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H. C. Andersens Märchen


Herausgegeben von


Dr. Karl Martin Schiller

Mit den Abbildungen Holzschnitte nach Originalzeichnungen von


Ludwig Richter, Graf Pocci, Theodor Hosemann und Raymond de Baux und 12 Kunstblättern von Otto Speckter und Graf Pocci


Leipzig F. W. Hendel Verlag 1927


Der Elfenhügel

Einige große Eidechsen liefen schnellfüßig in den Spalten eines alten Baumes umher; sie konnten einander gut verstehen, denn sie sprachen die Eidechsensprache.

"Nein, wie das in dem alten Elfenhügel poltert und brummt!" sagte die eine Eidechse. "Ich habe vor dem Lärm schon in zwei Nächten meine Augen nicht schließen können, ich könnte ebensogut liegen und Zahnweh haben, denn dann schlafe ich auch nicht!"

"Da ist etwas los drinnen!" sagte die andere Eidechse. "Sie lassen den Hügel, bis des Morgens der Hahn kräht; auf vier roten Pfählen stehen, es wird ordentlich ausgelüftet, und die Elfenmädchen haben neue Tänze gelernt. Da ist etwas los!"

"Ja, ich habe mit einem Regenwurm meiner Bekanntschaft gesprochen", sagte die dritte Eidechse; "der Regenwurm kam gerade aus dem Hügel, wo er Tag und Nacht in der Erde gewühlt hatte. Der hatte vieles gehört, sehen kann er ja nicht, das elende Tier, aber vorfühlen und nachhören, das versteht er. Sie erwarten Fremde im Elfenhügel, vornahme Fremde, aber wen, das wollte der Regenwurm nicht sagen, oder er wußte es auch nicht. Alle Irrlichter sind bestellt, um einen Fackelzug zu halten, wie man das nennt, und Silber und Gold, wovon genug im Hügel ist, wird poliert und im Mondenschein ausgestellt!"

"Wer mögen wohl die Fremden sein?" sagten alle Eidechsen. "Was mag da wohl los sein? Hört, wie es summt! Hört, wie es brummt!"

Zur selbigen Zeit teilte sich der Elfenhügel, und ein altes Elfenmädchen, sie hatte keinen Rücken, kam herausgetrippelt. Es war des alten Elfenkönigs Haushälterin, sie war mit der Familie weitläufig verwandt und trug ein Bernsteinherz vor der Stirn. Ihre Beine bewegten sich so hurtig: tripp, tripp! Potztausend, wie konnte sie trippeln, und das gerade hinunter in das Moor zum Nachtraben!



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"Sie werden zum Elfenhügel eingeladen, und zwar diese Nacht!" sagte sie. "Aber wollen Sie uns nicht erst einen großen Dienst erweisen und die Einladungen übernehmen? Sie müssen auch etwas tun, da Sie selbst kein Haus machen. Wir bekommen einige hochvornehme Fremde, Zauberer, die etwas zu bedeuten haben, und deshalb will der alte Elfenkönig sich zeigen!"

"Wer soll eingeladen werden?" fragte der Nachtrabe.

"Ja, zu dem großen Ball kann alle Welt kommen, selbst Menschen, wenn sie nur im Schlaf sprechen oder etwas dergleichen tun können, was in unsere Art fällt. Aber zu dem ersten Feste soll strenge Auswahl herrschen, wir wollen nur die Allervornehmsten haben. Ich habe mich mit dem Elfenkönig gestritten, denn ich meinte, wir könnten nicht einmal Gespenster zulassen. Der Wassernix und seine Töchter müssen zuerst eingeladen werden, es mag ihnen wohl nicht lieb sein, aufs Trockene zu kommen, aber sie sollen schon einen nassen Stein zum Sitzen oder noch etwas Besseres haben, und dann, denke ich, werden sie es für diesmal wohl nicht abschlagen. Alle alten Dämonen erster Klasse mit Schweifen den Alraun und die Kobolde müssen wir haben, und dann, denke ich, können wir die Grabsau, das Totenpferd und den Kirchenzwerg nicht weglassen; sie gehören freilich mit zur Geistlichkeit, die nicht zu unseren Leuten gezählt wird, aber das ist nur ihr Amt, sie sind uns doch nahe verwandt und machen uns fleißig Besuch."

