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Hans Friedrich Blunck

Märchen


Mit 100 Bildern nach Aquarellen von Ruth Koser-Michaels

Th. Knaur Nachf. Verlag Berlin


Die klugen Ratsleute

Zu Pfingsten wünschen sich alle Menschen das schönste Wetter, und in dem Jahr, von dem ich erzähle, war in der Stadt Bremen auch big zum Spätsonnabend herrlichster Sonnenschein gewesen. Aber als die Leute anderntags in den Himmel guckten und die weißen Kleider, die schon bereit lagen, anziehen wollten, regnete es zum Gotterbarmen; ein böser Wind fuhr durch alle Gassen.

Nun wohnte eine Ratsfrau dicht am Marktplatz, der war es besonders leid, daß der Tag so arg geworden; sie war erst jung getraut und hatte sich sehr auf den Pfingstweg mit ihrem Mann gefreut. Statt



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dessen saß der Ratsherr brummend im Stadthaus, um rasch allerhand Arbeit, die ihm liegengeblieben war, fertigzustellen, und die arme Frau sah in übler Laune dem Regen zu und dachte nach, wer von den vielen Widersachern der wackeren Stadt ihr solch Wetter beschert haben konnte.

Als sie sich's nun noch übersinnt, kommt, obschon es Pfingstmorgen ist, ein riesiger Fischhändler vorbei, der hat die Mütze tief über die Ohren gezogen, schiebt seinen Wagen vor sich her und bleibt vorm Haus der Kais frau stehen. Und er ruft, wie die Leute es damals taten:

"Aal, grone Aal,
Uns Fru, kamen Se mal dal,
Dat Mäken sitt in't Kellerlock
Un flickt den Krinolinenrock!

Die Frau merkt ja gleich, daß da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht, sondern daß einer gekommen ist, der nichts vom heiligen Festtag weiß. Und weil sie ein entschlossenes Weib ist, steigt sie selbst die Treppe hinab und tut, als wenn sie sich die Fische ansehen wolle. Sie weiß aber mit dieser Art Volk Bescheid und nimmt wahr, daß der Händler ein alter Wasserkerl aus der Weser ist; wahrscheinlich ist es der, welcher den schlimmen Regen über die pfingstliche Stadt gebracht hat.

Als der Mann seine Fische zeigt, beginnt er auch bald zu reden, daß er die Herrin schon als Kind habe spielen sehen, wie schön sie seitdem geworden sei, wie gern er sie immer gemocht habe und dergleichen mehr. Die Ratsfrau hört ihn an, sie tut wie ein Schelm, legt den Finger auf den Mund und lädt den Wasserkerl ein, er solle sich ihren Garten anschauen.

"Ich weiß wohl", sagt sie geheimnisvoll, "Ihr seid ein hoher Fremder und nicht der, für den Ihr Euch ausgebt. Und gewiß gefallt Ihr mir auch. Aner mein Gemahl ist sehr streng, verbergt Euch rasch im Brunnen, bis er zum Tor hinausgegangen ist.

Der Wassermann, der solch freundlichen Empfang kaum erwartet hat, steigt wirklich in den Brunnen. Und siehe da, draußen in den Gassen regnet es schon weniger.



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Lange dauert es nicht, da kommt ein anderer Geselle die Straße entlang. Der fegt wie der Wind heran, klingelt am Haus der Ratsleute und will wissen, ob nicht vorhin ein schlimmer Besuch eingelassen sei. Er ist so neidisch, er drängt gleich an der Magd vorbei, die Ratsfrau muß selbst die Treppe hinabkommen, weil der Zank im Tor nicht aufhört. einem Dieb und Räuber zu warnen. Und er fragt, ob er die schöne Herrin nicht in ihrem Garten besuchen dürfe, hier draußen könne er ihr nichts davon ver- raten.

