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Die deutschen Heldensagen


von

Friedrich von der Leyen

Zweite, völlig neubearbeitete Auflage München 1923

C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung

Oskar Beck


3. Ermanarich

Wir haben gehört ((3.17), daß die Sage vom Gotenkönig Ermanarich im Norden vom neunten bis zum dreizehnten Jahrhundert berühmt war. Von den Liedern, die den Tod der armen



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Swanhild und die Rache besangen, die ihre Brüder an Ermanarich nahmen, ist uns das großartigste, das Lied von Hamther, in der älteren Edda erhalten, leider nicht ganz vollständig und auch nicht einheitlich und mit verwirrter Folge der Strophen; hat ein Skalde des zehnten Jahrhunderts zwei Lieder verschmolzen: Wir geben das Lied hier, wie wir es haben, mit ganz wenigen Ergänzungen und Ausscheidungen.

In grauer Vorzeit, sie war doppelt so alt wie die ältesten Dinge, da reizte Gudrun, Gjukis Tochter, ihre jungen Söhne, die Swanhild zu rächen.

"Was sitzt ihr still, was verschläft ihr das Leben, verdrießt euch das nicht, Heiteres zu schwatzen? Und Jörmunrek ließ doch eure Schwester in jungen Jahren durch Pferde zertreten!

Einsam bin ich geworden wie die Espe im Wald, verlassen von Freunden wie die Föhre von Zweigen, an Freuden arm wie die Weide an Laub, das die Sonne verbrannte am heißen Tag.

Ihr lebt allein von meiner Sippe, die Ahnen Helden, die Enkel Memmen!

Ihr wardet nicht, was Gunnar geworden, ihr seid nicht gesinnt, wie Högni gesinnt war, ihr hättet längst die Schwester gerächt, hättet den Mut ihr meiner Brüder!"

Da sprach dies Hamther, der Hochgesinnte: "Du rühmtest wenig die Tat des Högni, als sie deinen Sigurd vom Schlafe weckten. Auf dem Bette lagst du, die Mörder lachten.

Deine Bettücher waren, das weiße Linnen, vom Blut überströmt der Todeswunde. Da starb dir Sigurd, du saßest beim Toten. Dein Glück war zerbrochen, so wollte das Gunnar.

Atli wolltest du treffen durch Erps Ermordung, durch Eitils Ende, dich trafst du noch schlimmer. So schwinge jeder das schneidende Schwert, zum Ende der andern, nicht zum eignen Schaden."

Dies sprach Sörli, er war weisen Sinnes: " Mit der Mutter mag, ich in Worten nicht streiten. Eins hat keiner von euch gesagt: was erbittest du Gudrun, das nicht Tränen dir bringt?

Um deine Brüder klagst du, um deine Kinder, dein nächstes Geschlecht, das zum Streit du getrieben. Du wirst auch, Gudrun, uns



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beide beweinen. Wir sitzen dem Tode geweiht auf den Rossen, fern von der Heimat müssen wir sterben."

Dies sprach Hamther der leicht erzürnte: "Bring uns die Waffen des Hunnenkönigs! Du hast uns gereizt, das Schwert entscheide."

Lachend wandte sich Gudrun zum Hause, aus den Schreinen hob sie stolze Helme, breite Brünnen und gab sie den Söhnen. Die schwangen sich stolz auf den Rücken der Rosse.

Da sprach froh des Ruhmes zu ihren Söhnen die schöne Frau mit den schmalen Fingern, sie stand bei den Helden: "Gefahr ist nur, wenn Gehorsam nicht ist, bewahrt das Schweigen bei eurem Kampf. Dann überwinden zwei Helden auch tausend."

Sie ritten vom Hause, schnaubend vor Zorn, und ritten weit über feuchte Gefilde auf schnellen Pferden, den Mord zu rächen.

(Unterwegs sehen beide ihren Stiefbruder Erp, der ihnen seine Hilfe anbietet.) Sie fragen: "Was kann denn der braune Knirps uns helfen ?' '

Erp antwortet: "So will ich den Brüdern Hilfe leisten, wie die Sehnige Hand hilft der andern oder wie ein Fuß dem andern Fuße."

Die Brüder erwidern: " Was hilft der Fuß denn dem andern Fuße oder die sehnige Hand der andern?"

