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DIE ERZÄHLUNGEN AUS DEN TAUSENDUNDEIN NÄCHTEN

VOLLSTÄNDIGE DEUTSCHE AUSGABE IN SECHS BANDEN

ZUM ERSTEN MAL NACH DEM ARABISCHEN URTEXT DER CALCUTTAER AUSGABE AUS DEM JAHRE 1839

UBERTRAGEN VON ENNO LITTMANN

BAND 2

IM INSEL-VERLAG


DIE GESCHICHTE VOM HASCHISCHESSER

Es war einmal ein Mann, der die Schönen liebte und für sie sein Geld ausgab, bis er ganz verarmte und nichts mehr besaß. Da ward die Welt ihm zu enge, und er begann, in den Straßen umherzuirren, um etwas zu suchen, wodurch er sich ernähren könnte. Und während er so umherwanderte, siehe, da drang ihm ein alter Nagel in eine Zehe, so daß sein Blut floß. Er setzte sich hin, wischte das Blut ab und verband sich die Zehe. Dann ging er schreiend weiter, bis er zu einem Badehause kam; in das ging er hinein und legte seine Kleider ab. Und wie er sich drinnen umsah, fand er, daß es ein sauberes Bad war. Nun setzte er sich auf das Becken des Springbrunnens und ließ sich in einem fort das Wasser über den Kopf rinnen, bis er müde ward.' — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 143. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß der Mann sich auf das Becken des Springbrunnens setzte und sich in einem fort das Wasser über den Kopf rinnen ließ, bis er müde ward. Dann ging er zu dem Kaltwasser raum, und da er dort niemanden vorfand, setzte er sich in eine stille Ecke, holte ein Stück Haschisch heraus und schluckte es hinunter. Als es ihm zu Kopfe gestiegen war, fiel er rücklings auf den Marmorboden hin. Und nun gaukelte das Haschisch ihm vor, ein vornehmer Kammerherr knete ilm und zwei Sklaven ständen ihm zu Häupten, der



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eine mit einer Schale, der andere mit den übrigen Badegeräten und dem, was ein Badewärter sonst noch braucht. Als er das sah, sagte er sich im Traume: ,Es scheint, die irren sich in mir, oder es sind Leute von unserer Zunft, Haschischesser!' Dann streckte er seine Füße aus und glaubte zu hören, wie der Bademeister sagte: ,O Herr, die Zeit ist nahe, daß du hinaufgehst; und heute bist du an der Reihe.' Lächelnd sagte er zu sich selber: ,Wunderbar, o Haschisch!' Dann setzte er sich schweigend auf, träumte, daß der Bademeister kam, ihn bei der Hand nahm und ihm ein schwarzseidenes Tuch um den Leib legte. Die beiden Sklaven gingen hinter ihm mit den Schalen und den Geräten. So geleiteten sie ihn, bis sie ihn in eine Kammer führten, wo sie Weihrauch anzündeten. Dann sah er, wie der Raum voll war von allerlei Früchten und duftenden Blumen. Man schnitt eine Wassermelone für ihn auf und ließ ihn auf einem Stuhl von Ebenholz sitzen. Der Bademeister aber stand da und wusch ihn, während die beiden Sklaven Wasser über ihn gossen. Dann neben sie ihn gut ab und sprachen: ,O unser Herr Gebieter, Wohlergehen auf ewig!' Dann gingen sie wieder hinaus und machten die Tür zu. Wie er all dies geträumt hatte, nahm er das Tuch von seinem Leibe und fing an zu lachen, bis er fast in Ohnmacht fiel. Eine lange Weile lachte er weiter; dann aber sprach er bei sich: ,Was ist's mit ihnen, daß sie mich wie einen Wesir anreden und ,unser Herr Gebieter' zu mir sagen? Vielleicht haben sie jetzt einen Irrtum begangen; aber bald werden sie mich erkennen und sagen: ,Das ist ein Taugenichts', und dann werden sie mir sattsam den Nacken verprügeln.' Da er sich nun heiß fühlte, so öffnete er die Tür, worauf er weiter träumte, ein kleiner Mamluk und ein Eunuch träten zu ihm ein. Der Mamluk hatte ein Bündel bei sich: das machte er auf und nahm drei seidene Tücher aus ihm hervor.



