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Kapitel 

Schweizerisches

Sagenbuch.


Nach

müdlichen Ueberlieferungen, Chroniken und andern gedrukten and handschriftlichen Quellen herabgegeben


und mit

erläuternden Anmerkungen begleitet von


C. Kohlrusch.

Leipzig,

Rob. Hoffnann

1854.


2. Die drei Telle.


Das Kloster, von Scheible. Bd. 9, S. 117.


I.

In einer wilden Berggegend der Schweiz, um den Waldstätter See, ist nach dem Volksglauben eine Felskluft worin die drei Befreier des Landes, die drei Telle genannt, schlafen. Sie sind in ihrer uralten Kleidung angethan, und werden wieder auferstehen und rettend hervorgehen, wenn die Zeit der Noth für das Vaterland kommt. Aber der Zugang der Höhle ist nur für den glücklichen Finder.


II

Ein Hirtenjunge erzählte Folgendes einem Reisenden: Sein Vater sei, eine verlaufene Ziege in den Felsenschluchten suchend, in diese Höhle gekommen, und gleich, wie er gemerkt , daß die drei darin schlafenden Männer die drei Telle seien, habe auf einmal der alte eigentliche Tell sich aufgerichtet und gesagt: "welche Zeit ist's auf der Welt?" und auf des Hirten Antwort : "es ist hoch am Mittag," gesprochen: "es ist noch nicht Zeit, daß wir kommen," und sei darauf wieder eingeschlafen. Der Vater, als er mit feinen Gesellen, die Telle für die Noth des Vaterlandes zu wecken, nachher oft die Stelle gesucht, habe sie doch nicht wieder finden können.



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Die Bildungsmotive obiger Sage sucht Rock in den drei Kapellen *), welche, als Denkmäler der Thaten Tells, seinen Namen führen. Weniger irre, glaube ich indessen, geht man, wenn man in den drei schlafenden Tellen die drei eigentlichen historischen Gründer der schweizerischen Freiheit, Walther Fürst, Werner Stauffacher und Arnold von Melchthal erkennt, auf welche ein dankbarer Volksglaube, mit einer für die mythische Vorstellungsweise passenderen Namensveränderung, dankend zurückblickt und für alle Zeit der Noth auch jetzt noch seine Hoffnung gesetzt hat. Ganz ähnliche Hoffnungen finden sich übrigens in den Sagen der verschiedenartigsten Volksstämme vor. So schläft der Maurenfürst Boabdil in einem Berge des Alhambra, um sich, wenn der richtige Augenblick eintritt, für sein Volk zu erheben, und in Portugall lebt der König Sebastian, der in der Schlacht bei Alcazar umkam, noch irgendwo, um zur rechten Zeit, wenn auch spät, wieder zu erscheinen. Ganz ähnlich wollte man in neuester Zeit nicht an den Tod des Kaisers Napoleon glauben und die Bauern in Steiermark behaupten in diesem Augenblick noch steif und fest, ihr Kaiser Joseph, der sie von der Leibeigenschaft befreite, befinde sich noch am Leben und werde, sobald man sie unter dieses Joch zurück zu bringen suche, ihnen wieder schützend zur Seite treten. Die auffallendste Analogie aber mit unserer Sage bietet der im Kyffhäuser-schlafende Friedrich Barbarossa dar, welcher, wenn Feinde das Schwabenland bedrohen, als helfender Retter erscheinen wird, und der einst einen Schäfer, der von einem Zwerg in diesen Berg hineingeführt worden war, "fliegen die Raben noch um den Berg?" gefragt, auf Bejahung dieser Frage aber "nun muß ich noch länger schlafen!"ausgerufen haben soll. Daß der Riese der Dominikhöhle (s. S. 174), auf dieselben Bildungsmotive Ansprüche machend, in, den gleichen Sagenkreis gehört, braucht wohl nicht bemerkt zu werden. Was Tell selbst betrifft, so hat dessen geschichtliche Existenz bekanntlich neuerdings viele Gegner gefunden, wir wollen jedoch denselben an einem passenderen Platze, in der dritten Abtheilung dieser Sammlung, bei der historischen Sage von seinem Tode unsere Aufmerksamkeit schenken; einstweilen möge hier nur noch das "von Hieronimus Muheimb **) gebesserte