Dies sagte Erp mit einem Male und wiegte sich stolz auf Rosses Rücken. " Was soll den Feigen den Weg ich weisen?" Da riefen die Brüder: "Schweig ', du Bastard!"

Aus der Scheide flogen die scharfen Schwerter, die Klingen blitzten, es lachte die tückische Todesgöttin. Um ein Drittel schwächer ward ihre Kraft, sie schlugen den jungen Burschen zu Boden.

Sie schüttelten die Mäntel, festeten die Schwerter und schmiegten sich fröstelnd in ihre Gewänder.

Es dehnten sich weit vor ihnen die Straßen, sie fanden ihren Weg des Unheils, den Stiefsohn der Schwester, am Galgen hängend, am windkalten Wolfsbaum, im Westen des Baues. Um ihn kroch die Schlange, der Anblick war schlimm. (Der am Galgen hing, war Randwer , der Sohn des Jörmunrek. Der Vater ließ ihn hängen, weil sein böser Ratgeber Vikki den unglücklichen Jüngling verklagte, er liebe seine Stiefmutter.)

Lärm war in der Halle, bierfroh die Mannen, sie hörten nicht der Helden Hengste, da stieß der beherzte Wächter ins Horn.



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Es sagten die Boten dem Jörmunrek eilends, sie hätten behelmte Männer gesehen. " Beratet euch rasch, es sind Helden, die kommen. Mächtigen Männern ließt ihr die Schwester zerstampfen von Rossen."

Laut lachte Jörmunrek, drehte den Schnurrbart, strich sich den Wangenwald, Mut gab ihm Trunkenheit, er schüttelte das braune Haar, sah auf den hellen Schild, schwenkte in der Hand den goldenen Becher.

"Glücklich will ich sein, könnt ' ich sie sehen, Sörli und Hamther, in meiner Halle. Ich bände die Burschen mit Bogensehnen; an den Galgen müßten Gudruns Söhne."

Die Halle erdröhnte, die Humpen stürzten, in ihrem Blute lagen die Männer, Blut entströmte der Brust der Goten.

Dies sprach Hamther, der hochgesinnte: " Du wolltest, Jörmunrek, uns beide sehen, die Söhne einer Mutter in deiner Halle. Sieh du deine Hände, sieh du deine Füße, geworfen, König, ins heiße Feuer."

Da brüllte auf der Gottentstammte, der Held in der Brünne, wie der Bär nur aufbrüllt. " Wenn Schwerter nicht schneiden und Eisen und Erz nicht, werft Steine auf sie, auf Jonaks Söhne."

Sörli sprach: "Schlimmes schufst du, Bruder, daß den Mund du ihm löstest. Aus dem alten Mund kam manch böser Rat. Mut hast du Hamther, ach, hättest du Sinn! Manches fehlt dem Mann, dem die Klugheit fehlt."

Hamther sprach: " Ab wär ' nun das Haupt, wenn Erp noch lebte, der kampfkühne Bruder, den wir erschlugen, der herrliche Held. Uns reizten die Nornen — der geweihte Necke- sie schufen den Mord.

Nach Wolfes Art haben wir es getrieben, daß wir uns selbst anfielen im Kampfe, wie der Norne Grauhund, der gierig wütet, den wilde Einöde sich gebiert.

Wie Helden haben wir gekämpft, wir stehn über Goten, über Schwertgetroffenen, wie Adler auf Zweigen. Heller Ruhm bleibt unser, wenn wir auch sterben. Wer erlebt den Abend, wenn die Norne es wehrt?"

Da fiel Sörli an des Saales Giebel und Hamther fiel an der Wand des Hauses.

Die Sage oon Ermanarich ist im Norden in einen neuen Zusammenhang gestellt. Die Mutter der rächenden Helden ist die Gudrun der Nibelungensage, die Witwe Sigurds und Atlis.



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Nach nordischen Berichten hatte sie sich zum drittenmal mit Jonak vermählt, sie wollte sterben und stürzte sich in das Meer, aber die Wellen trugen sie an das Land. Dem Jonak gebar die Gudrun eben den Sörli, den Hamther und die Swanhild. Diese wurde die Gemahlin Jörmunreks, der ließ sie von Rossen zertreten , und die Brüder mußten das rächen.