"Brav!" sagte der Nachtrabe und flog davon, um einzuladen.

Die Elfenmädchen tanzten schon auf dem Elfenhügel, und sie tanzten mit Schals, die aus Nebel und Mondschein gewebt waren, und das sieht recht niedlich für die aus, die dergleichen lieben. Mitten in dem Elfenhügel war der große Saal herrlich aufgeputzt, der Fußboden war mit Mondschein gewaschen, und die Wände waren mit Hexenfett abgerieben, so daß sie gleich Tulpemblättern von dem Lichte glänzten. In der Küche warm vollauf Frösche am Spieße, Schneckenhäuser mit Kinderfingern darin und Salate von Pilzsamen und feuchten Mäuseschnauzen mit Schierling, Bier, von der Sumpffrau gebraut, glänzender Salpeterwein aus Grabkellem, alles höchst solide; verrostete Nägel und Kirchenfensterglas gehörte zum Naschwerk.

Der alte Elfenkönig ließ seine Goldkrone mit gestoßenem Griffel polieren, das war Tuffsteingriffel, und es ist für den Elfenkönig sehr schwer, Tuffsteingriffel zu erhalten. Im Schlafgemach wurden Gardinen aufgehangen und mit Schnekkenhörnem befestigt. Ja, das war ein rechtes Summen und Brummen!

"Nun muß hier mit Roßhaaren und Schweineborsten geräuchert werden, dann glaube ich das meinige getan zu haben!" sagte das alte Elfenmädchen.

"Süßer Vater!" schmeichelte die kleinste der Töchter; "bekomme ich nun zu wissen, wer die vornehmen Fremden sind?"

"Nu denn!" sagte er, "dann muß ich es wohl sagen! Zwei meiner Töchter



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müssen sich zum Heiraten bereit halten; zwei werden sicher verheiratet. Der greise Kobold oben von Nonvegen, der im alten Dovrefelsen wohnt und viele Klippenschlösser von Feldsteinen und ein Goldwerk, welches besser ist, als man glaubt, besitzt, kommt mit seinen beiden Söhnen herunter, die sich eine Frau aussuchen sollen. Der greise Kobold ist so ein rechter alter, ehr 'jeher nordischer Greiz, lustig und schlicht; ich kenne ihn aus alten Tagen, als wir Brüderschaft miteinander tranken; er war hier unten, seine Frau zu holen. Nun ist sie tot, sie war eine Tochter des Felsenkönigs von Möen. Er nahm seine Frau auf der Kreide, wie man zu sagen pflegt. Oh, wie ich mich nach dem nordischen greisen Kobold sehne! Die Knaben, sagt man, sollen etwas unartige, naseweise Jungen sein, aber man kann ihnen ja auch unrecht tun, und sie werden wohl gut; wenn sie älter werden. Laßt mich nun sehen, daß ihr ihnen Sitte beibringt!"

"Und wann kommen sie?" fragte die eine Tochter.

"Das kommt auf Wind und Wetter ant" sagte der Elfenkönig. "Sie reisen ökonomisch! Sie kommen mit Schiffsgelegenheit herunter. Ich wollte, sie sollten über Schweden gehen, aber der Alte neigt sich noch nicht nach jener Seite! Er schreitet nicht mit der Zeit fort, und das kann ich nicht leiden!"

Da kamen zwei Irrlichter angehüpft, das eine schneller als das andere, und deshalb kam das eine zuerst.

"Sie kommen, sie kommen!" riefen sie.

"Gebt mir meine Krone und laßt mich im Mondscheine stetzen!" sagte der Elfenkönig.

Die Töchter hoben die Schals auf und verneigten sich bis zur Erde.

Da stand der greise Kobold von Dovre mit der Krone von gehärteten Eig- und polierten Tannenzapfen; übrigens hatte er einen Bärenpelz und Schlittenstiefel an, die Söhne hingegen gingen mit bloßem Halse und ohne Tragbänder; denn es waren Kraftmänner.

"Ist das eine Anhöhe?" fragte der kleinste der Söhne und zeigte auf den Elfenhügel. "Das nennen wir oben in Norwegen ein Loch!"

"Jungens!" sagte der Alte. "Loch geht einwärts, Höhe geht aufwärts! Habt ihr keine Augen im Kopfe?"

