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Kapitel 

Die schönsten Sagen des Berner Oberlandes


Erzählt für Jung und Alt von


Otto Eberhard

Mit 54 Zeichnungen von Fritz Buchser

Hans Feuz-Verlag Bern /Leipzig


Das Waldhorn

Nicht weit von Iselwald, dem anmutig gelegenen Dörfchen am linken Ufer des Brienzersees, wohnte vor Zeiten ein Jäger. Dem ging sein Handwerk über alles. Schon in der Morgenfrühe kletterte er in den Felsen herum, Gewehr und Waidtasche umgehängt, den gestachelten Bergstock in der Hand, und keine größre Freude konnte ihm werden, als am Abend mit einem oder gar zwei erlegten Tieren in seine Hütte heimzukehren.

In dieser Weise trieb er es jahrelang mit Eifer fort. Dann und wann, freilich, überfielen ihn gar sonderbare Gedanken. "Wer gab denn dem Menschen das Recht ", also sprach er zu sich selber, solch friedliche Geschöpfe wie die Gemsen so zu ängstigen und zu morden ?" Und hatte er nicht oft genug im Auge des sterbenden Tieres die stumme Frage gelesen: Was hab ich dir denn getan, daß du mich nicht leben lassen willst 2" " Nach solchen Gedanken und Erlebnissen war der Jäger jeweilen nahe daran, sein Gewehr fortzuwerfen und ein neues Leben zu beginnen.

Eines Tages, als der Mann der Jagd oblag, überfiel ihn ein schreckliches Gewitter, daß er unter eine Tanne flüchtete, dort Schutz zu suchen. Da aber fuhr der Blitz in den Baum, spaltete ihn von oben bis unten und zerschmetterte des Jägers Arm.

Einarmig geworden, war es von da an mit dem Sagen zu Ende, und unmutig hing der Mann sein Gewehr an die Wand. Was sollte er setzt beginnen, sein Leben zu fristen ?

Er sann lange hin und her, eine Arbeit zu finden, die nicht gleich beide Hände verlangte. Wie er nun eines Tages im Gaden droben unter alten Sachen kramte, blitzte ihm plötzlich ein heller Schein entgegen. Es war ein Waldhorn, das ihm einst in jungen Jahren sein Liebchen geschenkt.

Er setzte es an den Mund und hub zu blasen an. Und siehe, es klang noch immer so hell und freudig wie vor ,Zeiten, als er seinem Liebchen aufspielte, und frischweg gelangen ihm auch die Lieder, die er damals erlernt.



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Da zog eine heimliche Freude in sein Herz. Von nun an spielte er Tag für Tag, versuchte neue Lieder, blies Jodler und Tänzchen, ahmte die schwermütigen Klänge des Alphorns nach. Und wie er lange Seit solchermaßen geübt, da zog der Wackere an einem schönen Morgen seinen Jägerrock an, schlang das Horn um seinen Arm und verließ die Hütte, um in der Welt draußen als Spielmann sein Glück zu versuchen.

Er wanderte von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt. Und wo er hinkam, da eilten die Leute herbei und scharten sich um den einarmigen Mann im grünen Kleide, seinen Klängen zu lauschen. Und alle, jung und alt, lauschten ihm gerne denn er verstand es, einem jeglichen etwas zu bieten. Die Kinder entzückte er mit lustigen Tänzchen , die Liebenden mit Weisen, in denen es jubelte von Sonne, von Blumen und Mai, und manch ein Alter wischte sich heimlich eine Träne von der Wange, wenn sene sehnsuchtsvollen Töne erklangen, die das Gemüt mit Lust und Weh zugleich erfüllen. Und die Menschen, die er dergestalt erfreute, zeigten sich dankbar, warfen ihm Kupfermünzen in Menge zu, bewirteten ihn reichlich mit Speise und Trank und sahen den immer frohen Gast nur ungern weiterziehn.