Der Gedanke, die Ermanarichsage derart an die Nibelungensage zu hängen, entsprang dem Kopf eines nordischen Dichters und ist nicht sehr glücklich. Was Gudrun erlebt hatte, war übergenug, wir gönnen ihr gern den Tod wie der deutschen Kriemhild. Es war aber die Art der Wikinger Dichtung, das Unglück eines Menschen in das Übermäßige zu erhöhen.

Trotzdem ist diese Konzeption oon dichterischer Größe und verwandelt das Schicksal der Gudrun in heldenhafte Tragik. Diese Frau verlor alle, die sie liebte, oder mußte sie in den Tod treiben. Nun zwingen sie die Gebote des Heldentums und der Rache, die letzten Söhne in ihr Verderben zu senden.

Damit stoßen wir wieder auf die beherrschende Idee unsres Liedes: es schildert Geschlechter, die sich selbst vernichten. Ermanarich ist Gudruns Gegenbild. Wozu die Frau das Muß der heroischen Gebote treibt, dasselbe tut der Mann aus Schwäche, Grausamkeit und Tücke, er läßt die Gemahlin zertreten, den Sohn an den Galgen hängen, und findet dann das verdiente schmähliche Ende. Er stirbt einen schauerlichen Tod, weil er Frau und Sohn so schimpflich enden ließ. Die Söhne aber der Gudrun erfaßt Verblendung und Verwirrung, sie wüten nun auch gegen sich. Sie wissen, daß sie in den Tod reiten, die harten Worte der Mutter klingen in ihnen nach, als sie den Erp sehen. So fallen sie über ihn in bissigen Worten her, glauben sich von ihm verhöhnt und töten nun gerade den, ohne den sie ihre Rache nicht vollbringen können. Als sie dem Ermanarich Hände und Füße abgeschlagen, wirft der eine Bruder dem anderen in haßerfüllten Worten



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Geschwätzigkeit vor, und dieser gibt ihm zurück, daß sie beide an ihrem Ende Schuld seien. Dann erst, als es zu spät ist, erschrecken sie über den eigenen wölfischen Sinn und erheben sich zugleich über ihr Schicksal und sterben den Heldentod.

Unser Lied scheint die ganze Tragik des germanischen Heldentums noch einmal in wenige Strophen zu bannen, die Selbstvernichtung der Helden und das Heldentum, das aus der Vernichtung leuchtend emporsteigt — ein altes gotisches Lied wie das von der Hunnenschlacht und von Hildebrand.

Wie steht der Ermanarich des Liedes tückisch, feig, laut, grausam und trunken vor uns! Und wie lebendig ist Gudrun! Sie sieht nur ihr eigenes Leid und sonst nichts, versenkt sich darin, gerät in leidenschaftlichen Zorn und überhäuft ungerecht, nach Art der Frauen, die Söhne mit wilden Vorwürfen. Der jähzornige , heftige und wortreiche Hamther und der klügere, gesetztere Sörli sind sehr wirksam gegeneinander gestellt. Es ist auch schön erfunden, daß gerade über Hamther, dessen natürliche Empfindung stärker ist als die des Bruders, die Erkenntnis der Verblendung kommt und daß er die wundervollen Verse über das Heldentum spricht.

In den ersten Strophen scheint Gudrun wie Starkad sich zu tief in ihrem Schmerz und ihren Zorn zu verlieren, der Wortwechsel mit den Söhnen will in unfruchtbare Vorwürfe ausarten. Da klingt das Thema des Liedes an, Sörli sagt zur Mutter; Du schickst uns in den Tod. Nun stößt der Dichter die Handlung vorwärts. Die Brüder reiten über die feuchten Gefilde, fallen bissig über den Stiefbruder und erschlagen ihn, Grauen packt sie, sie reiten weiter, da sehen sie den Sohn Ermanarichs am Galgen: es ist wie eine düstere Prophezeiung. In der Halle lärmen die Goten beim Gelage, die Warnung des Wächters kommt zu spät, der berauschte König lacht prahlerisch und stößt unsinnige Drohungen aus, die Mannen springen auf und stürzen sofort, zu



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Tode getroffen, zu Boden, ein ungeheures Getümmel, das Blut strömt über den Estrich, böe Leichen fallen übereinander, Feuer fliegt in die Halle, dem König sind Hände und Füße abgehauen und hohnlachend wirft sie Hamther in die Flammen. Da, als das schauerliche Schweigen des Kampfes aufhört und die wilden Schmerzen ihn peinigen, kommt der König zur Besinnung und erinnert sich des Zaubers und schreit auf, daß man die Helden steinigen solle, da Eisen sie nicht verletze. Noch einmal lodert die Zwietracht zwischen den Brüdern auf, dann steht ihr ganzes Heldentum groß und frei vor uns, und ganz einfach, etwa wie eine Chronik, schließt der Dichter seinen Bericht.