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Das erste legte er ihm über den Kopf, das zweite um die Schultern, und das dritte gürtete er ihm um die Hüften. Der Eunuch aber brachte ihm Stelzsandalen, und die zog er an. Nun traten Mamluken und Eunuchen herein und führten ihn stützend. während er immerfort lachte, bis er hinaustrat und in die Halle hinaufstieg. Die fand er mit großen Teppichen ausgestattet, wie sie sich nur für Könige ziemen. Alsbald eilten die Diener auf ihn zu und setzten ihn auf einen Diwan; dann begannen sie ihn zu kneten, bis ihn der Schlaf übermannte. Und weiter sah er im Traume eine Jungfrau an seinem Busen; die küßte er und legte sie zwischen seine Schenkel; dann kniete er vor ihr, wie der Mann vor der Frau zu knieen pflegt, nahm seine Rute in die Hand und zog und preßte die Jungfrau an sich. Mit einem Male rief jemand ihm zu: ,Wach auf, du Taugenichts! Es ist schon Mittag, und du schläfst immer noch!' Da schlug er die Augen auf und fand sich am Rande des Kaltwasserbeckens liegen, mitten unter einer Schar von Leuten, die ihn auslachten, und dabei war sein Glied aufrecht, und das Tuch war von seinem Leib heruntergefallen. Nun ward es ihm klar, daß dies alles nur Irrgänge von Träumen und Täuschungen des Haschisch gewesen waren. Traurig blickte er den an, der ihn geweckt hatte, und sprach: ,Ach, hätte ich doch zu Ende träumen können!' Aber die Leute riefen: ,Schämst du dich nicht, du Haschischesser, hier nackt mit aufrechter Rute zu schlafen?' Und sie schlugen ihn, bis ihm der Nacken rot geworden war. Er aber war hungrig und hatte doch den Vorgeschmack der Glückseligkeit gekostet.' *

Als Kân-mâ-kân diese Erzählung der Sklavin gehört hatte, lachte er, bis er auf den Rücken fiel. Und er sprach zu Bakûn: ,Amme, das ist ja eine wunderbare Geschichte; ich habe noch



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nie etwas gehört wie diese Erzählung. Weißt du vielleicht noch eine andere?' ,Ja freilich', erwiderte sie. Und nun erzählte die Sklavin Bakûn dem Kân-mâ-kân ohn Unterlaß märchenhafte Begebenheiten und lustige Seltsamkeiten, bis der Schlaf ihn übermannte. Jene Sklavin aber blieb zu seinen Häupten sitzen, bis der größte Teil der Nacht vergangen war; da sprach sie bei sich selber: ,Dies ist die Zeit, um die Gelegenheit auszunützen!' Rasch sprang sie auf, zückte den Dolch, stürzte sich auf Kân-mâ-kân und wollte ihm die Kehle durchschneiden. Doch siehe da. die Mutter des Prinzen trat zu ihnen herein, und sowie Bakûn sie erblickte, eilte sie ihr entgegen; aber die Furcht kam über sie, und sie begann zu zittern, als hätte das Fieber sie gepackt. Verwundert ob ihres Anblicks weckte die Mutter des Kân-mâ-kân ihren Sohn aus dem Schlafe; und wie der erwachte, fand er seine Mutter zu seinen Häupten sitzen. So ward ihr Kommen der Anlaß zu seiner Rettung; und der Grund ihres Kommens war, daß Kudija-Fakân die Kunde von dem Plane zu seiner Ermordung vernommen und zu seiner Mutter gesagt hatte: ,O Gattin meines Oheims, eile zu deinem Sohne, ehe die Hexe Bakûn ihn ermordet.' Und dann hatte sie ihr alles. was geschehen war, von Anfang bis zu Ende erzählt. Da war die Mutter fortgeeilt, ohne sich zu besinnen und ohne irgend etwas abzuwarten, und war gerade in dem Augenblick eingetreten, in dem Bakûn sich wider den Schlafenden erhob und ihm die Kehle durchschneiden wollte. Wie er nun aufwachte. sprach er zu seiner Mutter: ,Du bist zur rechten Zeit gekommen, liebe Mutter; denn meine Amme Bakûn ist auch gerade bei mir in dieser Nacht.' Dann wandte er sich der Sklavin zu und fragte sie: ,Bei meinem Leben, weißt du noch eine Geschichte, schöner als die andern, die du mir erzählt hast?' Bakûn erwiderte: ,Was ist denn das, was ich dir vorher erzählt habe.



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im Vergleiche zu dem, was ich dir jetzt noch erzählen könnte! Das ist noch viel heiterer. Aber ich muß es dir zu anderer Zeit erzählen.' Dann machte sie sich auf, kaum noch an ihre Rettung glaubend, obwohl er ihr ein Lebewohl zurief; denn sie hatte in ihrer Schlauheit bemerkt, daß seine Mutter Kunde hatte von dem, was vorgefallen war.

Jene ging also ihres Weges. Aber seine Mutter sprach zu ihm: ,Lieber Sohn, dies ist eine gesegnete Nacht, da Allah der Erhabene dich von dieser Verfluchten gerettet hat.' ,Wie denn das?' fragte er, und sie berichtete ihm den Hergang von Anfang bis zu Ende. Da sprach er zu ihr: ,Liebe Mutter, siehe, wer am Leben bleiben soll, für den gibt es keinen Mörder; und selbst wenn die Mörderhand ihn trifft, so stirbt er doch nicht. Allein es ist das beste für uns, wenn wir von diesen Feinden fortziehen; doch Allah tut, was er will.'

