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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


1. Die Halfdansöhne

Wir gehen nun im Geschlecht der Schildunge noch eine Generation zurück. Hrolf Kraki war der Sohn Helgis und Helgis Bruder war Hroar. Die Geschichte von Helgi und Hroar kennt Saro Grammaticus, sehr ausführlich und anschaulich erzählt sie mit manchen Abweichungen die isländische Saga von Hrolf Kraki (vierzehntes Jahrhundert), deren Inhalt wir wiedergeben.

Den Vater von Hroar und Helgi, Halfdan, hatte dessen Bruder Frodi getötet, das mußten die Söhne rächen. Sie waren noch im Knabenalter und ihr Erzieher Regin gab sie einem treuen und zauberkundigen Mann Wifil, der auf einer Insel in der Nähe von Frodis Burg hauste und zwei Hunde hatte, die Hopp und Ho hießen. Dort liefen die Kinder des Tages im Wald herum, des Nachts verbargen sie sich in einem Erdhaus. Frodi wollte nun erfahren, wo die Kinder wären, denn er wußte, daß ihm von ihnen große Gefahr drohe. Aber obwohl Zauberfrauen und kluge Männer das ganze Land durchsuchten, fanden sie die Kinder nicht. Ein Zauberer endlich deutete dem König an, daß sie auf einer Insel in dem Meer sein möchten, über die aber ein schlauer Greis durch seine Hexereien Dunkel und Nebel verbreitete. Zweimal fuhren die Mannen des Königs auf die Insel und zweimal fanden sie nichts und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Da machte sich der König selber auf den Weg. Wifil riet den Knaben, sie sollten sich sofort in ihrem Erdhaus verstecken, wenn er laut nach seinen Hunden Hopp und Ho rufe. Als Frodi kam, führte man Wifil zu ihm. Der König sagte, du bist sehr zauberkundig und schlau. Sage mir, wo die Königssöhne sind, denn du weißt es. Der Mann antwortete: "Heil euch, Herr. Haltet mich nicht auf, denn der Wolf will meine Herde zerreißen." Der Mann rief gar laut: "Hopp und Ho, gebt auf meine Herde acht, denn ich kann sie jetzt nicht beschützen." Der König sprach: " Was rufst du da?" Der Mann antwortete: "Meine Hunde heißen so. Aber sucht nun, Herr, wie es euch gefällt. Ich glaube zwar



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nicht, daß die Königssöhne hier gefunden werden, und es wundert mich sehr, daß ihr glaubt, ich wollte die Leute vor euch verbergen." Der König war sehr böse und drohte dem Wifil das Leben zu nehmen. Er konnte sich aber doch nicht dazu entschliessen und kehrte nun auch zurück, ohne daß er etwas gefunden. Wifil aber sah, daß er die Kinder nicht länger auf der Insel verstecken konnte, und er schickte sie deshalb zu dem Mann ihrer Schwester Signy, dem Jarl Sefil, dort nannten sie sich Ham und Hrani. Der Jarl wußte nicht, welcher Herkunft sie waren, sie blieben aber drei Jahre bei ihm.

Frodi entbot den Jarl, dem er mißtraute, zum Gastmahl, im Gefolge ritten auch die beiden Halfdansöhne, sie stellten sich närrisch, vermummten sich mit großen Mänteln, ritten auf elenden Pferden und Helgi setzte sich rückwärts aufs Roß. Da fiel dem Hroar sein Hut vom Haupt und Signy erkannte den Bruder und sagte es weinend ihrem Gemahl. Sefil stellte sich zornig gegen die Burschen und wollte sie heimschicken; sie aber liefen doch mit in die Halle und trieben dort ihre Narrheiten weiter. Dem Frodi ahnte immer noch Unheil, er gebot deshalb einer Wölwa (zauberkundige Frau) zu sagen, was sie von Halfdans Söhnen wisse. Sie gähnte und lallte halb im Schlaf die Verse, daß ihr die beiden verdächtig schienen, die hinten am Herde hockten, die hätten früher bei Wifil gehaust und Hopp und Ho geheißen . Da warf ihr Signy einen Goldring zu; sie verstand und sagte, was ihr da auf die Zunge gekommen, das sei falsch. Frodi wurde zornig, schöpfte Verdacht gegen Signy, die ihren Platz verlassen und gebot der Zauberin bei Androhung von Martern noch einmal, sie solle bekennen, was sich ihr offenbart. Da entschloß sich die Frau, die Pläne der beiden anzudeuten und ihre Kühnheit zu schelten, dann lief sie rasch aus der Halle. Die beiden Burschen erkannten, was sie wollte und liefen ihr nach. Frodi rief, man solle sie verfolgen, doch Regin, ihr Erzieher, löschte die Lichter. In der Dunkelheit fielen die Männer, auch hielten einige, die den Entflohenen günstig gesinnt waren, die anderen zurück. Der König merkte das wohl und verhieß Rache, aber nun, sagte er, werden die Entkommenen froh sein, daß sie entwischt sind. Wir brauchen sie nicht zu fürchten und wollen trinken, solange der Abend währt. Regin ging zu den Schenken und seine Freunde auch. Sie sorgten für reichliche Trunke; bald fielen die Leute des Königs in schwerem Rausch zu Boden, einer lag über dem andern und sie entschliefen.