Die Kunst der Charakterisierung und des Aufbaues in unsrem Lied gründet sich, wie man leicht erkennt, auf die Kunst der Völkerwanderung . Wir sehen auch die Unterschiede, das Tempo ist noch rascher und abgerissener. Der Dichter beschränkt sich auch nicht auf die Erzählung, mit einer gewissen Eitelkeit legt er uns seltsame und gekünstelte Vergleiche vor, schildert anschaulich das Aussehen und die Bewegungen seiner Helden, versenkt sich in ihre Empfindungen, geht zurück in die Vergangenheit und wirft ahnende Blicke in die Zukunft, auch versucht er unser Grauen zu wecken. Man erkennt, daß der Weg, den seine schon allzu bewußte Kunst geht, zum Virtuosentum führt.

Schon im Anfang des neunten Jahrhunderts hatte sich ein Skalde an der Ermanarichsage versucht, der berühmte Bragi in seiner Ragnarsdrapa. Hier fehlt die Aufreizung der Gudrun, das Gedicht beginnt mit dem Überfall. Auch Erp tritt nicht auf; dagegen ist die Verbindung von der Nibelungensage und Ermanarichsage dem Dichter schon bekannt. Die Ragnarsdrapa ist dem Hamtherliede sehr ähnlich und sie wurde wohl von seinem Dichter benützt. Allerdings steht Bragi in einer anderen künstlerischen Tradition, er beschreibt nur und erzählt und charakterisiert nicht durch Rede und Gegenrede.



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Erp, den dritten Bruder, nennen auch die deutschen und die englischen Zeugnisse der Ermanarichsage nicht. Uns erscheint sein Los als eine ins Virtuose spielende Variation des Themas vom Geschlecht, das gegen sich selbst wütet, wir möchten den Erp nicht für eine Schöpfung eines germanischen, sondern für die Schöpfung eines nordischen Dichters halten. Dies nimmt ihr nichts von ihrer tragischen Bedeutung: hätten die Brüder den Erp nicht erschlagen, so hätten sie auch den Ermanarich überwunden. Der Ausruf vor ihrem Ende "Ab wär ' nun das Haupt, wenn Erp noch lebte" ist in seiner tragischen Prägnanz den Ausrufen der germanischen Dichtung ebenbürtig.

Aus den andren nordischen Berichten über die Ermanarichsage sei hervorgehoben, daß bei Snorri in der jüngeren Edda der Sohn des Ermanarich, als er gehängt werden soll, dem Vater einen Habicht schickt, dem er die Federn ausrauft. Der alte federlose Vogel soll ein Bild des alten kinderlosen Ermanarich sein. Bei Saxo rauft sich der Habicht gar selbst die Federn aus, und der Sohn wird im letzten Augenblick gerettet. Derselbe Saxo, dem auch die deutsche Tradition über Ermanarich bekannt war, berichtet noch allerhand Märchenhaftes aus Ermanarichs Jugend. erkennen, daß bei diesen Erzählungen die Sage in das Rührende und Abenteuerliche hineingleitet und anfängt, ihren heroischen Charakter zu verlieren. Es ist auch in der Art des rührenden Märchens, wenn die Wölsungasaga erzählt, daß Swanhilds Augen so schön waren, daß die Rosse nicht wagten, die Frau zu zertreten. Man habe erst einen Sack über die Unglückliche werfen müssen. Snorri behauptet, die Brüder hätten den Erp getötet, weil er der Lieblingssohn der Mutter war und er (und noch trivialer die Wölsungasaga) berichten weiter, Erp habe den Brüdern angeboten, er wolle ihnen helfen wie die Hand dem Fuße. Nach Erps Tode sei Sörli (nach der Wölsungasaga seien beide Brüder) gleich gestrauchelt, da habe die Hand dem Fuße



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helfen müssen. Das sind Erklärungen und Erfindungen von Snorri selbst, sie haben für die Sagengeschichte keinen Wert.