Am andern Morgen verließ Kân-mâ-kân die Stadt und vereinigte sich mit dem Wesir Dandân. Nach seinem Fortgange aber ereigneten sich Dinge zwischen König Sasân und Nuzhat ez-Zamân, die auch sie zwangen, die Stadt zuverlassen. So kam sie denn gleichfalls zu ihnen, und ebenso vereinigten sich mit ihnen alle Reichswürdenträger des Königs Sasân, die auf ihre Seite hinüberneigten. Nun saßen sie zu einem Kriegsrat nieder, und man einigte sich auf den Plan, einen Raubzug gegen den König von Kleinasien zu machen und Rache an ihm zu nehmen. So brachen sie denn auf zum Kriege gegen die Romäer; aber sie fielen in die Gefangenschaft des Königs Rumzân, des Herrschers von Kleinasien, nachdem sich noch manche andere Dinge zugetragen hatten, die hier zu berichten zu weit führen würde, wie aus dem folgenden hervorgeht. Am Tage darauf befahl König Rumzân, Kân-mâ-kân und der Wesir Dandân und ihre Begleiter sollten zu ihm kommen. Und als sie dann



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vor ihn traten, ließ er sie neben sich sitzen und befahl die Tische mit den Speisen zu bringen. Als das geschehen war, aßen und tranken sie und beruhigten sich, nachdem sie bereits den sicheren Tod vor Augen gesehen hatten; denn als er sie kommen ließ, hatten sie zueinander gesagt: ,Er hat nur deshalb nach uns geschickt, weil er uns töten lassen will.' Wie sie sich also nun sicher fühlten, sprach der König zu ihnen: ,Ich habe einen Traum gesehen, und ich habe ihn den Mönchen erzählt, aber die sagten, keiner könne ihn mir deuten als der Wesir Dandân.' Da sagte der Wesir: ,Gutes mögest du gesehen haben, o größter König unserer Zeit!' Der König aber fuhr fort: ,O Wesir, ich sah mich selbst in einer Grube, die wie ein düsteres Brunnenloch aussah, und da waren Scharen von Leuten, die mich folterten. Ich wollte hinaufspringen; aber als ich hochsprang, fiel ich wieder auf meine Füße zurück, und es war mir unmöglich, aus jener Grube hinauszukommen. Dann blickte ich mich um und sah in ihr einen goldenen Gürtel; nach dem streckte ich die Hand aus, um ihn zu ergreifen; doch wie ich ihn von der Erde aufhob, sah ich, daß es zwei Gürtel waren. Als ich mir nun die beiden umlegte, siehe, da waren die beiden wieder nur ein Gürtel. Dies, o Wesir, ist mir im Traume geschehn, das ist's, was ich im süßen Schlummer gesehn.' ,Wisse, o unser Herr und Sultan,' erwiderte Dandân, ,dein Traumgesicht deutet darauf, daß du einen Bruder hast oder einen Bruderssohn. oder eines Oheims Sohn, oder irgendeinen, der zu deinem Hause, zu deinem Fleisch und Blut gehört, der jedenfalls einer eurer Edelsten ist.' Nachdem der König diese Deutung vernommen hatte, blickte er auf Kân-mâ-kân, Nuzhat ez-Zamân, Kudija-Fakân, den Wesir Dandân und die anderen Gefangenen, indem er bei sich selber sprach: ,Wenn ich denen da den Kopf abschlagen lasse, so wird der Mut ihrer Truppen schwinden,



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da ja dann die Führer dahin sind, und ich kann bald in mein Land zurückkehren, auf daß die Herrschaft mir nicht verloren gehe!' Wie nun dieser Entschluß bei ihm feststand, ließ er den Henker rufen und befahl ihm, Kân-mâ-kân auf der Stelle den Hals zu durchschlagen. Doch siehe, im selben Augenblick trat die Amme des Königs vor und fragte ihn: ,O glückseliger König, was hast du da beschlossen?' Er antwortete: ,Ich habe beschlossen, diese Gefangenen, die in meiner Macht sind, töten zulassen: dann will ich ihre Köpfe zu ihren Geführten hinüberwerfen lassen und selbst mit meinen Truppen im Vollangriffe über sie herfallen; wir werden einen Teil töten und die übrigen in die Flucht schlagen, und dies wird die Entscheidungsschlacht sein. So werde ich bald in mein Land zurückkehren können, ehe sich in meinem Reiche schwerwiegende Ereignisse vollziehen.' Als die Amme von ihm diese Worte vernahm, trat sie an ihn heran und sagte in fremder Sprache: ,Wie kann es dich gut dünken, den Sohn deines Bruders, deine Schwester und die Tochter deiner Schwester töten zu lassen?' Bei diesen Worten der Amme ergrimmte der König gewaltig, und er schrie sie an: ,O du Verfluchte, hast du nicht berichtet, daß meine Mutter erschlagen wurde und daß mein Vater durch Gift umkam? Du gabst mir doch ein Juwel und sagtest, das habe meinem Vater gehört! Warum hast du mir denn nicht die Wahrheit gesagt?' Da antwortete sie: ,Alles, was ich dir berichtet habe, ist wahr; aber mit uns beiden ist es eine seltsame Sache, und unser beider Geschick ist wunderbar. Nun denn, ich heiße Mardschâna, und deine Mutter hieß Abriza. Sie war voller Schöne und Lieblichkeit, ihr Mut ward im Sprichworte gefeiert, und sie war selbst unter den Helden berühmt ob ihrer Tapferkeit. Dein Vater war der König 'Omar ibn en-Nu'mân, der Herrscher von Baghdad und Chorasân; das ist gewißlich wahr



