der räumlichen Seite hin haben nun letztlich diese selbst umgestaltet. Sie wurde unter Zurückstellung der einzelnen historischen Religionen mehr und mehr zur Religionsphänomenologie, zuerst durch den Niederländer Chantepie de la Saussaye, dann durch den Dänen Edvard Lehmann und neuestens durch de la Saussayes Landsmann van der Leeuw, 27) neben denen der Deutsche Wach und der Franzose Levi-Brühl nicht vergessen seien.

Die Ueberwindung der Ansicht von der, wenn auch nur teilweisen, vollends der völligen Rassegebundenheit der Religion hat nun freilich noch eine weit über das enge Gebiet der Religionsforschung hinausgehende Bedeutung. Wie seit Gobineau und Chamberlain der Begriff der Rasse immer irgendwie wertbetont ist, so auch der der Religion. Der Frömmigkeitstyp der eigenen Rasse erscheint als der wertvollere, höhere, geistigere gegenüber dem der andern Rassen, also etwa der zur Mystik und Selbsterlösung neigende der indogermanischen, heute mit Vorliebe nordischen, gegenüber allem Asiatentum. Wobei freilich nicht übersehen werden dürfte, dass das genannte Asiatentum seinerseits genau so urteilt, nur mit umgekehrtem Vorzeichen — Aussprüche von Tagore, Ghandi und modernen chinesischen und japanischen Gelehrten wären hiezu reichlich beizubringen. Die moderne Religionswissenschaft ist nicht nur selbst von solchen vorgefassten Urteilen grundsätzlich frei, sie ist vielmehr darüber hinaus geeignet, das Vertrauen in sie zu erschüttern. Wie sie in den angeblich auf den Monotheismus hin tendierenden semitischen

Religionen die Vielheit von Göttern und Dämonen, Animismus und Fetischismus reichlich nachweist, so hat sie auch längst dargetan, wie die tiefsinnige Philosophie der Upanishad letztlich auf ganz primitiven Grundlagen ruht. 28) Den düsteren animistischen Hintergrund der lichten olympischen Götterwelt hat Erwin Rohde schon vor einem Menschenalter aufgezeigt, und wie primitiv im Grunde das ist, was wir als Religion der germanischen Stämme zu bezeichnen pflegen, das zeigen nicht nur die neuerdings stärker beachteten bildlichen Darstellungen germanischer Götter, wie Freyr und Odin sondern ganz besonders deutlich das, was von solchem germanischen Gedankengut sich als Aberglaube im germanischen Volksbewusstsein auch unseres Landes erhalten hat.

Unser Gang durch die kurze Geschichte einer jungen, aber zukunftsreichen wissenschaftlichen Disziplin ist zu Ende. Er hat trotz aller drängenden Eile und Enge doch wohl so viel klar gemacht, dass die Religionswissenschaft, so stark sie auch von Sprachwissenschaft und Volkskunde, von Ethnographie und Archäologie, von Psychologie und Soziologie sich abhängig weiss, doch ihre eigene Methode und ihren besondern Gegenstand hat. Die notwendige Arbeitsteilung darf nicht die ebenso notwendige Synthese vergessen lassen, die in dem Aufgabenkreis der universitas literarum liegt. Denn auch der Gegenstand der Religionswissenschaft, die Religion, führt ihr Eigenleben neben, zwischen und über den Mächten, die das Dasein des einzelnen wie der Menschheit bestimmen, und folgt eigenen Gesetzen, wird, wächst, wirkt und zerfällt. um andern Formen Platz zu machen, die, vielleicht auf ganz anderem Boden erwachsen, doch wiederum nach in ihnen selbst liegenden Gesetzmässigkeiten angeeignet und ausgestaltet werden. So liefert die Religionswissenschaft den Beweis, dass neben und über den Mächten von Blut und Art Mächte des Geistes einhergehen, die, im tiefsten Wesen des Menschen verankert, die Grenzen überschneiden, die durch jene geschaffen sind. Alle Kämpfe und Gegensätze der Bekenntnisse dürfen den Blick dafür nicht trüben, dass die Religionen im stärksten Masse gemeinschaftsbildend wirken — der Name einer neuen Teildisziplin, der Religionssoziologie und eines Mannes, Max Weber, drängen sich auf —, dass also die Religion letztlich nicht trennend, sondern überbrückend wirkt und dass alle Religionen, wenn auch auf dunkle und, verworrene Weise und auf manchem Umwege,

an ihrem Teile mithelfen, die Menschheit dem Ziele entgegenzuführen, das allen Weltreligionen als letztes vorschwebt, einer Communio sanctorum.

Anmerkungen

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Rektorats Reden © Prof. Schwinges
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