Das einzige, was sie hier unten wunder nahm, sagten sie, wäre, daß sie ohne weiteres die Sprache verstehen könnten.

"Habt euch nur nicht!" sagte der Alte. "Man möchte glauben, ihr wäret nicht recht ausgebacken!"

Und dann gingen sie in den Elfenhügel hinein, wo die wahrhaft feine Gesellschaft versammelt war, und das in einer Hast daß man glauben sollte, sie seien zusammengeweht, und für einen jeden war es niedlich und nett eingerichtet. Die Wassenixen saßen in großen Wasserkufen zu Tische, sie sagten, es sei gerade, als ob sie zu Hause wären. Alle beachteten die Tischsitte, außer den beiden kleinen



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nordischen Kobolden; die legten die Beine auf den Tisch, aber sie glaubten nun einmal, dast ihnen alles gut stehe!

"Die Füße vom Napfe!" sagte der alte Kobold, und da gehorchten sie, aber sie taten es doch nicht sogleich. Ihre Tischdame kitzelten sie mit Tannenzapfen, die sie in der Tasche mit sich führten, und dann zogen sie ihre Stiefel aus, inn bequem zu sitzen, und gaben ihr die Stiefel zu halten. Aber der Vater, der alte Dovrekobold, der war freilich ganz anders; er erzählte so schön von den stolzen nordischen Felsen und von den Wasserfällen, die weißschäumend mit einem Gepolter wie Donnerschlag und Orgelklang niederstürzen; er erzählte vom Lachse, der gegen die stürzenden Wasser emporspringt, wenn die Nixe auf der Goldhase spielt. Er erzählte von den glänzenden Winternächten, wenn die Schlittenschellen tönen und die Burschen mit brennenden Fackeln über das blanke Eis hinlaufen, welches so durchsichtig ist, daß sie die Fische unter ihren Füßen bange werden sehen. Ja, er konnte erzählen, so daß man sah und hörte, was er beschrieb. Es gerade, als wenn Sägemühlen gingen, als wann Knechte und Mägde Lieder sängen und den Hallingetanz tanzten. Heisa! mit einemmal gab der greise Kobold dem alten Elfenmädchen einen Gevatterschmatz; das war ein ordentlicher Kuß, und doch waren sie nicht verwandt.

Nun mußten die Elfenmädchen tanzen, und das sowohl einfach wie auch mit Stampfen, und das stand ihnen gut an. Dann kam der Kunsttanz. Der Tausend, wie sie das Bein ausstrecken konnten, man wußte nicht, was Ende und Anfang war; was Arme und Beine waren, das ging alles durcheinander wie Sägespäne, und dann schnurrten sie herum, daß dem Totenpferd unwohl wurde und vom Tische gehen mußte.

"Prrrrr!" sagte der greise Kobold, "das ist ein Wirtschaften mit den Beinen! Aber was können sie mehr als tanzen, die Beine ausstrecken und den Wirbelwind machen?"

"Das sollst du bald erfahren!" sagte der Elfenkönig, und dann rief er die jüngste von seinen Töchtern vor; sie war so behende und klar wie Mondschein, sie war die feinste von allen Schwestern. Sie nahm einen weißen Span in den Wund, und dann war sie ganz fort, das war ihre Kunst.

Aber der greise Kobold sagte, diese Kunst möchte er bei seiner Frau nicht leiden, und er glaube auch nicht, daß seine Knaben etwas davon hielten.

Die andere konnte sich selbst zur Seite gehen, gerade, als wäre sie ihr eigener Schatten, und den haben die Elfen nicht.

Die dritte Tochter war ganz anderer Art. Sie hatte in der Sumpffrau Brauhaus gelernt, und sie war es, die da verstand, Erlenknorren mit Johanniswürmchen zu spicken.

"Sie wird eine gute Hausfrau abgeben!" sagte der greise Kobold, und stieß er mit den Augen an, denn er wollte nicht so viel trinken.



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Nun kam die vierte Elfe. Sie hatte eine große Harfe zum Spielen, und als sie auf die erste Saite schlug, erhoben alle das linke Bein, denn die Kobolde sind linksbeinig, und als sie die andere Saite anschlug, mußten alle tun, was sie wollte.

