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Märchen aus Frankreich den Niederlanden und der Schweiz

Märchen europäischer Völker


Das Teufelswirtshaus

Vater Satan sagte eines Tages: »Auf Erden gibt es eine Straße, auf der viele Reisende daherkommen; das ist die Straße der Neugier. Ich will dort ein Wirtshaus aufmachen und zwei von meinen Söhnen ausschicken, die die Wirtschaft führen sollen. Aber ich will sie häßlich machen, so häßlich, daß niemand des Weges kommen wird, der nicht sagt: >Ihr Unseligen, was habt ihr gemacht, daß ihr so ausschaut?«

Der Teufel rief einen von seinen Söhnen herbei, und damit er so häßlich würde, wie beabsichtigt, schlug er ihm die Nase ein, riß ihm ein Ohr auseinander, schor ihn kahl und verunzierte ihm die Stirne mit einem schrecklichen Geschwür. Bei dem andern machte er es ebenso und sprach: »Geht auf die Erde, richtet euch an der Straße der Neugier ein und schickt mir alle herunter, die euch fragen, was euch passiert ist. Hierher zurückkehren dürft ihr erst, wenn ihr einen gefunden habt, der so hartgesotten ist, daß er gleichgültig an euch vorüberzieht.«



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Die Teufelssöhne machten sich auf den Weg, und tausend Jahre lang sandten sie eine riesige Menge von Neugierigen in die Hölle hinab. Kein Passant war vorbeigekommen, ohne von Mitleid gerührt zu werden. Aber kaum hatte er seine Frage gestellt: »Was ist mit euch?«, als er auch schon von Stockschlägen niedergestreckt und in Stücke geschnitten war. Das Fleisch servierten die Teufel dann den Reisenden, die als nächste kamen.

Es lebte damals eine sehr arme Frau. Als sie alles verkauft hatte, was sie besaß, blieben ihr 45 Francs, und diese teilte sie unter ihre Söhne. Eines Morgens sagte sie zu ihrem ältesten Sohn: »Mein Kind, nimm diese fünfzehn Francs, zieh aus und mach dein Glück.«

Der Älteste verließ seine Mutter und seine Brüder und schlug die Straße der Neugierde ein, welche breiter und schöner war als alle andern. So kam er an das Wirtshaus, und da er hungrig war, trat er ein. Doch als er die beiden Unholde erblickte, regte sich sein Herz in ihm, und er konnte sich nicht enthalten zu fragen: »Ihr Unglücklichen, was für eine schreckliche Krankheit hat euch so abgenagt?« Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als er auch schon von Stockschlägen niedergestreckt und seine Leiche in einen finsteren Keller geworfen war.

Einige Zeit danach sagte die Mutter zu dem zweiten Sohn: »Mein Kind, nimm deine fünfzehn Francs, zieh aus und mach dein Glück.« Und der zweite Sohn ging ebenfalls fort und schlug den nämlichen Weg ein, der ihm ebenfalls zum Verhängnis wurde.

Und die Mutter sagte dasselbe zu ihrem letzten Sohn: »Mein Kind, nimm deine fünfzehn Francs, zieh aus und mache dein Glück.« Auch dieser zog aus. Unterwegs traf er eine schöne Dame, die ihn fragte: »Antonarello, wo gehst du hin!« —»Ich gehe das Glück suchen.« — »Du bist sehr jung dafür; dazu muß man viel Erfahrung haben und alle seine närrischen Launen kennen, und selbst dann trifft es nicht immer ein.« »Und was ist am notwendigsten, damit man es findet?« —»Notwendig ist, daß du mit deinen fünfzehn Francs drei Ratschläge von mir kaufst.« — »Das will ich gern«, sagte Antonarello, »denn ich sehe wohl, daß Ihr über meine Angelegenheiten besser Bescheid wißt als ich selber.« Und die Dame sprach: »Das ist der erste Rat: Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten ein. —Willst du noch einen?« —»Ja.« — »Gib nie den alten Weg für den neuen auf!« — »Gebt mir noch den dritten!« »Sei blind und taub.« —»Danke, Madame, hier sind die fünfzehn Francs.« Und Antonarello, der nicht gemerkt hatte, daß es die liebe Heilige Jungfrau gewesen war, setzte ruhig seinen Weg fort. Doch wie groß war seine Überraschung, als er die Hand in die Tasche steckte und dreimal



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soviel Geld fand, als darin gewesen war. >Ein Wunder!<dachte er und machte sich fröhlich wieder auf den Weg.

Nach einiger Zeit traf er auf eine sehr schöne Straße. >Ob ich die einschlage?< dachte er. Doch er erinnerte sich an den ersten Rat, und das war sein Glück, denn an diesem Weg waren drei Diebe versteckt, die ihn unfehlbar umgebracht hätten.

Nach einigen Tagen traf er mehrere Leute, die sich prügelten. >Man muß sie trennen<, dachte Antonarello, doch der zweite Rat: »Misch dich nicht in fremde Angelegenheiten!« hielt ihn zurück. Er hatte großes Glück, denn die Streitenden gerieten in solche Wut, daß sie sich gegenseitig umbrächten bis auf den letzten Mann, und der brave kleine Bruder wäre umgekommen wie die andern zwei.

Nachdem er viele Tage gewandert war, kam er schließlich vor der Teufelsosteria an. »Heda, Wirtschaft, ich habe großen Hunger, was könnt Ihr mir anbieten?« — »Was Euch beliebt.« Der Wanderer ließ sich ein ausgezeichnetes Mahl auftragen, aß gut, trank noch besser, zahlte und ging.

Da ließ sich ein schreckliches Gebrüll vernehmen, und einer von den Teufeln sprach zu Antonarello: »Staubgeborener, du hast aber ein ziemlich hartes Herz, daß du so ungerührt an uns vorüberziehst!« — »Ich mische mich nicht in fremde Angelegenheiten, und wenn nötig, bin ich blind und taub.«

Die Teufel sahen ein, daß sie nichts erreichen konnten, und gaben sich geschlagen. Sie zündeten das Wirtshaus an, damit niemand mehr dort Zuflucht finde, und kehrten schäumend vor Wut in die Hölle zurück. Vater Satan empfing sie sehr unsanft, schickte sie aber bald wieder aus, um an einer anderen Straße ein Hotel zu errichten. Die Ernte wird ja immer gut sein und die Hölle kaum jemals arbeitslos.

Antonarello aber ging seine Straße fort. Ob er das Glück schon gefunden hat, weiß ich nicht, aber er wird es sicher bald finden, wenn er die Ratschläge anwendet, die ihm die liebe Heilige Jungfrau gegeben hat.


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