Des Nachts ritt Regin zu den beiden Burschen in den Wald, er



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mußte sich aber zornig stellen, auch durfte er nicht mit ihnen reden, da er dem König Frodi die Treue gelobt hatte. Darum redete er wie zu sich selbst, aber so, daß sie es hörten und deutete ihnen an, sie möchten Frodis Halle anstecken bis auf einen Ausgang für ihre Freunde. Da legten Helgi und Hroar das Feuer, der Jarl Sefil aber kam heraus, ihnen zu helfen.

König Frodi erwachte nun in der Halle, seufzte laut auf und sprach: "Ich habe einen Traum geträumt, Männer, der nichts Gutes bedeutet; ich will ihn euch sagen. Ich träumte, daß mir schien, als würden wir gerufen, und da wurde gesagt: ,Nun bist du heimgekommen, König, und deine Mannen ', mir war, als ob ich antwortete und sehr zornig: Heim ? Wohin? ' Da kam die Antwort und sie war mir so nah, daß ich den Atem des Rufenden spürte: ,Heim zur Hel ' sagte die Stimme und da erwachte ich." In dem Augenblick hörten sie, wie Regin sprach und zu sagen schien, daß des Königs Schmiede, die War hießen, Nägel schmiedeten. In Wahrheit deutete er an, daß die Vorsichtigen (War heißt Vorsicht und die Vorsichtigen sind Hroar und Helgi) ihre Pläne nun ausführten und daß ein Vorsichtiger (Regin selbst) einen anderen Vorsichtigen (den König Frodi) warnte. Mit dieser List half sich Regin aus seiner zwiespältigen Lage, denn er muhte den König warnen und wollte ihm doch die Halfdansöhne, die er liebte, nicht ausliefern. Die Krieger des Königs ahnten den Doppelsinn nicht, wohl aber Frodi, er ging nach der Tür. Da stand die Halle schon in Flammen. Nun wollte Frodi sich mit Helgi und Hroar versöhnen: unziemlich sei, sagte er, daß ein Verwandter den andern erschlage. Die Halfdansöhne fragten ihn aber höhnisch, ob er das bedacht hätte, als er den Bruder erschlug, und sie trieben ihn in die Halle zurück, darin mußte er und sein ganzes Gefolge verbrennen. Alle wurden aber gerettet, die dem Hroar und Helgi freundlich gewesen.



***
Dieser Bericht beunruhigt durch ein Zuviel der Spannungen und Ereignisse, er überrascht durch Doppelsinnigkeiten, durch Zauber und Traum und andre Motive, die in der germanischen Dichtung noch nicht oder nicht so auftraten, auch die Glieder der Handlung sind aus ihren Gelenken geraten. Doch sind diese Wucherungen und Entartungen aus germanischer Kunst entstanden.

Für ein altes germanisches Rachelied von den Halfdansöhnen



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fehlt leider ein äußeres Zeugnis. Wir denken uns die Hergänge dieses Liedes so: Frodi erschlug den Halfdan, der alte Waffenmeister Halfdans mußte in Frodis Dienste treten, er verbarg die Söhne des Erschlagenen; als sie herangewachsen waren, schickte er ihnen eine Botschaft, sie möchten kommen. In der Dämmerung, als Frodi und die Seinen beim Gelage saßen, schlichen sie sich in seinen Hof, gaben sich plötzlich zu erkennen — vielleicht indem sie, wie Chlotar, den Hut vom Haupt rissen, so daß sie im Schmuck ihres Haares dastanden (S. 49), in der entstehenden Verwirrung und Bestürzung überfielen sie den König, der umsonst suchte, sie mit heuchlerischen Worten zu betrügen, sie erschlugen nun ihn und warfen Feuer in die Halle.

Dies Lied wäre sehr ähnlich dem von Chlotar und Bertoald, auch dem von Ermanarich. Regin ist der alte Waffenmeister, am genauesten entspräche er dem Randolt in der Sage von Dietrich von Bern, der einem verhaßten König dienen muß und einen jungen Schutzbefohlenen warnt. In der von uns schon genannten Dichtung vom starken Adelgis weilt dieser unerkannt am Hof eines mächtigen Feindes, des Kaisers karl. Ein Freund erkennt ihn, doch er verrät ihn nicht.

Im Unterschied vom alten Lied verdoppelt und verdreifacht der Bericht in der Saga von Hrolf Kraki die Ereignisse.