Bei Jordanes verstümmelten zwei Brüder, die gefeite Rüstungen trugen, den Ermanarich, ihre Schwester Swanhild hatte der König durch Rosse zerreißen lassen, die Schuld der Swanhild war vielleicht Verrat.

Diese Vorgänge der alten germanischen Dichtung hat das nordische, fast ein halbes Jahrtausend jüngere Lied treu bewahrt; sogar die Namen sind im wesentlichen dieselben geblieben.

In den folgenden Auffassungen und Motiven wurde die Dichtung eine andere.

Swanhild ist ganz schuldlos, die Schuld wird auf den König geladen und ein Teil dann auf den bösen Ratgeber gewälzt. Der Vorwurf gegen die Swanhild ist im Nordischen, daß sie den Sohn des Königs liebt und von diesem wiedergeliebt wird. Diese Erfindung klingt mehr nach einem Roman als nach einer Heldensage , sie mag aber schon früh Osten, im byzantinischen Reiche, an die gotische Sage gewachsen sein. Das Nordische weiß außer den gefeiten Rüstungen noch von einem anderen Zauber: die Helden sollen siegen, wenn sie beim Kampf schweigen. Diesen Zauber hat der Dichter des Hamtherliedes vertieft. Die prahlerischen Reden Hamthers wecken nämlich den Ermanarich aus seiner Betäubung und ihm fällt nun ein, wie er die Helden verderben kann.

Die geschichtliche Bedeutung vom Tod des Ermanarich entfiel dem Norden. Ermanarich ist nicht mehr der mächtige König über viele Völker. Zuerst hieß es wohl, der König ließ sein Volk im Stich. Dann hieß es, durch des Königs Schuld ging das Volk zugrunde. Zuletzt sagte man: der König wütete gegen die Seinen, er vernichtete sein eigenes Geschlecht. Die Verstümmelung des Königs rief die Meinung hervor, sie sei die Strafe für einen Frevel. Nun verschob sich die Schuld; Swanhild wurde die



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schuldlose Frau, Ermanarich der schuldbeladene Mann. Die Verleumdungen gegen die Frau brachte ein bestimmter Mann vor, ein tückischer Ratgeber. Alles in allem bleibt auch diese nordische Dichtung ein wundervolles Zeugnis für die Ehrfurcht und das tiefe Verständnis, das die Wikinger dem germanischen Erbe entgegenbrachten .

Wie groß und reich die Ermanarichsage im Norden sich entfaltete , erkennen wir recht durch einen Vergleich mit den spärlichen deutschen und englischen Zeugnissen und Berichten. Vielleicht hat schon Widsith von Swanhild gewußt. Am Ende des zehnten Jahrhunderts sagt dann Flodoard in seiner Geschichte der Rheimser Kirche, der Erzbischof Fulko habe den König Arnulf gewarnt, , er möge nicht handeln wie König Ermanarich, der, verleitet durch die tückischen Ratschläge eines Ratgebers, das eigene Geschlecht getötet habe. Um die Wende des elften und zwölften Jahrhunderts klagt Ekkehard von Aura in seiner großen Chronik über die Lieder und Fabeleien des Volkes, in denen Theoderich und Odoaker als Neffen des Ermanarich auftreten und in denen es heiße, daß Odoaker den Oheim angestiftet habe, den Theoderich aus Verona zu vertreiben. Das, sagt Ekkehard, sei falsch, und nun zitiert er den Jordanes und erwähnt, daß die beiden Brüder vom Vom Sarelo und Hamidiech genannt würden. Im zwölften Jahrhundert kennen auch die Quedlinburger Annalen die falschen Behauptungen über Ermanarich, Odoaker und Theoderich; sie berichten dann von Ermanarichs Reichtum, teilen mit, daß er seine beiden Neffen, Embrica und Fridla, aufhängen ließ und wissen schließlich, daß er von Hemido, Serila und Adaccarus getötet sei, nachdem man ihm zuerst Hände und Füße abgehauen.

Vom Schatz des Ermanarich, den er sich durch Raub angeeignet habe, meldet dann in England der Dichter des Beowulf, der Widsith schilt den Ermanarich als bösen und eidbrüchigen Fürsten, sagt aber aus, daß er ihn freigebig beschenkt habe, zu



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seinem Gesinde hätten die Herelingen, Emerca, Fridla, Freotheric und Sifeca gehört. Dann erwähnt ganz kurz der Dichter von Deors Klage den wölfischen Sinn des gefürchteten Gotenherrschers.