"Das ist ein gefährliches Frauenzimmer!" sagte der greise Kobold, aber beide Söhne gingen zum Hügel hinaus, denn nun langweilte es sie.

"Und was kann die nächste Tochter?" fragte der greise Kobold.

"Ich habe gelernt, das Nordische zu liebem" sagte sie, "und nie werde ich mich verheiraten, wenn ich nicht nach Norwegen kommen kannt"

Aber die kleinste der Schwestern flüsterte dem Greise zu: "Das ist nur, weil sie aus einem nordischen Liede gehört hat, daß, wenn die Welt untergeht, doch die nordischen Klippen gleich Bausteinen stehen bleiben werden, und deshalb will sie da hinaus, denn sie fürchtet das Untergehen so sehr."

"Ho, hol" sagte der greise Kobold, "war es so gemeint? Aber was kann die siebente und letzte?"

"Die sechste kommt vor der siebentem" sagte der Elfenkönig, denn er konnte rechnen, aber die sechste wollte nicht recht hervorkommen.

"Ich kann nur den Leuten die Wahrheit sagen!" sagte sie, "um mich kümmert sich niemand, und ich habe genug damit zu tun, mein Leichenzeug zu nähen!"

Nun kam die siebente und letzte, und was konnte sies Ja, sie konnte Märchen erzählen, so viel sie wollte.

"Hier sind alle meine fünf Finger!" sagte der greise Kobold, "erzähle mir eins von jedem!"

Und die Elfe faßte ihn um das Handgelenk, und er lachte; daß es in ihm kluckte, und als sie zum Goldfinger kam, der einen Goldring umhatte, gerade- als ob er wisse, daß Verlobung sein sollte, sagte der greise Kobold: "Halte fest, was du hast, die Hand ist dein! Dich will ich selbst zur Frau haben!"

Und die Elfe sagte, daß die Märchen vom Goldfinger und vom kleinen Peter Spielmann noch fehlten.

"Die wollen wir im Winter hören!" sagte der greise Kobold, "und von der Tanne wollen wir hören und von der Birke und von den Geistergeschenken und von dem klingenden Frost! Du sollst schon erzählen, denn das versteht noch keiner so recht dort oben! Und dann wollen wir in der Steinstube sitzen, wo der Kienspan brennt, und Met aus den goldenen Hörnern der alten nordischen Könige trinken. Der Nick hat mir ein paar geschenkt; und wenn wir dann sitzen so kommt die Nixe zum Besuch, sie singt dir alle Lieder der Hirtenmädchen im Gebirge. Das wird munter werden! Der Lachs wird im Wassersturz springen und gegen die Steinwände schlagen, aber er kommt doch nicht herein! Ja, es ist gut sein in dem lieben alten Norwegen! Aber wo sind die Jungen?"



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Ja, wo waren die? Sie liefen auf dem Felde herum und bliesen die lichter aus, die so gutmütig kamen, um den Fackelzug zu bringen.

"Was ist das für ein Herumstreichen?" sagte der greise Kobold. "Ich habe mir eine Mutter für euch genommen, nun könnt ihr eine Tante nehmen!"

Aber die Jungen sagten, daß sie am liebsten eine Rede halten und Brüderschaft trinken wollten, zum Heiraten hätten sie keine Lust. Und dann hielten sie Reden, tranken Brüderschaft und machten die Nagelprobe, um zu zeigen, daß sie ausgetrunken hatten. Darauf zogen sie die Röcke aus und legten sich auf den Tisch, um zu schlafen, denn sie genierten sich nicht. Aber der greise Kobold tanzte mit seiner jungen Braut in der Stube herum und wechselte Stiefel mit ihr, denn das ist feiner als Ringe wechseln.

"Nun kräht der Hahn!" sagte die alte Elfe, welche das Hauswesen besorgte. "Nun müssen wir die Fensterladen schließen, damit die Sonne uns nicht verbrennt brennt!"

Und dann schloß sich der Hügel.

Aber draußen liefen die Eidechsen indem geborstenen Baume auf und nieder; und die eine sagte zur andern:

"Oh, wie mir der nordische greise Kobold gefiel!"

"Wir gefallen die Knaben bessert" sagte der Regenwurm, aber es konnte ja nicht sehen, das elende Tier.


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