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Gustav Schwab -

Sagen des Klassischen Alterthums



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König Ödipus zeigt sich seinem Volke


Herakles zurückgelassen

Nach einer stürmevollen Fahrt landeten die Helden in einem Meerbusen Bithyniens, bei der Stadt Kios. Die Mysier, die hier wohnten, empfingen sie gar freundlich, türmten dürres Holz zum



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wärmenden Feuer auf, machten den Ankömmlingen aus grünem Laub eine weiche Streu und setzten ihnen noch in der Abenddämmerung Wein und Speise zur Genüge vor. Herakles, der alle Bequemlichkeiten der Reise verschmähte, ließ seine Genossen beim Mahle sitzen und machte einen Streifzug durch den Wald, um sich aus einem Tannenbaum ein .besseres Ruder für den kommenden Morgen zu schnitzen. Bald fand er eine Tanne, die ihm gerecht war, nicht zu sehr mit Ästen beladen, in der Größe und dem Umfang wie der Ast einer schlanken Pappel. Sogleich legte er Köcher und Bogen auf die Erde, zog sein Löwenfell aus, warf seine eherne Keule auf den Boden und zog den Stamm, den er mit beiden Händen gefaßt, mitsamt den Wurzeln und der daranhängenden Erde heraus, so daß die Tanne dalag, nicht anders, als hätte sie ein Sturm entwurzelt. Inzwischen hatte sich sein junger Gefährte Hylas auch vom Tische verloren. Er war mit dem ehernen Kruge aufgestanden, um Wasser für seinen Herrn und Freund zum Mahle zu schöpfen und auch alles andre ihm für seine Rückkehr vorzubereiten. Herakles hatte auf seinem Zuge gegen die Dryopen seinen Vater im Wortwechsel erschlagen, den Knaben aber mit sich genommen und sich zum Diener und Freunde nachgezogen. Als dieser schöne Jüngling an der Quelle Wasser schöpfte, leuchtete der Vollmond. Wie er sich nun eben mit dem Kruge nach dem Wasserspiegel neigte, erblickte ihn die Nymphe des Quells. Von seiner Schönheit betört, schlang sie den linken Arm um ihn, mit der Rechten ergriff sie seinen Ellbogen und zog ihn so hinunter in die Tiefe. Einer der Helden, Polyphemos mit Namen, der die Rückkehr des Herakles nicht fern von jenem Quell erwartete, hörte den Hilfeschrei des Knaben. Aber er fand ihn nicht mehr, dagegen begegnete er dem Herakles, der aus dem Walde zurückkam. "Unglücklicher," rief er ihm entgegen, "muß ich der erste sein, der dir die Trauerbotschaft meldet! Dein Hylas ist zum Quell gegangen und nicht wieder zurückgekehrt; Räuber führen ihn gefangen davon, oder wilde Tiere zerreißen ihn; ich selbst habe seinen Angstruf gehört." Dem Herakles floß der Schweiß vom Haupte, als er es hörte, und das Blut wallte ihm gegen die Brust. Zornig warf er die Tanne auf den Boden und rannte, wie ein von der Bremse gestochener Stier Hirten und Herde verläßt; mit durchdringendem Rufe durch das Dickicht der Quelle zu.

Jetzt stand der Morgenstern über dem Bergesgipfel; günstiger Wind erhob sich. Der Steuermann ermahnte die Helden, ihn zu be



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nutzen und das Schiff zu besteigen. Schon fuhren sie im Morgenlichte fröhlich dahin, als ihnen zu spät einfiel, daß zwei ihrer Genossen, Polyphemos und Herakles, von ihnen am Ufer zurückgelassen worden. Ein stürmischer Streit erhob sich unter den Helden, ob sie ohne die tapfersten Begleiter weitersegeln sollten. Jason sprach kein Wort, stille saß er, und der Kummer fraß ihm am Herzen; den Telamon aber übermannte der Zorn: "Wie kannst du so ruhig sitzen?" rief er dem Führer zu; "gewiß fürchtetest du, Herakles möchte deinen Ruhm verdunkeln! Doch was helfen da Worte? und wenn alle Genossen mit dir einverstanden wären, so will ich allein zu dem verlassenen Helden umkehren." Mit diesen Worten faßte er den Steuermann Tiphys an seine Brust, seine Augen funkelten wie Feuerflammen, und gewiß hätte er sie gezwungen, nach dem Gestade der Mysier zurückzukehren, wenn nicht die beiden Söhne des Boreas, Kalais und Zethes, ihm in den Arm gefallen wären und ihn mit scheltenden Worten zurückgehalten hätten. Zugleich stieg aus der schäumenden Flut Glaukos, der Meergott, hervor, faßte mit starker Hand das Ende des Schiffes und rief den Eilenden zu: "Ihr Helden, was streitet ihr euch? Was begehret ihr wider den Willen des Zeus, den mutigen Herakles mit euch in das Land des Stetes zu führen? Ihm sind ganz andere Arbeiten zu verrichten vom Schicksale bestimmt. Den Hylas hat eine liebende Nymphe geraubt, und ihr zulieb ist er zurückgeblieben." Nachdem er ihnen solches geoffenbart, tauchte Glaukos wieder in die Tiefe nieder, und das dunkle Wasser schäumte in Wirbeln um ihn. Telamon war beschämt, er ging auf Jason zu, legte seine Hand in des Helden Hand und sprach: "Zürne mir nicht, Jason! Der Schmerz hat mich verführt, unvernünftige Worte zu reden! übergib meinen Fehler den Winden, und laß uns Wohlwollen üben wie früher!" Jason gab der Versöhnung gern Gehör, und so fuhren sie bei starkem und günstigem Winde dahin. Polyphemos fand sich bei den Mysiern zurecht und baute ihnen eine Stadt. Herakles aber ging weiter, wohin ihn die Bestimmung des Zeus rief.


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