Drei Männer: Wifil, Sefil und Regin schützen die Knaben, dreimal suchen sie Frodis Mannen und Frodi bei Wifil, zweimal müssen Zauberer sie erspähen, zuerst bei Wifil, dann in der Halle selbst, und in der Halle wird die Enthüllung der Seherin noch unterbrochen. Den Zweck dieser Häufungen haben wir erkannt: sie wollen den Stoff mehren und abwechslungsreich machen und sie wollen die Spannung erhöhen. Bei Wifil und Sefil entdeckt Frodi beinahe die Knaben. In der Halle glaubt er sie schon zu halten, dann meint er, als sie entflohen sind, er habe endlich vor ihnen Ruhe. Da aber warnt ihn Regin und dann ist es zu spät.



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Immer sind die Knaben wie eine Drohung des Schicksals um den Missetäter, immer will er sie vernichten und es gelingt ihm nicht, und als er sich von ihnen endlich befreit glaubt, zeigen Träume und Warnungen die Rache an, und er erliegt doch seinem Verhängnis. Diese Art, eine Spannung auszukosten und zu dehnen und eine reiche Handlung mit ihr zu verbinden, ist auch sonst die Art der späteren isländischen Heldensaga, das wird uns die Saga von Amleth und dann die von den Wölsungen bestätigen.

Die Weissagung der Seherin in der Halle, als die wirkungsvollere, wird die ältere gewesen sein, die mit Wilfil zusammenhängende etwas zu stark aufgetragene Zauberei nach ihrem Muster später gebildet.

Von den drei Beschützern der Knaben ist der Jarl Sefil der überflüssigste und gerade die Episode bei ihm zeigt eine sehr deutliche märchenhafte Zutat. Die Motive: die Knaben hätten wohl Grind auf dem Kopf (so heißt es einmal inder Saga) und das Rückwärtssitzen auf einem elenden Klepper stammen nämlich aus dem im ganzen Mittelalter sehr beliebten Märchen vom Grindkopf oder vom Goldener. Das erzählt uns, wie ein verlachter und verachteter Grindkopf sich später in den herrlichsten Helden verwandelt. In der Saga, im Zusammenhang der Handlung haben die Narreteien keinen Sinn, denn der Jarl und die Seinen wollen ja den Burschen wohl, diese brauchen sich deshalb gar nicht zu verstellen.

Der schlaue Wifil mit seinen Zauberkünsten ist ebenfalls eine Persönlichkeit, wie grade die isländische Saga sie sehr liebt, wie viel Witz und kühne Geistesgegenwart zeigt sie uns!

Sato Grammaticus in seiner Erzählung von der Vaterrache der Halfdansöhne kennt nur den Regin als Beschützer der Knaben, er hat hier das Alte bewahrt.

Auch sonst gibt Sato in verschiedenen Fällen die bessere und ältere Form der Saga. Sie muß sehr großartig erzählt worden



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sein; der böse und schwere Traum des Königs, die Weissagungen der Wölwa, die Warnungen Regins gehören zu den Meisterstücken der isländischen Kunst. Ob sie mächtige alte Strophen in der Umschreibung der Prosa wiedergeben? In der Hrolfsaga tauchen nämlich mitten in der Prosa Strophen auf; die Möglichkeit, daß das alte germanische Rachelied in ein isländisches Rachelied des 10. Jahrhunderts sich verwandelte, daß dies Rachelied in Prosa umgesetzt und immer breiter und abenteuerreicher wurde, dürfen wir ohne weiteres zugeben; eine Entwicklung, die vom germanischen über das nordische Lied des 10. Jahrhunderts zur isländischen Saga des 12. —14. Jahrhunderts führt, werden wir noch öfter beobachten.

Auf jeden Fall bestätigt uns die Geschichte unsrer Dichtung, wie lange der Norden das germanische Erbe ehrfürchtig verwaltete , wie viel von seiner Größe er noch einer späteren unruhigen Zeit zeigte, die viel lüsterner war nach Spannungen und Abenteuern und Märchenhaftem und weniger empfänglich für das alte Heldentum.

Wir trennen uns nun von den Liedern und Sagen über die Schildungen, nachdem wir einige ihrer größten und schönsten zu schildern und zu verstehen suchten. Freilich konnten wir dem vielfältigen Geäder ihrer überlieferung und Nachwirkung nicht nachgehen, obwohl uns gerade dies in so vielen bezeichnenden Einzelheiten gezeigt hätte, wie goldhaltig im Norden diese Dichtungen blieben und wie sie immer wieder andere Formen gewannen . Doch erklärten uns die Lieder und überlieferungen von Starkad, Hrolf, Helgi und Hroar jedes von neuem die tieferen Bedingungen ihres langen Lebens und ihres langen Ruhmes. Sie stellten in leuchtenden Bildern, in unvergeßlichen, leidenschaftlichen Vorgängen die bleibenden Vorbilder des Heldentums vor die Augen einer vom Heldengeist und dann vom Wikingertum durchwehten Zeit. Diesen Idealen gaben sie eine menschliche Wahrheit und



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Lebensfülle, einen immer wechselndem Reichtum, der sie mit den wirklichen Helden immer von neuem verschmelzen mußte und der vielen Generationen ein Quell der Erfrischung war.


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