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und allen Zweifels bar. Er schickte einstmals seinen Sohn Scharkân auf einen Raubzug zusammen mit diesem Wesir Dandân, und von ihnen ward manche Tat getan. Nun war dein Bruder, der König Scharkân, den Truppen vorausgeritten und hatte sich von seinem Heere getrennt: da traf er mit deiner Mutter, der Prinzessin Abriza, in ihrem Schlosse zusammen. Wir waren nämlich mit ihr an eine einsame Stätte gegangen, um zu ringen; dort stieß er auf uns, während wir gerade bei dem Kampfe waren. Und er rang mit deiner Mutter; aber sie besiegte ihn durch ihre strahlende Schönheit und ihre Tapferkeit. Dann behielt sie ihn fünf Tage lang als Gast in ihrem Schlosse; aber das wurde ihrem Vater hinterbracht durch seine Mutter, die alte Schawâhi, mit dem Beinamen Dhât ed-Dawâhi. Nachdem deine Mutter den Islam angenommen hatte von deinem Bruder Scharkân, führte er sie mit sich und geleitete sie heimlich nach der Stadt Baghdad. Nur ich und Raihâna und zwanzig andere Mädchen waren bei ihr; und auch wir hatten alle den Islam von König Scharkân angenommen. Als wir dann zu deinem Vater, dem König 'Omar ibn en-Nu'mân, kamen und er deine Mutter, die Prinzessin Abrîza, erblickte, da erfüllte die Liebe zu ihr sein Herz; und eines Nachts ging er zu ihr und blieb mit ihr allein, da wurde sie mit dir schwanger. Deine Mutter aber hatte drei Juwele, und die schenkte sie deinem Vater; er gab eins seiner Tochter Nuzhat ez-Zamân, das zweite deinem Bruder Dau el-Makân und das dritte deinem anderen Bruder, dem König Scharkân. Dies nahm die Prinzessin Abrîza ihm wieder ab und bewahrte es für dich auf. Als dann die Zeit ihrer Niederkunft nahte, sehnte deine Mutter sich nach den Ihren, und sie offenbarte mir ihr Geheimnis. Da begab ich mich zu einem schwarzen Sklaven namens el-Ghadbân, teilte ihm heimlich unseren Plan mit und veranlaßte ihn, daß er mit uns reiste. Jener



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Sklave führte uns aus der Stadt hinaus und floh mit uns. während deine Mutter ihrer Entbindung schon nahe war. Als wir gerade den Anfang unseres Landes erreicht hatten, an einer einsamen Gegend, da überfielen deine Mutter die Wehen der Geburt. Doch der Sklave hatte sich in Gedanken mit Gemeinheit beschäftigt, und so kam er nah an sie heran und verlangte das Schändliche von ihr. Da schrie sie ihn laut an und schauderte vor ihm zurück; und in ihrem großen Schrecken gebar sie dich sogleich. In dem Augenblicke aber kam aus der Richtung unseres Landes eine Staubwolke hervor, die stieg auf und wirbelte empor, bis sich die Welt im Dunkel verlor. Da fürchtete der Sklave für sein Leben, und in seiner Wut hieb er auf die Prinzessin Abrîza mit seinem Schwerte ein und tötete sie; dann stieg er zu Pferde und ritt davon. Wie er nun aber entwichen war, tat die Staubwolke sich auf, und es erschien dein Großvater, König Hardûb, der Herrscher von Kleinasien. Kaum hatte er deine Mutter, seine Tochter, entdeckt, wie sie dort tot lag, auf den Boden hingestreckt, da erfüllte ihn bitteres Leid und tiefe Traurigkeit. Er fragte mich, wie sie zu Tode gekommen sei und warum sie heimlich das Land ihres Vaters verlassen habe. Da erzählte ich ihm alles von Anfang bis zu Ende. Dies ist auch der Grund der Feindschaft zwischen dem Volke des Landes der Griechen und dem Volke des Reiches von Baghdad. Dann trugen wir deine ermordete Mutter fort und legten sie ins Grab; ich aber hatte dich bereits an mich genommen, und ich zog dich auf, und das Juwel, das die Prinzessin Abrîza gehabt hatte, hängte ich dir um den Hals. Als du später herangewachsen warst und das Mannesalter erreicht hattest, war es mir nicht möglich, dir den wahren Sachverhalt mitzuteilen; denn hätte ich ihn dir berichtet, so wären alsbald wieder Kriege unter euch ausgebrochen. Auch hatte dein GroßVater