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und vermehrte new Lied von Wilhelm Tell, von der Historie und dem Ursprung der Eidgenossenschaft" folgen, welches als fliegendes Blatt erschien und von dem man das Jahr 1633 als sein ältestes Druckjahr kennt, bei welchem aber, nach Haller V. 23, ältere Abschriften und Drucke vorauszusetzen sind. Als Gründer der schweizerischen Freiheit preist auch dieses Lied den Tell und spielt selbst, wenn auch in negativem Sinne, auf sein einstiges unsrer Sage zu Grunde liegendes Wiedererscheinen unter dem Volke an. Es lautet folgendermaßen:
Wilhelm bin ich der Telle,
Von Heldenmuts und Blut!
Mit meinem Geschoß und Pfeile
Hab ' ich der Freiheit Gut
Dem Vaterland erworben,
Vertrieben Tyrannei,
Einen festen Bund geschworen
Han unser Gsellen Drei.
Schwyz, Uri, Unterwalden,
Gefreiet von dem Rych,
Litt großen Zwang und Gwalte
Von Vögten unbillig;
Kein Landmann dorft' nit sprechen:
Das ist mein eigen Gut! —
Man nahm ihm also freche
Die Ochsen von dem Pflug,
Dem, der sich wollte rächen
Und stellen in die Wehr,
Ließ man das Aug ausstechen;
Und hört der Bosheit mehr:
Zu Altdorf bei der Linden
Steckt auf der Vogt den Hut
Und sprach, ich will den finden,
Der dem nicht Ehr anthut!
Jost und Heiri bei Marignano fielen, war Pritschenmeister (Sieler bei den Schützenfesten) und hatte als solcher das damit verknüpfte Amt des Spaßmachers und Gelegenheitsdichters (praeco, ut rhytmos extemporales pronunciet, wie Frischens Wörterbuch den Pritschenmeister befinirt). Daß Muheims Ueberarbeitung nicht allzusehr hinter dem Originale zurückgeblieben, erhellt daraus, daß sich einzelne Strophen obigen Gedichtes noch an einem Hausgiebel zu Arth angeschrieben finden, von dem es Clemens Brentano für das Wunderhorn kopirte, und daß dasselbe Lied noch während der französischen Invasion der beliebte Gassenhauer der Waldstätte war, der namentlich bei der Einnahme Luzerns wieder ertönte.



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Das hat mich verursachet,
Daß ich mein Leben wagt;
Den Jammer ich betrachtet ,
Des Landmanns schwere Klag
lieber wollt' ich sterben,
Denn leben in solcher Schand;
Dem Vaterland erwerben
Wollt' ich den freien Stand!
Den Filz wollt' ich nicht ehren,
Den aufgesteckten Hut;
Das grimmte den Twingherren,
In seinem Uebermuth
Faßt er den Anschlag eitel,
Daß ich muß schießen gschwind
Einen Apfel von dem Scheitel
Meinem allerliebsten Kind.
Da bat ich Gott, den Guten,
Da spien ich auf mit Schmerz,
Vor Angst und Sual mir blutet
Mein väterliches Herz;
Den Pfeil konnt wohl ich setzen,
Bewahret blieb der Knab,
Ich schoß ihm unverletzet
Vom Haupt den Apfel ab.
Auf Gott stund all mein Hoffen,
Der leitete den Pfeil;
Doch hätt' ich mein Kind hoffen
ich hätt' in Eil
Den Bogen wieder gspannen,
Und troffen an dem Ort
Den gottlosen Tyrannen,
Zu rächen solchen Mord!
Das hat der Bluthund gschwinde
Gar wohl an mir verschmelzt,
Als ich einen Pfeil dahinten
Ins Goller eingesteckt;
Was ich damit thät meinen?
Wollt' er ein Wissen han;
Ich konnt' es nicht verneinen,
Zeigt' ihm die Meinung an.



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Er har mir zwar versprochen,
Er thäte mir kein Leid,
Jedoch er hat gebrochen
Sein Wort und seinen Eid,
Ja zu denselben Stunden
Mit Zorn er mich ergriff,
Ließ mich gar hart gebunden
Hinführen in ein Schiff.
Ich gnadet mein Gesinde,
Daß ich sie muß verlan
Mich jammern Weib und Kinde
Mit manchem Biedermann,
Er wollt mich han zur Buße
Beraubt des Sonnenscheins,
Zu Küßnacht auf dem Schlosse
Mich ewig sperren ein.
Gott that dem Wind gebieten,
Der kam im Sturm Bahar;
Der See sing an zu wüthen,
Das Schiff war in Gefahr;
Der Vogt ließ los mich binden
Und an das Ruder stohn ,
Er sprach: Hilf und geschwinde
Mir und dir selbst dahon r
Das mocht ' ich gern verstatten
Und säumte mich nit lang,
Da kam ich zu der Blatten,
um Schiff hinaus ich sprang ,
Ich eilte wunderschnelle
Durch hohe Berg hindan —
Den Winden und der Welle
Befahl ich den Tyrann. ':
Er brüllte wie ein Leue
Und schrie mir zornig nach,
Ich achtet nicht sein Dräuen,
Zu fliehen war mir gach;
in der Hohlen Gassen
Wollt rächen ich den Trutz,
That meine Armbrust fassen
Und stellte mich zum Schutz.



