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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


15. Das Wafferfräulein bei Zug.


Mitgetheilt von Reithard , Schweizerischer Merkur. Jahrgang 1835, S. 190.

Männiglich ist bekannt, daß im Jahr 1435 plötzlich zwei ganze Straßen der Stadt Zug in den See versanken; aber nur die Volkssage erzählt uns, wie dieß zugegangen,



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warum und was aus den Versunkenen geworden. Es heißt nämlich, ein See- oder Wasserfräulein sei in den Sohn des Rathsschreibers verliebt gewesen, und dieser habe ihre Minne erwidert. Lange trieben sie heimlich ihr süßes Spiel; da erschien die Nixe ihrem Geliebten eines Abends mit weinenden Augen und sprach: "ES ist das letzte Mal, daß du mich stehst. Mein Vater, welcher in den Tiefen des See's herrscht, hat meine öftere Abwesenheit entdeckt, mich zu Rede gestellt, und ich habe ihm — gestanden. Er gerieth in heftigen Zorn und verbot mir den Umgang mit dir für ewig; es sei denn, du folgest mir hinunter in die Tiefe und lebest mit mir als Gatte in einem ehelichen Verbande." — "Aber wie kann das geschehen ?" entgegnete seufzend der Jüngling; "das Wasser ist ja nicht mein Element und du forderst meinen Tod." — "Mit Nichten!" war des Wassefräuleins tröstende- Antwort : Trinke von diesem Wasser und du wirst unten in der Fluth so gut leben können, als ein Fisch." — Der Verliebte traut,' tauchte gläubig mit der Nixe unter und lebte einige Zeit herrlich und in Freuden in den Krystallpalästen des Seekönigs an der Seite seiner schönen Gattin. Allmählich aber schlich sich ein schmerzliches Heimweh in sein Herz; er gedachte seiner Eltern, Geschwister und Freunde auf der Oberwelt, gedachte der Freuden seiner alten Heimath bei Hochzeiten, Ringen und Alpfahrt und an die Freuden des Himmels, ;u welchen Glocken und Orgelklang ihn riefen. Innig besorgt den immer trauriger Werdenden, entlockte ihm die Nixe endlich das Geheimniß seiner Empfindung und beschloß, die Schnsucht des Geliebten nach Möglichkeit zu befriedigen. Sie vertauschte in einer Nacht alles Wasser in den Küchen der beiden Straßen mit jener Flüssigkeit, welche die menschliche Natur fähig macht, auch unter den Fluthen leben zu können, und am Morgen darauf versanken, mitten in den Freuden eines Festtages, jene beiden



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Straßen plötzlich in den See. Keiner der Versunkenen ertrank; ihre Wohnungen kamen unversehrt auf den Grund des See's ;u stehen, und der Sohn des Rathschreibers fand seine Eltern, Verwandten, Bekannten und Freunde wieder. Bei sehr klarem Himmel können besonders scharfe Augen nicht nur die Giebel der Häuser, sondern auch das geschäftige Treiben auf den Straßen wahrnehmen. Ost dringen die Glockenklange der versunkenen Kirche, vermischt mit wunderbarem Orgelton aus der Tiefe des See's, und die Schiffer, die es hören, ziehen die Ruder aus dem Wasser, bekreuzen sich und beten ein andächtiges Paternoster.

Wie sich im Elbst (s. S. 206) die Natur des Nixes (s. S. 207) von ihrer bösen Seite zeigt, gestaltet sich im Wasserfräulein obiger Sage dieselbe zu einem lieblicheren Bilde. Das dämonisch Menschenfeindliche, selbst Blutdürstige und Grausame, die meisten der Wassergeistsagen charatterisirend, verliert sich hier und hat sich in Liebe und Theilnahme zu den Menschen verwandelt, welche sogar zwischen ihm und den geisterhaften Bewohnern der nassen Tiefe eheliche Verbindungen zulassen. Auf jeden Fall müssen wir hier ein Ueberbleibsel jener heiteren Weltanschauung des Heidenthums erblicken, welche Sterbliche mit dem Umgang und der Liebe der Götter und Göttinnen beglückte, eine Vorstellung, welche zu lebhaft war, als daß sie mit einem Male den Bemühungen der christlichen Bekehrer hätte weichen können; daß aber selbst diese derartige Wesen als etwas Wirkliches betrachteten, beweist die Art des Kampfes, welchen sie gegen dieselben führten. So berichtet die im 8. Jahrhundert niedergeschriebene vita St. Galli (Pertz 2, 7)"Im Laufe der Zeit kam es, daß der Auserwählte Gottes, Gallus, Wassernetze auswarf, aber da hörte er plötzlich von der Höhe des Berges einen Dämon einem anderen, der sich in der Tiefe des Meeres befand, zurufen. Als dieser antwortete: "ich bin da!" rief der Berggeist dagegen; "erhebe dich und komme mir zu Hilfe. Sieh ', die Pilger sind gekommen, die mich aus dem Tempel gestoßen haben (denn sie vertilgten die Götter, welche die Inwohner anbeteten, ja verleiteten sogar diese zum Uebertritt), komme, komme! hilf uns jene aus dem Lande vertreiben." Der Meergeist antwortete:"Sieh ' zu, Einer von Jenen ist auf dem Meere, dem ich nie werde schaden können, denn ich wollte seine Netze zerreißen; aber mich, den Besiegten,



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lasse klagen: mit dem Zeichen des Gebetes ist umschlossen, und niemals vom Schlafe bezwungen."Als der Auserwählte Gottes, Gallus, dies vernommen, schützte er sich, überall sich bekreuzigend, und sagte zu ihnen:"Im Namen Jesu Christi befehle ich Euch: weichet von diesem Platze und waget nicht, irgend Jemand hier zu verletzen; und darauf kehrte er in Eile zurück und erzählte seinem Abte, was er gehört hatte. Als der Mann Gottes, Columbanus, es gehört hatte, berief er die Brüder in die Kirche, das gewohnte Zeichen berührend. D seltsam teuflisches Wunder! die Stimmen der Diener Gottes übertönte die Stimme der Gespenster, da das Heulen ,und Jammern ihrer rauhen Stimme von den Berghohen vernommen wurde."Und in der aus dem ersten Viertel des 11. Jahrhunderts stammenden vita Godehardi hildesiensis heißt es e. 4:"Denn es befand sich im östlichen Theile unseres Landes (Hildeneshem ein schauderhafter und den Herumwohnenden durch mehrfache Schrecknisse verhaßter Sumpf, deßhalb weil sie dort sowohl am Tage als bei Nacht schreckliche Erscheinungen zu hören oder zu sehen vermeinten. Dieser Sumpf heißt nach der Salzquelle, die in seiner Mitte sprudelte, Sulza. Als er (Godehardus) diesen gesehen und auch von der Gespenstererscheinung , von der das rohe Volk sich schrecken lieh, vernommen hatte, schritt er im zweiten Jahre seiner Ankunft mit einem Kreuze und mit Reliquien von Heiligen in den Sumpf und schlug dort seinen Wohnsitz auf und gründete mitten auf der gefährlichsten Stelle ein Bethaus zu Ehren des heiligen Bartholomäus, des Apostels; als dieses im folgenden Jahre vollendet und eingeweiht war, vertrieb er völlig von Grund aus die Geistererscheinungen und schuf jenen Ort zu einem allen dort Verweilenden oder Hinkommenden angenehmen und ohne irgend eine Störung wohnbaren um."
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