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mir Schweigen auferlegt, und ich konnte doch dem Befehle des Königs Hardûb, des Herrschers von Kleinasien, nicht zuwiderhandeln. Dies ist der Grund, weshalb ich dir diese Dinge' verborgen und dir nicht gesagt habe, daß König 'Omar ibn en-Nu'mân dein Vater ist. Als du zur Herrschaft kamst, erzählte ich dir einen Teil der Wahrheit, aber das Ganze habe ich dir erst zu dieser Stunde berichten können, o größter König unserer Zeit; ich habe das Verborgene dir offenbar gemacht und den Beweis dafür erbracht. Dies ist es, wovon ich Kunde erhalten; mögest du nun deines Rates walten!' Die Gefangenen aber hatten alles gehört, was die Sklavin Mardschâna, die Amme des Königs, gesagt hatte; und nun schrie Nuzhat ez-Zamân plötzlich laut auf und rief: ,So ist denn dieser König Rumzân mein Bruder von seiten meines Vaters 'Omar ibn en-Nu'mân, und seine Mutter war die Prinzessin Abriza, die Tochter des Königs Hardûb, des Herrschers von Kleinasien! Ich erkenne auch diese Sklavin Mardschâna ganz deutlich.' Wie nun König Rumzân all das hörte, ergriff ihn heftige Erregung, und er war ratlos über sich selbst. Doch ließ er sofort Nuzhat ez-Zamân zu sich kommen, und als er sie ansah, da ward Blut zu Blut hingezogen. Er fragte sie nach ihren Lebensschicksalen, und sie erzählte ihm alles. Und was sie sagte, stimmte überein mit dem, was seine Amme Mardschâna berichtet hatte. Also ward der König dessen gewiß, daß er sicher und ohne Zweifel vom Volke des Irak abstammte und daß König 'Omar ibn en-Nu'mân sein Vater war. Und im Augenblicke löste er die Fesseln seiner Schwester Nuzhat ez-Zamân. Die trat auf ihn zu und küßte ihm die Hände mit Tränen in den Augen. Und da sie weinte, mußte auch der König weinen; brüderliche Zärtlichkeit erfüllte ihn, und sein Herz neigte sich dem Sohne seines Bruders zu, dem Sultan Kân-mâ-kân. Rasch sprang er auf



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und nahm dem Henker das Schwert aus der Hand. Nun glaubten die Gefangenen, ihre letzte Stunde sei gekommen, als sie ihn das tun sahen. Er aber befahl, sie nahe heranzuführen, und durchschnitt selber ihre Fesseln, indem er seiner Amine Mardschâna zurief: ,Tu du deine Geschichte, die du mir erzählt hast. allen diesen noch einmal kund!' Da antwortete sie: ,Wisse, o König, dieser Alte da ist der Wesir Dandân, und er ist der beste Zeuge für mich; denn er weiß, wie sich alles in Wahrheit zugetragen hat.' Dann hub sie an zur selbigen Stunde vor den Gefangenen und vor den Königen der Griechen und der Franken, die dort zugegen waren, und tat ihnen jene Geschichte kund, während die Königin Nuzhat ez-Zamân und der Wesir Dandân und alle anderen Gefangenen sie ihr bestätigten. Doch gerade wie die Sklavin Mardschâna ihre Erzählung beendigte, fiel ihr Blick auf das dritte Juwel, das Ebenbild der beiden, die einst Prinzessin Abriza besessen hatte; das entdeckte sie am Halse des Sultans Kân-mâ-kân, und als sie es erkannte, tat sie einen lauten Schrei. von dem der Raum widerhallte. Zum Könige aber sprach sie: ,O mein Sohn, wisse, jetzt, in diesem Augenblicke, bin ich noch fester von der Wahrheit überzeugt worden, denn das Juwel da, das sich am Halse dieses Gefangenen befindet, ist das gleiche, wie ich es dir um den Hals gelegt habe, ja, es ist sein Ebenbild. So ist denn dieser Gefangene der Sohn deines Bruders, er ist wirklich Kân-mâ-kân !'Dann wandte Mardschâna sich an Kân-mâ-kân selbst mit den Worten: ,Laß mich dies Juwel sehen, o größter König unserer Zeit!' Der nahm es von seinem Halse, reichte es jener Sklavin, der Amme des Königs Rumzân, und die nahm es hin. Dann bat sie Nuzhat ez-Zamân um das dritte Juwel, und die gab es ihr. Als dann die beiden Edelsteine sich in der Hand der Sklavin befanden, reichte sie ihrerseits sie dem König Rumzân. Dem ward dadurch