Den deutschen und englischen Quellen fehlt also die Swanhild und es fehlt ihnen Erp, natürlich kennen sie auch nicht die Verbindung von Ermanarich und Nibelungensage. Gemeinsam ist den nordischen und deutschen Quellen die Todesart des Ermanarich, der Name der Mörder und der Name des bösen Ratgebers . Gemeinsam ist beiden auch die Auffassung von Ermanarich als dem Zerstörer des eigenen Geschlechtes. Nur deutsch ist die Verbindung des Königs mit Dietrich und Odoaker, deutsch und englisch erscheint ein neues Motiv, der Schatz des Ermanarich, den er geraubt hat und um dessentwillen er zwei Brüder, wie es wieder heißt, seine Neffen töten ließ. Diese Sage hat sich im Breisgau festgesetzt. Der Schatz hieß Brisingamene oder Brosingamene. In späteren deutschen Gedichten wird gemeldet, daß die Besitzer des Schatzes übermütige Jünglinge gewesen seien; sie wurden vom treulosen Sibiche verleumdet, wie auch Ermanarichs Sohn verleumdet wird, sie hätten nämlich ein Auge auf Ermanarichs Gemahlin geworfen. Deshalb tötete und beraubte sie Ermanarich . Der getreue Ekhart rächte die Brüder an dem ungetreuen Sibiche und von diesem hieß es außerdem, er sei dem Ermanarich zuerst ergeben gewesen, und sei — welch ' ärmliche Wiederholung! — aus einem Helden ein Bösewicht geworden, weil der König ihm seine Frau entehrte.

Die Sage vom Raub des Schatzes, die ja Widsith bezeugt, wird in alte Zeit zurückgehen. Ermanarich galt als reich, er hatte viele Völker unterworfen. Daraus konnte, wenn Ermanarich sich in den tückischen König verwandelte, die überlieferung entstehen, Ermanarich habe anderen Völkern wider das Recht ihre Schätze geraubt und ihre Könige getötet, wie ja auch Gunther sich wider alles Recht der Schätze des Walther bemächtigen will und wie



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er ihn deshalb überfällt. Von hier aus war nur ein Schritt zu den Herelingen und dem Brisingamene.

Die Geschichte vom Brisingamene hat sich im Norden in die Höhe des Mythus gehoben und mit der Göttersage verbunden.

Noch ein niederdeutsches Lied des sechzehnten Jahrhunderts erzählt von Ermanarich, es ist das Lied von Koninc Ermenrikes Tod. Darin ist Dietrich der Gegner Ermanarichs, er überfällt den Ermanarich und tötet ihn. Wie im nordischen Hamtherlied reiten Dietrich und seine Helden am Galgen vorbei, der Pförtner will ihnen nicht auftun, Ermanarich ergeht sich in wilder Prahlerei. Vielleicht entspricht der Bloedelin des Liedes, der jung ist und von besonderer Kraft und der Sohn einer Witwe, dem nordischen Erp, und vielleicht entspricht sogar die Frau des alten Hildebrand, die von der Zinne herab dem Helden rät, der Gudrun, die ihren Söhnen nachblickt. Da diese übereinstimmungen nicht die zwischen sagenhaften Motiven sind, sondern die zwischen Bildern und Auftritten eines Gedichts, müssen wir annehmen, daß unser niederdeutsches Lied ein Nachklang des Hamtherliedes ist; wir wissen, daß manches nordische Heldenlied über Dänemark nach Niederdeutschland wanderte. Sagengeschichtlich betrachtet erscheint uns das niederdeutsche Lied als ein Zeugnis von sekundärem Wert, sein Interesse gewinnt es für uns, weil es uns zeigt, durch wie lange Jahrhunderte die Erinnerung an Ermanarich fortlebte.

Das ist überhaupt der Wert der deutschen Sagen und Zeugnisse, , daß sie uns noch einmal verkünden, wie vielfältig und wie lebenskräftig die Sage von Ermanarich war. Wenn auch der Geist der alten Heldensage aus den deutschen Berichten entfloh, wie stark muß der Eindruck der Begebenheiten selbst gewesen sein, daß sie solange im Gedächtnis der Nachlebenden hafteten!


Copyright: arpa, 2015.

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