Manch einer, der dem Spielmann auf seinem Wege begegnete, entbot ihm einen schönen Gruß, blieb auch etwa stehen und hub mit ihm zu plaudern an. Und wenn er dann im Laufe des Gesprächs, mit Bedauern auf den Armstumpf blickend, nach dem Unglück fragte, das ihn betroffen, da klopfte ihm der vormalige Jäger lachend auf die Schulter und rief:

"Unglück, meint Ihr ?" Sagt lieber Glück. Und ein großes dazu, das ich mit jedem Tage mehr zu würdigen weiß. Hört mich an, und ich will euch sagen, warum dem so ist.

Und er begann zu erzählen und schloß seine Rede stets mit den gleichen Worten:

"Schaut, Freund, es kommt in dieser Welt immer drauf an, daß man das, was einem widerfährt, auch richtig auffaßt. Anfangs dacht ich wie Ihr, meinte, es wär ein großes Unglück, nur noch einen



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Arm zu haben, und ich sei nun zu nichts mehr nütze. Jetzt aber weiß ich das besser. Wäre der Blitz damals nicht in den Baum gefahren, würde ich wohl noch zur Stund unschuldige Geschöpfe morden, oder läge vielleicht schon lange in einem Abgrund — ein Gerippe, an dem die Geier nagen. Heute aber, wie Ihr seht, verdiene ich mein Leben auf redliche Weise und kann auch zur Freude andrer Menschen mein Scherflein beitragen. Ist das nicht auch etwas wert ?"

Und derweilen er mit dem Kopfe schmunzelnd nickte, fügte der Einarmige bei:

"Unser Herrgott, der ist halt ein ganzer Mann. Auf den kann man sich verlassen, wenn man ihm vertraut. Der schickt den Unfall, wo er frommen tut, und gibt Ersatz dafür nach seinem Gutfinden. Und also hat er's auch mit mir gehalten.

Sprach's und zog, ein Liedchen anstimmend, fürbaß, wanderte jahrelang durch die Lande, ohne se darben zu müssen, hatte immer ein froh Gesicht und Sonne im Herzen und verbreitete überall, wo er hinkam, ein bißchen Glück und Freude.

Nach Jahr und Tag kehrte der Spielmann, alt geworden, in seine Heimat zurück. Wie er sich nun einst im Walde erging, überkam ihn plötzlich Sein letztes Stündchen. Nicht weit von ihm stand, auf seinen Krückstock gestützt, ein Bettelmann. Den rief er an und sprach:

Komm her, du sollst mein Erbe sein. Da nimm dies Säcklein Geld und auch den Ring, den mir einst mein Liebchen geschenkt. Dafür mußt du mich, wenn ich kalt und starr bin, im Walde hier begraben . Und mein Waldhorn, dessen Klänge mich und andre so oft erheitert, legst mir auf die Brust. ES soll, will s Gott, auch im Grab nicht müßig bleiben.

Also sprach der alte Spielmann, legte sich hin und starb. Der Stelzfuß begrub ihn.

Der müde Wandrer hatte seine Ruhe gefunden. Sein Waldhorn aber, das ihm im Leben so treu gedient, verstummte auch nach seinem Tode nicht. Bald klangen feine Töne leise und dumpf, bald wieder hell und schmetternd wie du Klänge einer Orgel. Es ver



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nahm sie in der Morgenfrühe der Hirte auf der Weide, sie hallten wie verwehte Harfenklänge ans Ohr des Fischers, der am Abend sein Schiffchen langsam dem Dörfchen zutrieb. Man glaubte sie brausen zu hören zur Sett eines Gewitters, wenn der Wind heulte und der Donner krachte, und wieder, doch schwer und gezogen, in hellen Nächten, wenn die Bergwälder rauschten und des Mondes Licht leise mit den Wellen spielte. Mit Freuden vernahm sie der Liebende und jeder, der mit reinem Herzen auf guten Wegen wandelte dem Gewissen des Bösen aber schlugen sie eine Wunde, die ihn bis zum Tode peinigte.

Die Töne sind verklungen. Doch fortleben tut im Gedenken der Menschen der wackere Spielmann, der ihnen ein Beispiel gibt, wie denen, die Gott lieben, alle Dinge zum besten dienen.


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