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der wahrhafte Beweis kundgetan; und er war nunmehr überzeugt, er sei der Oheim des Sultans Kân-mâ-kân, und sein eigener Vater sei der König 'Omar ibn en-Nu'mân. Sogleich ging er auf den Wesir Dandân zu und umarmte ihn, dann umarmte er den König Kân-mâ-kân; und die beiden schrieen laut auf vor Freuden. Zur selbigen Stunde verbreitete sich die frohe Kunde; Pauken und Trommeln wurden geschlagen, Schalmeien wurden geblasen, und die Freude ward allgemein. Auch die Heere aus dem Irak und aus Syrien vernahmen den Freudenlärm bei den Griechen; so saßen sie denn allesamt auf, und mit ihnen der König ez-Ziblikân, der bei sich sprach: ,Was mag wohl der Grund sein zu diesem Freudengeschrei beim Heere der Griechen und Franken?' Und das irakische Heer zog herbei, als ob es zum Kampfe entschlossen sei; es rückte auf das Blachgefild, die Stätte, die dem Kampfe mit Schwert und Lanze gilt. Da blickte König Rumzân auf und sah die anrückenden Scharen, die zum Kampfe gerüstet waren. Rasch fragte er, was das bedeute, und als man ihm Bericht erstattet hatte, befahl er, Kudija-Fakân, die Tochter seines Bruders Scharkân, solle ohne Verzug zum Heere von Syrien und dem Irak hinüber eilen, um ihnen das seltsame Zusammentreffen der Ereignisse mitzuteilen, und daß es sich erwiesen habe, der König Rumzân sei der Oheim des Sultans Kân-mâ-kân. So eilte denn Kudija-Fakân selbst dahin und schlug sich Leid und Trauer aus dem Sinn, bis sie zum König ez-Ziblikân gelangte. Sie begrüßte ihn und tat ihm kund, wie seltsam die Ereignisse zusammengetroffen waren, und daß es sich erwiesen habe, der König Rumzân sei ihr Oheim und der Oheim von Kân-mâ-kân. Als sie bei ihm eingetreten war, hatte sie ihn vor Furcht um das Leben der Emire und Fürsten weinend gefunden. Aber als sie ihm die Dinge von Anfang bis zu Ende berichtet hatte, waren alle hocherfreut,



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und es schwand ihr Leid. Da saßen sie auf, der König ez-Ziblikân zumal, und mit ihm die Großen und Fürsten all. Voran ritt die Prinzessin Kudija-Fakân, und sie führte sie zum Prunk zelte des Königs Rumzân; und wie sie bei ihm eintraten, fanden sie ihn beisammen mit seinem Neffen Kân-mâ-kân. Der und auch der Wesir Dandân hatten mit ihm beraten über den König ez-Ziblikân. Sie waren übereingekommen, ihm die Stadt Damaskus in Syrien weiterhin anzuvertrauen und ihn als Unterkönig dort zu belassen, wie er es zuvor gewesen war, während sie selbst ins Irak ziehen wollten. So setzten sie denn den König ez-Ziblikân als Statthalter von Damaskus in Syrien ein, und dann befahlen sie ihm, dorthin zu ziehen; er brach darum mit seinen Truppen nach jener Stadt auf, während sie ihm eine Strecke weit zum Abschied das Geleit gaben. Darauf kehrten sie an ihre Lagerstätte zurück und ließen den Truppen verkünden, sich zum Aufbruch in das Land des Irak zu rüsten; die beiden Heere vereinigten sich also miteinander. Die Könige aber sagten einer zum andern: ,Nie werden unsere Herzen Ruhe finden, noch auch wird unsere Zornesglut schwinden, als bis wir die Rache vollstrecken und die Schande zudecken durch Bestrafung der alten Schawâhi, genannt Dhât ed-Dawâhi!' Dann brach König Rumzân mit seinen Vertrauten und den Großen seines Reiches auf; und der Sultan Kân-mâ-kân war erfreut über seinen Oheim König Rumzân, und er segnete die Sklavin Mardschâna, weil sie sie einander zu erkennen gegeben hatte.

So zogen sie alle ohne Aufenthalt dahin, bis sie ihr Land erreichten. Dort hörte der Oberkammerherr Sasân von ihnen; drum zog er aus und küßte die Hand des Königs Rumzân, und der verlieh ihm ein Ehrengewand. Darauf setzte sich König Rumzân und ließ seinen Neffen, den Sultan Kân-mâ-kân, neben sich sitzen. Als aber Kân-mâ-kân zu seinem Oheim sprach:



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,Lieber Oheim, dies Königreich gebührt nur dir allein!' antwortete jener: ,Das verhüte Gott, daß ich dir dein Reich streitig mache!' Doch der Wesir Dandân riet ihnen beiden, miteinander die Herrschaft zu teilen, indem ein jeder abwechselnd je einen Tag regiere; und dem stimmten beide zu. — —«

Da bemerkte Schehrezâd, daß der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an. Doch als die 144. Nacht anbrach, fuhr sie also fort: »Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, daß die beiden Könige dahin überein kamen, ein jeder solle abwechselnd je einen Tag regieren. Dann veranstalteten sie Gastmähler, für die sie viele Tiere schlachten ließen, und ihre Freude ward immer größer. Eine Weile lebten sie so dahin, während Sultan Kân-mâ-kân die Nächte bei seiner Base Kudija-Fakân verbrachte. Danach aber, als sie eines Tages dasaßen, erfreut über ihr Leben und die gute Wendung des Schicksals, da trat fern eine Staubwolke hervor, die stieg auf und wirbelte empor, bis sich die Welt im Dunkel verlor. Fast im selben Augenblick kam auch ein Kaufmann zu ihnen, der schrie und flehte laut um Hilfe, indem er rief: ,O ihr größten Könige unserer Zeit, wie kommt es, daß ich im Lande der Ketzer sicher leben kann, in eurem Lande aber geplündert werde, dem Lande der Gerechtigkeit und Sicherheit?' Da trat König Rumzân an ihn heran und fragte ihn, was mit ihm sei. Jener erwiderte: ,Ich bin ein Kaufmann und bin, der Heimat weit, umhergezogen seit einer langen Spanne Zeit; ja, fast auf die Dauer von zwanzig Jahren bin ich in der Welt umhergefahren. Und ich habe einen Freibrief aus der Stadt Damaskus, den mir der selige König Scharkân ausgestellt hat, weil ich ihm eine Sklavin zum Geschenk gemacht hatte. Als ich nun mit hundert Lasten von indischen Kostbarkeiten in dies Land kam und schon nahe bei Baghdad war, das doch euer unverletzliches