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Der Vogt kam jetzt geritten
Herauf die Gasse hohl,
Ich schoß ihn durch inmitten,
Der Schuß gerieth mir wohl;
Zu Tod ist er geschossen
Mit Einem Pfeile gut;
Bald fiel er ab dem Rosse ,
Deß ward ich wohlgemuth.
Mein Gsell ,hat auch gewaget,
Der hatte ohne Gnad
Den Landenberg gezwaget
Mit einer Axt im Bad;
Als er sein Weib mit Zwange
Wollt haben zum Muthwill,
Da schont er ihn nicht lange
Und schlug ihn todt in .
Kein andres Gut noch Beute
Suchten wir insgemein,
Als Gewalt auszureuten,
Das Land zu machen rein;
Wir fanden ja kein Rechte,
Kein Schirm, kein Obrigkeit,
Drum gingen wir ans Fechten,
Gottes Gnade blieb bereit.
Da fing an sich zu mehren
Eine werthe Eidgnosschaft,
Den Angriff zu verwehren
Kam auch der Feind mit Macht;
Den Ernst wir da nicht sparten,
Wir schlugen tapfer drein,
Wohl an dem Moregarten
Mußt er erschlagen sein.
Wir schlugen da den abel
Sammt aller seiner Macht,
Gestreift hand wir den Wadel
Dem Pfau, der uns veracht ';
Ein Pfeil hat uns gewarnet,
Das Glück stand auf der Wag,
Gar sauer hand wir erarnet
Zween Sieg an einem Tag.



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Der Feind that uns angreifen
Mehr denn an einem Ort,
Den Schimpf macht' er uns reifen,
Wir mußten eilig fort
An Brünig zu dem Streite,
Zu Hülf den Freunden gut;
Da gab der Pfau die Weite ,
Das kostete Schweiß und Blut.
Das merkt euch Eidgenossen ,
Gedenket oft daran;
Dies Blut, für euch vergossen,
Laßt euch zum Herzen gahn '
Die Freiheit thut euch zieren,
Drum gebet Gott die Ehr,
Solltet ihr die verlieren,
Sie würd ' euch nimmermehr!
Mit Müh ist sie gepflanzet,
Mit eurer Väter Blut;
Freiheit, den schönen Kranze,
Den haltet wohl in Hut!
Den wird man ab euch stechen,
Ich sorg, zur selben Zeit,
Wo Treu und Glauben brechen
Aus Eigennutz und Geit!
Wir ist, ich sähe kommen
So manchen Herren stolz,
Der bringt euch große Summen
Des Geldes und des Golds,
Damit euch abzumarken,,
Zu rauben euer Kind,
Die noch kein Wort nicht sagen
Und in der Wiegen sind!
Ich thu euch dessen warnen,
Weil Warnung noch hat Platz;
Doch sind gespannt die Garne,
Die Hunde auf der Hatz!
Gedenkt an meine Treue,
Kein Tell kommt nimmermehr,
Euch wird kein Freund aufs neue
Geben ein beßre Lehr!



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Thut euch zusammen halten
In Fried und Einigkeit
Als eure frommen Aten"
Betrachtet Bund und Eid;
Laßt euch vom Geld nicht müssen,
Die Gaben machen blind,
Daß ihr es nicht müsst büßen
Und dienen dann dem Fiend.
Den Tellen sollen wir loben,
Seine Armbrust hatte Werth,
Daß er im Grimm und Toben
Der Herren sich erwehrt!
Viel Schlösser hat er brochen,
Geschlissen auf den Grund,
Und aus den fremden Jochen
Gemacht den Schweizerbund!
Nehmt hin, fromm Eidgenossen:
Die noch aufrichtig sind,
Dies Lied, hiemit beschlossen,
Und schlagt es nicht in Wind.
Der Muheim hat's gesungen,
Gedichtet und gemehrt,
Den Alten und den Jungen
Im Vaterland verehrt.


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