Es ist ein langer Geselle mit pausbackigem Gesicht, die Frau weiß nicht, woher sie ibn kennen könnte. Aber sie vermutet, daß auch er an dem Wetter Schuld habe, ist schalksfreundlich und flüstert, sie wolle wohl anhören, was er zu habe, aber er müsse noch warten, bis ihr Mann durch den Garten gegangen sei. Und sie schickt ihn in den großen Birnbaum, in dem soll er sich verstecken. Kaum

Kaum ist sie unten, macht auch der zweite Schmachter einen tiefen Bückling, tut geheimnisvoll und flüstert eifersüchtig, er habe vor



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hat der Fremde ihren Wunsch befolgt, da hört der Wind zu stoßen auf und der Himmel wird heller.

Die Ratsfrau hätte nun gern ihrem Mann Bescheid gegeben und ihn ermahnt, mit ihr auszugehen; sie war aber noch in Sorge, was sie mit den beiden Gesellen im Garten anfangen sollte. Schließlich ließ sie Diener und Jungfer kommen, schickte den einen aufs Rathaus, seinen Herrn eilig herbeizurufen, und sagte der Magd, sie solle einmal durch den Garten laufen, als habe sie eine Botschaft zu bestellen. Und wenn zwei Leute sie anredeten, müsse sie diesem diese und jenem jene Antwort geben.

Als die Dirn nun am Brunnen vorbeirannte, brummte ihr einer zu, wie lange es denn zum Teufel noch dauere, bis der Mann aus dem Haus wäre. Ach, erwiderte sie, genau wie ihre Herrin es sie geheißen hatte, da hätte sich ein ärgerer Besuch eingestellt, mit dem müßte man erst fertig werden.

Dann lief sie weiter. Auf dem Birnbaum hockte der Windkerl ungeduldig auf dem untersten Zweig. Er müsse noch etwas Geduld haben, flüsterte rasch, der Wassermann säße im Brunnen, und ihre arme Herrin wage sich nicht vorbei.

Kaum hat der Wind vom Wassermann erfahren, da ist er wie ein Wirbel um den Brunnen und dann kopfüber hineingefahren, um mit dem Nebenbuhler abzurechnen. Man hörte es in der Tiefe entsetzlich schlagen und plantschen,

Gerade da war auch der Ratsherr heimgekehrt, und die Frau hat ihm mit fliegenden Worten von ihrer List erzählt. Der Mann hat die Stirn kraus gezogen, dann hat er gelacht, hat nach dem Diener gerufen, und die beiden haben sich zu den Polternden, Fechtenden im Brunnen geschlichen. Dort haben sie eilig den großen eichenen Holzdeckel hinübergeschoben, haben ihn mit allen Steinen beschwert, derer sie habhaft werden konnten, und drei eiserne Klammern über die Ränder gehämmert.

Danach sind Mann und Frau, weil es inzwischen das schönste Wetter geworden war, den langen Tag im Freien gewesen und haben die beiden Betrogenen mit ihrem Zorn allein gelassen; einen Abend und die ganze Nacht hindurch hat der Deckel auf dem Brunnen gewackelt, und es hat



420 H.F. Blunck Märchen -- Wie Eulenspiegel und der alte Hinkepot die Herzogin von Plön gerettet haben Flip arpa

gestöhnt und gejammert in seiner Tiefe. Aber der Ratsherr hat gewollt, daß auch am Pfingstmontag schönes Wetter sei, kein Mitleid ist in ihm aufgekommen.

Erst am dritten Tag hat der Mann die Sturmwarnung am Hafen hochziehen lassen. Dann ist er mit seinem Diener in den Garten gegangen, hat die Krampen losgehämmert und hat mit einem langen Stock die Steine, einen nach dem anderen, von dem wackeligen Brunnendeckel geschoben. Big der plötzlich mit einem Knall in die Luft geflogen ist und zwei zerrissene wilde Kerle aus der Tiefe hochgefahren sind. Und es ist ein entsetzliches Dienstagswetter über die arme Stadt gekommen. Aber die Feiertage waren doch nach der Ratsfrau und aller Frauen und Jungfrauen Wunsch gewesen; es war nichts mehr dran zu ändern.


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