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Gebiet und die Stätte eures Schutzes und eurer Gerechtigkeit ist, da überfielen mich Banden, Araber und Kurden, zusammengewürfelt aus allen Landen; die erschlugen meine Dienerscharen und raubten mir meine Waren. Dies ist's. was mir widerfahren!' Dann fing der Kaufmann vor König Rumzân an zu weinen und brach klagend zusammen; der König aber hatte Mitleid und Erbarmen mit ihm, und ebenso bemitleidete ihn sein Neffe, der König Kân-mâ-kân, und beide schworen, sie wollten wider die Räuber zu Felde ziehen. So zogen sie denn aus wider sie mit hundert Rittern, von denen ein jeder so viel wie tausend Mannen zählte. Jener Kaufmann eilte ihnen voran, um sie auf den rechten Weg zu führen. Sie ritten ohne Unterlaß den Tag über und die ganze Nacht bis zum Morgengrauen; da befanden sie sich bei einem Tale, in dem sahen sie zahlreiche Bäche fließen und viele Bäume sprießen. Und sie entdeckten, daß die Räuber sich in jenem Tale zerstreut hatten; die Lasten des Kaufmanns hatten sie unter sich verteilt, und nur ein Teil war noch übrig. Nun stürmten die hundert Ritter ringsum auf sie ein und griffen sie von allen Seiten an. Den Kriegsruf erhob König Rumzân, und ebenso tat sein Neffe Kân-mâ-kân. Und es währte nicht lange, da hatten sie alle gefangen; das waren dreihundert Reiter, lauter zusammengelaufenes Beduinengesindel. Nach der Gefangennahme entrissen sie ihnen, was sie von den Waren des Kaufmanns noch bei sich hatten; dann legten sie ihnen starke Fesseln an und schleppten sie nach der Stadt Baghdad. Darauf setzte sich König Rumzân gemeinsam mit seinem Neffen, dem König Kân-mâ-kân, auf demselben Throne nieder. Dann ließen die beiden sich all die Leute vorführen und fragten sie nach ihrem Treiben und nach ihren Anführern. Jene antworteten: ,Wir haben keine Anführer außer drei Männern, und zwar



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denen, die uns aus allen Gegenden und Ländern zusammengebracht haben!' ,Zeigt uns eure Häuptlinge!' befahlen die Könige. Als jene das getan hatten, befahlen sie weiter, man solle die drei festhalten, die übrigen Gesellen aber freilassen, nachdem man ihnen alles Gold, das sie bei sich hatten, abgenommen und es dem Kaufmanne übergeben habe. Nun untersuchte der Kaufmann seine Stoffe und sein Geld. und er fand, daß ihm der vierte Teil verloren gegangen war; da versprachen sie ihm, sie wollten ihm alles ersetzen, was ihm abhanden gekommen sei. Schließlich zog er noch zwei Schreiben hervor, das eine in der Handschrift von Scharkân. das andere in der von Nuzhat ez-Zamân. Denn eben dieser Kaufmann war es ja gewesen, der Nuzhat ez-Zamân von dem Beduinen kaufte, als sie noch Jungfrau war, und sie ihrem Bruder zuführte: und dann war zwischen beiden geschehen, was berichtet ist. Hierauf prüfte König Kân-mâ-kân die beiden Schreiben, erkannte die Schrift seines Oheims Scharkân und vernahm die Geschichte seiner Muhme Nuzhat ez-Zamân. Alsdann begab er sich zu ihr mit jenem zweiten Schreiben, das sie für den später ausgeplünderten Kaufmann geschrieben hatte; auch erzählte er ihr die Geschichte des Kaufmanns von Anfang bis zu Ende. Nuzhat ez-Zamân erinnerte sich seiner wieder und erkannte ihre eigene Schrift; da ließ sie Gastgeschenke für ihn hinausbringen und empfahl ihn ihrem Bruder König Rumzân und ihrem Neffen König Kân-mâ-kân. Die geruhten ihm wegen seiner guten Dienste Geld, Sklaven und Diener zu schenken. Auch Nuzhat ez-Zamân sandte ihm noch hunderttausend Dirhems und fünfzig Lasten Waren und andere kostbare Geschenke. Dann ließ sie ihn holen, und als er kam, ging sie zu ihm hinaus, begrüßte um und tat ihm kund, sie sei die Tochter des Königs 'Omar ibn en-Nu'mân, ihr Bruder sei König Rurnzân und ihr Neffe Kö



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fig Kân-mâ-kân. Hocherfreut darüber beglückwünschte er sie, daß sie wohlbehalten heimgekehrt und mit ihrem Bruder wieder vereinigt war, küßte ihr die Hände und dankte ihr für das, was sie an ihm getan hatte; dann schloß er mit den Worten: ,Bei Gott, an dir war die gute Tat nicht verloren.' Darauf zog sie sich in ihr Gemach zurück, während der Kaufmann noch drei Tage bei ihnen blieb. Dann nahm er Abschied von ihnen und machte sich auf nach dem Syrerlande.

Danach ließen die Könige jene drei Raubgesellen kommen, die der Wegelagerer Häuptlinge gewesen waren, und fragten sie nach ihrem Treiben. Einer von ihnen hub an und sprach: ,Wisset, ich bin ein Beduine, der am Wege zu lauem pflegte, um die kleinen Kinder und Jungfrauen aufzuheben und sie an die Händler für Geld weiterzugeben. So trieb ich es eine lange Spanne Zeit, bis noch zu diesen Tagen; aber da mußte der Satan mich plagen, daß ich mich diesen beiden Schurken hier anschloß, um mit ihnen das Gesindel der Araber und anderer Völker zusammenzubringen für Räuberei und Wegelagerei.' Da befahlen die Könige ihm: ,Erzähle uns das Wunderbarste, was du bei deinem Raub von Kindern und Jungfrauen erlebt hast!' Er antwortete darauf: ,Das Wunderbarste, was mir widerfahren ist, o ihr größten Könige unserer Zeit, ist dies. Vor zweiundzwanzig Jahren raubte ich eines Tages eine von den Töchtern Jerusalems; jene Maid war schön und lieblich, doch sie war eine Dienstmagd und trug zerlumpte Kleider, und auf ihrem Kopfe lag ein Fetzen von einem Mantel aus Kamelshaaren. Ich sah sie, wie sie aus dem Chân kam, sofort entführte ich sie mit List, setzte sie auf ein Kamel und eilte fort mit ihr. Zwar hatte ich im Sinne, sie zu meinem Volke in die Steppe zu führen und sie bei mir die Kamele hüten und den Mist im Tale sammeln zu lassen. Aber da sie so heftig weinte, machte ich



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mich an sie und versetzte ihr jämmerliche Hiebe; dann nahm ich sie und brachte sie nach der Stadt Damaskus. Dort sah ein Händler sie bei mir; der war fast wie von Sinnen, als er sie erblickte. Auch gefiel ihm ihre feine Rede, und so wollte er sie von mir kaufen und bot mir einen immer höheren Preis für sie, bis ich sie ihm schließlich um hunderttausend Dirhems verkaufte. Während ich sie ihm übergab, vernahm ich aus ihrem Munde wunderbar feine Worte; und nachher ist mir berichtet worden, daß der Händler ihr ein schönes Gewand anzog, sie dem König, dem Statthalter von Damaskus, zum Geschenk anbot, und daß der ihm das Doppelte von der Summe gab, die der Mann mir bezahlt hatte. Dies, o größte Könige unserer Zeit, ist das Wunderbarste, was mir widerfahren ist. Aber, bei meinem Leben, jener Preis war zu niedrig für das Mädchen!' Als die Könige diese Geschichte hörten, verwunderten sie sich. Doch wie Nuzhat ez-Zamân vernahm, was der Beduine erzählte, ward das Licht vor ihren Augen zur Finsternis, sie schrie auf und rief ihrem Bruder Rumzân zu: ,Siehe, dies ist derselbe Beduine, der mich aus Jerusalem entführt hat, daran ist kein Zweifel!' Dann erzählte Nuzhat ez-Zamân ihnen alles, was sie auf ihrer Wanderschaft in der Fremde durch ihn zu leiden gehabt hatte, Not und Schläge, Hunger und Schmach und Verachtung; und sie schloß mit den Worten: ,Jetzt steht mir das Recht zu. ihn zu töten!' Darauf zückte sie das Schwert und trat an den Beduinen heran, um ihn zu töten. Er aber schrie auf und rief: ,O ihr größten Könige unserer Zeit, laßt nicht zu, daß sie mir das Leben nimmt, ehe ich euch noch andere seltsame Abenteuer erzählt habe, die mir widerfahren sind!' Nun sprach ihr Neffe Kân-mâ-kân zu ihr: ,Liebe Muhme, laß ihn uns eine Geschichte erzählen; danach tu, was du willst!' Da ließ sie von ihm ab; und die Könige befahlen: ,Jetzt erzähle uns



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eine Geschichte!' ,O ihr größten Könige unserer Zeit,' bat er darauf, ,wenn ich euch eine wunderbare Geschichte erzähle, wollt ihr mir dann verzeihen?' Als die Könige ihm das zusagten, begann der Beduine ihnen das seltsamste Erlebnis, das ihm widerfahren war, zu erzählen.


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